Washington Irving
Bracebridge Hall oder die Charaktere
Falknerei
eingestellt: 28.7.2007
Es gibt verschiedene große Quellen der Klagen, welche dem würdigen Squire die Ausbildung der Gesellschaft und die traurige Vermehrung unsrer Kenntnisse abnöthigt; unter diesen ist keine, die er, wie ich glaube, häufiger bejammert, als die unglückliche Erfindung des Schießpulvers. Auf diese führt er beständig das Verschwinden irgend einer Lieblingssitte, ja den
gänzlichen Untergang aller ritterlichen und romantischen Gebräuche zurück. »Die englischen Soldaten,« sagt er, »sind niemals wieder die Leute gewesen, welche sie in den Tagen der Armbrust und des großen Bogens waren, als sie sich noch auf die Stärke ihres Arms verließen, und der englische Bogenschütz einen ellenlangen Pfeil bis an die Spitze zurückziehen konnte. Dieß waren die Zeiten, wo in den Schlachten von Cressy, Poitiers
und Agincourt, die französische Ritterschaft gänzlich durch die englischen Bogenschützen aufgerieben wurde. Auch die Landmiliz ward niemals mehr, was sie war, als sie noch in Friedenszeiten fortdauernd im Bogenschießen geübt wurde, und das Pfeilschießen ein Lieblingszeitvertreib an den Festtagen war.«
Unter den anderen Uebeln, welche im Gefolge der unglücklichen Erfindung des Schießpulvers sich eingefunden haben, zählt der
Squire auch den gänzlichen Verfall der edlen Kunst der Falknerei auf. »Das Schießen,« sagt er, »ist vergleichungsweise eine hinterlistige, verrätherische, einsame Vergnügung; dagegen war die Falkenbeize eine wackere, offene, das Tageslicht nicht scheuende Ergötzlichkeit; es war die Erhebung des edlen Waidwerks zum Himmel.«
»Ueberdieß war es,« fährt er fort, »nach Brathwaite die stattliche
Belustigung hoher und aufstrebender Gemüther; denn, wie das alte welsche Sprichwort sagt, »man konnte damals einen Mann von Geburt an seinem Falken, seinem Pferde und seinem Jagdhund erkennen.« In der That sah man einen Kavalier selten außerhalb seines Hauses ohne seinen Falken auf der Hand; und selbst eine Frau von Stand glaubte, wenn sie ausritt, sich nicht vollständig ausgestattet, wenn sie bei ihrem Ritte nicht ihren Gentil-Falken an den Riemen auf ihrer
zarten Hand hielt. Es wurde in jenen herrlichen Tagen, einem alten Schriftsteller zufolge, für vollkommen hinreichend gehalten, wenn ein Edelmann ordentlich in das Horn stoßen und seinen Falken tragen konnte; und Studiren und Lernen ward den Kindern gemeiner Leute überlassen.«
Da ich demnach des guten Squire Steckenpferd kenne, hat es mich gar nicht gewundert, daß er unter den verschiedenen Ergötzlichkeiten aus früheren Zeiten, welche er
in der kleinen Welt, in der er herrscht, wieder einzuführen suchte, auch auf die edle Kunst der Falknerei große Aufmerksamkeit gewendet hat. Hierbei ist er natürlich von seinem unermüdlichen Mithelfer, Meister Simon, unterstützt worden, und selbst der Geistliche hat durch mehrere Fingerzeige über den Gegenstand, die er in alten englischen Werken gefunden, ein bedeutendes Licht über ihr Thun verbreitet. Was das köstliche Werk der Dame Juliane Barnes,
Markhams »Gentlemans Akademie,« und die übrigen wohlbekannten Abhandlungen betrifft, welche den alten Jagdliebhabern zu Handbüchern dienten, so wissen sie sie halb auswendig; ganz besonders aber haben sie eine alte Tapete in dem Hause studirt, auf welcher eine Gesellschaft von Kavalieren und stattlichen Edelfrauen, in Wämsern und Baretten mit wehenden Federn auf dem Kopf, zu Pferd und von Bedienten zu Fuß gefolgt, ganz in lebendiger Verfolgung des edlen
Waidwerks begriffen, dargestellt ist.
Der Squire hat es in seiner Gegend verboten, irgend einen Falken zu tödten, gibt aber eine reichliche Belohnung für alle, die ihm lebendig gebracht werden; so daß die Halle mit allen Arten von Raubvögeln wohl versehen ist. An diesen haben sowohl er als Meister Simon ihre Geduld und ihren Scharfsinn erschöpft, um sie, wie man es nennt, »stoßen« zu lehren und zur Jagd abzurichten; allein sie haben
nichts als Verdruß und Aerger davon gehabt. Ihre gefiederten Schüler haben sich auf das allerunlenksamste und widerwärtigste gezeigt; auch macht es ihnen nicht wenig Mühe, die Leute abzurichten, die ihnen als Unterlehrer an die Hand gehen und die widerspenstigen Vögel unter ihre unmittelbare Aufsicht nehmen sollten. Der alte Christy und der Wildhüter widersetzten sich einmal geradezu diesem ganzen Erziehungsplane; denn Christy hatte sich sehr geärgert,
eine solche wilde Gänsejagd, wie er es nennt, auf eine Stufe mit einer Fuchsjagd gestellt zu sehen; und der Wildhüter ist immer gewohnt gewesen, Falken als arge Wilddiebe zu betrachten, die man pflichtgemäß niederschießen und in terrorem an die äußern Thore annageln müsse.
