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Wilhelm Raabe

Horacker

Vierzehntes Kapitel

eingestellt: 1.8.2007



»Allmächtiger, erfüllen sich nicht alle meine Ahnungen?! Da kommen sie doch mit ihr angerumpelt!« rief die Frau Konrektorin, als die »Grüngelbe« trotz erhobener Verwahrung mit dumpfem Gepolter um die Ecke wackelte. »Hab ich es mir nicht gedacht? Aber das Schandfuhrwerk paßt eigentlich ganz zu der übrigen Affäre und Expedition.«

»Der Herr Posthalter lassen sich höflichst entschuldigen, Frau Konrektorin; es war aber unsere letzte Kutsche auf dem Hofe«, rief Fricke vom Bocke zu dem Fenster hinauf. »Aber ich vergarantiere eine gute Schmiere, und die Polster hab ich auch gestern geklopft und in der Sonne gehabt. Keine Spur mehr von Motten; keine Idee mehr von Festkleben auf dem Sitze.«

»Wir haben unser möglichstes getan, Frau Konrektorin«, rief Linchen, von ihrem Sitze neben Fricke herabspringend, »ich und der Herr Oberlehrer. Mit der Braunen ist der Herr Staatsanwalt Wedekind fort, und eine ist zu einer Hochzeit und eine zu einer Taufe, und an der mit den blauen Kissen ist der Sattler. Der Herr Doktor Neubauer sitzen drin.«

Der Herr Doktor Neubauer saßen freilich drin und steckten jetzo ein ziemlich klägliches Gesicht aus dem Fenster der Grüngelben.

»Der Kutscher meint, wir würden kaum noch vor Dunkelwerden in Gansewinckel anlangen, meine Damen.«

»Meinetwegen möchte es jetzt schon stichdunkel sein«, brummte die alte Dame aus ihrem Fenster hernieder. »Das vierrädrige Untier ist doch mein Tod; die Schande, drin durch die Straßen rumpeln zu müssen, nicht einmal gerechnet. O Eckerbusch, Eckerbusch! Daß du mir nur ja ordentlich auf das Haus achtgibst, Mädchen. In fünf Minuten sind wir drunten bei Ihnen, Kollege. Nehmen Sie ein Tuch von mir, Hedwig; unmöglich können wir mit diesem Stadt- und Landskandal noch bei Ihnen vorfahren.«

»Ich will nur so rasch, so rasch als möglich zu meinem Mann«, schluchzte die Kollegin Windwebel.

»Ich jetzt auch!« sprach mit Energie die Frau Ida; und nach zehn Minuten saßen sie wirklich ebenfalls in der Grüngelben, hatten den Oberlehrer Neubauer ergeben, verdrossen sich gegenüber und fuhren ab und dem Tore zu, nachdem die Frau Konrektorin vorher noch gefragt hatte:

»Weshalb habt Ihr nicht wenigstens das Verdeck niedergeschlagen, Fricke? Ersticken soll man auch wohl noch bei dem wunderschönen Abend?«

»Kriegen Sies mal herunter«, hatte Fricke erwidert. »Probieren Sie einmal an der Equipage, was gegen ihren Willen ist. Alles an der Kreatur bockt, als obs lebendig wäre. Keine Idee von Nachgiebigkeit, Frau Konrektorin. So ein Machwerk setzt am Ende geradesogut als unsereiner seinen Kopf auf seine Pensionierung. Na, die Räder sind ja gottlob noch so ziemlich in Ordnung, und mit Gottes Hülfe – na, ho – hott, hott – da sind wir schon unterwegs!«

Sie waren unterwegs; und die halbe Stadt nahm teil an ihrer Abfahrt, und zwar ohne diesmal der alten, stadtbekannten Grüngelben die gewohnten Glossen und Scherze mit zum Tor hinaus zu geben. Die Gemüter waren doch zu sehr nach einer andern Richtung hingerissen, und diese Fahrt der beiden Frauen in den Abend hinein erhöhte selbstverständlich die Erregung um ein beträchtliches; Horacker hatte, wie wir wissen, schon mehr als einmal die Gefühle von Stadt und Land merkwürdig umgequirlt, aber so wie diesmal doch noch nie.

