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William Shakespeare

Julius Cäsar

Erster Aufzug

eingestellt: 5.6.2007




Erste Szene

Rom. Eine Straße

Flavius, Marullus und ein Haufe von Bürgern

Flavius.
Packt euch nach Haus, ihr Tagediebe! fort!
Ist dies ein Feiertag! Was? wißt ihr nicht,
Daß ihr als Handwerksleut an Werkeltagen
Nicht ohn ein Zeichen der Hantierung dürft
Umhergehn? - Welch Gewerbe treibst du? sprich!

Erster Bürger.
Nun, Herr, ich bin ein Zimmermann.

Marullus.
Wo ist dein ledern Schurzfell und dein Maß?
Was machst du hier in deinen Sonntagskleidern? -
Ihr, Freund, was treibt Ihr?

Zweiter Bürger.
Die Wahrheit zu gestehn, Herr, gegen einen feinen Arbeiter gehalten, mache ich nur, sozusagen, Flickwerk.

Marullus.
Doch welch Gewerb? Antworte gradezu.

Zweiter Bürger.
Ein Gewerbe, Herr, das ich mit gutem Gewissen treiben kann, wie ich hoffe. Es besteht darin, einen schlechten Wandel zu verbessern.

Marullus.
Welch ein Gewerb, du Schuft? welch ein Gewerb?

Zweiter Bürger.
Nein, ich bitte Euch, Herr, laßt Euch die Geduld nicht reißen. Wenn aber ja was reißt, so gebt Euch nur in meine Hand.

Marullus.
Was meinst du damit? Mich in deine Hand geben, du naseweiser Bursch?

Zweiter Bürger.
Nun ja, Herr, damit ich Euch flicken kann.

Flavius.
Du bist ein Schuhflicker, nicht wahr?

Zweiter Bürger.
Im Ernst, Herr, ich bin ein Wundarzt für alte Schuhe: wenns gefährlich mit ihnen steht, so mache ich sie wieder heil. So hübsche Leute, als jemals auf Rindsleder getreten, sind auf meiner Hände Werk einhergegangen.

Flavius.
Doch warum bist du in der Werkstatt nicht?
Was führst du diese Leute durch die Gassen?

Zweiter Bürger.
Meiner Treu, Herr, um ihre Schuhe abzunutzen, damit ich wieder Arbeit kriege. Doch im Ernst, Herr, wir machen Feiertag, um den Cäsar zu sehen und uns über seinen Triumph zu freuen.

Marullus.
Warum euch freun? Was hat er wohl erobert?
Was für Besiegte führt er heim nach Rom
Und fesselt sie zur Zier an seinen Wagen?
Ihr Blöck! ihr Steine! schlimmer als gefühllos!
O harte Herzen! arge Männer Roms!
Habt ihr Pompejus nicht gekannt? Wie oft
Stiegt ihr hinan auf Mauern und auf Zinnen,
Auf Türme, Fenster, ja auf Feueressen,
Die Kinder auf dem Arm, und saßet da
Den lieben langen Tag, geduldig wartend,
Bis durch die Straßen Roms Pompejus zöge?
Und saht ihr seinen Wagen nur von fern,
Erhobt ihr nicht ein allgemeines Jauchzen,
So daß die Tiber bebt in ihrem Bett,
Wenn sie des Lärmes Widerhall vernahm
An ihren hohlen Ufern?
Und legt ihr nun die Feierkleider an?
Und spart ihr nun euch einen Festtag aus?
Und streut ihr nun ihm Blumen auf den Weg,
Der siegprangt über des Pompejus Blut?
Hinweg!
In eure Häuser lauft, fallt auf die Knie
Und fleht die Götter an, die Not zu wenden,
Die über diesen Undank kommen muß!

Flavius.
Geht, geht, ihr guten Bürger! und versammelt
Für dies Vergehen eure armen Brüder;
Führt sie zur Tiber, weinet eure Tränen
Ins Flußbett, bis ihr Strom, wo er am flachsten,
Die höchsten ihrer Uferhöhen küßt.
    (Die Bürger ab.)
Sieh, wie die Schlacken ihres Innern schmelzen!
Sie schwinden weg, verstummt in ihrer Schuld.
Geht Ihr den Weg, hinab zum Kapitol;
Hierhin will ich. Entkleidet dort die Bilder,
Seht Ihr mit Ehrenzeichen sie geschmückt.

Marullus.
Ist das erlaubt?
Ihr wißt, es ist das Luperkalienfest.

Flavius.
Es tut nichts: laßt mit den Trophäen Cäsars
Kein Bild behängt sein. Ich will nun umher
Und will den Pöbel von den Gassen treiben.
Das tut auch Ihr, wo Ihr gedrängt sie seht.
Dies wachsende Gefieder, ausgerupft
Der Schwinge Cäsars, wird den Flug ihm hemmen,
Der, über Menschenblicke hoch hinaus,
Uns alle sonst in knechtscher Furcht erhielte. (Beide ab.)




Zweite Szene

Ein öffentlicher Platz

In einem feierlichen Aufzuge mit Musik kommen Cäsar, Antonius, zum Wettlauf gerüstet, Calpurnia, Portia, Decius, Cicero, Brutus, Cassius und Casca; hinter ihnen ein großes Gedränge, darunter ein Wahrsager

Cäsar.
Calpurnia!

