Frei Lesen: Der Marsch nach Hause

Kostenlose Bücher und freie Werke

Kapitelübersicht

1 | 2. | 3. | 4. | 5. | 6. | 7. | 8. | 9. | 10. | 11. | 12. | 13. | 14. |

Weitere Werke von Wilhelm Raabe

Der Hungerpastor | Horacker | Deutscher Adel | Abu Telfan | Das Horn von Wanza |

Alle Werke von Wilhelm Raabe
Diese Seite bookmarken bei ...
del.icio.us Digg Furl Blinklist Technorati Yahoo My Web Google Bookmarks Spurl Mr.Wong Yigg


Dieses Werk (Der Marsch nach Hause) ausdrucken 'Der Marsch nach Hause' als PDF herunterladen

Wilhelm Raabe

Der Marsch nach Hause

9.

eingestellt: 9.8.2007



Am folgenden Morgen war die Verwunderung nicht nur des Rates, sondern auch der ganzen Stadt Lindau im Bodensee groß ob des Verschwindens ihres schwedischen Hafenvogtes. Die Kinder in den Gassen kannten den Meister Gockele, und die Alten waren mit seiner bärenhaften Erscheinung und seinem zerfetzten und zusammengeflickten Deutsch auf dem vertraulichsten Fuße. Es war in der Tat kein Wunder, daß man den Korporal Rolf Rolfson Kok sehr vermißte, sowohl in den Gassen der Stadt wie in ihren behaglichsten und berühmtesten Schenken und Gaststuben.

»Und zur Zeit der Rädle noch gar?!« murmelten die erfahrenen und gewiegten Zechkumpane. »Zur Zeit, wo der Neue schon an die Türe pocht! Es ist nicht auszudenken. Ja, wenn der See den Leichnam nicht bald ausspült, so ist es sicher, daß der böse Feind das Gockele am Fittich nahm. Aber er war doch ein guter Kamerad; – schade um ihn.«

War die Aufregung groß ob des Verschwindens des Korporals Rolf in der Freien Reichsstadt Lindau, so trat sie doch vollständig in den Schatten vor dem Lärm und Aufruhr, welchen das Verschwinden des Korporals Sven jenseits des Fürberges hervorrief. Es war eben ein anderes, ob jemand für die volkreiche Stadt Lindau, und ein anderes, ob jemand für das Dorf Alberschwende und die Lorena verlorenging. Die gesellschaftlichen Zustände litten an den letzten beiden Orten viel mehr darunter als an dem erstern, und die Wirtin zur Taube war nicht ohne einige Berechtigung um ein bedeutendes giftiger, betrübter und jähzorniger als der Rat und die Bürgerschaft der Freien Stadt.

Wir müssen darauf verzichten, die Gefühle der Frau Fortunata, der Frau Aloysia und der drei hübschen Schmelgen zu schildern, als sie am Abend des verhängnisvollen siebenten Augustes anfingen, nach dem Korporal sich umzusehen, und sie ihn nicht fanden.

Anfangs suchten sie mit Lachen, allein das dauerte nicht lange. Mit dem Ingrimm einer erzürnten Löwin hub die Frau Fortunata an, ihr Beutestück im Kreise ihrer Bekannten und Freunde auszuschreien. Auch die Freunde und Bekannten machten sich auf die Jagd, wenn auch mit einem geheimen Mitleid in betreff des Geschickes des schwedischen Mannes, sofern er in ihre und der Taubenwirtin Hände gegeben werde. Da blieb kein Busch am Gebhardsberge ununtersucht, sowie auch keine Schenke in der trefflichen Stadt Bregenz unter dem Gebhardsberge. Wenig hätte gefehlt, so wäre die Bürgerschaft aufgeboten worden, den Flüchtling (denn daß der Gesuchte ein Flüchtling sein mußte, war am folgenden Tage jedermann klar) zu verfolgen und tot oder lebendig einzubringen.

Drei Tage und drei Nächte hielt sich die Taubenwirtin am Gestade des Sees auf der Suche, und erst am vierten Tage gab sie in vollkommener Verzweiflung die Hoffnung auf, den Deserteur und Verräter an Treu und Glauben wiederzuerlangen; sie trat in Grimm und Zorn die Heimfahrt in den Wald an, und für längere Zeit hatten nun die Hausgenossen und Hausfreunde für das zu büßen, was der undankbare Schwed, der nichtsnutzige Korporal Sven Knudson Knäckabröd, gesündigt hatte. Und was das schlimmste war, es existierten noch einige verwitterte und verwetterte Veteraninnen aus dem Jahre 1647, welche sämtlich nunmehr vor die Wirtin zur Taube, die Oberkommandantin, hintraten, das glorreiche Gefecht am Roten Egg wie in der Chronika nachschlugen und kreischend behaupteten: das hätten sie schon damals vorausgesagt, und jedes ordentliche Wäldlerweib hätte schon damals sagen können, daß das so kommen würde.

Aber wie es in allen menschlichen Zuständen und Angelegenheiten zu gehen pflegt, so ging es auch hier. Der Lauf der Tage nahm seinen gewiesenen Gang, und selbst ein so großes, merkwürdiges und unerhörtes Ereignis wie dieses Verschwinden eines Menschen, der sich über sechsundzwanzig Jahre hinaus so brav hielt, versank in dem Strudel der Arbeit, in dem täglichen Kampfe mit den tausend Verdrießlichkeiten und Freuden des Daseins. Man sprach allmählich immer weniger von dem Korporal Sven, wenn man auch noch häufig genug an ihn dachte und er immerhin ein ausgiebiges Thema der Unterhaltung für jegliche müßige Stunde blieb. Die Kinder der Frau Aloysia Unold grämten sich zuletzt doch am meisten um den alten, grauen, wandern Spielkameraden, den guten Gesellen von der Lorena; wir aber werden vor allen Dingen jetzo sehen, wo er mit seinem eigenen grauen, alten, wackern Kameraden, dem Korporal Rolf Rolfson Kok, geblieben war und was er befuhr, nachdem er sich aus der Heimat in die Fremde fortgeschlichen hatte, um in der Fremde die Heimat, das heißt die alten glorreichen Kriegsfahnen und den alten Feldherrn Carolus Gustavus Wrangel aufzusuchen.


 

< 8.
10. >



Die Inhalte dieser Seite sind Eigentum der Öffentlichkeit.
Sollten trotzdem Urheberrechte entgegen unserem Wissen verletzt worden sein, bitten wir Sie mit uns Kontakt aufzunehmen.