Alles – Freund wie Feind, war in den Gassen, durch welche die Grüngelbe polterte, an den Fenstern und Türen. Man fing bereits an, die Ermordeten über die Gebühr zu loben; uns aber ist es nur Bedürfnis, das zu wiederholen, was Ühleke in höchster Verwunderung meinte.

»Jeses, nun höre einer mal an«, sagte er. »Ich meinesteils habe den Herrn Konrektor Eckerbusch doch auch gekannt und ästimiert, aber nach dem, was sie sonst von ihm gehalten und gesprochen haben und wie sie sich über ihn mokiert haben, habe ich wirklich bis heute nicht gewußt, was für eine Zierde, was für ein braver und gelehrter Mann er gewesen ist! Es würde ihn gewißlich selber freuen, wenn er jetzo noch vernehmen könnte, wie gut man über ihn überall denkt und wie leid er uns allen tut. Da kann man die Welt schon ihr Pläsier und Amüsement an sich haben lassen, wenn das nachher so kommt!... Höre sie nur einer!... Und auch die Frau Konrektorin tut mir leid, und dann die arme junge Frau; – der Herr Zeichenlehrer war freilich noch ein bißchen neu bei uns. Es ist aber ein Trost, daß sie den neuen Herrn Oberlehrer Neubauer in dem alten grünen und gelben Chausseeschrecken bei sich haben; das ist ein klarer Kopf, sagt man, und wird sie nach dem Buch zu trösten wissen. Guck nur, was an Gymnasiastikern in der Stadt in den Ferien vorhanden ist, läuft hinter dem alten Rumpelkasten her und säße am liebsten hintenauf; bloß weil er sich so viel Liebe unter ihnen erworben hat. Na, dies ist das letzte! Wenn dies Horackern nicht den Boden einschlägt, dann kann er dreist und ruhig nächsten Sonntag den Herrn Generalsuperdenten auf dem Wege nach der Kirche kaltmachen! Die arme kleine Dame sehe ich bis an mein seliges Ende zittern und beben. Für die sitzt dieser so sehr kluge und gelobte neue Herr Oberlehrer auch mit zu meinem eigenen Troste mit im Wagen.«

Wir lassen die Stadt und Ühleke und folgen der »Schäse«, wie Fricke das Ding zu allem übrigen auch noch bezeichnete. Die Kreatur, der Rumpelkasten, der Chausseeschrecken, die grüngelbe Stadtschande rollte jetzt ziemlich glatt auf der guten Landstraße, der Staubwolke, die der Herr Staatsanwalt hinter sich aufwirbelte, nach. Es schlug eben dreiviertel auf acht; noch schwebte die Sonne über dem Horizonte, aber nicht lange mehr. Der Abend war wundervoll; jedoch eine dahin bezügliche Bemerkung zu machen, war der Oberlehrer Dr. Neubauer nicht imstande. Er begann die Reiseunterhaltung überhaupt nicht; die Situation, in welche er so plötzlich und unvermutet hineingeraten war, stimmte durchaus nicht mit ihm; es gehört schon viel Menschenelend dazu, um an die Gefühle eines Ironikers, der sich selber lächerlich vorkommt, heranzureichen.

Und der Herr Doktor kam sich sogar ungemein abgeschmackt vor. Er hätte ohne die geringsten Gewissensbisse die beiden Weibspersonen da erdrosseln können. In mehreren Residenzen Deutschlands besaß er gleich ihm von der Trivialität der Alltagswelt frei entbundene Freunde aus den besten Ständen, und sein Ärger ließ sie ihm alle in die Grüngelbe lächeln. Schaudernd hüstelte er hinter dem feinen weißen Taschentuche nach einem abermaligen Blick in das kluge, aber durchaus nicht aristokratische Gesicht der ältern Kollegin.

»Hätte ich denn nicht tun können, als habe sie einen andern gerufen?« dachte er und dachte geradeso wie, zum Exempel, Sie, liebe Nachbarin und verehrter Herr Nachbar, wenn Sie gleichfalls einem freundschaftlichen Winke zu bereitwillig Folge geleistet hatten und es bereueten.

