William Shakespeare
Was ihr wollt
Erster Aufzug
eingestellt: 21.7.2007
Erste Scene
Der Pallast.
Der Herzog, Curio, und etliche Herren vom Hofe treten auf.
Herzog.
Wenn Musik die Nahrung der Liebe ist, so spielt fort; stopft mich voll damit, ob vielleicht meine Liebe von Ueberfüllung krank werden, und so sterben mag - - Dieses Passage noch einmal; - - es hat einen so sterbenden Fall: O, es schlüpfte über mein Ohr hin, wie ein sanfter Südwind, der Gerüche gebend und stehlend über ein
Violen-Bette hinsäuselt. - - Genug! nichts mehr! Es ist nicht mehr so anmuthig, als es vorhin war. O Geist der Liebe, wie sprudelnd und launisch bist du! weit und unersättlich wie die See, aber auch darinn ihr ähnlich, daß nichts da hineinkömmt, von so hohem Werth es auch immer sey, das nicht in einer Minute von seinem Werth herab und zu Boden sinke - -
Curio.
Wollt ihr jagen gehen, Gnädigster Herr?
Herzog.
Was?
Curio.
Den Hirsch.
Herzog.
- - Wie? das wäre das edelste was ich habe: O, wie ich Olivia zum erstenmal sah, däuchte mich, sie reinigte die Luft von einem giftigen Nebel; von diesem Augenblik an ward' ich in einen Hirsch verwandelt, und meine Begierden, gleich wilden, hungrigen Hunden, verfolgen mich seither - - Valentin tritt auf. Nun, was für eine Zeitung bringt ihr mir von ihr?
Valentin.
Gnädigster Herr, ich wurde nicht vorgelassen; alles was ich
statt einer Antwort erhalten konnte, war, daß ihr Kammer-Mädchen mir sagte, die Luft selbst sollte in den nächsten sieben Jahren ihr Gesicht nicht bloß zu sehen kriegen; sondern gleich einer Kloster-Frau will sie in einem Schleyer herum gehen, und alle Tage ein mal ihr Zimmer rund herum mit Thränen begiessen: Alles diß aus Liebe zu einem verstorbenen Bruder, dessen Andenken sie immer frisch und lebendig in ihrem Herzen erhalten will.
Herzog.
O, Sie, die ein so
fühlendes Herz hat, daß sie einen Bruder so sehr zu lieben fähig ist; wie wird sie lieben, wenn Amors goldner Pfeil die ganze Heerde aller andern Zuneigungen, ausser einer einzigen, in ihrer Brust getödtet hat? Wenn Leber, Gehirn und Herz, drey unumschränkte Thronen, alle von Einem (o entzükende Vorstellung) von Einem und demselben König besezt und ausgefüllt sind! Folget mir in den Garten - - Verliebte Gedanken ligen nirgends schöner, als unter einem grünen Thron-Himmel, auf Polstern
von Blumen. (Sie gehen ab.)
Zweite Scene
Die Strasse.
Viola, ein Schiffs-Capitain, und etliche Matrosen.
Viola.
In was für einem Lande sind wir, meine Freunde.
Capitain.
In Illyrien, Gnädiges Fräulein.
Viola.
Und was soll ich in Illyrien machen, da mein Bruder im Elysium ist? - - Doch vielleicht ist er nicht umgekommen; was meynt ihr, meine Freunde?
Capitain.
Es
ist ein blosses Glük, daß ihr selbst gerettet worden seyd.
Viola.
O mein armer Bruder! - - aber, hätt' er dieses Glük nicht auch haben können?
Capitain.
Es ist wahr; und wenn die Hoffnung eines glüklichen Vielleicht Eu. Gnaden beruhigen kan, so versichre ich euch, wie unser Schiff strandete, und ihr und diese wenigen, die mit euch gerettet wurden, an unserm Boot hiengen, da sah ich euern Bruder, selbst in dieser äussersten Gefahr, Muth und
Vorsicht nicht verliehrend, sich selbst an einen starken Mast binden, der auf der See umhertrieb; und auf diese Art schwamm er, wie Arion auf dem Rüken des Delphins, durch die Wellen fort, bis ich ihn endlich aus den Augen verlohr.
Viola.
Hier ist Gold für diese gute Nachricht. Meine eigne Rettung läßt mich auch die seinige hoffen, und dein Bericht bestärkt mich hierinn. Bist du in dieser Gegend bekannt?
Capitain.
Ja, Madam, sehr wohl; der
Ort wo ich gebohren und erzogen wurde, ist nicht drey Stunden Wegs von hier entfernt.
