Frei Lesen: Bracebridge Hall oder die Charaktere

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Washington Irving

Bracebridge Hall oder die Charaktere

Der geschäftige Mann

eingestellt: 28.7.2007





Von Niemand ward ich bei meiner Rückkehr nach der Halle herzlicher begrüßt, als von Herrn Simon Bracebridge, oder Meister Simon, wie ihn der Squire gewöhnlich nennt. Ich begegnete ihm gerade bei meinem Eintritte in den Park, wo er einen Hühnerhund dressirte, und er empfing mich mit all der gastfreundlichen Herzlichkeit, mit der jemand einen Freund in eines Andern Hause bewillkommt. Ich habe ihn dem Leser schon als einen lebhaften, alten, junggesellenartig-aussehenden, kleinen Mann vorgestellt; als den Witzling und verjährten Stutzer eines großen Familienkreises und das Factotum des Squire. Ich fand ihn wie gewöhnlich voller Geschäftigkeit; er hatte tausend Kleinigkeiten zu thun, und Leuten zu Diensten zu sein, und ließ seine gute Laune laut werden; denn wenige Menschen fühlen sich so glücklich, als ein geschäftiger Müßiggänger; das heißt: ein Mann der ewig um Nichts beschäftigt ist.

Ich besuchte ihn am Morgen nach meiner Ankunft in seiner Stube, welche er in einem entfernten Winkel des Hauses hat, da er, wie er sagt, gern für sich ist und Niemand im Wege sein mag. Er hat sie nach seinem Geschmacke eingerichtet, so daß sie eine vollständige Uebersicht der Begriffe eines alten Junggesellen von Bequemlichkeit und Anordnung ausmacht. Die Möbel bestanden aus allen möglichen alten Stücken, aus allen Theilen des Hauses zusammengesucht, wie sie eben seinen Ansichten entsprachen oder in irgend eine Ecke seines Zimmers paßten, und er ist sehr beredt im Lobe eines alten Lehnstuhls, wobei er Gelegenheit nimmt, auf eine Kritik der neueren Stühle überzugehen, an denen von der Würde und der Bequemlichkeit der hochlehnigen Alterthümlichkeit nichts mehr zu finden sei.

An sein Zimmer stößt ein kleines Kabinet, das er sein Studirzimmer nennt. Hier befinden sich einige schwebende Bücherbretter, die er selbst gemacht hat, auf denen mehrere alte Werke über Falknerei, Jagdwesen und Hufschmiedkunst, und eine oder zwei Sammlungen von Gedichten und Liedern aus der Zeit der Regierung der Königin Elisabeth stehen, die er dem Squire zu lieb studirt. Ferner findet sich da: das Romanen-Magazin, das Magazin für Jagdliebhaber, der Wettrenn-Kalender, ein oder zwei Kalender von Newgate, ein Adelslexicon und ein Wappenbuch.

Seine Jagdkleider hangen an Pflöcken in einem kleinen Kabinet; und um die Wände seines Zimmers sind Haken, um sein Angelgeräth, seine Peitschen, Sporen und eine Lieblings-Vogelflinte daran zu hängen, die, schön gearbeitet und eingelegt, sich von seinem Großvater herschreibt. So hat er auch ein Paar alte Flöten mit Einer Klappe, und eine Geige, die er selbst mehrere Male geflickt und ausgebessert hat, versichernd, es sei eine ächte Cremoneser: obgleich ich ihn nie eine Note darauf spielen gehört habe, welche nicht hingereicht hätte, einem das Blut in Eis zu verwandeln.

Aus seinem kleinen Neste hört man oft seine Geige in der Mittagsstille schläfrig ein lange vergessenes Stückchen absägen; denn er rühmt sich, eine ausgesuchte Sammlung guter altenglischer Musik zu besitzen, und will mit neueren Tonsetzern kaum etwas zu thun haben. Am meisten werden indessen seine musikalischen Kenntnisse dann und wann des Abends gemeinnützig, wo er den Kindern in dem großen Saale zum Tanze aufspielt; natürlich gilt er bei diesen so wie bei den Dienstboten für einen wahren Orpheus.