»Von heute an höre ich in diesem verruchten Neste nichts mehr. Ja noch mehr! Hier gelobe ich mir, selbst nicht einmal den Mund mehr –«

»Soll ich Ihnen sagen, Neubauer, was Sie in diesem Augenblick denken?« fragte die Frau Konrektorin ganz unvermutet.

»Ich?... Sie?« stotterte der in der Aufreihung seiner guten Vorsätze so plötzlich Unterbrochene. »Ich – würde mit dem größten Interesse –«

»Gut! Wenn Sie aber nachher sagen: Eckerbuschen, Sie haben unrecht, so lügen Sie einfach. Nämlich Sie überlegen sich ganz simpel, wie gerade Sie – Sie mit in diese Geschichte hineingeraten – solch ein oberhalb allem stehender, kluger und nur aus Zufall zu uns geratener junger Mensch!... Wie komme ich denn dazu? denken Sie; ich aber sage Ihnen, ich habe Sie gerade deshalb mitgenommen, und wenn ich die Wahl gehabt hätte, so würde ich mir doch keinen andern als Sie ausgesucht haben, und jetzt machen Sie nur ruhig ein vergnügtes Gesicht! Sie kommen nicht davon, heute zahlen Sie mir Ihren Beitrag, sowohl für die Komödie wie für das Trauerspiel.«

»Meine Beste –«

»O mein Guter, der Kultus soll Sie nicht umsonst zu uns geschickt haben. Dazu sind ja die Menschen auf Erden, daß sie voneinander was lernen; und da Bescheidenheit ein Schmuck ist, so sage ich Ihnen ganz offen, daß ich einen Menschen wie Sie bis jetzt freilich noch nicht kannte, aber daß es mir eine wahre Freude ist, Sie bei jeder Gelegenheit besser kennenzulernen. Was ich und mein Alter Ihnen dagegen an uns zu bieten haben, steht Ihnen längst zu freier Verfügung, und daß Sie auch bereits recht lustig davon Gebrauch gemacht haben, wissen Sie ja selber am besten.«

Der Herr Doktor hatte als ein eleganter Philologe in Berlin, Heidelberg, Karlsruhe und München mit den allerfeinsten Leuten verkehrt. Wirkliche Geheimräte hatten ihn »mein Lieber« genannt, wirkliche Geheimrätinnen »lieber Doktor«, und Komtessen hatten von ihm als »unserm jungen interessanten Gelehrten« geredet. Nun nannte ihn diese schauderhafte Person, die Konrektorin Eckerbusch, »mein Guter«, und er hatte in diesem Moment nicht eine Waffe gegen die scheußliche Alte. Gebückt, mit zusammengezogenen Schultern saß er in der schwülen Kutschenatmosphäre und schlug im Buche seiner Welterfahrung fieberhaft hastig Blatt um Blatt um, ohne was zu finden, wodurch sich der Absurdität imponieren ließ.

Diesmal – hier in der Grüngelben auf dem Wege nach Gansewinckel, war die Proceleusmatica jedem seiner Geheimräte, jeglicher seiner Komtessen, seiner christlichen und hebräischen Bankiersdamen und Geheimrätinnen gewachsen; das fürchterliche alte Weib hätte selbst den Juvenal und M. Henri Heine – von den allermodernsten Satirikern gar nicht zu reden – aus der Fassung gebracht! Der geklemmte Kater des Kollegen Eckerbusch war gar nichts gegen den geklemmten Oberlehrer, wie ihn die Frau Kollegin zur Darstellung zu bringen wußte, und zwar Knie gegen Knie mit dem dargestellten Opfer.

Uh, das war eine Fahrt! Und diese alte Spinne, diese Canidia, diese Giftmischerin, schien sich wahrhaftig schon monatelang darauf gefreut und darauf vorbereitet zu haben! Da sie einmal angefangen hatte, ihre Meinung zu sagen, so hörte sie eine geraume Zeit hindurch nicht damit auf.

