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Wilhelm Raabe

Altershausen

VII.

eingestellt: 10.7.2007



Der »Herre für die Nacht« war nicht gekommen, um sich auch hier am Ort, wie es sonst überall zu seinem Wirken auf Erden zugehört hatte, die Stirn kühl, das Auge klar und die Hand fest und sicher zu erhalten. Ihn in das Gegenteil von all solchen höchst verdienstlichen menschlichen Fähigkeiten zu stürzen, hatte sein Empfang und Einzug in Altershausen das möglichste geleistet. Seine Stirn fühlte sich durchaus nicht kühl an, was das mit seinen Augen war, wußte er selbst nicht recht, und mit der Hand, aus der ihm eben der herzueilende Kellner den Regenschirm nahm, hätte er niemandem den einfachsten Star stechen oder auch ein Krähenauge operieren können: es ist leichter, sich in eine fremde Welt zu finden, als sich in einer fremdgewordenen wieder heimisch zu machen!

Alles, was ihm aus dem Gedächtnis abhanden gekommen war, noch vorhanden ohne die geringste Veränderung seit dem Tage seines Auszugs aus dieser ersten Erdenheimat! Und er, der Greis, auf der obersten Stufe der Steintreppe des Ratskellers noch dabei wie vor zwei Menschenaltern!

Der Markt von Altershausen der eigentlich nur eine breitere Straße war, mit dem Vaterhause auf der »Sonnenseite« und der ganzen Nachbarschaft zur Seiten und gegenüber - wie da plötzlich wieder alles: »Recht schönen guten Abend, Kleiner!« ruft in der abendsonnegetränkten beginnenden Dämmerung!

Und der Geruch!... der Geruch von Altershausen!...

Er war es, der unter dem Treppenvordach des Ratskeller, wie mit einem freundschaftlichen Ellbogenstoß, fragte:

»Du kennst mich doch noch, Alter?«

Je berühmter der Arzt, desto mehr Erdengerüche muß er kennengelernt haben, gute und schlimme; denn nicht nur in den Dachstuben und Kellerwohnungen der Menschheit, sondern auch aus ihren Wonneburgen gehen von den Kranken- und Sterbebetten allerlei Düfte aus, die er wiederkennen muß, wenn sie ihm von neuem in die Nase kommen. Den Geruch seiner Kindheitsheimatstadt hatte Wirklicher Geheimer Obermedizinalrat Professor Doktor Fritz Feyerabend seit zwei Menschenaltern nicht in der Nase gehabt, und nun - wenn ihn etwas dazu hätte bringen können, vor der Tür des Ratskellers von Altershausen seinem Freund Ludchen gegenüber sein Inkognito fallen zu lassen, so wäre er es gewesen - dieser Geruch - der Geruch von Altershausen!

Irritabilität und Sensibilität zu gleichen Teilen in Tätigkeit und Mitleidenschaft gezogen, bezwang er sich, Geheimrat Feyerabend. Gerührten Blickes legte er jetzt nur dem Freunde die Hand auf die Schulter, sagte:

»Ich danke dir, Ludchen«,

und legte, da der andere seine Hand hohl ihm hinreichte, - einen Taler hinein.

»O Herre! Herre! Herre!« grinste und stammelte Ludchen Bock, selig, wie wenn er vor sechzig Jahren einen Groschen auf der Straße gefunden hatte. Und wie ein Junge, der befürchtet, daß man ihm den Schatz wieder abnehme, verschwand er auf seinen siebenzigjährigen Beinen um die nächste Straßenecke.

»Minchen! Minchen, was ich habe!« hörten ihn die Altershausener rufen und fragten gutmütig oder verdrossen.

»Na, was hat denn unser Junge wieder?«

Auf den Wirt und das Personal des Ratskellers hatte die unerhörte Generosität des »für die Nacht« gekommenen hohen Gastes den Eindruck gemacht, daß er auch inkognito das beste Zimmer im Hause bekam und daß ihn der Enkel des »alten Nothnagel« persönlich die Treppe hinaufgeleitete und ihn darauf aufmerksam machte, daß er von den Fenstern aus die Aussicht auf alles in Altershausen habe.

Mit der ließ man ihn denn allein, und noch nie im Leben hatte er sich an einem Reiseziel in solcher Gesellschaft gefunden. Seine besten Bekannten von der Festtafel neulich hätten ihn in ihr wohl schwerlich wiedererkannt. Und was für eine Antwort würde er wohl bekommen haben auf die Frage aus ihr heraus:

»Liebster Freund, haben Sie auch einmal nackt vor dem furchtbaren Geheimnis des Selbstbewußtseins gestanden? Und wenn - wie verhielten Sie sich ihm gegenüber?«

Da lehnte er in der warmen Abenddämmerung am Fenster, alle seine Kinderspielplätze unter und um sich! Da der Torbogen mit dem letzten Turm der alten Stadtummauerung - über den Hausdächern die grünen, doch schon in der ersten Herbst-Abenddämmerung versinkenden Berggipfel! Die Stadtbewohner und -bewohnerinnen vor den Haustüren, die Mägde am Brunnen, die Kinder im letzten Spiel vor dem Schlafengehen - alles, wie es gewesen war vor zwei Menschenaltern, wohlerhalten wie Vineta unter dem Wasser - daß der greise Herr des Messers, der Sägen und Zangen, des Blutes und des Eiters das alles durch Tränen gesehen habe, soll hiermit nicht gesagt sein. -

»Du da, bin auch da! Auch du da?«

Wer wars, der so fragte?

