Frei Lesen: Bracebridge Hall oder die Charaktere

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Washington Irving

Bracebridge Hall oder die Charaktere

Des Verfassers Abschied

eingestellt: 28.7.2007





Nachdem ich von der Halle und ihren Bewohnern Abschied genommen, und die Geschichte meines Besuches zu einer Art Ende gebracht habe, scheint mir nichts weiter übrig zu bleiben, als meine Verbeugung zu machen und abzutreten. Es ist indessen meine Schwäche, mit meinem Leser im Laufe eines Werkes auf einen so freundschaftlichen Fuß zu kommen, daß es mir wirklich Mühe kostet, von ihm zu scheiden, und rede am Ende dieses Bandes ein paar Abschiedsworte mit ihm.

Wenn ich auf das Werk, das ich eben beschließe, zurückblicke, sehe ich wohl, wie voll von Irrthümern und Mängeln es ist; in der That, wie sollte es anders sein, da ich Gegenstände und Auftritte schildere, mit denen ich, als ein Fremder, nur theilweise bekannt bin? Manche werden ohne Zweifel über die auffallenden Versehen lächeln, die ich begangen habe; und Manche vielleicht Anstoß an den Darstellungen nehmen, die ihnen von vorgefaßten Meinungen auszugehen scheinen. Einige werden meinen, ich hätte über Gegenstände, welche ihrem eigenthümlichen Geschmacke entsprechen, wohl mehr sagen können, während Andere glauben werden, ich hätte weiser gethan, sie ganz unberührt zu lassen.

Wahrscheinlich werden Einige der Ansicht sein, daß ich England mit parteiischem Auge betrachtet habe. Dieß thue ich vielleicht, denn ich werde nie vergessen, daß es »meiner Väter Land« ist. Und doch sind die Umstände, unter denen ich es gesehen habe, keinesweges von der Art gewesen, daß sie vortheilhafte Eindrücke hätten hervorbringen können. Den größern Theil der Zeit, welchen ich daselbst zugebracht, habe ich beinahe, ohne Jemand zu kennen, noch ohne bekannt zu sein, verlebt; keine Gunstbezeugungen gesucht und keine empfangen; bin ein »Fremder und Gast im Lande« gewesen, und habe alle die Kälte und Vernachlässigung empfinden müssen, welche das allgemeine Loos des Fremden sind.

Wenn ich diese Umstände erwäge, und denke, wie oft ich meine Feder mit unzufriedenem Sinn und sehr niedergeschlagenem, trübem Gemüth ergriffen habe, muß ich glauben, mein Gemälde dürfte nicht zu vortheilhaft ausgefallen sein. Was ich über den englischen Charakter gesagt habe, ist das Resultat einer ruhigen, leidenschaftlosen und mannigfachen Beobachtung. Er ist ein Charakter, den man nicht schnell studiren kann, denn er bietet einem Fremden immer eine zurückstoßende, uneinladende Seite dar. Laßt also den, der meine Schilderung für zu vortheilhaft hält, dieß Volk so scharf und so ruhig beobachten, als ich es gethan habe, und er wird wahrscheinlich seine Meinung ändern. Einer Sache bin ich auf jeden Fall gewiß, daß ich ehrlich und offen, nach der Ueberzeugung meines Gemüths und den Eingebungen meines Herzens gesprochen habe. Als ich meine frühern Werke herausgab, konnte ich nicht hoffen, daß ihnen vor englischen Augen Gnade widerfahren möchte, denn es fiel mir nicht ein, daß sie außer meinem eigentlichen Vaterlande bekannt werden würden; und hätte ich nur die Gunst meiner eigenen Landsleute gesucht, so würde ich einen kürzern und leichtern Weg gewählt haben, indem ich der Abneigung, die damals gegen England herrschte, eher geschmeichelt als ihr entgegen gearbeitet haben würde.

Und hier erlaube man mir, meine dankbaren Gefühle über die Wirkung auszusprechen, welche eine meiner unbedeutenden Arbeiten hervorgebracht hat. Ich spreche von dem Versuche im Skizzenbuche, welche die literarischen Fehden zwischen England und Amerika behandelt. Ich kann das lebhafte Vergnügen nicht beschreiben, das ich bei der unerwarteten Theilnahme und der Billigung empfunden habe, welche diesen Bemerkungen zu beiden Seiten des atlantischen Meeres widerfahren sind. Ich sage das nicht aus kleinlichem Gefühle befriedigter Eitelkeit; denn ich schreibe die Wirkung keinesweges dem Verdienste meiner Feder zu. Der erwähnte Versuch war kurz und zufällig hingeworfen; die darin enthaltenen Gedanken waren einfach, und boten sich ganz natürlich dar. »Es war die Sache, es war die Sache« allein. Meine Leser waren schon im Voraus geneigt, günstige Eindrücke aufzunehmen. Meine Landsleute entsprachen in ihrem Herzen den kindlichen Gefühlen, welche ich in ihrem Namen gegen das Mutterland ausgesprochen hatte, und in jedem englischen Gemüthe erwachte eine großmüthige Theilnahme an einem einzeln dastehenden Wesen, das in einem fremden Lande seine Stimme erhob, den beeinträchtigten Charakter seines Volks zu rechtfertigen. Es gibt Gegenstände so geheiligter Art, daß sie jedes tugendhafte Herz unwiderstehlich für sich entflammen; und der bedarf nur weniger Beredsamkeit, welcher die Ehre seines Weibes, seiner Mutter, oder seines Vaterlandes vertheidigt.

