Frei Lesen: Pfisters Mühle

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Wilhelm Raabe

Pfisters Mühle

Viertes Blatt

eingestellt: 4.8.2007



»Einen Augenblick, meine Herren, es wird frisch angestochen!« Ich höre den jovialen Ruf wie einer der durstigen Gäste im Garten, und ich bin zugleich auf dem kühlen, gewölbten Flur mit dabei als flachsköpfiger, dreikäsehoher Eingeborener von Pfisters Mühle und beobachte den Vorgang mit stets sich gleichbleibendem Interesse. Das geleerte Faß darf ich den Abhang hinter dem Haus hinab in den Schuppen zu den übrigen rollen, und das Gaudeamus igitur aus der großen Laube ist mir wie ein Gesang von der Wiege her. Seit Väterzeiten kennen wir, alle Pfister in der Mühle, das Kommersbuch auswendig, wenn ich gleich in neuester Zeit der einzige bin, der auch in andern Lauben, Gärten, Schenken und Mühlen mit Schankgerechtsame Gebrauch davon gemacht hat mit der Verbindungsmütze auf dem närrischen, heißen Kopfe und dem Schläger in der Faust.

Er setzte etwas auf seinen und seines Hauses und Gartens Ruf in der Welt, mein Vater! Fast alle unsere Wände waren mit den Verbindungsschildern, Silhouetten und Photographien seiner akademischen Freunde bedeckt, und für mein eigenes Leben sind seine Neigungen zu dem jungen gelehrten Volk und allem, was dazu gehört, von dem größesten Einfluß gewesen. Der Umgang mit den jungen (und auch den alten) Leuten, welche ihm die Stadt und die Universität tagtäglich herausschickten und in deren mehr oder weniger geräuschvolle Unterhaltung er gern auch sein Wort und seine Stimme dreingeben durfte, hatte ihm in betreff meiner wohl allerlei in die Phantasie gesetzt, was meinem Lebensgange jedenfalls eine andere Richtung gab, als Pfisters Mühle seit Generationen an ihren Erbeigentümern gewohnt war.

Ein weißlicher Müller und ein weiser Mann war er; aber alles auf einmal konnte auch er nicht bedenken und das einander Ausschließende miteinander in Gleichklang bringen. So trug denn auch er sein Teil der Schuld, daß der augenblicklich letzte Pfister nicht mehr als Müller auf Pfisters Mühle sitzt; und mein einziger Trost ist, daß der Alte, als er auf seinem Sterbebett zum letzten Male seinen Arm mir um den Nacken legte und mich zu sich niederzog, sagen durfte: »Ists nicht, als ob ichs vorausgerochen hätte, lieber Junge, als ich dich von der Gänseweide holte und mit der Nase ins Buch steckte? Die Welt wollte uns nicht mehr, wie wir waren, zu ihrem Nutzen und Vergnügen. Aufdrängen muß man sich keinem; und so ists wirklich am besten so geworden, wie es sich gemacht hat...«

Es war richtig; auf Schulen ging ich zwar schon, nämlich in die Dorfschule zum Kantor Busse, und am liebsten um den Kantor und die Schule herum, als er, Vater Pfister, mich auf dem Gänseanger nacktbeinig unter den übrigen flachsköpfigen Barfüßern herauslangte, mich am Kragen nach Hause führte und mich in genaueste wissenschaftliche Verbindung mit einem andern, etwas ältern und gebildeteren, verwahrlosten Menschenkinde brachte, das er gleichfalls am Kragen hielt, wenn auch mehr mittelbar, daß heißt infolge des Pumpes, den es seit längerer Zeit bei ihm angelegt hatte.

»Wenn Sie auf den Vertrag eingehen, Herr Asche, wird es vielleicht für beide Parteien ein gutes Abkommen sein, und dünner sollen Sie mir nicht dabei werden, wenn dies nicht so in Ihrer Natur liegt und die Weltregierung Sie nicht schwerer auf der Waagschale haben will, Adam«, sagte mein Vater.

Das aber ist die zweite Gestalt, die von Tisch und Bank, aus Licht und Schatten, aus alle dem Tumult, den Klängen und Studentenliedern um Pfisters Mühle sich loslöst und vertraulich-seltsam wie mit Stroh im Haar, wenn auch keineswegs im Kopfe, in diese Traumbilder hineinschlendert. Grade als habe auch sie bis jetzt den Tag auf der Gänseweide hingebracht oder noch bequemlicher, auf dem Rücken liegend zwischen den Roggengarben auf dem Felde jenseits der Uferweiden, des Entengeschnatters und des Mühlwasserrauschens von Pfisters Mühle.