Viola.
Wer regiert hier?
Capitain.
Ein edler Herzog, den Eigenschaften und dem Namen nach.
Viola.
Wie nennt er sich?
Capitain.
Orsino.
Viola.
Orsino? Ich erinnre mich, daß ich von meinem Vater ihn nennen hörte; er war damals noch unvermählt.
Capitain.
Er ist's auch
noch, oder war's doch vor kurzem; denn es ist nicht über einen Monat, daß ich von her abreisete, und damals murmelte man nur einander in die Ohren, (ihr wißt, wie gerne die Kleinern von dem, was die Grossen thun, schwazen,) daß er sich um die Liebe der schönen Olivia bewerbe.
Viola.
Wer ist diese Olivia?
Capitain.
Eine junge Dame von grossen Eigenschaften, die Tochter eines Grafen, der vor ungefehr einem Jahr starb, und sie unter dem Schuz
seines Sohns, ihres Bruders, hinterließ; aber auch diesen hat sie erst kürzlich durch den Tod verlohren; und man sagt, sie sey so betrübt darüber, daß sie die Gesellschaft, ja so gar den blossen Anblik der Menschen verschworen habe.
Viola.
Wenn ich nur ein Mittel wißte, in die Dienste dieser Dame zu kommen, ohne eher in der Welt für das was ich bin bekannt zu werden, als ich es selbst meinen Absichten verträglich finden werde.
Capitain.
Das
wird schwer halten; denn sie läßt schlechterdings niemand vor sich, sogar den Herzog nicht.
Viola.
Du hast das Ansehen eines rechtschaffnen Manns, Capitain; und obgleich die Natur manchmal den häßlichsten Unrath mit einer schönen Mauer einfaßt, so will ich doch von dir glauben, daß dein Gemüth mit diesem feinen äusserlichen Schein übereinstimme: Ich bitte dich also, (und ich will deine Mühe reichlich belohnen,) verheele was ich bin, und verhilf mir zu einer
Verkleidung, die meinen Absichten beförderlich seyn mag. Ich will mich in die Dienste dieses Herzogs begeben; stelle mich ihm als einen Castraten vor; es kan deiner Mühe werth seyn; ich kan singen, ich spiele verschiedene Instrumente, und bin also nicht ungeschikt ihm die Zeit zu verkürzen; was weiter begegnen kan, will ich der Zeit überlassen; nur beobachte du auf deiner Seite ein gänzliches Stillschweigen über mein Geheimniß.
Capitain.
Seyd ihr sein Castrat, ich
will euer Stummer seyn. Verlaßt euch auf meine Redlichkeit.
Viola.
Ich danke dir; führe mich weiter. (Sie gehen ab.)
Dritte Scene
Verwandelt sich in ein Zimmer in Olivias Hause. Sir Tobias und Maria treten auf.
Vierte Scene
Sir Andreas zu den Vorigen. Der Character des Sir Tobias und seines Freundes gehört in die unterste Tiefe des niedrigen Comischen; ein paar mäßige, lüderliche, rauschichte Schlingels, deren platte
Scherze, Wortspiele und tolle Einfälle nirgends als auf einem Engländischen Theater, und auch da nur die Freunde des Ostadischen Geschmaks und den Pöbel belustigen können. Wir lassen also diese Zwischen-Scenen um so mehr weg, als wir der häuffigen Wortspiele wegen, öfters Lüken machen müßten. Alles was in diesen beyden Scenen einigen Zusammenhang mit unserm Stüke hat, ist dieses, daß Sir Tobias seinen Zechbruder, Sir Andreas, als einen Liebhaber der schönen Olivia ins Haus einführt und
ganz ernsthaft der Meynung ist, daß sie ein recht artiges wohlzusammengegattetes Paar ausmachen würden; und daß Jungfer Maria den würdigen Oheim ihrer Dame höflich ersucht, um seiner Gesundheit willen sich weniger zu besauffen; und um der Ehre des Hauses willen, seine Bacchanalien nicht so tief in die Nacht hinein zu verlängern.
Fünfte Scene
Verwandelt sich in den Pallast.
Valentin, und Viola in Mannskleidern, treten auf.
Valentin.
Wenn der Herzog fortfährt euch so zu begegnen wie bisher, Cäsario, so werdet ihr in kurzem einen grossen Weg machen; er kennt euch kaum drey Tage, und er begegnet euch schon, als ob es so viele Jahre wären.
Viola.
