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Wilhelm Raabe

Das Odfeld

Zwölftes Kapitel

eingestellt: 28.6.2007



Magister Buchius rüstete sich derweilen wie ein Mann, der, wenn er nicht mehr die Toga um sich zusammenziehen konnte wie der Cajus Julius unter der Bildsäule des Pompejus, doch anständig in seinen Stiefeln oder Schuhen zu sterben wünschte. So wenig er je den Respekt im Verkehr mit seinen Schülern hatte aufrechterhalten können, so sehr war er in seiner Seele ein Mann des Anstandes und dazu, wie wir nunmehro wohl schon wissen, ein tapferer Mann.

»Rebus angustis animosus atque fortis appare«, sprach er mit dem Horaz, und wenn es zum Äußersten gekommen wäre, würde er sicherlich auch mit dem Martial gesagt haben: Rebus in angustis facile est contemnere vitam. Daß er beim Zuknöpfen von Hose, Weste und Rock unter die heidnischen Sentenzien und nervose dicta auch Verse aus dem Braunschweigischen Gesangbuch, gedruckt bei Johann Heinrich Meyer, mischte, wird ihm, der aus einem lutherischen Pfarrhause stammte, christliche Theologia studiert hatte und ein Erbe so großer christlicher Schulweisheit des heiligen Bernhards von Clairvaux und seiner Zisterziensermönche war, niemand verübeln. Noch dazu, da der Lärm draußen vor seiner Zellentür, drunten im Kloster immer ärger, immer schlimmer, immer entsetzlicher wurde.

»Es zieht, o Gott, ein Kriegeswetter
Jetzt über unser Haupt daher.
Bist du nicht unser Schutz und Retter,
So ist die Plage uns zu schwer.
Sieh, wie die Fürsten sich entzwein
Und sich zu unterdrücken dräun!«

»Krah!« schnarrte es dazwischen, und der unvermutete, gespenstische Ton, so dicht neben ihm, entwurzelte für den ersten Moment all seine altrömische Standhaftigkeit mehr als alles Gelärm von draußen.

»Ah so, du bist es!« sprach er aber schon im nächsten Augenblick beruhigt. Der Rabe auf dem Bettpfosten war weniger von dem Kriegsgetöse als von dem Vers aus dem Braunschweigischen Gesangbuch erweckt worden und steckte erst das linke Bein und den linken Flügel und dann das rechte Bein und den rechten Flügel weit von sich, wie »ein Mensche beim Aufwachen sich dehnend«, und sagte:

»Krah!«

»Jawohl, guten Morgen. Nun werden wir es ja wohl an unserm Leibe wie auch an unsern Habseligkeiten in genauere Erfahrung bringen, was du und die Deinigen uns gestern aus der Höhe über dem Odfelde zu bestellen hattet! Fortiter ille facit, qui miser esse potest -

›Doch findet, Herr, dein weiser Wille
Noch ferner Züchtigung uns gut;
Wohlan, wir schweigen und sind stille
Bei dem, was Deine Vorsicht tut.
Laß uns nur Deiner Plagen Not
Zur Bessrung leiten, mächtger Gott.‹

›Perfer et obdura‹ - heißt es beim Ovidius.

›Nicht zu verderben, nein mit Maßen
Treff uns dann auch dein Strafgericht.
Du kannst, Du wirst uns nicht verlassen;
Nein, Vater, nein, das tust Du nicht -.‹

Diesmal schlagen sie alles kurz und klein! Mein Gott, dies reichet ja bis an unsern großen Schultumult in der Biersuppenaffäre, wo die Herren Primaner den Herrn Amtmann in der Speisekammer eingesperrt und belagert hielten und Feuer davor und drunter anlegen wollten. Der Musjeh Thedel war damals noch nicht dabei; er war erst einer der Haupt-Conspiratores bei der Verschwörung in unserer Wilddiebsangelegenheit vom Heidwinkel. Sie schossen auch damals scharf aufeinander, die Schule und die herrschaftliche Jägerei. Ja trommelt, trommelt, trommelt nur, ich höre die Kuhhörner unseres animosen, tapferen Cötus noch immer durch euer Getrommel und Trompeten, ihr Herren Welschen! Aber, der junge Herr?... Aimabel wärs von ihm gewesen, wenn er mich nicht so leichtlich um diesen neuen Spaß nach seinem Sinn und Herzen hier in angustis rebus, in der Angst und Betäubung meines Gemütes hätte sitzenlassen. Mit dir zur einzigen Gesellschaft -«

Das letzte Wort war an den geflügelten Kriegsmann von Wodans Felde gerichtet; aber der schien mit dem Krachen der Flinten drunten in den Gängen des alten Klosters das Pulver und sein Futter bis hinauf in die abgelegene Zelle des weiland Bruders Philemon zu riechen. Er erhob sich flügelschlagend und hüpfte kreischend und krächzend wie im Triumph dem Magister um den Kopf und im Gemach herum:

»Krieg, Krieg, Krieg!«

Magister Buchius nahm seinen Hut vom Haken und drückte ihn fest auf die Perücke. Er nahm seinen Stock aus dem Winkel. Wie ein richtiger alter Römer beim Einbruch der Gallier wollte er auf alles gerüstet und gefaßt sein.

