Frei Lesen: Pfisters Mühle

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Wilhelm Raabe

Pfisters Mühle

Achtzehntes Blatt

eingestellt: 4.8.2007

Ausführlicher über Jungfer Christine Voigt

»Es ist doch heute eigentlich recht sonderbar, daß du so lange dich in Berlin aufhieltest, ohne daß ich eine Ahnung davon hatte und wahrscheinlich auch ohne daß wir uns je einmal auf unsern Schulwegen begegneten«, sagte Emmy.

»Einige Semester war ich ja auch auf andern Schulen«, meinte ich. »Aber -«

»Aber das Schicksal legte es dir doch vor die Nase, daß es in Berlin am besten für dich zum Studieren sei - was?«

Es ging nicht anders; ich mußte dem Kinde mit einem Kuß die Versicherung geben, daß sie wie in vielen andern Sachen meines Lebens, so auch in diesem Dinge vollständig recht habe. Das geschah in unserm Stübchen unterm Dach, während es draußen wieder einmal regnete, und unter den ersten Vorbereitungen zum Packen und zur Abfahrt von Pfisters Mühle.

Die Zeichen, daß unsere flüchtige Sommerlust hier zu Ende sei, mehrten sich zu sehr. Der Architekt in der Gaststube unter uns pfiff Tag für Tag über seinen Plänen das Beliebteste aus den neuesten Sommertheateroperetten. Bruchsteine wurden ununterbrochen angefahren und in Quadraten aufgeschichtet. Es war ein ewiges Kommen und Gehen, Schimpfen und Lärmen von allerlei Volk, und meine alte Christine war zu nichts mehr zu gebrauchen in der alten, verlorenen Mühle!...

Ach, es ist eigentlich viel zu wenig die Rede gewesen in diesen Blättern von der alten Christine. Ach, wenn was mit in die Bilder gehörte, die ich hier von Pfisters gewesener Mühle malte, so ist das meine arme, greise, liebe Wärterin und Pflegemutter, so ist das die harte, arbeitsselige Hand, die traute, treue, weibliche Seele von meines Vaters Haus und Hof, Küche und Keller, Feld und Garten, die letzte »schöne Müllermaid« des Ortes.

Ich hatte Latein, Griechisch, moderne Sprachen und sonst allerlei erlernt. Ich war in Berlin, Jena und Heidelberg auf Schulen gewesen und auch sonst noch ein gut Stück in die Welt hinein, in Ländern, wo Menschen die modernen Sprachen zum Hausgebrauch haben. Ich hatte mir ein ander Hauswesen in der großen Stadt Berlin gegründet und ein jung Weib hineingenommen - und ich und mein Weib, wir waren, wenn ich gleich der juristisch unanfechtbare Erbe meines Vaters war, doch nur die letzten Gäste, wenn auch Stammgäste, von Pfisters Mühle.

Aber die alte Christine hatte nichts weiter in der Welt gehabt und kannte nichts weiter als die Mühle, und so hatte sie nun, da es bitterer, blutiger Ernst auch mit ihrem Abschiednehmen wurde, so ziemlich alles verloren, und wenn ein Mensch in der Wüste um sie her sanft und vorsichtig mit ihr umgehen mußte, so war ich das - ich, Ebert Pfister, meines verstorbenen Vaters Sohn und Erbe.

Nun waren die Tage, wo ich sie hier und da sitzend fand, zusammengekauert auf einer Treppenstufe, in einer Bodenkammer, am leeren Mühlkasten oder am Fluß, trotz des warmen Sommers fröstelnd, die beschäftigungslosen Hände in die Schürze gewickelt. So manches Jahr durch hatte sie die lustigen Bänke und Tische unter den Kastanien ihres Meisters fröhlichen Gästen überlassen: jetzt hatte sie dieselben für sich allein, und so fand ich sie eben wieder auf einem der Sitze in einer der Lauben am Bach, während der linde Sommerschauer leise auf das dichte Blätterdach niederrieselte.