»Hab ich es nicht von Anfang an gewußt, was für eine Rhapsodin im Sinne der Alten ich an ihr erwischt habe? Nicht wahr, Kollege, die versteht sich aufs Improvisieren? Das nenne ich dreist ein Talent, das sich auf offenem Markte und nicht bloß in der Kutsche hören lassen darf?! Nicht wahr, Neubauer, das fließt doch noch über die Sechsundsechsias hinaus?« – also würde, die Hände reibend, der alte Eckerbusch gekichert haben, wenn er dabeigewesen wäre. Der Herr Doktor Neubauer, der dabei war, war fürs erste nicht imstande, irgend etwas auszusprechen als in der Tiefe seiner Seele das Wort:

»Ich würde einen Taler Trinkgeld an den versoffenen Kerl auf dem Bock wenden, wenn er uns in den Graben kippte!«

Dieses aber äußerte er als innigen Vorsatz und Wunsch natürlich in dem nämlichen Augenblick, als sich Frau Ida zum ersten Male von ihm ab und zu der armen kleinen, scheu in ihre Ecke geduckten Begleiterin wendete:

»Und nun, mein Herz, wie befinden Sie sich denn?«

»O gut, gut! Wenn wir nur erst angekommen wären.«

»Gut? Gut? Jawohl, das sieht man Ihnen freilich an!... Und nun, Neubauer, frage ich Sie noch einmal, spüren Sie immer noch keine Gewissensbisse? Tut es Ihnen noch immer gar nicht leid, daß Sie das Letzte dazu getan haben, dieses arme Geschöpf, das arme, liebe, alberne Kind hier, das von Rechts wegen jetzo ganz still und behaglich auf seinem Sofa liegen müßte, in die Nacht, in die Wildnis, in die Dummheit hinausgeelendet zu haben? Haben Sie wirklich keine Mutter gehabt? Sind Sie wirklich reinewegs vom Monde in die Philologie, in die Poetenkunst mit Hexametern und in diesen neuen Norddeutschen Bund ausgewachsen heruntergefallen?«

Der Kollege Neubauer verspürte nichts als einen heftigen Stoß der Grüngelben und den noch heftigeren Wunsch, die Frau Kollegin und Konrektorin Ida Eckerbusch ohrfeigen zu dürfen.

»Ich bitte Sie, was habe ich denn –«

»Nichts haben Sie! Ihre Autorität, Ihre merkwürdige Autorität haben Sie nicht auf meiner vernünftigen Seite in die Waagschale werfen wollen. Ihren Spaß haben Sie, wie gewöhnlich, sich mit uns machen wollen, und da sitze ich denn jetzt mit Ihnen und mit der Kleinen mitten in der besagten Dummheit, und hier haben wir den Wald und die einbrechende Dämmerung! O warten Sie nur, mein Guter, der Stoß war noch nichts! Jetzo geht der Weg erst an; – o, Sie sollen mir an diese Pläsierfahrt nach Gansewinckel mit der Konrektorin Eckerbusch noch denken, lieber Kollege!«

Sie hatten in der Tat den Wald erreicht, und die Landstraße war nicht so gut geblieben, als sie im Anfange versprochen hatte; – noch viel weniger aber war sie besser geworden. Sie gewann mehr und mehr eine ausnehmende Ähnlichkeit mit dem Wege des Lasters, der, dem Liede nach, gleichfalls im Anfange ein »breiter Weg durch Auen« ist, dessen Fortgang jedoch allerlei Gefahren bringt und dessen Ende in »Nacht und Grauen« ausläuft.

Zärtlich und sorglich legte jetzt die alte Dame den Arm um die jüngere Schutzbefohlene.