Ich freue mich deßwegen des Erfolges jenes kurzen Aufsatzes, da er zeigt, wie viel Gutes man durch ein freundliches, wenn gleich schwaches Wort zu bewirken im Stande ist, wenn man es zu gehöriger Zeit spricht, – da er zeigt, wie viel Wohlwollen in einem Lande gegen das andere schlummert, und wie leicht der leiseste Funken desselben zur hellen Flamme emporlodert, – da er zeigt, daß, was ich wirklich immer geglaubt und behauptet habe, die beiden Völker in Achtung und Freundschaft neben einander bestehen würden, wenn unruhestiftende, böse Menschen ihre verderblichen Federn bei Seite legen und verwandte Herzen den freundlichen Eingebungen der Natur überlassen wollten.

Ich behaupte noch einmal, und ich behaupte es mit verstärkter Ueberzeugung von der Wahrheit meiner Behauptung, daß bei dem größern Theile meiner Landsleute eine günstige Stimmung gegen England herrscht. Ich wiederhole diese Aeußerung, weil ich glaube, daß sie eine Wahrheit sei, die man nicht zu oft aussprechen kann, und weil sie einigen Widerspruch gefunden hat. Alle freisinnige, aufgeklärte Bewohner in meinem Vaterlande, alle die, welche der öffentlichen Meinung ihre Richtung geben, hegen den herzlichen Wunsch, mit England auf einem guten, freundschaftlichen Fuße zu stehen. Aber zugleich hegen sie auch ein Mißtrauen, ob dieser guten Gesinnung von England aus entsprochen werde. Sie haben durch die von Seiten der englischen Schriftsteller auf ihr Vaterland gemachten Angriffe eine krankhafte Empfindlichkeit angenommen; und ihre von Zeit zu Zeit geäußerte Reizbarkeit über diesen Gegenstand hat man als eine eingewurzelte, unnatürliche Feindseligkeit ausgelegt.

Für meinen Theil betrachte ich diese eifersüchtige Empfindlichkeit als einen Bestandtheil großsinniger Gemüther. Ich würde glauben, daß meine Landsleute die Unabhängigkeit des Gemüths welche ihre Naturgabe ist, verloren, daß sie in der That den Stolz des Charakters verloren hätten, den sie von dem stolzen Volke geerbt, von dem sie entsprungen sind, wenn sie Schmach und Beschimpfung feig erdulden könnten. Wahrlich, der Unwille selbst, den sie über die Verunglimpfungen englischer Schriftsteller äußern, beweist die Achtung, welche sie vor der Meinung Englands haben, und ihren Wunsch, sich mit ihm zu befreunden; denn da ist nie Eifersucht, wo nicht wahre Achtung ist.

Man kann leicht sagen, daß alle diese Angriffe Ergüsse verächtlicher Schmierer sind, und von der Nation mit schweigender Verachtung behandelt werden; aber ach! die Verläumdungen des Scriblers gehen in die Fremde, und die schweigende Verachtung der Nation ist nur in der Heimath bekannt. Bei England steht es also, wie ich schon früher behauptet habe, den gegenseitigen Geist der Versöhnung zu fördern; es braucht nur die Sprache der Freundschaft und der Achtung zu sprechen, und jedes Herz in Amerika wird sich leicht gewinnen lassen.

Wenn ich indessen diese Gefühle ausdrücke, will ich damit nichts gesagt haben, was der Würde meiner Landsleute Eintrag thun könnte. Wir wollen keine Gnade aus Englands Hand; wir verlangen keine Gunstbezeugungen von ihm. Seine Freundschaft ist nicht nothwendig, und seine Feindschaft würde unserm Wohlergehen nicht gefährlich werden. Wir verlangen von Fremden nichts, wofür wir nicht wieder etwas bieten können. In Hinsicht auf England nähren wir indessen ein gewisses wärmeres Gefühl des Herzens, die Gluth der Verwandtschaft, die noch in unserem Blute liegt. Ohne auf das Interesse zu sehen – alter Feindseligkeiten uneingedenk – bieten wir als alte Verwandte die Hand. Wir verlangen bloß, daß Ihr Euch nicht von uns entfremden, nicht die alten Bande des Blutes auflösen, Euch nicht durch Hohnsprecher und Verläumder verleiten lassen sollt, ein verwandtes Volk von Euch zu stoßen; wir möchten gern Freunde sein; zwingt uns nicht, Feinde zu sein.

