Frei Lesen: Der Marsch nach Hause

Kostenlose Bücher und freie Werke

Kapitelübersicht

1 | 2. | 3. | 4. | 5. | 6. | 7. | 8. | 9. | 10. | 11. | 12. | 13. | 14. |

Weitere Werke von Wilhelm Raabe

Das Odfeld | Die Akten des Vogelsangs | Deutscher Adel | Horacker | Das Horn von Wanza |

Alle Werke von Wilhelm Raabe
Diese Seite bookmarken bei ...
del.icio.us Digg Furl Blinklist Technorati Yahoo My Web Google Bookmarks Spurl Mr.Wong Yigg


Dieses Werk (Der Marsch nach Hause) ausdrucken 'Der Marsch nach Hause' als PDF herunterladen

Wilhelm Raabe

Der Marsch nach Hause

11.

eingestellt: 9.8.2007



Der Nebel lag noch dicht und schwer auf Fluß und Land, der Morgen zögerte noch immer; man sah kaum zehn Schritte weit hinaus auf die Landstraße, die nach dem Dorf Böhne und weiter nach Genthin und über Parchen nach der Elbe und der Stadt Magdeburg zu führte.

»Wacht heraus!« schrie der Korporal Rolf aufspringend und zugleich den nächsten seiner süß schlafenden Dragoner an der Schulter rüttelnd. Wie ein grauer Schatten trabte ein Reiter durch den Dunst an, zwei andere folgten, dann ein Haufen, und man vernahm das Stampfen einer größern Kavallerieabteilung im raschen Anmarsch.

Das kleine Häuflein der Schweden hatte sich schnell auf der Brücke in Linie gestellt; die beiden Korporale mit dem Posten in der Front. Aber schon parierte der vorderste der schattenhaften Reiter seinen Gaul dicht vor den Karabinermündungen und rief:

»Versprengte vom Regiment Bülow! Haben die Brandenburger dicht auf den Fersen! Gebt Raum, die Pferde sind abgehetzt, wir halten die Straßen nicht länger und müssen in die Stadt!«

Es war ein alte, heisere Stimme, eine Stimme wie die der beiden alten Korporale Sven und Rolf, welche das hervorstieß, und der Mann auf dem wirklich schweißtriefenden, abgehetzten, schnaubenden Gaule war auch alt und grau und verwettert. Er trug einen dunkelblauen Rock über dem Brustküraß, einen breiten, an der Seite aufgeklappten Dragonerfilz, doch ohne Feder und Kokarde. Er trug mächtige Stulphandschuhe und Reiterstiefeln, doch keine Feldbinde, und wie seine nun allgemach auch heranreitenden Begleiter trug er das Schwert in der Scheide.

»Schnell, schnell, Kamerad von Wangelin! Wir hängen seit dreien Tagen in den Sätteln und halten uns kaum mehr. Es pressiert – laßt uns durch!«

Die beiden Korporale sahen sich zögernd an.

»Gebt die Parole, Herr!«

»Wir sind drei Tage von der Armee. Sahen die Brandenburger bei Burg auf dem Marsche. Wie können wir euch die Parol vom gestrigen Abend geben? Macht Platz, ich sag Euch, Wachtkommandant, der Oberst Wangelin ist mein guter Freund. Er liegt zum Wahrzeichen mit euch drüben in Rathenow, und ich bin Leutnant im Regiment Bülow. Jetzt haltet uns nicht länger auf!«

»Was sagt Ihr dazu, Korporal Knäckabröd?« fragte der Korporal Kok.

»So arg wirds doch nicht pressieren!« sagte der Korporal Sven; in demselben Augenblick aber richtete sich der alte Blaurock im Sattel auf und schrie krächzend:

»Also nicht? Na, dann hol der Teufel die Höflichkeit! Wer ist denn hier eigentlich zu Hause? Ihr oder wir?«

Ein Faustschlag krachte nieder auf die unglückselige Nase des weiland Kriegsgefangenen der Frau Fortunata Madlener, Wirtin zur Taube zu Alberschwende im Bregenzer Walde, daß er besinnungslos zu Boden stürzte. In dem nämlichen Moment stießen sämtliche Reiter ihren Pferden die Sporen in die Flanken; zur Rechten und zur Linken flog die schwedische Wache an der ersten Havelbrücke vor Rathenow zur Seite oder wurde niedergeritten.

»Der Derfflinger, der Derfflinger!« rief einer der drei Leute, welche sich mit dem Korporal Rolf Rolfson Kok im eiligen Laufe der zweiten Brücke und der Stadt zu retteten und ihre Büchsen im Lauf hinter sich abschossen.