Ihr müßt entweder seiner Laune oder meiner Aufführung nicht viel gutes zutrauen, wenn ihr die Fortsezung seiner Gunst in Zweifel ziehet. Ist er denn so unbeständig in seinen Zuneigungen, mein Herr?
Valentin.
Nein, das ist er nicht.
Der Herzog, Curio und Gefolge treten auf.
Viola.
Ich danke euch; hier kommt der Herzog.
Herzog.
Sah keiner von euch den Cäsario, he?
Viola.
Hier ist er, Gnädigster Herr, zu Befehl.
Herzog (zu den andern.)
Geht ihr ein wenig auf die Seite - - Cäsario, du weist bereits nicht weniger als alles; ich habe dir das Innerste meines Herzens entfaltet. Geh also zu ihr, mein guter Junge; laß dich nicht
abweisen, postiere dich vor ihrer Thüre, und sag ihr, du werdest da wie eingewurzelt stehen bleiben, bis sie dir Gehör gebe.
Viola.
Gnädigster Herr, wenn sie sich ihrer Betrübniß so sehr überläßt, wie man sagt, so ist nichts gewissers, als daß sie mich nimmermehr vorlassen wird.
Herzog.
Du must ungestüm seyn, schreyen, und eher über alle Höflichkeit und Anständigkeit hinüberspringen, als unverrichteter Sachen zurük kommen.
Viola.
Und gesezt, ich werde vorgelassen, Gnädigster Herr, was soll ich sagen?
Herzog.
O dann entfalte ihr die ganze Heftigkeit meiner Liebe; preise ihr meine ungemeine Treue an; es wird dir wol anstehen, ihr mein Leiden vorzumahlen; sie wird es von einem jungen Menschen, wie du, besser aufnehmen, und mehr darauf Acht geben, als wenn ich einen Unterhändler von ernsthafteren Ansehen gebrauchte.
Viola.
Ich denke ganz anders,
Gnädigster Herr.
Herzog.
Glaube mir's, mein lieber Junge; deine Jugend wäre schon genug, diejenigen lügen zu heissen, die dich einen Mann nennten. Dianens Lippen sind nicht sanfter und rubinfarbiger als die deinigen; deine Stimme ist wie eines Mädchens, zart und hell, und dein ganzes Wesen hat etwas weibliches an sich. Ich bin gewiß, du bist unter einer Constellation gebohren, die dich in solchen Unterhandlungen glüklich macht; du wirst meine Sache besser führen,
als ich selbst thun könnte. Geh also, sey glüklich in deiner Verrichtung, und du sollst alles was mein ist, dein nennen können.
Viola.
Ich will mein Bestes thun, Gnädigster Herr - - (vor sich.) Eine beschwerliche Commission! Ich soll ihm eine andre kuppeln, und wäre lieber selbst sein Weib. (Sie gehen ab.)
Sechste Scene
Olivia's Haus.
Maria und der Narr vom Hause treten auf.
Maria schilt den Narren aus, daß er so lange ausgeblieben, und sagt ihm, die Gnädige Frau werde ihn davor hängen lassen. Der Narr erwiedert dieses Compliment mit Einfällen, an denen der Leser nichts verliehrt; man weiß daß auch der allersinnreichste und unerschöpflichste Hans Wurst doch endlich genöthiget ist, sich selbst zu wiederholen, so gut als ein andrer wiziger Kopf; und
so geht es Shakespears Clowns oder Narren von Profeßion auch; sie haben ihre locos communes, auf denen sie wie auf Steken-Pferden herumreiten, wenn ihnen nichts bessers einfallen will; und dieser wird endlich der Zuhörer und der Leser satt.Siebende Scene
Olivia und Malvolio zu den Vorigen.
Narr.
O Verstand, sey so gut und hilf mir den Narren machen - - Diese gescheidten Leute, welche sich einbilden sie haben dich, beweisen sehr oft daß sie
Narren sind; und ich, bey dem es ausgemacht ist, daß ich dich nicht habe, mag für einen weisen Mann gelten. Denn was sagt Quinapalus? Besser ein wiziger Narr, als ein närrischer Wizling! Guten Tag, Frau!
Olivia.
Schaft mir den Narren weg.
Narr.
Hört ihr's nicht, Kerls? Schaft mir die Frau weg.
Olivia.
O, geh; du bist ein trokner Narr; ich habe deiner genug; zu allem Ueberfluß wirst du zu deiner Albernheit noch
ungesittet.
Narr.
