Frei Lesen: Pfisters Mühle

Kostenlose Bücher und freie Werke

Kapitelübersicht

Erstes Blatt | Zweites Blatt | Drittes Blatt | Viertes Blatt | Fünftes Blatt | Sechstes Blatt | Siebentes Blatt | Achtes Blatt | Neuntes Blatt | Zehntes Blatt | Elftes Blatt | Zwölftes Blatt | Dreizehntes Blatt | Vierzehntes Blatt | Fünfzehntes Blatt | Sechzehntes Blatt | Siebzehntes Blatt | Achtzehntes Blatt | Neunzehntes Blatt | Zwanzigstes Blatt | Einundzwanzigstes Blatt | Zweiundzwanzigstes Blatt |

Weitere Werke von Wilhelm Raabe

Das Odfeld | Der Marsch nach Hause | Alte Nester | Abu Telfan | Der Hungerpastor |

Alle Werke von Wilhelm Raabe
Diese Seite bookmarken bei ...
del.icio.us Digg Furl Blinklist Technorati Yahoo My Web Google Bookmarks Spurl Mr.Wong Yigg


Dieses Werk (Pfisters Mühle) ausdrucken 'Pfisters Mühle' als PDF herunterladen

Wilhelm Raabe

Pfisters Mühle

Siebzehntes Blatt

eingestellt: 4.8.2007



Der Architekt für den neuen Fabrikbau an Stelle von Pfisters Mühle ist gar kein übler Mann, obgleich er keineswegs jenem berühmten Kollegen in den Wahlverwandtschaften gleicht und durchaus nicht »ein Jüngling im vollen Sinne des Worts« zu nennen ist, sondern als ein weniger wohlgebautes als wohlbeleibtes Individuum mit der Veranlagung zu einer Kümmelnase sich darstellt. In Berlin hat er den Doktor Asche kennengelernt, und in unserer Stadt, am entgegengesetzten Ende unserer Pappelallee, gehört Doctor juris Riechei zu seinen behaglichsten Bekanntschaften, und der Herr Baumeister weiß ganz genau anzugeben, weshalb es gar nicht anders möglich war, als daß jene beiden Herren sehr wohlhabende Leute wurden, »wahre Fettaugen auf unsern bekannten dünnen Bettelsuppen«.

»Es sind beide Phantasiemenschen«, meinte er, der Architekt, »aber alle zwei mit dem richtigen Blick und Griff fürs Praktische. Und, lieber Pfister und gnädige Frau - das Ideale im Praktischen! Das ist auch meine Devise. Verlassen Sie sich drauf, bester Doktor, Sie sollen auch noch Ihre Freude an dieser Stelle erleben, wenn Sie uns - mir noch einmal mit der Frau Gemahlin übers Jahr hier das Vergnügen Ihres Besuches schenken wollen. Das Schöne, das Großartige im innigen Verein mit dem Nützlichen! So hälts auch unser gemeinschaftlicher Freund Asche, den ich, wie gesagt, ebenfalls in seinen Anfängen kannte. Und Sie, Pfister, konnten gar nichts Gescheiteres tun, als Ihr an hiesiger Stelle überflüssig und nutzlos gewordenes Kapital in seinem Unternehmen anzulegen. Gigantisch - einfach gigantisch das! Und daneben - in feinster Renaissance dieses Lippoldesheim! Wundervoll!... Nun, ohne mir schmeicheln zu wollen, wir werden jedenfalls unser Bestes tun, unsere Gesellschaft und ich, Ihnen etwas ähnlich Imponierendes auch hier auf Ihres seligen Papas idyllisches Besitztum hinzustellen. Wir verlassen uns fest darauf, daß Sie sich die Geschichte übers Jahr wenigstens mal flüchtig ansehen.«

»Wenn es mir möglich ist«, sagte ich müde. Der Architekt mit dem Zirkel in der Hand und der Bleifeder im Munde beugte sich von neuem über seinen in meines Vaters leerem Gastzimmer ausgebreiteten Plan, indem er meine Frau, soweit ihm das möglich war, tiefer sowohl in das Ideale wie das Praktische, das Schöne wie das Nützliche, das Grandiose, das Imponierende und das Idyllische desselben mit sich zog.