»Der Derfflinger, der Derfflinger!« murmelte der Korporal Kok, zu Lindau im See das Gockele genannt, betäubt, fortgerissen, unfähig sich zu besinnen, unfähig selbst, einen Augenblick an das Schicksal seines guten, alten Kriegskameraden zu denken. Und es war wirklich der Generalfeldmarschall Derfflinger, der vom Rhein her als der erste an der Havel anlangte, das Hausrecht gebrauchte, die erste Brücke vor Rathenow auf die eben beschriebene Weise nahm und nun vor der zweiten Brücke, welche er natürlich aufgezogen fand, seine Dragoner absitzen ließ und in Hast und Ungeduld über der trübe unter seinen Füßen dahinschießenden Flut fast vergehen wollte.

Es hätte des Faustschlags des greisen Generalfeldmarschalls gar nicht bedurft, um den armen Korporal Sven zu überzeugen, daß die Welt im Begriff sei unterzugehen. Nah und fern klangen die Trompeten oder, wie der Korporal, mühsam und zwischen die Pfeiler der Zugbrücke gedrückt sich aufrappelnd, meinte, die Posaunen des Jüngsten Gerichts. Immer mächtiger wogte und dröhnte es durch den Morgennebel heran, und Zug an Zug rasselte es über die erste Brücke und ergoß sich über den Werder zwischen den beiden Armen des Flusses, allwo der Derfflinger, den Degen in der Faust, Schwadron über Schwadron durch die Furten trieb, während von den Mauern der Stadt schon das Gewehrfeuer blitzte und krachte und Generalmajor Götze und Oberstleutnant Kanne bereits den Fuß in die erstaunten Gassen setzten.

»O heiliger Olaf!« stöhnte Sven Knudson Knäckabröd, sich das strömende Blut von der Nase wischend und sich aus seiner geschützten Lage dicht an der Brüstung der Brücke mit Vorsicht aufrichtend. »Träume ich das, so habe ich auch so noch niemalen geträumt! Aber mit einer solchen Nase träume da einer! Wetter, mir wächst ein Kürbis im Gesicht – also das war der Derfflinger!? O Rolf, Rolf, Rolf, das ist wieder eine Geschichte, wie sie nur uns beiden passieren kann; – o Korporal Kok, wenn es nur dem großen Marschall Wrangel nicht ebenso ergehet wie uns zweien!«

Es hatte allen Anschein, daß das wohl der Fall sein könne. Um diese Zeit nämlich war an dem Havelübergang, von Genthin her, ein Reiter mit großem Gefolge von, wie es sich anließ, hohen Offizieren, die alle ihre Pistolen auf den Sattelknopf gestützt hatten, – mit einem mächtigen Gefolge von Wachen, Trompeten und Standarten erschienen und hielt, nach der Stadt hinüberhorchend. Dort hörte das Feuer allmählich auf, und einzelne Reiter sprengten von ihr wieder zurück: die zweite Zugbrücke mußte demnach auch genommen sein. Und einer dieser Kavaliere näherte sich dem hohen Befehlshaber, riß den Hut ab und neigte sich bis auf die Mähne seines Gauls:

»Kurfürstliche Durchlaucht, wir haben Rathenow, wir haben den Wangelin und den Weg zum Rhin!«

»Der Brandenburger, der Brandenburger auch!« ächzte der schwedische Mann an der Brüstung zwischen dem Pfahlwerk der Brücke, und ohne die Antwort Kurfürstlicher Durchlaucht abzuwarten, kroch er über den Rand, rutschte die Böschung hinab, glitt in das Weidengebüsch der Havelinsel und fand daselbst trotz Nebel, Betäubung, Aufregung und Blutverlust noch zwei von den Dragonerpferden der Wachtabteilung des Korporals Gockele, angstvoll an ihren Strängen zerrend. Im nächsten Moment schon saß der brave Alte im Sattel des einen Tiers und jagte über den Werder hin, links ab. Da die Passage auf Rathenow von dem Generalfeldmarschall Derfflinger jetzt vollständig frei gemacht war, so ging der Marsch der sechstausend vom Rhein her zu Hause anlangenden brandenburgischen Reiter über die Brücken. Der Werder, über welchen die Obersten Kanne und Kanowski zuerst an die Stadt gelangten, war wieder leer; der Nebel hatte sich allmählich in einen feinen Regendunst verwandelt, und der sumpfige Boden dröhnte nur wieder von dem Stampfen einiger verwundeten Pferde, die wie Geistererscheinungen durch den grauen Dunst taumelten, strauchelten und schossen.

Die Furt, welche die Dragoner des Derfflingers erst mit einiger Mühe gefunden hatten, kannte der Korporal Sven von mehreren Rekognoszierungen aus gut genug. Er befand sich mitten im Strom und erreichte den Steindamm am linken Ufer, ohne sich umzusehen.