Und den schweren, alten Kopf mit beiden Händen fassend und den Oberkörper in Angst und Ruhelosigkeit hin- und herwiegend, schluchzte sie, als ich zu ihr trat:

»O Ebert, daß ich das auszustehen habe! Daß ich dieses erleben muß!...«

»Da öffnet sich ein Fensterlein,
Das einzige noch ganze,
Ein schönes, bleiches Mägdelein
Zeigt sich im Mondenglanze
Und ruft vernehmlich durchs Gebraus
Mit süßer Stimme Klang hinaus:
Nun habt ihr doch, ihr Leute,
Genug des Mehls für heute!«

so summte es mir schauerlich aus dem Liede des untergegangenen Dichters, aus der schönen Allegorie, in der sich Gleichnis und Dichtung so vollkommen decken, durch den Sinn. In seinem Liede meint der Sänger mit dem bleichen, schönen Mädchen die Poesie selber, die ihre Mühle im romantischen Walde in die Hand der Tagesspekulanten übergehen sieht; und ich bin Philologe genug, um mich hier darüber auszulassen, aber ich war auch Poet genug, um auch bei grauem Tageshimmel und leisem Regenfall den wundervollen, innersten Herzschlag des Erdenlebens da zu erhorchen, von wo er mir in diesem Augenblicke wirklich herklang. Ich hielt die dürre, harte Hand, ließ das trostlose Greisenhaupt an meiner Schulter lehnen und horchte kaum hin, als hinter uns in Pfisters Mühle sich eines der heute noch ganzen Fenster öffnete und mein junges, rosiges Mägdelein sich vorbeugte und rief.

»Aber Kinder, ihr werdet ja bis auf die Haut naß bei dem Regen. Was sitzt ihr denn da auf der Bank am Wasser und rührt euch seit einer halben Stunde nicht?«

Ich hatte während dieser halben Stunde das alte Weiblein neben mir zu trösten gesucht, so gut ich konnte, und was das Naßwerden betraf, so boten ja an diesem Abend noch die alten Bäume ihren Schutz der Poesie und dem juridischen Rechtsnachfolger in Pfisters Mühle.

»O Ebert, laß mich hier! Ich möchte doch hierbleiben und mich in den Grund, den sie übermorgen ausheben wollen, verschaufeln lassen! In meiner Kinderzeit erzählten sie, daß sie immer ein lebendiges Kind mit vermauert hätten, um ein festes Haus zu haben: ich möchte mich nun als ein altes Weib mit vergraben lassen, um ihnen allmählich an ihrem Mauerwerk zu rütteln. Ach Ebert, lieber Ebert, so habe ich es mir doch nicht vorgestellt, und überleben tu ich es nicht und will es auch nicht!«

»Samse hat es aber ja auch überlebt, arme, liebe Christine.«

»Ja, der auch! Aber dein seliger Vater nicht! Und dem wurde ja noch nicht einmal das Dach über dem Kopfe und der Boden unter den Füßen weggerissen, sondern er hatte nur seinen Ärger und Kummer an den bösen Gerüchen von Krickerode und unseres Doktor Asches dummen Pilzen mit den grausamen lateinischen Namen.«

»Christine, es müssen die Menschen so vieles ertragen und kommen mit ihren Schmerzen durch. Denke nur an Fräulein Albertine, unsre liebe Freundin, wie schlimm es der in Pfisters Mühle und mit Pfisters Mühlwasser ging und was sie Schreckliches dadurch erlebte, und nun wohnt sie ja auch in Berlin, und es geht ihr dort recht gut, und du wirst viel Vergnügen an ihren hübschen, gesunden Kindern haben, und - höre, Christine, wir, als wie Emmy und ich, wir können dich ja gar nicht entbehren in unserer jungen, unerfahrenen Haushaltung! Hast mich ja von meiner Mutter Armen genommen und großgepäppelt, und - wer weiß, was die Familie Pfister in dieser Hinsicht noch alles von dir erwartet, und wer alles auf deine Gegenwart an seiner Wiege fest rechnet!«

Ich mochte wohl die richtige Saite in der Alten betrübtem Gemüte angeschlagen haben. Sie trocknete sich die Tränen mit der Schürze ab und seufzte und rückte sich zurecht auf der Bank. Der Regen rauschte immer heftiger auf unser Blätterschutzdach nieder und fing doch an nun durchzuschlagen.

