Frei Lesen: Das Horn von Wanza

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Wilhelm Raabe

Das Horn von Wanza

Viertes Kapitel

eingestellt: 28.7.2007



»Wie willst dus nun machen?« fragte der Bürgermeister. »Willst du ihr sofort ins Haus fallen und es drauf ankommen lassen, ob sie dich auf der Stelle wieder hinauswirft oder dir um den Hals fällt und dich augenblicklich zu ihrem Universalerben einsetzt? Oder wünschest du ihr lieber leise auf den Leib zu rücken, von hintenherum an sie heranzuschleichen und dich mehr diplomatisch einzuschmeicheln? Ihre Nücken und Tücken hat sie, und wenn ich sie auch so ziemlich kenne, so habe ich sie doch noch nie ganz kennengelernt. Und solche versunkenen Familienbezüglichkeiten wie hier in diesem Falle zwischen euch und ihr sind immer eine heikle Sache. Dazu wenigstens habe ich genug Jus von der Universität mit nach Wanza gebracht, um zu wissen, daß alles, was ins Erbrecht und die Verwandtenliebe schlägt, von jedwedem nicht Dazugehörigen mit verdammt spitzen Fingern anzufassen ist. Also mach es ganz, wie du willst, Grünhage. Bist du überzeugt, daß die erstere Art, dich vorzustellen, vorzuziehen ist, so rate ich dir dazu, mein Sohn. Gegenteils schlage ich dir vor, diese Nacht hindurch in meinem stillen Heim, auf meinem Sofa über dich und die Tante noch einmal nachzudenken und sodann morgen früh zur anständigsten Wanzaer Visitenzeit, wohl ausgeschlafen habend, mit der heitern Greisin deine Klinge zu binden, und meinetwegen drauflos bis zur Abfuhr! Dieses hier ist übrigens die Wipper, und hier stehen wir vor meinem friedlichen Hause. Komm unter allen Umständen jedenfalls noch nen Moment mit rauf.«

Die Wipper, ein munteres Flüßchen, wurde dem jungen Fremdling nicht ohne eigene Ursache hier zum erstenmal als bemerkenswert vorgestellt. Sie kam unbefangen mitten durch die Gasse daher, und ihr Rauschen hatte vor jedem Hause etwas Anheimelndes. Eine Menge häuslich-abendlicher Geschäfte wurden eben, so weit der Blick reichte, an ihr vorgenommen. Und die Akazienbäume, die hier und da an ihr gepflanzt waren, gehörten auch zu ihr, gerade wie die langen blauen Laken, die der Färber gegenüber dem »friedlichen Heim« des weisen Seneka an langen Stangen aus seinem Dachgiebel heraushing. Gänsegeschrei und Entengeschnatter mangelte nicht. Ein alter Hut kam eben geschwommen, von niemand beachtet; aber hinter ihm drein eine Schülermütze, am Ufer begleitet von einer hell durcheinanderkreischenden Jungen- und Mädchenschar.

»Dies alles ist mir untertänig,
Begann er zu Ägyptens König«,

zitierte der Bürgermeister von Wanza. »Macht nicht solchen heillosen Randal, Krabben! – Nun, bist du zu einem Entschlusse gekommen, Grünhage?«

Der Student blickte an dem ganz stattlichen Hause, vor welchem sie standen und in das Dämmerungstreiben der Stadt hineinsahen, empor und mit steigender Ratlosigkeit auf den gemütlichen Freund und städtischen Würdenträger.