Christy hat endlich Hand an die Sache gelegt, aber durch sein Einmischen nur noch mehr verdorben. Er ist hierbei eben so eigensinnig und störrisch,
als bei der Jagd. Meister Simon hat beständigen Streit mit ihm über das Füttern und Aufziehen der Falken. Er liest ihm lange Stellen aus den angeführten Schriftstellern vor; aber Christy, der nicht lesen kann, hat eine tiefe Verachtung gegen alle Büchergelehrsamkeit, und besteht darauf, die Falken nach seinen Ansichten zu behandeln, welche er von seiner Erfahrung in früheren Jahren über das Aufziehen der Kampfhähne herleitet.
Die Folge
ist, daß die armen Vögel, zwischen diesen einander ganz widersprechenden Systemen, eine sehr trübselige, unglückliche Zeit haben. Viele sind als Opfer von Christys Fütterung und Meister Simons Kuren gefallen; denn der Letztere ist secundum artem zu Werke gegangen, und hat ihnen, wie es in den Büchern vorgeschrieben steht, alle Arten von Abführungs- und Reinigungsmitteln eingegeben; nie wurden arme Falken so gefüttert und kurirt. Andere sind
verloren gegangen, weil sie nur halb abgerichtet oder gezähmt waren; denn sie »verstießen« sich, als sie in das Freie gebracht wurden, so daß sie keinen Ruf mehr hören konnten, und kamen nie wieder in die Schule zurück.
Alle diese Unannehmlichkeiten waren unbedeutend, aber der Squire hat sie sehr zu Herzen genommen, und verzweifelte schon an dem glücklichen Erfolge. Seine Hoffnungen sind indessen kürzlich dadurch wieder belebt
worden, daß er einen schönen walisischen Falken bekommen hat, den Meister Simon einen stattlichen leichten Vogel nannte. Er ist ein Geschenk von dem Freunde des Squire, Sir Watkyn Williams Wynne, und ohne Zweifel ein Abkömmling irgend einer alten Familie walisischer Luftfürsten, die seit langer Zeit ihr Wolkenkönigreich, von Wynnstay bis zu dem Gipfel des Snowden, an dem Saume von Penmanmawr, beherrscht haben.
Seitdem der Squire dieß
unschätzbare Geschenk erhalten, ist er stets eben so ungeduldig gewesen, hinaus ins Freie zu gehen und einen Versuch zu machen, wie Don Quixote es war, seine Waffen zu erproben. Es haben sich zwar einige Einwendungen hören lassen, ob der Vogel auch gesund und gehörig abgerichtet sei; allein diese sind von dem brennenden Verlangen, mit einem neuen Spielwerk zu spielen, überwältigt worden, und es wurde beschlossen, recht oder nicht recht, in der Jahreszeit oder nicht,
morgen eine förmliche Falkenjagd zu veranstalten.
Die Halle ist, wie immer, wenn der Squire wieder einen neuen Ritt auf seinem Steckenpferde machen will, in vollkommnem Aufruhr. Miß Templeton, die in großer Achtung vor allen Launen ihres Vormundes erzogen ist, hat erklärt, von der Parthie sein zu wollen, und Lady Lillycraft hat ebenfalls geäußert, daß sie auf den Schauplatz hinausreiten und eine Zuschauerin abgeben werde. Dieß hat
dem alten Herrn ungemein viel Vergnügen gemacht; er betrachtet es als eine günstige Vorbedeutung für das Wiederaufleben der Falknerei, und zweifelt nicht mehr, daß die Zeit kommen werde, wo es wieder der Stolz einer Edelfrau sei, statt eines Papageien oder eines Schooßhundes, einen edeln Falken umher zu tragen.
Ich habe mich an den geschäftigen Zurüstungen dieses unruhigen Geistes, des Meister Simon, und an den beständigen
Querstrichen, welche dieser ächte Sohn einer Pfefferbüchse, der alte Christy, ihm macht, ungemein ergötzt. Sie haben ein halbes Dutzend Berathschlagungen darüber gehalten, wie der Falke auf die morgende Jagd vorbereitet werden müsse. Der alte Nimrod ist wie gewöhnlich dabei in Eifer gerathen, so daß Meister Simon alles zugegeben, und gutmüthig gesagt hat, »Gut, gut, macht es, wie Ihr wollt, Christy; nur werdet nicht hitzig;« eine Antwort,
die den alten Mann immer zehnmal mehr als alles übrige ärgert.
Die Inhalte dieser Seite sind Eigentum der Öffentlichkeit.
Sollten trotzdem Urheberrechte entgegen unserem Wissen verletzt worden sein, bitten wir Sie mit uns Kontakt aufzunehmen.