Frei Lesen: Pfisters Mühle

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Wilhelm Raabe

Pfisters Mühle

Zwanzigstes Blatt

eingestellt: 4.8.2007



Es ist in Wahrheit ein Sommerferienheft, zu dessen losen Blättern ich jetzt die letzten zusammensuche, ehe ich es mit einem blauen Umschlag versehe, zusammenrolle, von meiner jungen Hausehre ein rotes Bändchen drumbinden lasse und es in die tiefsten Tiefen meines Hausarchivs versenke. Wie ist das Gekritzel zusammengekommen? Die Buchstaben, die Kleckse, die Gedankenstriche und Ausrufungszeichen müssen selber ihr blaues Wunder in der Dunkelheit ihrer Truhe unter meinem Schreibtisch in der großen Stadt Berlin haben! Das wurde unterm Dach geschrieben, das unterm Busch auf der Wiese; auf diese Seite fiel der helle, heiße Julisonnenschein, hier ist die Schrift ineinander geflossen und trägt, solange das Papier halten will, die Spuren, daß das Ding mit Not aus einem plötzlichen Platzregenschauer in Emmys Handkörbchen gerettet wurde. Gar glatt liegen die Bogen nicht aufeinander; der Wind hat dann und wann allzu lustig damit gespielt; und - hier ist eine Seite, auf der ich alles mitnehme, was mir von dem Erdboden auf meines Vaters Erbe übriggeblieben ist. Der Wind trieb es vor sich her durch Vater Pfisters Mühlgarten, und ich hatte ihm lange genug um die Kastanienbäume nachzujagen, bis ich es unter der letzten Bank am Wasser wiedererhaschte.

Wo bleiben alle die Bilder?

Wie ich die Sache im »Spiel der Gedanken« angefangen habe, so muß ich sie nun beenden, und der bitterste Ernst wird sich auch auf diesen letzten Blättern in die seltsame Form finden müssen, welche ihm nur eine solche ungewöhnliche Sommerfrische geben konnte.

Die Morgensonne, auf welche uns Jungfer Christine hingewiesen hatte, fiel lachend in unser Gemach, und wir hatten den letzten Tag unseres Aufenthalts in Pfisters Mühle vor uns. Noch einmal diese Welt in voller Schöne!

Der nächste Morgen sah uns mit unseren kuriosen Vagabunden-Haushalts-Habseligkeiten auf der Fahrt, zurück in den Alltag, zu dem »eigenen Herd«, den lateinischen Exerzitien und regelrechten deutschen Aufsätzen - kurz, allen normalen Stilübungen und soliden Lebensbedingungen, und wie Emmy sich ganz richtig ausdrückte, zu »unserm jetzigen eigentlichen Dasein auf dieser Erde«. Es ging nicht, es ging nicht an, es war eine Unmöglichkeit, diesen letzten Heimatsonnentag, wie ich es mir vorgenommen hatte, ganz den vergangenen, verblichenen Bildern zu widmen! Blieb uns doch auch noch der letzte Abend, wenn nichts dazwischen kam und mich hinderte, die Geschichten vom Ausgang von Pfisters Mühle meiner Frau zu Ende zu erzählen.

Es ging, solange diese letzte Sonne mir über meines Vaters Hause stand, nicht an, von neuem mit Adam Asche nach dem Hut in der trüben Schlammflut von Vater Pfisters Mühlwasser fischen zu gehen. Emmy kannte ein Gehölz, wo »wundervoller Efeu« wuchs, und wir waren schon im Tau dort, einen Busch mit Wurzeln für unsern Fenstergarten in Berlin auszugraben.