»Ich komme gleich wieder heraus unter die Bäume, Ebert« sagte Emmy über die Schulter; und unter den Bäumen und zwischen den Schubkarren hatte ich eine geraume Zeit allein für mich mit der erloschenen Zigarre zwischen den Zähnen auf und ab zu wandeln, ehe sich mein Weib wieder zu mir fand. -

Es läßt sich nicht leugnen, großartig ist das wasserverderbende Geschäft am Ufer der Spree, in welchem Freund Adam heute als leitende Seele waltet; als Fräulein Albertine mich mit ihrer Bestellung zu dem Phantasiemenschen mit dem merkwürdigen Blick fürs Praktische schickte, traf ich ihn freilich noch auf den unteren Stufen der Leiter des Glücks, aber doch schon im Begriff, drei Staffeln für eine nach der Höhe hinauf zu nehmen.

Nun kam es mir zutage, weshalb er sich vordem so eingehend mit der schmutzigen Wäsche des Ödfeldes im allgemeinen und der Schlehengasse im besonderen beschäftigt hatte. Schmurky und Kompanie hieß die Firma, unter der er augenblicklich noch seine wissenschaftlichen Erfahrungen im Fleckenreinigen im großen genial zur Geltung brachte. Und wenn er selber in der umfangreichen Stadt Berlin noch etwas schwierig zu finden war, so fand ich Schmurky und Kompanie doch sofort und mich, grade wie bei Krickerode, vor gotischen Toren und Mauern, hinter denen sich ganz etwas anderes tummelte als Ritter, Knappen, Edelfräulein, Falkoniere und Streitrosse.

Betäubt schon durch die sonstigen Erlebnisse meines ersten Tages in der Hauptstadt wurde ich willenlos, vom Türhüter aus, sozusagen von Hand zu Hand weitergegeben, und zwar durch den größten Tumult und die übelsten Gerüche, die jemals menschliche Sinne überwältigt hatten. Über Höfe und durch Säle - wie selber erfaßt und fortgewirbelt von dem großen Motor, dem Dampfe, der um mich her die Maschinen - Zentrifugalen, Appreturzylinder, Rollpressen, Kalander, Imprägnier-, Kräusel-, Heft-, Näh- und Plisseemaschinen - in Bewegung setzte, taumelte ich; - durch Wohldüfte, gegen welche meines Vaters Bach in seinen schlimmsten Tagen, gegen welche die Waschküchen und sonstigen Ausdünstungen der Schlehenstraße im Ödfelde gar nichts bedeuteten, mußte ich; - und in einem von dem ärgsten Getöse nur durch eine dünne Wand geschiedenen Raum fand ich den Freund, nicht mehr über Olgas Unterrock, sondern über ein zahlen-, buchstaben- und formeln-bedecktes Papierblatt mit seinem Leibe und seiner Seele, mit all seinem Wissen und Können gebeugt und - richtete ihm Albertine Lippoldes Bestellung aus!... Ich darf ihm aber das Zeugnis geben, daß er alles ihm eben Vorliegende beiseite und über den Haufen warf, als die letzte führende Hand mich ihm in das Allerheiligste seiner großen - chemischen Waschanstalt schob. -

»Mein Telemachos!..... Ebert - mein Sohn Ebert Pfister von Pfisters Mühle!..... Bengel - Knabe - Jüngling, welch ein Hauch und Licht aus bessern, besten Tagen! Was zum Henker, richtig - seit nem halben Jahre schon angemeldet hier im Morast, im Pechsumpf, in Malebolge. Na, so kann ich dir nur wiederum raten, stehe nicht so dumm da, sondern stürze in meine Arme, Kind.«

Ich stürzte, warf mich in seine Arme, das heißt, wir schüttelten herzhaft und mit wahrhaftiger Freude einander die Hände, und dann zog mein Exmentor vor allen Dingen seinen Rock an und meinte:

»Du kommst im Fleisch aus einem Reiche, in dem ich mich eben im Traum temporär aufhielt. Du wirst mir allerlei erzählen wollen, und wir können dann ja unsere Notizen vergleichen. Gefrühstückt wirst du haben, zum Mittagessen fahren wir in die Stadt - vor dem verdammten Gelärm nebenan hört man sein eigen Wort nicht und noch weniger das eines andern: vielleicht würdest du vorziehen, bei etwas geringerem Getöse und etwas reinerer Luft von euch zu berichten?«