Es war auch nur ein Unterschied in der Zeitenfolge und im Kostüm, wie er so dasaß an seinem Tische auf seinem Stuhl in seinem Museo, Wohn- und Studiergemach - aufrecht, das hispanische Rohr fest aufgestellt auf den Boden zwischen den Knieen, den Hut auf dem Haupte. Wenn Kloster Amelungsborn heute im Abgrunde des Zornes des Höchsten versank, den Magister Buchius fand und empfing der Abyssus in voller Erkenntnis seiner Sündhaftigkeit vor dem Herrn; aber auch außer durch den Trost auf die Barmherzigkeit desselbigen Herrn für alles aufs wackerste gewappnet durch die tagtägliche, erfreuliche Beschäftigung mit dem Altertum! Dem klassischen nämlich.

Fast mit einem süßen Grauen wartete er darauf, daß ihn der Neugallier an der Nase in Ermangelung eines Bartes zupfe. Er hatte sein volltönend Wort dafür in Bereitschaft; aber - er hatte zu warten. Während der Lärm drunten fortdauerte und drüben von Augenblick zu Augenblick ärger wurde, ließ sich in seinem abgelegenen Winkel keine Seele blicken. Er wartete auf den barbarischen Feind ebenso vergeblich wie auf seine Morgensuppe.

Es blieb ihm wahrhaftig nichts anderes übrig, als wie in ruhigeren Zeiten so auch heute zuerst »in das Wetter« zu sehen.

Er tats, indem er sich mit einem Seufzer von seinem Stuhl erhob. Sein Stubengenoß hüpfte ihm dicht auf den Fersen nach und hob sich wie von demselben Gedanken getrieben und sprang neben ihm in die Fensterbank, gleich einem, der auch wohl in dieser Hinsicht sein Urteil abzugeben habe.

Es war nunmehr ein wenig heller geworden, wenngleich noch lange nicht Tag. Der Regen hatte aufgehört, aber ein dichter Nebel füllte nicht bloß das Hooptal, sondern bedeckte die Welt um Amelungsborn überhaupt, als habe das alte Kloster seine weiland Mönchskappe nochmals ob dem Greuel der Welt bis über die Ohren hinuntergezogen.

»Der wird sich halten«, meinte der Magister und meinte den Nebel. »Wer sich von hier wegschleichen will, wer allhier um der Menschheit Jammerschule herumgehen will, dem gibt der liebe Gott heute die Gelegenheit - falls nicht ein Wind kommt oder zu starkes Feuern aus grobem Geschütz einfällt.«

Die letztere überlegende Bemerkung zeugte jedenfalls abermals davon, daß der Mann in seiner Zeit Bescheid wußte, sei es aus eigener Erfahrung oder aus Büchern, Briefen und Zeitungen. Übrigens aber war eigentlich durchaus keine Zeit, bloß gelassen und gott- und götterergeben in das Wetter zu gucken. Auch der Magister Buchius hatte sich die Frage zu stellen, ob er sein heutiges Schicksal in der Zelle des Bruders Philemon abwarten und an sich herankommen lassen wolle, oder ob es besser und würdiger sei, demselben entgegenzugehen, das heißt dem unbotmäßigen lieben Knaben, dem Junker Thedel von Münchhausen, nachzueilen und zu erkunden, in welche Fährlichkeit den seine Lust am Kriege aller gegen alle diesmal geführet habe.

»Sie hängen ihn

»Krah!« sagte der Rabe -

»Oder sie erschießen ihn -«

Grade in diesem Augenblick krachten die Flintenschüsse, welche das Regiment Navarra dem Junker und seiner ohnmächtigen Angebeteten nachfeuerte, drunten aus den Korridoren des Herrn Klosteramtmanns, und - Magister Buchius erwartete nicht die Gallier auf seiner Stube, auf seinem Stuhl. Er griff noch in sein Bücherfach (mit einem letzten wehmütigen Abschiedsblick auf seine Kuriositäten und Raritäten), schob Anicii Manlii Torquati Severini Boëthii Buch Consolatio philosophiae in die hintere Rocktasche und ging ihnen (den Galliern) und ihm (seinem heutigen Tagesschicksal) entgegen, von dem einfachen klassisch-unklassischen Bedürfnis getrieben, seinen bösesten und besten Plagegeist der weiland Großen Schule von Amelungsborn am Rockschoß zu fassen, und zwar mit beiden magern, harten, haarigen Schulmeisterpfoten. Bloß, um nochmal den vergeblichen Versuch zu machen, ihn vom Abgrund zurückzureißen.

Mit dem Seufzer: »Was wird es helfen?« schloß er die Tür seiner Zelle hinter sich ab und schob den Schlüssel zu dem Boëthius. Draußen noch vollständig Nacht; erst in den untern Gängen vor den Klassenzimmern erste Tagesdämmerung durch die höheren Korridorfenster - dann Lichter, Fackeln, Feuerbrände und - zwanzig Fäuste zugleich in seiner Perücke, an seinem Kragen, an Arm und Brust! Dazu Fußtritte und Kolbenstöße von allen Seiten!

»Le voilà! Le voilà! Hier haben wir die Canaille! Chien! Cochon! Her mit dem Strick! Wo ist der Profoß? Au diable le prévôt!

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