»Laß es mit Albertines armem Papa, bis wir zum letztenmal wieder zu Tisch hier nach Hause kommen«, meinte das Kind. »Dieser Morgen ist noch einmal zu wonnig und die Geschichte zu traurig. O, und ich hoffe, dies soll anwachsen, und dann ziehen wir die Ranken um deinen dummen, langweiligen Schreibtisch und haben so immer etwas Grünes aus deiner so lustigen und traurigen Heimat und von deines Vaters Mühle um uns; und ich werde dabei ganz gewiß noch manch liebes Mal an diese im ganzen doch so reizenden Wochen hier denken.«

Wir kamen mit dem Busch nach Hause, das heißt diesmal noch nach Pfisters Mühle heim und fanden den Garten voll Lärm und Gezänk und den Architekten sehr erbost inmitten seiner Fuhrleute und Bauführer. Wie war es da möglich, unter den Kastanien, selbst auf der entlegensten Bank, zu einem stillen, letzten Worte über die vergangenen Bilder des Ortes zu gelangen? Der Nachmittag wäre vielleicht geeignet gewesen, doch den verschlief mein Weibchen, ermüdet von dem frühen Ausflug in den Wald, vom Blumenpflücken und Efeuausgraben, zum größten Teil.

So blieb uns nur der letzte Abend in Pfisters Mühle übrig, wenn nicht wiederum etwas dazwischen gekommen wäre; nämlich gegen fünf Uhr ein Billett vom Doktor Riechei, der sich darin, wie er sich ausdrückte, uns zur Gesellschaft für die uns vielleicht sonst ziemlich ungemütlichen, letzten Stunden auf Vater Pfisters vielbedrängtem und seinerzeit glorreich in integrum restituiertem Erbe anmeldete.

»Famos!« meinte der Baumeister. »Da bleibe ich auch! Und das beste ist in diesem Falle, da hier doch wohl schon Schmalhans ein wenig Küchenmeister ist, wir machen ein Picknick draus, Frau Doktor. Ich jage einen Boten in die Stadt mit einer Notiz an unsern Advocatus diaboli, einen anständigen Tropfen mit herauszubringen. Im übrigen begnügen wir uns mit dem, was das Dorf liefert, und damit werden sich die gnädige Frau und Jungfer Christine gern beschäftigen. So, meine ich, kann Ihnen, lieber Eberhard, der Seiger allhier die letzten Sandkörner noch am behaglichsten ausrinnen lassen. Morgen, wenn Sie und Frau Gemahlin uns verlassen haben, werde ich die Uhr sofort umkehren, und der Sand mag von neuem laufen; - und aber nach fünfhundert Jahren will ich desselbigen Weges fahren. So sagt ja wohl der selige Rückert?«

»So sagt er!« sagte ich. -

Wie hatte ich mich im tiefsten Grunde meines Herzens vor diesem allerletzten Abend unter dem Dache meines Vaters und meiner Väter gefürchtet! Und nun war er da und ging vorüber in der trivialsten Weise, bei der angenehmsten, aber auch allergewöhnlichsten Unterhaltung. Die beiden Herren, meine sehr guten Freunde, taten das Ihrige, daß das kuriose Abschiedspicknick so vergnüglich als möglich ausfiel. Sonst begnügten sie sich gern mit dem, was wir zu geben hatten, und waren vor allen Dingen noch mal gesprächig heiter in der Gewißheit, daß ich damals doch ein recht gutes Geschäft bei dem Verkauf von meines Vaters Anwesen gemacht hätte und daß ich, eins ins andere genommen, heute im innersten Gemüte herzlich froh sei, es von der Seele und aus der Hand los zu sein. Die Bereitwilligkeit des »Konsortiums«, mir und meiner Frau noch einmal einige Wochen einer vergnügten Villeggiatura in Pfisters Mühle zu gestatten, wurde denn auch von mir von neuem gebührend anerkannt und von Emmy auch sehr gewürdigt. Dann redeten wir Bismarck, Kulturkampf, soziale Frage und was sonst so dazu gehört, um einen Abschiedsabend unter guten Freunden hinzubringen, ohne zu sehr zu merken, wie die Zeit läuft.

Ich tat wahrlich nichts dazu, die Unterhaltung wieder auf Pfisters Mühle zu bringen. Die alten Baumkronen über unserm vergnügten, letzten Gartentisch waren auch ganz still. Viel Sterne flimmerten am dunkeln Himmel. Nicht der leiseste Lufthauch bewegte die Flamme unter der Glaskuppel unserer aus dem Dorfe entliehenen Lampe. Ich hörte in die Unterhaltung hinein wie in das Rauschen des Flusses, der immer noch von Krickerode herkam, aber nächste Woche schon zum letzten Male an Pfisters Mühle vorbeirauschen sollte.

