Frei Lesen: Das Horn von Wanza

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Wilhelm Raabe

Das Horn von Wanza

Fünftes Kapitel

eingestellt: 28.7.2007



Mannigfacher Lichtschein fiel aus den Fenstern der kleinen Stadt auf die zwei Freunde, und der Vater dieser Stadt hielt im Vorbeischreiten nicht selten an, um durch eine unverhüllte Scheibe oder durch einen Spalt im Fensterladen einen teilnehmenden Blick in das Privatleben seiner – Familie zu werfen.

»Sie sitzen gottlob alle beim Essen, Grünhage«, seufzte er dann mit einer so unendlich wohlwollenden Befriedigung, als ob er ganz allein schuld daran sei. »Ein Huhn habe ich jedem noch nicht in den Topf zaubern können; aber – Kartoffeln haben sie alle und, rieche nur, auch Zwiebeln und Speck! Guck, hier hat jedes sogar seinen Hering am Schwanz; – ganz wie Göttingen – am Morgen! – Die Hautevolee hat natürlich Eierkuchen gebacken; aber hier gibts ebenso natürlich wieder Kartoffelsuppe!.... ›Unter anderem hat uns die Natur den Vorzug verliehen, daß sie die Notwendigkeit vom Ekel befreit hat‹, sagt Seneka der Weise, und zwar vollständig fälschlich: nämlich – sieh dir nur durch diese Ritze diese sechs verzogenen Kindermäuler an! Hafergrütze ist da das Motto, und dabei kriegte auch ich in meiner zarten Jugend regelmäßig meine Prügel, bis ich mein Quantum heruntergewürgt hatte.«

»Es ist eigentlich zu urgemütlich, wie ich hier mit dir gehe und dich so reden höre, Dorsten. Aber – eine Ahnung habe ich immer gehabt und an manchem fidelen Abend aus dem Munde unserer älteren Leute die Versicherung auf Ehre erhalten, daß auch dergleichen in dir stecke.«

»Hast du?« seufzte der Stadtvater. »Uh! Jawohl, wie sagt der weise Seneka? ›Von manchem, den du gestern gesehen hast, kann mit Recht gesagt werden: wer ist dies?‹ sagt er, und darin hat er ganz recht. O Knabe, wir hängen keine Fensterläden mehr zusammen aus! Fuimus Troes! Hast du auch davon eine Ahnung gehabt, daß du je mit mir durch die Gassen von Wanza an der Wipper schreiten würdest, um ohne Erstaunen von dem uns begegnenden Nachtrat das Wort zu vernehmen: ›Guten Abend, Herr Burgemeister!?‹ Junger Mensch, auch das kann uns auf dem Heimwege passieren! Auszudenken ist es so leicht nicht; aber an meiner Wiege muß mir doch wohl davon gesungen worden sein.«

»Heule nur nicht!« meinte der Student lachend. »Es würde mancher von uns viel drum geben, wenn er die Aussicht hätte, vom Schicksal ebenso warm wie du hier in Wanza hingesetzt zu werden –«

»Um nach inwendig zu verbluten!« stöhnte der Bürgermeister dumpf, um in demselben Augenblick sehr frisch und hell hinzuzusetzen: »Dafür konnte ich nichts, Grüner! Für das Pflaster von Wanza bin ich bis dato noch nicht verantwortlich; – beinahe hättest du auf der Nase gelegen! Ich kenne dieses Loch schon seit einiger Zeit. – Na, halte dich nur recht fest an mich; hier gehts über die Brücke. Hin schaffe ich dich schon glücklich, und über die Heimkehr werden ja wohl wie sonst die Götter gütigst wachen. Dies hier ist der Marktplatz, und drüben hinter den beiden erleuchteten Fenstern sitzt im stolzesten Hause der Stadt deine Tante, ohne eine Ahnung davon, wer hier im Dunkeln herumschleicht. Sollen wir ihr wirklich nicht schon jetzt näher gehen?... Lieber nicht? Gut, dann wandeln wir still vorbei! Das hier nennt sich die Schwarzburger Straße – der Prado, der Korso, die Linden, der Jungfernstieg und Boulevard des Italiens von Wanza. Dort bemerkst du den Großen Bären am dunkeln Himmelsgezelt, und dies hier ist der Wanzaer Große Bär. Tritt ein und sei nochmals willkommen in Wanza! Setzt dich sonderbarerweise die Tante nicht zu ihrem Erben ein, so tue ich es zum Danke für die göttliche Idee – mich hier zu besuchen.«

Am Großen Bär (nicht dem am blauschwarzen Himmelsgewölbe!) waren die Läden ebenfalls bereits geschlossen, und nur durch die herzförmigen Ausschnitte in denselben fiel ein anlockender Lichtschimmer in die Schwarzburger Straße hinaus. Aber weit geöffnet stand die große Einfahrtspforte, und ein Tritt zur Rechten führte aus der weiten, zugigen Halle zu der Tür des Gastzimmers.

»Fasse dich; es sind auch nur Menschen!« sprach der Exsenior der Caninefatia ermutigend über die Schulter zu dem Freunde hinter ihm, und – »Guten Abend, Herr Burgemeister!... Guten Abend, Bürgermeister!... Guten Abend, Dorsten!« sagten sie alle in dem Tabaksqualm rund um den runden Tisch herum; er aber erwiderte bieder:

»Guten Abend, meine Herren!« und fügte mit merkwürdiger Sonorität hinzu: »Erlauben Sie mir, daß ich Ihnen hiermit den Herrn studiosus philologiae Grünhage, meinen Neffen – nein, den Neffen der Frau Rittmeisterin Grünhage, vorstelle.« Mit einem Ellenbogenstoß in die Seite des Freundes flüsterte er: »So bedanke dich doch für das Aufsehen, welches du erregst!«...

