Frei Lesen: Schilderung der dramatischen Arbeiten des Meistersängers Hans Sachs

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Wilhelm Heinrich Wackenroder

Schilderung der dramatischen Arbeiten des Meistersängers Hans Sachs

eingestellt: 6.8.2007





Wenn je die deutsche Poesie in irgendeiner Periode, Volkspoesie war, so war sie es im 16. Jahrhundert, dem Hauptzeitpunkte der Meistersänger. Handwerke und Künste blühten; der Bürger lebte im Wohlstande; - es war das goldne Alter des deutschen Kunstfleißes. Vornehmlich passen diese Züge auf einige damals weitberühmte Städte, unter denen Nürnberg den ersten Rang behauptete. Gewiß hatte auch jene bürgerliche Poesie gute Wirkungen, und verbreitete eine gewisse Bildung auch unter der niedrigeren Klasse. Ihre Hauptzwecke waren: Beförderung der Religion, - und der Moralität: Hans Sachs, der als Haupt der Dichtkunst verehrt ward, gibt diese Zwecke mehrmals deutlich an; und wir sehen auch aus seinen Werken hinlänglich, daß er sie beständig vor Augen gehabt hat. Um religiöse Gesinnungen, und zugleich die in dem heiligen Buche der Christen enthaltenen interessanten und lehrreichen Geschichten unter seinen Mitbürgern gemein zu machen, brachte er, stückweise, und in verschiedenen Arten der Behandlung, fast die ganze Bibel in Versen: eine Arbeit, der durchaus alles poetische Verdienst mangelt, die aber in jenen Zeiten, da die Bibel ein neu aufgegrabener, und noch von wenigen genutzter Schatz war, sehr nützlich sein konnte. Der gemeine Mann ward mit dem Inhalte der Bibel vertrauter, nachdem der allgemein beliebte Volksdichter denselben in seine Manier gekleidet hatte; stückweise lernte er mit leichterer Mühe das Ganze kennen, und der Reim prägte Worte und Sinn ihm tiefer ein. – Was die Moral in Hans Sachsens Werken betrifft, so sieht man deutlich, daß diese sein allgemeinster Zweck war. Fast kein einziges seiner Tausende von Gedichten, läßt er aus der Hand, ohne einen ›Beschluß‹, wie er es nennt, anzuhängen, worin eine oder mehrere Lehren aus dem Gedichte gezogen, und meistenteils mit höchst gedehnter Weitschweifigkeit auseinandergesetzt, und dein Leser ans Herz gelegt werden. Überall findet er Gelegenheit, moralische Anwendungen anzuknüpfen; er erzählt fast keine Anekdote ohne dem; - er bringt lange, trockene Verzeichnisse von Tieren und Vögeln in Reime, um die Natur jedes Tiers allegorisch auf einen menschlichen, guten oder bösen Charakter zu deuten; - er versifiziert unendlich viele Stücke aus alten und neuen Geschichtsschreibern nicht bloß, um seine Leser mit den merkwürdigen Vorfällen der Zeiten bekannt zu machen, sondern hauptsächlich, um darin Charaktere und Handlungen, zur Nachahmung oder zum Abscheu aufzustellen.



Wo Belehrung, moralische Belehrung, der Hauptzweck der Dichtkunst ist, da wohnt ihr echter Genius nicht. So war es bei uns fast durchaus der Fall im Mittelalter. Dazu kam noch überdies, daß die deutsche Sprache im 16. Jahrhundert viel zu wenig ausgebildet war, als daß sich eine eigene poetische Sprache von ihr hätte absondern können; welches um so weniger möglich sein konnte, da die besondere Gattung der Poesie, von der hier die Rede ist, auf die niedere Klasse mechanischer Handarbeiter eingeschränkt war, die in ihrem Ausdruck nicht leicht über den Bezirk der gemeinen Volkssprache hinauszutreten, und zur reinen Kunstschönheit zu gelangen vermochten. Und dennoch wurden sie sehr geschätzt. Ihrem Ideenkreise und ihrer Sprache gemäß, läßt sich schon im allgemeinen vermuten, daß sie in der niedrigkomischen, burlesken Poesie am glücklichsten gewesen sein müßten; und gerade dies Fach ist es auch vornehmlich, worin die unparteiische Nachwelt unserem Hans Sachs wahres Verdienst zugestehen muß. Einige seiner Schwänke sind in Ausdruck und Erfindung, -(denn die, bei denen er keine Quelle angibt, sind doch wahrscheinlich mehrenteils aus seinem eigenen Kopf,) Meisterstücke in ihrer Art. Außer ihnen ist Hans Sachs nur in einigen allegorischen Phantasien, (Gesprächen allegorischer Personen, usw.) wahrer Dichter, und Erfinder; denn sonst sind seine Gegenstände durchaus entlehnt. Diese allegorischen Stücke in denen auch eine in ihren Zügen zwar immer einförmige, aber doch romantische und angenehme Einbildungskraft herrscht, gehören zu den Arbeiten seiner früheren Jahre. Man bemerkt bei der Ansicht seiner Werke sehr bald, daß er in seinen älteren Jahren fast nur Historien, und Stücke aus der Bibel in gereimte Erzählungen, oder in Schauspiele verwandelte, und daß auch in der Ausführung alles auffallend trockener und nüchterner wird. Er macht im Alter aus einigen seiner Erzählungen, Schauspiele, und aus einigen seiner Schwänke, Fastnachtspiele, vermehrte auch einige seiner Schauspiele mit Akten und Personen. Und im einzelnen wiederholte er sich noch mehr. Aber seinen Hang, alles was er las, und was er nur einigermaßen lehrreich fand, in Verse umzugießen, konnte er bis in sein spätes Alter nicht aufgeben.