Auch seine Stube trägt Spuren seiner verschiedenen Beschäftigungen; hier liegen halbabgeschriebene Musik-Blätter; Musterzeichnungen; ziemlich unbedeutend gezeichnete Skizzen von Landschaften; eine Camera lucida; eine Zauberlaterne, für die er Gläser zu malen bemüht ist; kurz, es ist das Kabinet eines Mannes von allerhand Fähigkeiten, der Etwas von Allem weiß, und nichts Ordentliches thut.

Nachdem ich eine Zeitlang in seinem Zimmer hingebracht und seine geistvollen kleinen Erfindungen bewundert hatte, führte er mich auf dem Gehöfte umher, um mir die Ställe, den Hundestall und andern Nebengelaß zu zeigen, wobei er wie ein General aussah, der die verschiedenen Abtheilungen seines Lagers besichtigt; denn der Squire überläßt ihm, wenn er in der Halle ist, die Aufsicht über alle diese Sachen. Er erkundigte sich nach dem Zustand der Pferde; untersuchte ihre Füße; verordnete ein Bad für das eine, einen Aderlaß für das andere; und führte mich dann zu seinem eigenen Pferde, über dessen Verdienste er sich mit großer Weitläuftigkeit ausließ, und das, wie ich bemerkte, den besten Platz im Stalle hatte.

Hierauf ward ich zu einer neuen, von ihm und dem Squire angelegten Spielerei geführt, welche er die Falknerei nannte, worin sich mehrere unglückliche Vögel befanden, welche dort vollends ihre Erziehung erhielten. Unter diesen war auch ein schöner Falke, den Meister Simon besonders dressirte, und wobei er mir erzählte, daß er mir in einigen Tagen eine Ergötzlichkeit nach guter alter Weise zeigen wolle. Auf unserer Wanderung bemerkte ich, daß die Stallknechte, Jagdbursche, Bahnpeitscher und andere Unterbediente, alle auf ziemlich vertrautem Fuße mit Meister Simon zu sein schienen, und gern mit ihm scherzten, obgleich es augenscheinlich war, daß sie vor seinen Aussprüchen über Dinge, die zu ihren Geschäften gehörten, eine große Ehrfurcht hatten.

Einer machte davon jedoch eine Ausnahme, ein wunderlicher alter Jäger, hitzig wie ein Pfefferkorn; ein magerer, drathdünner alter Bursche, mit einer abgetragenen sammetnen Jockei-Mütze und einem Paar lederner Beinkleider, die von langem Gebrauch glänzten als wären sie lackirt. Er war sehr widersprecherisch und vorlaut, und hielt, wie es mir vorkam, zuweilen wohl aus bloßem Murrsinn, dem Meister Simon das Gegenspiel. Dieß war besonders der Fall in Rücksicht auf die Behandlung des Falken, den der alte Mann unter seiner besondern Aufsicht zu haben schien, und den er, nach Meister Simons Behauptung, auf dem besten Wege war, zu verderben; Letzterer sprach sehr viel über Magen räumen, impfen, kuriren und dem Falken den Butzen geben, was, wie ich sah, für den alten Christy heidnisches Griechisch war; nichts destoweniger behauptete er aber doch seine Meinung und schien alle seine Kunstphrasen für nichts zu achten.

Ich wunderte mich über die gute Laune, mit welcher Meister Simon seine Widersprüche ertrug, bis er mir späterhin die Sache erklärte. Der alte Christy ist der älteste Bediente im Hause, hat den größeren Theil eines Jahrhunderts unter Hunden und Pferden verlebt, und ist schon bei Herrn Bracebridges Vater in Diensten gewesen. Er kennt den Stammbaum eines jeden Pferdes im Stalle, und hat die Urgroßväter der meisten geritten. Er kann von jeder Fuchsjagd, die in den letzten sechszig oder siebzig Jahren gehalten worden ist, vollständige Nachricht geben, und weiß die Geschichte eines jeden Hirschgeweihes im Hause, und jeder Jagdtrophäe, die an die Thür des Hundestalls genagelt ist, zu erzählen.