Es bedarf keiner eindringlichern Versöhnungsworte, als die sind, welche ein ausgezeichneter englischer Schriftsteller ausgesprochen hat. »Es gibt,« sagt er, »ein heiliges Band zwischen uns, das keine Verhältnisse zerreißen können, das des Blutes und der Sprache. Unsere Literatur muß immer die ihrige sein; und obgleich ihre Gesetze nicht mehr die unsrigen sind, so haben wir doch dieselbe Bibel und wir wenden uns mit demselben Gebete an unsern gemeinschaftlichen Vater. Nationen sprechen es nur zu leicht aus, daß sie angeborne Feinde haben, warum sollten sie nicht auch annehmen wollen, daß sie angeborne Freunde haben?«1)

Dem großsinnigen Geiste beider Länder müssen wir vertrauen, daß ein solches natürliches Band der gegenseitigen Neigung sich um sie schlinge. Gewichtigeren Federn, als die meinige ist, überlasse ich das schöne Werk, die Sache der Volksfreundschaft zu fördern. An die Verständigen und Aufgeklärten in meinem eigenen Lande richte ich meine Abschiedsworte, sie bittend, sich über die kleinlichen Angriffe unwissender, werthloser Menschen erhaben zu zeigen, und mit leidenschaftslosem, philosophischem Auge auf den moralischen Charakter Englands, die geistige Quelle unserer entstehenden Größe, hinzublicken! während ich wegen der Verläumdungen, welche die englische Presse beschimpfen, der Bildung Hohn sprechen und den Edelmuth ihres Landes Lügen strafen, an jeden edelmüthigen Engländer appellire; und ihn auffordere, Amerika als ein verwandtes, seines Ursprungs würdiges Land zu betrachten, das durch sein gesundes, kräftiges Emporwachsen das beste Zeugniß für den Stamm gibt, aus dem es entsprossen; und das, in dem aufdämmernden Glanze seines Ruhms, der moralische Widerschein britischer Glorie ist.

Ich bin überzeugt, daß eine solche Aufforderung nicht fruchtlos sein wird. Auch habe ich seit einiger Zeit eine wesentliche Veränderung in der Gesinnung der Engländer gegen Amerika bemerkt. Im Parlamente, diesem Grundquell öffentlicher Meinung, scheint, auf beiden Seiten des Hauses, ein Wetteifer zu entstehen, die Sprache der Höflichkeit und Freundschaft zu reden. Derselbe Geist wird täglich mehr in der guten Gesellschaft vorherrschen. Die Neugierde, von meinem Vaterlande etwas zu erfahren, nimmt zu, so wie ein lebhaftes Verlangen, genaue Nachrichten darüber zu erhalten, das nur zu einem vortheilhaften Verständniß führen kann. Der Hohnsprecher wird hoffentlich jetzt nichts mehr ausrichten; die Zeit für den Verläumder ist vorüber. Die schlechten Späße, die abgedroschenen Witze, welche so lange im Gange waren, wenn die Rede auf Amerika kam, überläßt man nun den unwissenden und gemeinen Leuten, oder sie werden nur noch von Miethlingen und Gewohnheits-Spaßmachern im Drucke verbreitet. Die Aufgeklärten und Großsinnigen sind nun stolz darauf, Amerika zum Gegenstande ihres Studiums zu machen.

Wie indessen auch meine Gefühle, diesseit und jenseit des atlantischen Meeres, ausgelegt oder erwiedert werden mögen, ich spreche sie ohne Rückhalt aus, denn ich habe immer gefunden, daß offen reden, auch sicher reden heißt. Ich bin nicht so sanguinisch, zu glauben, daß diese zwei Nationen je durch irgend ein romantisches Band des Gefühls an einander geknüpft werden; allein ich glaube, daß viel geschehen kann, eine aufrichtige Gesinnung zu erhalten, wenn jeder Wohlgesinnte gelegentlich ein freundliches Wort mit einfließen läßt. Wenn ich wirklich durch meine Schriften irgend beigetragen habe, eine solche Wirkung hervorzubringen, würde es mir eine große Beruhigung gewähren, doch einmal, während eines ziemlich unbekümmerten Lebens, nützlich gewesen zu sein, und durch den gelegentlichen Gebrauch einer Feder, die im Ganzen nicht viel Nutzen zu stiften vermocht hat, eine mitklingende Saite zwischen dem Lande meiner Väter, und dem theuern Lande, das mir mein Dasein gab, angeschlagen zu haben.

In dem Geist dieser Gefühle nehme ich nun von dem väterlichen Boden Abschied. Mit besorgtem Auge betrachte ich die Wolken des Zweifels und der Schwierigkeiten, welche sich auf dasselbe niederlassen, und hoffe sehnlich, daß sie sich alle zu einem heitern, beständigen Sonnenschein verklären mögen. Während ich dieß letzte Lebewohl sage, ist mein Herz von liebevollen, doch trüben Regungen erfüllt; und ich zögere noch, und spreche noch, mich umwendend, wie ein Kind, das den ehrwürdigen Wohnsitz seiner Ahnen verläßt, meinen kindlichen Segen aus: »Friede sei in deinen Mauern, o England! und Reichthum in deinen Palästen; um meiner Brüder und meiner Gefährten willen, will ich nun sagen, Friede sei mit dir!«

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