»Ja, es riecht hier in der Tat wie bei uns im Winter nach allerlei, aber vorzüglich nach Benzin, wie damals in deiner Schlehengasse.«

»In der Tat? Merkst du das wirklich?« schmunzelte Asche geschmeichelt. »Benzin! Grandioser Fortschritt, riesige Errungenschaften, stupifizierende Neuerungen! Ich hoffe, dir an deiner eigenen Garderobe demnächst zu beweisen, welche Gigantenschritte wir auf dem Wege zur höchstmöglichen Vollkommenheit in unserm Fache gemacht haben! Dreh dich mal um; - wie wärs, wenn du auf der Stelle deinen Rock auszögest und ihn in jene Klappe reichtest? Wir stellen dir sofort die allein aus dem Kragen extrahierten Fetteile als Rosenpomade und Kokusnußölsodaseife wieder zu! Du möchtest lieber nicht? Nun, so rede mir jedenfalls mit Achtung von allem bei siebenzig bis hundert Grad destillierendem flüssigen Kohlenwasserstoff; aber da die Verwendung desselben freilich mit einigem Lärm verknüpft ist, so komm mit. Wandeln wir auch hier ein wenig an unserm Wasserlauf auf und ab, denke dich völlig nach Pfisters Mühle und erzähle mir so viel als möglich von - euch!

Er führte mich durch eine zweite Tür seines Arbeitsgemachs merkwürdigerweise durch ein von gotischen Kreuzgängen im Viereck umgebenes Klostergärtchen in einen andern Korridor, zu einem andern Flügel des ungeistlichen Fabrikgebäudekomplexes und von da aus platt auf die Landstraße an der, wie es schien, halb ohnmächtig vor Ekel auf niedergetretenen »Parisern« gen Spandau schlurfenden Spree.

»Es hindert dich durchaus nichts, dir einzubilden, wir schritten wiederum still und friedlich, wenn auch mit einiger Sehnsucht nach der Ferne, an den Bächen deiner Heimat. Nun singe mir dein Lied von Pfisters Mühle! Was macht der alte Herr? Gedenkt die Jungfer Christine meiner noch mit dem alten Wohlwollen? Und vor allen Dingen, wie steht der große Prozeß Pfisters Mühle gegen Krickerode?«

Ich dankte für alle diese gütigen Nachfragen und war aus Bedürfnis ziemlich ausführlich. Mein Exmentor nahm alles mit Gleichmut hin und machte mir den Eindruck, als ob er stellenweise bei meinem Berichte abwesend sei, und zwar in dem kleinen Kabinett, dem Maschinenlärm, dem destillierten Kohlenwasserstoff und über den Bogen mit den Zahlen, Buchstaben, Formeln und Figuren von Schmurky und Kompanie auf der andern Seite der Straße.

»Und dann habe ich zuletzt noch eine Bestellung an dich, Asche.«

»Die wäre?... Schwach opalisierend... nicht flüchtige Substanzen... 11,36 Prozent Chlor - du weißt, wie du mir durch die kleinste Notiz aus dem alten, lieben Leben das Herz erregst -«

»Von Fräulein Albertine Lippoldes nämlich.«

Da tat der Mann an meiner Seite und am Ufer des graufarbigen Stromes einen Schritt zur Seite, um mich besser ansehen zu können. Er packte mich auch am Arm, und zwar gar nicht sanft, und schnarrte:

»Was sagst du? Was hat sie gesagt? Was hatte sie mir durch dich dummen Jungen zu bestellen? Menschenkind, bei den unzählbaren Wohltaten, die ich dir vordem erwiesen habe -«

»Sie läßt dir sagen, Adam - o, ich wollte, ich könnte dir malen, wie sie dabei aussah -«

»Gar nicht nötig; aber ich tauche dich sofort dort in die schleichende Brühe, wenn du mir das Geringste von dem Deinigen zu ihrer Meinung tust!«