»Ja, Dorsten, es ist wahr – es ist wahrhaftig wahr, daß es mir bis jetzt noch nicht eingefallen ist, was ich eigentlich tun soll und – was ich im Grunde, außer um dich zu bekneipen, hier zu tun habe! Da stehe ich freilich, und der Weg bis hierher war auch ganz nett; aber jetzt wollte ich doch, daß die Alte zu Hause, statt da zu Hause zu sitzen, hier das Weitere zu besorgen hätte. Das Mädchen kriegt alles fertig!«

»Heute abend im Bären trinke ich einen Ganzen auf ihr Wohl –«

»Aber sicherlich, Dorsten – wenn mir jetzt die alte Person, die alte Tante, hier bei einbrechender Dunkelheit ohne Licht heimleuchtete?! Du kennst unsere Alte zu Hause nicht, sonst – na, das Vergnügen, die – Heiterkeit in dem Nest voll Frauenzimmer zu Hause! Und dann der Alte selber mit seinem grinsenden: ›Na, habe ich es nicht gesagt? Einen Bessern als dich, Junge, konnten wir natürlich nicht schicken, um abgerissene Familienbande wieder anzuknüpfen!‹ – Dorsten, ich steige unbedingt erst morgen früh bei passenderer Zeit los, um diese verhutzelte Hagebutte und olim selbstverständlich auch Prinzessin Dornröschen, deine jetzige Frau Rittmeistern Grünhage, zu entzaubern.«

»Knabe, hier höre ich mich selber sprechen!« rief der Wanzaer Bürgermeister mit würdigster Selbstbefriedigtheit. »Die letzten Worte hättest du nicht geredet, ohne zu meinen Füßen gesessen zu haben! Halte dich fernerhin an gute Muster, junger Mensch. Bedenke, wie oft der Lucius Annäus den Epikur als das Seinige zitiert. Überlege, wie es immer der Gipfel der Weisheit gewesen ist, seinen Stoikermantel mit dem fröhlichen Purpur des Vergnügens an der Welt zu färben, und vor allen Dingen nimm jetzt diese etwas steile Treppe die Versicherung mit hinauf, daß es mir von Stufe zu Stufe immer klarer wird, daß du mir als eine wahre Erquickung hierher nach Wanza geraten bist. Alter Junge, da hat man als hiesiger Bürgermeister endlich mal wieder was, woran man Anteil nehmen kann, ohne den Wunsch zu äußern, sich einen Sklaven für die Langweilerei halten zu können! – Siehst du, da stehst du in meiner stillen Klause – fall mir nicht über den Aktenhaufen! Jetzt bist du in der Tat in Wanza an der Wipper, und die Götter mögen deinen Eingang und Ausgang segnen. Hier nebenan ist die Stätte meiner nächtlichen Ruhe; du schläfst natürlich auf dem Sofa; und – dies hier ist Fräulein Mathilde, die Tochter meiner Hauswirtin! Mathilde, sehen Sie sich diesen Jüngling recht genau an; er verdient es. Er ist fünf Jahre jünger als ich und betrachtet mich seit undenklichen Zeiten als seinen – Onkel. Außerdem ist er der Neffe der Frau Rittmeistern, und –«

Fräulein Mathilde hatte längst den Kopf aus der Türspalte zurückgezogen und die Pforte mit einiger Gewalt zugeschlagen. Der Bürgermeister sagte etwas betreten:

»Ohne Spaß, Grüner; nur die Tochter meiner Phileuse und ein ungeheuer anständiges Mädchen, eine geborene Türschlager. Würdest du mir länger das Vergnügen deines Besuches schenken, so würde es meine Pflicht sein, dich vor ihr zu warnen. Neunundzwanzigundeinhalb nach dem Kirchenbuche! Ich habe selber nachgeschlagen. Heiratet jeden! Hätte sich wahrscheinlich schon längst zur Bürgermeisterin von Wanza gemacht, wenn ich dann und wann – na, Grüner – mich nur um eine Nuance grüner ihr gegenüber gemacht hätte. Sei aber nur ganz ruhig, Grünhage; diese Nacht soll sie dir noch nichts tun. Sie und ich stehen noch immer auf dem Standpunkte gegenseitiger inniger Neigung zueinander, und so agiere ich für diesmal noch die spanische Wand zwischen ihr und dir!«

»Weshalb schlug sie denn aber die Tür so?«

»Das kann sie nicht anders!« sprach Dorsten, noch dem Nachhall lauschend. »Jaja, es ist ein wahres Glück, daß der Mensch dann und wann mehr Glück als Verstand hat. Ich habe Nerven, junger Mensch, und die sind bis jetzt immer noch mein Schutz und Schirm gewesen. Mein Herz und meinen Verstand hätte sie schon längst untergekriegt und wäre längst schon, wie gesagt, Bürgermeisterin von Wanza an der Wipper. Meine Nerven aber sind diesmal mein Glück.«

Grinsend in all seiner Breitschulterigkeit und dazu bereits hemdärmelig hielt der Konsul den fragenden Blick des jüngern Freundes aus.