»Wir werden wirklich wohl noch naß, wenn wir noch länger hier sitzenbleiben, Ebert. Und dein kleines Frauchen wird wunders denken, was für Geheimnisse wir uns hier anzuvertrauen haben. Und das, was du eben von Fräulein Albertine gesagt hast, hat ja leider seine Berechtigung. Viel Schmerz und Elend seit, wie sie sagen, manchen hundert Jahren hat Pfisters Mühle auch gesehen, trotz aller Lust und guter Kost und Liedersingen und Gläseranklingen rundum. O Gott ja, es ist dies ja derselbige Ort, wo wir ihn fanden, den armen Herrn! Dort der Busch halb im Wasser, an dem er sich gefangen hatte, ist auch noch vorhanden, und hier in diese Laube zogen ihn dein seliger Vater und Doktor Asche zuerst, nachdem sie ihn aus dem Wasser gezogen hatten. Und hier zu unsern Füßen lag er, bis Samse und die Knappen kamen, um ihn in die Gaststube tragen zu helfen. Gütiger Himmel der Gast da und der Abend und die Nacht und die darauffolgenden Tage könnten einen freilich schon mit dem Abbruch von Pfisters Mühle aussöhnen! Hast du denn eigentlich deiner kleinen Frau schon das Nähere davon erzählt, wie es kam, daß der berühmte Herr Doktor Lippoldes von unserer Wirtschaft aus begraben wurde, und wie es kam, daß Fräulein Albertine von der Mühle aus Hochzeit machte?«

Ich schüttelte den Kopf:

»Wir sind hier in der Sommerfrische, wie man das in der Stadt nennt, gewesen, Christine. Ich habe Emmy hergebracht, um ihr die Sonne, die Bäume, die Wiesen und den Bach von Pfisters Mühle und meiner Jugend noch zu zeigen. Sie würde nicht so harmlos und vergnüglich diese Wochen durch in der für sie doch schon so sonderbaren Mühle gewohnt haben, wenn ihr dieses Trauerspiel drin gespukt hätte. Aber unsere Zeit hier zählt ja nun nur noch nach Stunden. Das Kind wird nicht fortgehen, ohne auch dieses Letzte von dem guten, alten Hause und Garten an Ort und Stelle zu wissen bekommen zu haben.«

»Es gehört auch wohl dazu«, meinte die Greisin, und dann liefen wir doch ein wenig, um das altersschwarze Ziegeldach unseres verlorenen Erbes zwischen uns und den feuchten Segen vom Himmel zu bringen. -

Gegen sechs Uhr hörte es auf mit diesem Segen, und die Abendsonne kam herrlich hervor. Es war zwar ein wenig naß auf den Wegen um das Dorf, aber die Chaussee nach der Stadt binnen kurzem wieder vollkommen trocken. Dorthin richteten wir unsern Abendspaziergang, allen Lustwandlern, die aus der Stadt kamen. entgegen. Es begegnete uns der Architekt, diesmal in Begleitung einiger der vermöglichen Herren, die das neue, »lukrativere, zeitgemäßere« Unternehmen an Stelle von meines Vaters Haus aufrichten wollten. Selbstverständlich standen wir einige Augenblicke zusammen, die gebräuchlichen Höflichkeiten auszutauschen.

»Es tut uns wirklich sehr leid, die Frau Doktor nunmehr aus ihrer hiesigen, hoffentlich recht heitern Dorfgeschichte mit feurigem Schwert vertreiben zu müssen«, sagte freundlich einer der Herren. »Aber da wir vor Herbstes Ende das Etablissement jedenfalls bis unter Dach in die Höhe zu bringen haben, so läßt sich die Sache leider nicht anders einrichten, gnädige Frau.«

»O wir sind ganz bereit, Ihnen den Platz auch ohne Ihr feuriges Schwert, Herr Stadtrat, zu räumen!« rief meine gnädige Frau fröhlich. »Schon heute habe ich alle unsere Siebensachen so ziemlich gepackt, und es war wirklich sehr hübsch und behaglich, und ich sage Ihnen, und auch sicherlich im Namen meines Mannes, unsern besten Dank für diese angenehmen Wochen. Und so ruhig!... und so gesund!... Ich bin ganz gewiß dieses Jahr viel lieber in Ihrer Mühle als in Thüringen, im Harz oder in der Ramsau gewesen. Das Wetter war ja auch meistens ganz prächtig, und, Herr Baumeister, wenn Sie wieder einmal nach Berlin kommen, müssen Sie jetzt auch uns jedenfalls in unserm dortigen Heimwesen aufsuchen.«

»Werde gewiß nicht verfehlen, gnädige Frau«, sagte der Herr Baumeister.

Sie wanderten weiter nach ihrer Mühle, wir gingen in die Stadt, um einige Einkäufe zu machen. Auf dem Heimwege begegneten wir einander nochmals in der Dämmerung, grüßten uns jedoch bloß, ohne uns nochmals miteinander aufzuhalten. Emmy meinte:

»Es sind doch recht nette Leute, und es freut mich, daß ich nun in Berlin doch wissen werde, wer eigentlich hier sitzt und deiner oder unserer lieben, kuriosen Mühle ein Ende gemacht hat.«

»Mich auch!« seufzte ich. -

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