»Nur ruhig, ruhig, Kind! Fricke kennt mich und weiß, wen er fährt. Und mit wem ers zu tun kriegte unter Umständen, weiß er glücklicherweise gleichfalls. Heda, Fricke!«

Sie hatte sich bei dem letzten Worte aus dem Wagenfenster gebogen, und Fricke beugte sich von seinem Sitz zurück und zu ihr nieder:

»Was solls denn, Frau Konrektorin?«

»Hier sind wir nun im Holze, Alter; und nun gehts los, daß das Wegebauamt sich seines Weges recht herzlich schämen sollte; und dann, Fricke, was bedeutet denn das Quietschen hinter mir von unten her?«

»Seien Sie ganz ruhig, Frau Konrektorin. Das Gequietsch kommt nicht von Ihnen und aus dem Wagen. Ich habs von hier auch allbereits vernommen; es ist nur das infame linke Hinterrad; aber wir haben die verdammte brüchige Speiche recht ordentlich verschienen lassen vom Stellmacher. Der Weg läuft ja auch noch ganz schmeidig hin, und erst von Förster Rauhwedders Kreuze an setzen Sie sich, Frau Konrektorin, mit den beiden andern Herrschaften wohl gefälligst ein bißchen fester auf den Sitz. Da spielt das Wasserrinnsel vom Berg linker Hand einem oft den leidigen Satan.«

»Dich soll man auch nur im höchsten Notfall um Trost angehen«, brummte die alte Dame, mit einer abermaligen Vermahnung zum Langsamfahren und sonstiger Vorsicht den Kopf zurückziehend.

»Seien Sie ganz still, Frau Konrektorin«, rief ihr Fricke noch nach. »Ich kenne mich ja als befahrenen Kutscher an der Stelle! Wenn es zum Schlimmsten kömmt, lege ich uns ganz sanfte links hin an den Berg. Rechts herunter den Berg, Hals über Kopf in den Fallgrund paßt es mir selber weniger.«

Nun war Förster Rauhwedders Kreuz zu jeder Zeit ein bedenkliches Zeichen am Wege, für diesmal ein höchst bedenkliches.

Vor ungefähr fünfzehn Jahren war an dieser Stelle der reitende Förster Rauhwedder, von einem Wilddieb erschossen, aufgefunden worden, und das hohe schwarze Gedenkzeichen reckte an dem Mordort immer noch seine unheimlichen Arme aus dem Gebüsch, das längst wieder den voreinst freigelegten Rundplatz überzogen hatte. Aber gerade dies halbe Versteckenspiel machte das Ding noch schreckhafter, und niemand aus der Gegend zog des Weges hier, ohne unwillkürlich mit dem Blick zur Seite das Kreuz im Busch zu suchen, und sobald ers gefunden hatte, lieber doch gradaus zu sehen und an etwas anderes zu denken als an die greuliche, verjährte Untat.

»Nun muß mir auch das noch am Wege stehen!« seufzte Frau Ida Eckerbusch leise. »Ich für meine Person mache mir trotz hundert Horackers und der Abenddämmerung nicht das mindeste draus; was mich anbetrifft, so fahre ich mit ruhigem Gewissen durch jeglichen Wald voll Mörderkreuze, und wäre es selbst das neapolitanische Räubergebirge mit dem Namen wie ein Schnupfen – die Abruzzen meine ich. Aber die Kleine da, mit diesem abgeschmackten Horacker auf der Seele, hätte ich doch gern darüber weg. Nun, hoffentlich macht es sich durch rechtzeitige Geistesablenkung!«

»Fricke!« rief in dem nämlichen Moment der Herr Oberlehrer Neubauer, sich seinerseits aus dem Wagenfenster lehnend.

»Was steht Ihnen zu Befehl, Herr Doktor?«

»Sobald wir an der Mordstätte sind, ich meine an dem Denkmal jenes totgeschossenen Jägersmannes, so halten Sie freundlichst einen Augenblick –«

Mit einem leisen Jammerton sah die junge Frau die ältere Freundin an und faßte ihren Arm.

»Ich wünsche der Vorsicht wegen auszusteigen und neben dem Wagen herzugehen. Möglichenfalls, meine Damen, kann ich dann werktätiger zugreifen, wenn es sich darum handelt, dieses wirklich immer seltsamere Töne von sich gebende Fuhrwerk auf die linke oder rechte Seite zu legen. Begriffen, Kutscher?«

»Sehr wohl, Herr Doktor! Sehr schön, Herr Oberlehrer!« rief Fricke vom Bocke rückwärts; die Frau Konrektorin Eckerbusch aber, die während der letzten anderthalb Augenblicke vor Ärger und Entrüstung wortlos gesessen hatte, gewann es – das Wort nämlich – in verdoppelter Energie zurück.