Daß der Name und die dazugehörige verwandtschaftliche Beziehung des jungen Fremdlings einige Aufregung in der Gesellschaft an dem runden Tische im Separatzimmer des Großen Bären hervorriefen, ließ sich nicht leugnen. Eine Verpflichtung aber, sich sofort außergewöhnlich dankbar zu erzeigen, fand der Student grade nicht hierin. Er grüßte höflich und wurde in verschiedener Weise wiedergegrüßt; die Tante aber nahm allgemach wahrhaft unheimliche Dimensionen in seiner Phantasie an. Was mußte das für ein Weib sein, das ein ganzes Gemeinwesen mit solchem Respekt erfüllte, demselbigen in Freund Dorsten einen Bürgermeister gegeben hatte und bei dessen Erwähnung ein jeglicher im Großen Bären sich räusperte, die Krawatte zurechtrückte und heftiger an der Pfeife zu saugen anfing, um sodann ein beträchtlich Quantum Tabaksqualm so dünn als möglich gegen die trübe Hängelampe über dem Tische hinzublasen?!

Übrigens waren sie an diesem Tische alle vorhanden, die zu dieser Stunde sich auf germanischem Boden zusammenzufinden pflegen, um nach des Tages Geschäften mehr oder weniger ihr Pläsier miteinander und aneinander zu haben. Und der weise Seneka stellte sie dem Freunde der Reihe nach vor, und der Freund kannte sie sämtlich schon längst aus seinem eigenen Bekanntenkreise oder vielmehr dem seines Herrn Vaters. Namen sollen sie lieber nicht nennen, wenn das im Laufe dieses Berichtes nicht unumgänglich nötig werden wird. Sie selbst nannten sich am liebsten bei ihren Titeln, und sie besaßen Gott sei Dank beinahe alle einen. Und ein jeglicher von ihnen hatte zwei Geschichten; erstens seine eigene (inklusive die seiner Familie) und zweitens diejenige, welche er mit Vorliebe aus eigener Anregung oder auf mehr oder weniger allgemeines Verlangen zum besten gab. Die erstere war jedem andern im Kreise so ziemlich bekannt, die zweite ganz genau.

»Das wäre ja das Ende alles Behagens, wenn jeder alle Abend was Neues aufs Tapet zu bringen hätte«, grinste Seneka der Weise in seiner Weisheit. »Ne, ne; wie wir sind, so sind wir, und wozu hat man sein Gemüt, als um sich dessen zu erfreuen? Na, und dann unser Geist! Wie soll ihn denn einer mal aufgeben im ganzen, wenn er ihn im Laufe der Jahre seiner irdischen Laufbahn schon im einzelnen losgeworden ist? Der Mensch täusche sich nicht: Sparsamkeit, Selbstgenügsamkeit und Überlegung halten allein ihn mit seinesgleichen warm unter einer Decke. Warm zudecken! Alle unter ein Deckbett! Uh, Grünhage, man muß aber doch Burgemeister von Wanza geworden sein, um es ganz genau zu wissen, wie mörderisch der Dunst, die Wärme und – kurz, das Behagen drunter manchmal sind!«

Sehr interessant wars jedenfalls an diesem Abend im Großen Bären zu Wanza an der Wipper, und vor allen Dingen bekam der Gastfreund ein ausgezeichnetes Abendessen. Ob es nun aber der lange Marsch durch den Herbsttag, der letzte feuchte Aufenthalt bei der Witwe Wetterkopf, der wackere Exkommilitone, die Tante oder die Honoratiorenschaft des Ortes und ihre Unterhaltung war: der Student sah alles nur wie durch einen Nebel, lachte nur wie durch einen Nebel und erzählte seinerseits gleichfalls eine Geschichte, die er für ungemein neu hielt und die ebenfalls wie durch einen Nebel belacht wurde. Aber – » ein Stein macht das Gewölbe, jener nämlich, der die zugeneigten Seiten zusammenkeilt und durch sein Dazwischentreten bindet«, sagte Lucius Annäus, und:

»Wahrhaftig, da ist Marten schon!« sprach einer in dem vergnügten Kreise.

Ein langgedehntes, schrilles Pfeifen und:

»Die Glocke hat zehn geschlagen! Zehn ist die Glock!« klangs draußen dicht vor dem Fensterladen, und rund um den Tisch herum erhob sich die Patrizierschaft von Wanza, griff nach dem Hut an der Wand und dem Stock im Winkel und wünschte sich gegenseitig wohl zu schlafen.

»Sie bleiben wohl noch ein wenig, Herr Bürgermeister?« fragte jemand.

»Nur noch einen Augenblick, Herr Kämmerer.«

»Dann wünsche ich auch Ihnen recht wohl zu ruhen«, sprach jener, und öde wars ringsumher.

»Um elf Uhr gehen wir auch, wenn es dir recht ist, Knabe!«

»Unbedingt, Dorsten! Weshalb aber nicht lieber gleich?«

»Weil das doch zu scheußlich wäre!« stöhnte der weiland Senior der Caninefaten, und das Haupt zwischen beide Fäuste nehmend, ächzte er: »Großer Gott, Mensch, stellst du dich nur so oder hast du in der Tat noch keinen Begriff davon gekriegt, wie schauderhaft langweilig es in Wanza ist?! – – – Calvisius, Calvisius, o Calvisius Sabinus, Einzigster – Glückseligster aller Freigelassenen, dich hätte ich als Bürgermeister von Wanza an der Wipper sehen mögen!«...

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