»Nun, sie läßt dir, zitternd, ich weiß nicht, ob vor Verdruß oder Unglück, aber jedenfalls mit verschluckten Tränen bestellen, daß sie dir von Herzen dankbar sei, daß du aber doch lieber unterlassen mögest, sie ferner so sehr zu kränken. Sie wisse noch das Mitleid von der Anerkennung zu unterscheiden, aber ihr Papa nicht mehr. Und sie sagt, daß es sie recht elend mache, dir auch noch und nicht bloß meinem Vater und anderen verpflichtet zu werden. Wir standen an der Hecke, grade an der Stelle, wo du die erste Flasche aus Samses Flaschenkorb mit dem Wasser aus Krickerode fülltest; und sie, wie gesagt, mit Frösteln, und ich weiß nicht, ob sehr zornig auf dich oder sehr dankbar. Dann fing es wieder an zu regnen, und sie ging auf unsichern Füßen nach Hause, grade wie an dem Morgen, wo du mit uns ihr so zweifelhaft nachsahst, nachdem ihr Vater uns zum Frühstück eingeladen hatte. Und den Papa Lippoldes habe ich kurz vor meiner Abreise auch noch gesprochen, und zwar im Blauen Bock. Du seist sein letzter und einzigster Trost, läßt er dir bestellen, und er halte dich auch für den einzigen, der ihn je begriffen, verstanden und vor allem seinen ›Eulogius Schneider‹ gewürdigt habe, und die Nachwelt werde das dir anerkennen, und er werde in seinem literarischen Nachlaß auch auf dich hinweisen und dich in das Gedächtnis des kommenden Menschengeschlechts mit hinübernehmen.«

»Den lauten, schreiigen Hals hätte man dem Narren bei seiner Geburt umdrehen sollen. Das wäre eine Wohltat für mich, für ihn und für die Welt und Nachwelt gewesen! Zum Henker mit seinem Bombast, Quark und quäkigen Egoismus. Na, die Seife, die ich mir daraus koche! Ebert Pfister, mein lieber Sohn, du wirst heute und noch manch ein andermal mein Gast sein, aber den Appetit hast du mir für diesmal gründlich verdorben. Komm mit und laß sehen, wo du in dem räudigen Nest dort unter der Rauchwolke untergekrochen bist. Es ist mir ein Trost, daß ich wenigstens dich aus den alten, besseren Tagen wieder in der Nähe habe. Daß ich mein Mentoramt unter veränderten Umständen hie und da von neuem aufnehme, wird dich nicht hindern, deine eigenen Wege zu gehen. Hm, diese albernen, braven Frauenzimmer - diese Weiber - diese dummen, guten Mädchen mit ihren verschluckten Tränen und - sonstigem Unsinn. O Krickerode, Felix Lippoldes und Pfisters Mühle - o Schmurky und Kompanie!«

Das letztere murrte er kaum verständlich in sich hinein. Wir fuhren sodann in die Stadt, und der Freund machte sein Wort gleich wahr und nahm seine Mentorschaft mit der alten, närrisch versteckten Hingebung auf. Er führte mich auch in seine dermalige Privatwohnung, die sich um ein beträchtliches in Ansehung menschlichen Behagens von der in der Schlehenstraße unterschied. Ich ließ einige Bemerkungen darüber fallen, in wie verhältnismäßig kurzer Zeit jeglicher Duft und Schein von Vagabundentum um ihn her verschwunden sei, und er meinte ruhig:

»Es ist besser, nie und nirgend zu laut von dem zu reden, was man auf der Spindel hat. Merke dir das für kommende, verständigere Jahre, Kind. Beiläufig, du wirst wahrscheinlich bald nach Hause schreiben, um deine glückliche Ankunft und deinen ersten Eindruck hier zu melden?«

»Ich täte jedenfalls meinem Vater eine Liebe damit.«

»Dann tue sie ihm ja, und von mir laß einfließen, du habest deine Botschaft richtig ausgerichtet.«

»Weiter nichts, Asche?«

»Stelle keine überflüssigen Fragen in betreff der Schicksale anderer an die Zukunft, sondern beschäftige dich fürs erste möglichst intensiv mit dem, was vor deiner eigenen Nase liegt, vir juvenis.« - - -

»Du, dem Herrn Baumeister seine neue Anlage imponiert mir aber doch wirklich sehr!« sagte Emmy, unter den Kastanien von Pfisters Mühle wieder ihren Arm in den meinigen hängend.

< Sechzehntes Blatt
Achtzehntes Blatt >



Die Inhalte dieser Seite sind Eigentum der Öffentlichkeit.
Sollten trotzdem Urheberrechte entgegen unserem Wissen verletzt worden sein, bitten wir Sie mit uns Kontakt aufzunehmen.