»Können das Ding probieren, Vater Pfister! Geben Sie Ihren Bengel her. Werden ja bald erfahren, wer die Langweilerei am ersten satt kriegt, Sie, ich oder dies glückselige, quatschlige, weißfleischige Geschöpf Gottes hier. Braten könnte ich es mir jeden Mittag; weshalb sollte ich ihm nicht gegen zivilisiertere freie Beköstigung und ein Taschengeld an jedem Mittwoch und Sonnabend die Anfangsgründe des Lateinischen beizubringen versuchen? Die Sache paßt mir vollkommen. Mürbe wollen wir ihn schon kriegen. So nen jungen Römer zum Weichreiten unterm Sattel hab ich mir schon längst zu Weihnachten oder zum Geburtstage gewünscht. Sollen wir heute mit ihm anfangen, oder hat der Knabe auch eine Stimme bei dem Kontrakt und zieht ers vielleicht vor, am nächsten Sabbat zum erstenmal übergelegt zu werden?«

Ich habe damals erst meinem Vater in das freundliche, kluge, vergnügte Gesicht gesehen und dann dem Studiosus der Philosophie Adam Asche in das seinige, und, die Zähne zusammenbeißend, gesagt: »Heute!« und nachher die volle Gewißheit erhalten, daß der letzte wirkliche Besitzer von Pfisters Mühle auch bei dieser Gelegenheit ganz genau wußte, wen er vor sich hatte und was er tat.

Emmy kennt die dämmerige, düstere Brutstätte meiner ersten wissenschaftlicheren Betätigungen. »Brr!« hat sie zuerst gesagt, den Kopf hineinsteckend, aber nachher, wahrscheinlich um mich in meinen Gefühlen nicht zu sehr zu verletzen, hinzugefügt: »O, wie hübsch kühl an einem heißen Tage wie heute!«, und das Liebchen hatte vollkommen recht. Das Loch war recht schön kühl im Sommer, und im Winter konnte man es leider heizen, und Studiosus Asche bemerkte bei unserer ersten Niederlassung darin: »Würgen könnte ich dich, Lümmel, ob deiner höchst unnötigen Existenz im Weltganzen! Da soll nun ein Mensch Atem holen und Latein verstehen, mit dem vollen Wissen davon, wieviel gemütlicher es draußen ist. Na, Gott sei dir Esel gnädig in diesem Sack mit - Asche! Na, na, sieh mich nur nicht so blödbockig an, Junge! Wir müssens ja zusammen aushalten!«

Und wir haben es zusammen ausgehalten in dem Stübchen nach hinten hinaus in Pfisters Mühle. Nach hinten hinaus, von der Lust des Gartens so weit als möglich entfernt, aber doch nicht ganz von dem Getön derselben und noch weniger von dem Geklapper und Rauschen der Turbinenstube, hatte uns mein Vater den Tisch ans Fenster gerückt und denselben mit allem nötigen Material an Dinte, Federn und Papier versehen, und da habe ich nicht nur die Rudimente der Römersprache, sondern noch manches andere von meinem - Freund Adam Asche gelernt.

Was mir das Latein genützt hat, weiß ich so ziemlich genau heute; aber wie nützlich mir das »andere« war, erfahre ich heute tagtäglich so viel mehr, daß von einer sichern Berechnung noch lange nicht die Rede sein kann.

Es war damals ein recht dürftiges, mageres Männchen, das mit einem Kopf, der von einem äußerst schwarzstrubbelhaarigen Riesen ihm zwischen die Schultern gefallen zu sein schien, mir gegenüber, wie es sich ausdrückte, »die schönen Stunden vertrödelte« und mir nicht selten energisch genug in die Flachswolle griff, um, wie es seufzte, »wenigstens etwas« aus mir herauszuziehen. Von »zu braven« Eltern, wie er meinte, war er - Studiosus philosophiae A. A. Asche - Adam August Asche. »Ich gebe Ihnen mein Wort, Vater Pfister«, sagte er, »ich würde hier wahrhaftig nicht sitzen müssen, um Ihr Junges philologisch zu belecken, wenn mein Alter etwas mehr auf das Wohlbehagen seines Jungen und etwa weniger auf die Wohlfahrt der Welt und ihre gute oder schlechte Meinung von ihm gegeben hätte.«

»Reden Sie sich nicht um Ihren besten Trost in dieser Welt, Herr Asche«, sagte mein Vater. »Weil ich Ihren Vater gekannt habe, habe ich mir eben alleweile gedacht, allzuweit kann der Apfel nicht vom Stamme gefallen sein, und Vertrauen zu Ihnen gehabt und Sie mir aus dem Vivathoch da draußen im Garten und vom Verliegen da draußen auf der Wiese und im Heu hereingeladen und Sie gegen einen Strich durch Ihr Konto und eine übrige angemessene Entschädigung an meinen eignen wilden Dorfindianer und eheleiblichen Tagedieb gesetzt.«

»Reden Sie sich nicht um Ihren Hals, Vater Pfister!« hat mein Freund und Gönner, Doktor Adam Asche, gelacht.


 

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