»Solltest du vielleicht sogar auch das Bedürfnis haben, dich nach dem Wege zu waschen, so verfüge dich ins Nebengemach und zeuch den neben dem Ofen befindlichen Glockenstrang. Vielleicht kommt jemand. Es gibt nämlich noch etwas mehr Weiblichkeit im Hause, die dann und wann auf ein recht intensives Sturmgeschell hört, wenn sie bei guter Laune ist oder sonst nichts Besseres vorhat.«

Unachtend des leisen Zweifels an seinem Reinlichkeitsbedürfnis, trat der Student sofort in das »Nebengemach« und sagte nach der ersten Umschau nichts weiter als:

»Ganz Göttingen«...

Nach fernerer weiblicher Beihülfe klingelte er nicht. Er begnügte sich lieber mit dem Minimum von Brunnenwasser und Wasser aus der Wipper, das er vorfand, und mit dem Handtuch, welches an dem Nagel hinter der Tür ein zum Glück für ihn noch ziemlich ungetrübtes Dasein führte. Als er dann, freilich nur um ein weniges erfrischt, wieder hervortrat, fand er nur, was er erwarten konnte, nämlich, daß sich der Weise bereits eine lange Pfeife gestopft, sie angebrannt und mit ihr in das Fenster hinein- und die liebliche Kühle des Abends hinausgelegt hatte.

Ohne sich nach dem Gastfreund umzuwenden, sprach der sonderbare Stoiker:

»Der Pfeifenständer im Ofenwinkel. Zigarren überall. Bediene dich, Grüner, hänge dich hier mit mir in die Dämmerung und besieh dir noch einige Augenblicke Wanza aus der Vogelperspektive. Sonstige Erfrischungen habe ich dir leider innerhalb meiner anachoretischen vier Pfähle nicht anzubieten. Gegen halb neun Uhr aber sind wir im Bären und essen daselbst zu Abend; daß du mein Gast bist, versteht sich von selber.«

»Du bist sehr gütig, Dorsten.«

»Halts Maul!« schnarrte der Bürgermeister von Wanza. »Dasselbige behaupteten sie schon mehrmals in der Magistratssitzung nach jedem Jahrmarkt, wenn ich ihrer Meinung nach allzu vielen Drehorgeln, Linienfliegern und sonstiger Künstlerschaft und Vagabondage die Konzession gegeben hatte, uns des Daseins Öde am hiesigen Orte zu beleben.«

»Und deine vorhin angeführten Nerven, lieber Freund?«

»Die erlauben mir das«, erwiderte der weise Seneka. »Mathilden wurde es freilich dann und wann auch zu arg«, fügte er mit unverantwortlichem Behagen an der Tatsache hinzu.

Sie sahen nunmehr bis zum Einbruch der völligen Dunkelheit rauchend aus dem Fenster auf Wanza hin, und es ging mancherlei an ihnen vorbei, was dem Bürgermeister der Stadt interessant genug erschien, um es dem jüngern Gastfreunde näher zu deuten. Der letztere lernte in einer verhältnismäßig kurzen Zeit vieles, was ihm in den nächsten Tagen und Wochen von großem Nutzen war. Vor allen Dingen gewann er schon jetzt eine nicht unbedeutende Personalkenntnis in dem kleinen Gemeinwesen, und das ist immer viel wert auf jedem Boden, wo man coram publico zu eigenem Nutzen oder zu dem Vergnügen anderer einen Tanz aufzuführen hat.

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