Die Glocke vom Turm der Stadtkirche, die acht schlug.

Aus welcher Zeit kam grade jetzt die klagende Stimme wieder her:

»O, das schöne Wetter, und mein Kind nicht mehr dabei!« -?

Doch mit ihr das hohe Wort:

»Was ich besitze, seh ich wie im Weiten,
Und was verschwand, wird mir zu Wirklichkeiten.«

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Es klopfte an der Tür, man legte dem Gast von Altershausen das Fremdenbuch vor, und er lud, wie er glaubte vollberechtigt, das Polizeivergehen der Falschmeldung auf sich. Da ihn neulich die europäische Kollegenschaft zu ihren »Großen« in ihren schönverzierten, vielsprachigen Zuschriften gerechnet hatte, so machte er jetzt Gebrauch von der Ehrung, zählte sich selber zu den »Großen der Erde« und blieb, vom Thron herniedergestiegen, zu ebener Erde inkognito in der Heimat - wenigstens für die Nacht und den nächsten Tag. Er mußte ja aber auch erst in Erfahrung bringen, wer noch vorhanden war am Orte, der mehr wußte von Fritze Feyerabend, als von dem rund um die Welt berühmten gelehrten Kronenträger der Heilkunde, dem Wirklichen Geheimen Obermedizinalrat Professor Doktor Feyerabend! -

Wie er sich für Jung-Altershausen ins Buch eintrug, mag der Allgemeinen deutschen Biographie vorenthalten bleiben. Er speiste auf seinem Zimmer, und es fiel nur auf, daß er sich den Hausknecht Tönnies zu einer längeren Verhandlung dorthin kommen ließ. Ausgefragt, zuckte dieser nur die Achseln und gab seine Meinung dahin ab:

»Hei is nur n snurrigen Patron. Späte bi Nacht will hei noch mal ut, un ick schall um ihn upsitten blieben. Dat he Böses im Sinne hett, glöwe ick nich, Herr Nothnagel. Hei is wohl blot son kuriosen Kerel, son Liebhaber davon, de unse Stadt bi Maanschiin seihn will. Wi hebbet ja wohl schon von dei Sorte hier ehatt. Na, wenn hei immer so utgivvt wie vorhin bi usem Ludchen, kann man ihm ja schon den Gefallen dhaun.« -

Dabei beruhigte selbstverständlich sich der Ratskeller. Geheimrat Feyerabend ließ alle, bis auf Tönnies, zu Bette gehen, und da er der einzige Fremde im Hause war und als Abendgäste nur die ältesten, würdigsten, nüchternsten Stadtbewohner verkehrten, so hatte er gegen eilf Uhr bereits die Welt hier für sich allein.

Merkwürdigerweise trat er, ehe er auf die Abenteuer dieser Nacht ausging, erst mit dem Licht in der Hand vor den Spiegel und hätte vielleicht selber nicht zu sagen gewußt, weshalb.

Ja, er war es noch! Er - war noch!

Dieselbe Gewißheit gab ihm ein mehrmaliges festes Auf- und Abschreiten im Zimmer, bevor er Hut und Stock nahm, seine mitternächtige Geisterbeschwörung zu beginnen.

»Dat hei wo einbräken will, glöwe ick nich«, brummte Tönnies, der Hausknecht, die Tür des Ratskellers hinter ihm verriegelnd. »So ne olle Kruke solle et aber doch wetten, dat de Minsche et bi Nachte im Bedde am besten hett.« -

Im letzten Viertel stand der Mond am Himmel, dabei wars sternenklar und windstill und, da die Hundstage des Jahrs doch noch nicht allzu lange der Ewigkeit in den Schoß gesunken waren, sozusagen eine Nacht, wie Schwester Karoline sie nicht günstiger für »wieder diesen verrückten Einfall« des Bruders beim lieben Herrgott hätte bestellen können.

»Hätte ich sie doch bei mir, die gute alte Seele!« sagte ihr »ganz Geheimer«, von der Treppe des Ratskellers von Altershausen über den Markt in der magischen Dämmerung nach dem Elternhause hinüberblickend. -

Nun wandelte er wie auf Flaum, stieg die Treppe hinunter und aus dem einundsiebenzigsten Lebensjahr zurück in das zwölfte: wie wenn Schweizerhauptmann Johann von Salis-Seewis um ein schönes Nachtgedicht aus der heißen Wachtstube zu Versailles zu den kühlen Schatten, dem Mondschein, den rauschenden Wassern, singenden Vögeln und weißen Marmorbildern des schönsten Gartens Europas niedergestiegen wäre. Beiläufig ein nettes Bild, dem Traumwandler, der gegebenen Stunde und dem Markt von Altershausen gerecht zu werden!

Nicht stolpern auf den unter den alten Füßen redenden Steinen, Herr Wirklicher Geheimer Medizinalrat! Langsam, langsam und mit Bedacht durch die zur Gegenwart gewordene Vergangenheit, Herr Doktor! Das Kind noch dabei, Fritze!

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