Seine dramatischen Arbeiten, die einen beträchtlichen Teil seiner Werke ausmachen, sind freilich weder in Ansehung des Plans, noch der poetischen Behandlung, weder als Dramas, noch als Gedichte, von dem geringsten Verdienst, (einige Fastnachtsspiele ausgenommen;) aber sie müssen uns darum interessant sein, weil wir in ihnen unsre Bühne, von der wir so wenig frühere Proben haben, in der Kindheit erblicken. Dies muß uns anreizen, sie näher kennen zu lernen. Zuerst von seinen historischen, (geistlichen und weltlichen) Schauspielen, welche man unter seinen dramatischen Arbeiten allein, im engeren Sinn, Schauspiele nennen kann. über eigentümlichen Geist, über Plan, Situation und Durchführung der Charaktere, über die ganze dramatische Kunst läßt sich hier nichts sagen. Die Schauspiele Hans Sachsens sind dialogisierte Stücke aus der biblischen oder profanen Geschichte oder aus einem Roman oder einer Erzählung gezogen. Von der Kunst, den Faden einer Handlung, aus einem Netz zusammenhängender Begebenheiten auszusondern; - die Handlung durch genaue Bestimmung der Grenzpunkte zu einem für sich bestehenden Ganzen zu runden, das auch keine überflüssigen Teile hat; von dieser Kunst hatte Hans Sachs keine Idee. Wenn er größere Abschnitte aus der Bibel dramatisiert, so verknüpft er alle gleichzeitigen Nebenvorfälle treulich mit seiner Haupthandlung und schließt, wenn diese, wenn die Geschichte seiner Hauptperson zu Ende ist, ohne für einen befriedigenden Schlug des Ganzen zu sorgen. In seinem langen Stück ›Der Daniel‹ wird die Anbetung des Bildes des Nebukadnezar, dessen Wahnsinn, die wunderbare Szene des Belsazar an der Tafel usw. auf der Bühne ausführlich vorgestellt. überhaupt folgt der Dichter sklavisch den Begebenheiten und ihrer Folge, wie er sie beides in seiner Quelle findet; er tut so wenig hinzu, als er wegschneidet. Auch die Personen läßt er unverändert; außer daß er zuweilen ein paar geringe Nebenpersonen hinzutut. übrigens bringt er alle Vorfälle der Geschichte vor die Augen seiner Zuschauer, so unvollkommen sie auch auf den damaligen Bühnen vorgestellt sein mögen. In den Ritterstücken usw. kommen viele Gefechte, auch Gefechte mit Drachen, vor; auch feindliche Heere, wovon eins das andre in die Flucht schlägt. In dem Stück ›Die Kindheit Mose‹ watet die Hofjungfrau der Königstochter auf der Bühne ins Wasser, holt das Kästchen heraus, und kommt triefend naß zurück. Im ›Josua‹ fließt der Jordan auf der Bühne durch ein Wunder ab, läßt die Israeliten durch sein Bett gehn, und füllt sich wieder. Nachher gehn die Priester mit der Bundeslade und mit Posaunen dreimal auf der Bühne herum, - «blasen und machen ein Feldgeschrei, die Stadt fällt mit Gerumpel, die Feind werden erschlagen.» Im ›Simson‹ hebt Simson auf der Bühne das Tor aus. Im ›Jonas‹ steigt Jonas in ein vorüberfahrendes Schiff; es segelt darauf auf der Bühne umher; man wirft im Sturme die Ballen, und den Jonas selbst heraus. Zwar hat Hans Sachs ihn nicht auf der Bühne vom Walfisch verschlucken und wieder ausspeien lassen, auch reißt Simson nicht auf der Bühne das Haus ein, sondern «man hört ein groß Gerumpel, als falle das Rathaus ein»; - aber dafür läßt er oft weit unbegreiflichere Dinge vor unseren Augen geschehen. In der ›Göttin Circes‹ gibt Circe den Gefährten des Ulysses den Zaubertrank, - «deckt sie murmelet mit einem Tuch, so gewinnen sie Sewrüssel». «Sie treibt sie hinaus, sie gröchtzen.» Im folgenden heißt es: «Circes bringt die Sew, gibt ihn wieder zu trinken, so werdens Menschen.» Noch mehr: in dem biblischen Schauspiele ›Von der Schöpfung, Fall und Außtreybung Ade, auß dem Paradieß‹, welches an der Spitze der Werke Hans Sachsens steht, heißt es, nach einem Monolog, den Gott (welcher hier wie in einigen anderen Stücken, z. B. dem ›Hiob‹, eine der mitspielenden Personen ist) gesprochen hat: «Der Herr formieret Adam und bläßt ihm ins Angesicht.» Und im zweiten Akt kommt der Herr, «nimpt ein Ripp aus dem Adam, in dem dieser schläft und bildet die Eva». - Noch weniger als diese offenbaren Wunder der Mythologie des Altertums, und der christlichen Religion, muß es ihm natürlich kosten, Unschicklichkeiten, und Widrigkeiten aufs Theater zu bringen. In dem ›Machabäer‹ läßt er im fünften Akt dem vergifteten und kranken König Herodes von seinem Leibarzt «den Brunnen» besehen; und in demselben Stück nimmt die Grausamkeit des Königs Antiochus, der den sieben Söhnen Einer Mutter die Zungen nacheinander ausschneiden läßt, weil sie das Heidentum nicht annehmen wollen, den ganzen dritten Akt ein.

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