Casca.
Still da! Cäsar spricht.

(Die Musik hält inne.)

Cäsar.
Calpurnia!

Calpurnia.
Hier, mein Gemahl!

Cäsar.
Stellt dem Antonius grad Euch in den Weg
Wenn er zur Wette läuft. - Antonius!

Antonius.
Erlauchter Cäsar?

Cäsar.
Vergeßt, Antonius, nicht, in Eurer Eil
Calpurnia zu berühren; denn es ist
Ein alter Glaube, unfruchtbare Weiber,
Berührt bei diesem heilgen Wettelauf,
Entladen sich des Fluchs.

Antonius.
Ich werd es merken.
Wenn Cäsar sagt: «Tu das», so ists vollbracht.

Cäsar.
Beginnt; laßt nichts von den Gebräuchen aus.

(Musik.)

Wahrsager.
Cäsar!

Cäsar.
He, wer ruft?

Casca.
Es schweige jeder Lärm: noch einmal, still!

(Die Musik hält inne.)

Cäsar.
Wer ist es im Gedräng, der mich begehrt?
Durch die Musik dringt gellend eine Stimme,
Die «Cäsar!» ruft. Spricht Cäsar neigt sein Ohr.

Wahrsager.
Nimm, vor des Märzen Idus dich in acht.

Cäsar.
Wer ist der Mann?

Brutus.
Ein Wahrsager; er warnt Euch vor des Märzen Idus.

Cäsar.
Führt ihn mir vor, laßt sein Gesicht mich sehn.

Casca.
Komm aus dem Haufen, Mensch; tritt vor den Cäsar.

Cäsar.
Was sagst du nun zu mir? Sprich noch einmal.

Wahrsager.
Nimm vor des Märzen Idus dich in acht.

Cäsar.
Er ist ein Träumer; laßt ihn gehn, und kommt.

(Ein Marsch. Alle bis auf Brutus und Cassius gehn ab.)

Cassius.
Wollt Ihr den Hergang bei dem Wettlauf sehn?

Brutus.
Ich nicht.

Cassius.
Ich bitt Euch, tuts.

Brutus.
Ich hab am Spiel nicht Lust, mir fehlt ein Teil
Vom muntern Geiste des Antonius;
Doch muß ich Euch in Eurem Wunsch nicht hindern.
Ich laß Euch, Cassius.

Cassius.
Brutus, seit kurzem geb ich acht auf Euch;
Ich find in Eurem Blick die Freundlichkeit,
Die Liebe nicht, an die Ihr mich gewöhnt.
Zu unwirsch und zu fremd begegnet Ihr
Dem Freunde, der Euch liebt.

Brutus.
Mein Cassius,
Betrügt Euch nicht. Hab ich den Blick verschleiert,
So kehrt die Unruh meiner Mienen sich
Nur gegen mich allein. Seit kurzem quälen
Mich Regungen von streitender Natur,
Gedanken, einzig für mich selbst geschickt,
Die Schatten wohl auf mein Betragen werfen.
Doch laßt dies meine Freunde nicht betrüben
(Wovon Ihr einer sein müßt, Cassius),
Noch mein achtloses Wesen anders deuten,
Als daß, mit sich im Krieg, der arme Brutus
Den andern Liebe kund zu tun vergißt.

Cassius.
Darin, Brutus, mißverstand ich Euren Unmut.
Deshalb begrub hier diese Brust Entwürfe
Von großem Werte, würdige Gedanken.
Sagt, Brutus, könnt Ihr Euer Antlitz sehn?

Brutus.
Nein, Cassius, denn das Auge sieht sich nicht,
Als nur im Widerschein, durch andre Dinge.

Cassius.
So ists;
Und man beklagt sich sehr darüber, Brutus,
Daß Ihr nicht solche Spiegel habt, die Euren
Verborgnen Wert Euch in die Augen rückten,
Auf daß Ihr Euren Schatten säht. Ich hörte,
Wie viele von den ersten Männern Roms
(Nur Cäsarn nehm ich aus), von Brutus redend,
Und seufzend unter dieser Zeiten Joch,
Dem edlen Brutus offne Augen wünschten.

Brutus.
Auf welche Wege, Cassius, lockt Ihr mich,
Daß Ihr mich heißt in meinem Innern suchen,
Was doch nicht in mir ist?

Cassius.
Drum, lieber Brutus, schickt Euch an zu hören.
Und weil Ihr wißt, Ihr könnt Euch selbst so gut
Nicht sehn als durch den Widerschein, so will
Ich, Euer Spiegel, Euch bescheidentlich
Von Euch entdecken, was Ihr noch nicht wißt.
Und denkt von mir kein Arges, werter Brutus.
Wär ich ein Lacher aus der Menge; pflegt ich
Mein Herz durch Alltagsschwüre jedem neuen
Beteurer auszubieten; wenn Ihr wißt,
Daß ich die Menschen streichle, fest sie herze
Und dann sie lästre; oder wenn Ihr wißt,
Daß ich beim Schmaus mich mit der ganzen Schar
Verbrüdern mag, dann hütet Euch vor mir.

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