»Es ist aus, Rolf Kok! Sie haben dich mit dem Obristen tot oder lebendig!« rief er jammernd und jagte weiter. Unschlüssig, ob er sich gegen Havelberg zum Feldmarschall Karl Gustav oder gegen Pritzerbe zu dessen Stiefbruder, dem Grafen Waldemar, wenden solle, jagte er fürs erste gradaus in die lieblichen Sümpfe und Heiden der wackern Mark Brandenburg hinein, im Sinn und Ohr verfolgt von einem ganz andern Klingen als dem melodischen Läuten der Kuhglocken im Lande vor dem Arlberg und dem ermutigenden Wort der Taubenwirtin zu Alberschwende: »He, Korporal, sing!«

Das waren eilige Tage, und nimmer ist in der Welt so scharf geritten worden wie in diesem Juni des Jahres 1675 in der Mark, sowohl vom Kurhut Brandenburg als auch von der Krone Schweden!

Neun Tage schon hatte die kurfürstliche Kavallerie nicht abgesattelt, und nun sprangen auf die Kunde von der Einnahme von Rathenow, im jähen Schreck und aller Verstörung, auch die schwedischen Herren in die Sättel. Von Havelberg brach eilends der Feldmarschall Wrangel auf, von Brandenburg und Pritzerbe sein Stiefbruder. In aller Hast ging der Marsch der beiden so unvorsichtig geteilten Heeresflügel, ein spitzwinkelig Dreieck durch Bruch, Moor, Heide und Kiefernwald ziehend, auf den durch alte Schlachten berühmten Kremmer Damm zu, um eine Vereinigung daselbst herzustellen und, was noch zu retten war, vor dem zornigen Hausherrn zu retten, ehe Kurfürstliche Durchlaucht, die in der Mitte der beiden Schenkel dieses Dreiecks gradaus ebenfalls einen Strich auf Fehrbellin zogen, den ungebetenen Gästen auch da an der Tür aufwarteten.

Drei Tage ritten sie noch, da trafen sie zusammen und geschah die wundervolle Schlacht, die wir leider hier nicht zu beschreiben haben: unsere Aufgabe ist es, uns nach dem tapfern Korporal Rolf Rolfson Kok umzutun und zu erkunden, wie es ihm zu Hause weiter erging.

Wir haben gesehen, wie auch er sich eilends aufmachte, als er die Ankunft der Brandenburger in Erfahrung gebracht hatte. obgleich ihn mehr als sechzigjährige Beine trugen, so beflügelte die Vorstellung, daß der Generalfeldmarschall Derfflinger mit seinen neunundsechzig Jahren hinter ihm sei, seine Schritte auf den Havelbrücken nicht wenig, und er kam richtig noch vor dem alten Herrn in der Stadt Rathenow an.

»Alarm! Alarm! Feindio! Feindio!«

Ach, der Korporal Rolf Rolfson Kok hatte leider bei seinem Ruf zu den Waffen nicht auf den Herrn Landrat von Briest gerechnet. Der hatte nämlich in Erwartung der Dinge, welche von Südwesten her kommen sollten, seinen schwedischen Gästen eine große Bewillkommnungsfestivität zurechtgemacht, den Offizieren selber und mit Beihülfe eines löblichen Magistrates zugetrunken und auch der gemeinen Soldateska durch gemeine Bürgerschaft auf seine Kosten wacker zutrinken lassen. Die Folge davon war, daß die Brandenburger, als sie unter dem Derfflinger und dem Prinzen mit dem silbernen Bein, dem Prinzen von Homburg, eindrangen, die meisten der Helden aus Mitternacht im tiefsten Rausch und süßesten Schlummer vorfanden und sie somit ohne viele Mühe totschlagen konnten. Die, welche in etwas bei Besinnung waren, wehrten sich freilich tapfer genug in den Gassen und auf und an den alten, morschen, mittelalterlichen Mauern und Toren; allein auch sie wurden mit verhältnismäßig geringer Mühe niedergemacht oder gefangen. Von den sechs Kompanien, die mit dem Obristen von Wangelin in Rathenow eingerückt waren, retteten höchstens ein Dutzend Leute das Leben und die Freiheit, und unter diesen von Glück Begünstigten befand sich gottlob auch unser guter Freund, der Korporal Rolf. Wie der Korporal Sven an der Böschung des Haveldammes, so glitt er an Wall und Mauer der Stadt Rathenow hinunter, fiel, von Fortuna noch einmal in Schutz genommen, auf ein ledig Reiterpferd des Herrn Obristleutnants Kanne und galoppierte nunmehr gleichfalls, und ebenso betäubt und schwindelnd wie der Kamerad, in den Morgen und in die Mark Brandenburg hinein.

< 10.
12. >



Die Inhalte dieser Seite sind Eigentum der Öffentlichkeit.
Sollten trotzdem Urheberrechte entgegen unserem Wissen verletzt worden sein, bitten wir Sie mit uns Kontakt aufzunehmen.