Das ganze gegenwärtige Geschlecht ist unter seinen Augen aufgewachsen und hält ihm, in seinem hohen Alter, Vieles zu gut. Er begleitete den Squire einst nach Oxford, als dieser dort studirte, und erleuchtete die ganze Universität mit seiner Jagdgelehrsamkeit. Alles dieß reicht hin, den alten Mann hartnäckig zu machen, da er findet, daß er von allen diesen hochwichtigen Sachen viel mehr weiß, als die übrige Welt. Meister Simon ist sein Schüler gewesen, und erkennt es an, daß er seine ersten Kenntnisse von der Jagd dem Unterrichte Christys zu danken hat; und ich stelle es sehr in Frage, ob ihn nicht der alte Mann noch jetzt für einen bloßen Gelbschnabel ansieht.

Als wir bei unserer Rückkehr über den Rasen vor dem Hause gingen, hörten wir die Glocke an des Portiers Häuschen ziehen, und kurz darauf kam eine Art von Reuter-Zug langsam die Allee herauf. Als mein Gefährte ihn ansichtig ward, blieb er stehen, blickte einen Augenblick hin, und lief dann, mit einem plötzlichen Ausrufe, ihm entgegen. Als er sich näherte, erkannte ich eine blonde, frisch aussehende, ältliche Dame, in ein altväterliches Reitkleid gekleidet, und mit einem breitrandigen weißen Filzhute, wie man ihn auf Sir Josua Reynolds Bildern sieht. Sie ritt einen glatten weißen Klepper, und ein Bediente in reicher Livree, auf einem überfütterten Jagdpferde, folgte ihr. In einer kleinen Entfernung hinten kam ein alter schwerfälliger Halbwagen, von zwei sehr beleibten Pferden gezogen, und von einem eben so dicken Kutscher gefahren, neben dem ein Page in einer abenteuerlichen grünen Livree saß. In dem Wagen waren ein steifes, geziertes Frauenzimmer, die halb wie eine Gesellschafterin, halb wie eine Kammerjungfer aussah, und zwei gemästete Hunde, die ihre häßlichen Gesichter zu jedem Wagenfenster heraussteckten und bellten.

Die sämmtliche Besatzung trat ins Gewehr, diese Fremde zu empfangen. Der Squire half ihr vom Pferde und grüßte sie herzlich; die schöne Julie flog ihr in die Arme, und sie umarmten sich mit der romantischen Glut von Freundinnen aus einer Pension; Juliens Geliebter, gegen den sie sich ausgezeichnet wohlwollend benahm, geleitete sie in das Haus; und eine Reihe der alten Bedienten, die sich in dem Saale versammelt hatten, verneigte sich tief, als sie vorüberging.

Ich bemerkte, daß Meister Simon sehr aufmerksam und ehrerbietig gegen die alte Dame war. Er ging neben ihrem Pferde her die Allee hinauf, und nahm, während sie die Begrüßungen der übrigen Mitglieder der Familie empfing, von dem dicken Kutscher Notiz; streichelte die glatten Wagenpferde, und sagte vor Allem der Kammerfrau der Dame, jener steifen, sauersehenden Vestalin in der Kutsche, ein höfliches Wort.

Ich sah ihn den ganzen Morgen über nicht wieder. Der Strudel, den die Erscheinung der Dame erregte, riß ihn mit fort. Nur einen Augenblick, wo er etwas für die gute Dame auszurichten hatte, und an mir vorbei lief, hielt er an, um mir zu sagen, dieß sei Lady Lillycraft, eine Schwester des Squire, im Besitze eines großen Vermögens, welches der Capitain erben würde, und ihr Gut liege in einer Grafschaft von England, in welcher die beste Jagd sei.

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