»Nirgends wird angehalten! Niemand steigt aus! Hören Sie, Fricke? Verstehen Sie? Verstehen – Sie – mich?« rief sie aus ihrem Fenster. »Sie fahren zu und halten nicht eher als in Gansewinckel vor dem Pastorenhause. Haben Sie mich verstanden, Fricke? Den Wagen hier habe ich bestellt, und der Herr Oberlehrer bleibt auf seinem ihm angewiesenen Platze, ob die Karrete hinten oder vorn bricht, hinten oder vorn quiekt.«

»Sehr schön, Frau Konrektorin«, schnarrte Fricke zurück, und der Herr Oberlehrer blieb in der Tat sitzen, aber mit einem Gesicht, wie es Pallas Athene nur dem dümmsten seiner und ihrer Schulbuben im Stadium der alleräußersten Perplexität und Hirnleere verlieh.

»Aber meine Beste –«

»Jawohl, mein Guter, die ganze Welt hat mich bis jetzt als eine ausnehmend ruhige und phlegmatische Frau gekannt, und mein Mann hat mir nur deshalb allein den kribbligen Spitznamen ausgesucht; aber hier sollte ja selbst unser Vater im Himmel die Geduld verlieren. Weil mir das Kind da in seiner närrischen Angst halb vergeht, scheint Ihnen die Gelegenheit natürlich immer günstiger, sich Ihre frivolen Späße mit uns zu machen. Nicht wahr, am liebsten holten Sie Rauhwedders Kreuz uns in die Kutsche herein? O kommen Sie mir nur damit! Das sage ich Ihnen aber gleichfalls, Kollege Neubauer: wo die Güte und Barmherzigkeit aufhört, fängt der Witz noch lange nicht an, und wenn dieses eben ein Witz sein sollte, so haben dergleichen leider Gottes ziemlich viele Leute bei der Hand. Sie brauchen sich, das weiß der Himmel, nur ja nicht einzubilden, daß Sie allein mit einem Privilegium dazu begabt worden seien. Haben Sie mich verstanden, guter Doktor?«

Das war nun eine Frage! Der gute Doktor, der es sonst natürlich unter allen Umständen für sehr gemein hielt, zu pfeifen, pfiff leise die erste beste Melodie, die ihm zwischen die Zähne kam. Auf eine Antwort und genügende Rede zur Wahrung oder vielmehr zur Wiederaufrichtung seiner Würde und Selbstachtung besann er sich wiederum vergeblich. Die Frau Konrektorin Eckerbusch aber widmete sich für die nächste Viertelstunde einzig und allein ihrer Begleiterin.

»Kümmere dich nicht um das alberne Kreuz, Herz«, flüsterte sie. »Und um den nüchternen, frivolen Gesellen da auf dem Rücksitz noch weniger. Mit unsern Männern hat der selige Förster Rauhwedder nicht das geringste zu tun – den Bösewichtern werden wir in einem Stündchen schon selber ihr Kreuz nach Gebühr aufladen. Den Neubauer aber hat mir die Rachegöttin in Person in diese unsere Grüngelbe gesetzt; auf die Gelegenheit, ihn so mir gegenüberzuhaben, habe ich schon lange gepaßt. Und wenn er von nun an auch meinetwegen mit verdoppeltem Hohn auf meines Alten Pensionierung wartet – es ist mir ganz einerlei! Laß ihn nur sich hinsetzen auf unsern Stuhl! Laß ihn nur nach seinem Belieben fertig werden mit dem Konrektor Eckerbusch; mit der alten Eckerbuschin soll er fürs erste noch nicht fertig sein! Da schwatzen sie immer drauflos, daß der Schulmeister die Schlacht bei Königgrätz neulich gewonnen habe; aber nun frage ich dich, Hedwig: Welcher denn? Der alte oder der junge? Meines Wissens nach doch einzig und allein der alte!... Das soll sich erst ausweisen, was für ein Siegergeschlecht die neuen heraufziehen mit ihrem

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