»Das sind die Teutonen drüben in der neuen Schenke jenseits des Dorfes«, sagte Riechei. »Wie oft haben wir das hier unter diesen Bäumen - auch an diesem Tische - bei deinem Vater - dem guten, alten Vater Pfister - gesungen, Ebert -

›Und dem Wandersmann erscheinen
Auf den altbemoosten Steinen
Oft Gestalten zart und mild!‹«

»Gaudeamus igitur«, summte der Architekt. »Krambambuli, das ist der Titel -

Die Mühlen können nichts erwerben,
Sobald das Wasser sie nicht treibt -«

Ich aber hielt es bei dem fernen Singen der alten Couleur und bei dem nahen Potpourri des Baumeisters nicht länger aus in der Gemütlichkeit der Stunde. Ich schlich vom Tische dem Hause zu, wo auf dem Türtritt der alten Mühle, die das Wasser nicht mehr trieb, noch jemand kauerte und den letzten Abend auf Vater Pfisters Anwesen zu überwinden suchte.

Wenn sie nichts mehr im Hause zu schaffen und sorgen hatte und die Gartenbewirtung ihr ebenfalls freie Hand ließ, pflegte an schönen Abenden Christine Voigt immer da zu sitzen und die müden Hände in die Schürze zu wickeln. Und ich saß jetzt nieder zu ihr, wieder wie sonst als Kind und als Knabe, als das Lied von der Saale hellem Strande und das Gaudeamus noch unter unsern Kastanien im vollen Chor erklang und ich mit klopfendem Herzen horchte.

Nun hatte ich die alte, blaue Schürze der alten Pflegerin von den Augen zu ziehen:

»Mutter, wir bleiben ja zusammen!... Ich wollte mein Herzblut darum geben, wenn ichs hätte ändern können! Aber selbst der Vater sah es, daß es nicht anders ging, und es war so sein Wille, wie es gekommen ist heute! Er wußte es ja auch, daß wir noch übrigblieben und beieinander - auch in fremdem Lande, wo es auch sei!«

»Wohl bis zu Ende, wenn du mich mitnehmen willst, Ebert; aber, o Gott, wenn ich nicht gedächte, daß deine liebe Frau und du mich doch noch wenigstens als Aushülfe gebrauchen könntet, ließe ich mich am liebsten hier vergraben. Der Kirchhof, wo dein Vater und deine Mutter liegen, wäre mir nicht lieber.«

»Natürlich, hier sitzt er wieder bei seiner Alten, Frau Doktor!« rief Riechei, von dem Tisch am Wasser mit den Händen in den Hosentaschen auf uns zuschreitend, vergnüglich über die Schulter zurück. »Wenn ich an Ihrer Stelle wäre, Frau Pfister, würde ich doch allgemach ein wenig eifersüchtig. Na, wo steckst du denn, Pfister? Man vermißt dich ungewöhnlich lange mit deinem Pfropfenzieher. Den solltest du zum Angedenken an diese urgemütlichen Abschiedsstunden doch von deinem Reisegepäck zurück- und mit dem Grundstein von Neu-Pfisteria verscharren lassen. Ich werde dann jedenfalls eine vidimierte Abschrift des Schlußerkenntnisses in Sachen Vater Pfister contra Krickerode beilegen und der Baumeister dort seine Visitenkarte.«

»Geh nur hin, geh nur wieder zu deiner kleinen, guten Frau, Ebert«, flüsterte mir meine Pflegemutter zu. »Ja, der Meister, dein seliger Vater, hatte ganz recht, als er einsah, daß es nicht anders ging. Die Herren haben auch ganz recht, daß sie sich nicht mehr, als nötig ist, aus dem letzten Abend von Pfisters Mühle machen.«

Ich nahm ziemlich fest den lustig dargebotenen Arm des wohlberufenen Advokaten und rechtsgelehrten Beistandes und Siegers in unserem Prozeß gegen Krickerode -

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