Das sind zween Fehler, die sich durch guten Rath und einen Krug Halb-Bier verbessern lassen. Denn, gebt dem troknen Narren zu trinken, so ist der Narr nicht mehr troken: Sagt dem ungesitteten Menschen, wie er sich verbessern soll, so wird er nicht länger ungesittet seyn. Alle Dinge in der Welt, die man ausbessert, werden geflikt; Tugend, die sich vergeht, ist nur mit Sünde geflikt; und Sünde, die sich bessert, ist nur mit Tugend geflikt. Wenn
dieser einfältige Syllogismus die Sache ausmacht, wol gut; wo nicht, was ist zu thun? Gleichwie kein andrer wahrer Hahnrey ist als Elend; so ist Schönheit eine vergängliche Blume: Die Gnädige Frau sagte, man solle den Narren wegschaffen, also sag ich noch einmal, schafft sie weg.
Olivia.
Sir, ich befahl daß man euch wegschaffen sollte.
Narr.
Mißverstand im höchsten Grade Gnädiges Fräulein, cucullus non facit monachum; das ist auf Deutsch: Mein
Hirn sieht nicht so buntschekicht aus als mein Rok: Liebe Madonna, wollt ihr mir erlauben, euch zu beweisen, daß ihr eine Närrin seyd?
Olivia.
Wie willt du das machen?
Narr.
Gar geschikt, gute Madonna.
Olivia.
Nun, so beweise dann.
Narr.
Ich muß euch vorher catechisieren, Madonna, wenn ihr mir antworten wollt.
Olivia.
Gut, Sir, so schlecht der Zeitvertrieb ist, so wollen
wir doch euern Beweis hören.
Narr.
Gute Madonna, warum traurest du?
Olivia.
Um meinen Bruder, guter Narr.
Narr.
Ich denke, seine Seele ist also in der Hölle, Madonna?
Olivia.
Ich weiß, seine Seele ist im Himmel, Narr.
Narr.
Eine desto grössere Närrin seyd ihr, Madonna, dafür zu trauern, daß euer Bruder im Himmel ist; schaft mir die Närrin weg, meine Herren.
Olivia.
Was denkt ihr von diesem Narren, Malvolio? Verbessert er sich nicht?
Malvolio.
Ja, und wird sich verbessern bis ihm die Seele ausgehen wird. Zunehmende Jahre machen den vernünftigen Mann abnehmen, und verbessern hingegen den Narren, weil er je älter je närrischer wird.
Narr.
Gott send' euch ein frühzeitiges Alter, Herr, um eure Narrheit desto bälder zu ihrer Vollkommenheit zu bringen! Sir Tobias würde schwören wenn man's
verlangte, daß ich kein Fuchs sey; aber er würde sich nicht für zwey Pfenninge verbürgen, daß ihr kein Narr seyd.
Olivia.
Was sagt ihr hiezu, Malvolio?
Malvolio.
Mich wundert, wie Eu. Gnaden an einem so abgeschmakten Schurken ein Belieben finden kan; ich sah ihn erst gestern von einem alltäglichen Narren, der nicht mehr Hirn hatte als ein Stein, zu Boden gelegt. Seht nur, er weiß sich schon nicht mehr zu helfen; wenn ihr nicht vorher schon
lacht, und ihm die Einfälle die er haben soll auf die Zunge legt, so steht er da, als ob er geknebelt wäre. Ich versichre, diese gescheidte Leute, die über die albernen Frazen dieser Art von gedungenen Narren so krähen können, sind in meinen Augen die Narren der Narren.
Olivia.
O, ihr seyd am Eigendünkel krank, Malvolio, und habt einen ungesunden Geschmak. Edelmüthige, schuldlose und aufgeräumte Leute sehen diese Dinge für Vögel-Schrot an, die euch Canon-Kugeln
scheinen; ein Narr von Profeßion kan niemand beschimpfen, wenn er gleich nichts anders thut als spotten; so wie ein Mann von bekannter Klugheit niemals spottet, wenn er gleich nichts anders thäte als tadeln. Maria zu den Vorigen.
Maria.
Gnädige Frau, es ist ein junger Herr vor der Thüre, der ein grosses Verlangen trägt, mit Euer Gnaden zu sprechen.
Olivia.
Von dem Grafen Orsino, nicht wahr?
Maria.
Ich weiß es nicht,
Gnädige Frau, er ist ein hübscher junger Mann, und er macht Figur.
Olivia.
Wer von meinen Leuten unterhält ihn?
Maria.
Sir Tobias, Gnädige Frau, euer Oehm.
Olivia.
Macht daß ihr ihn auf die Seite bringt, ich bitte euch; er spricht nichts als tolles Zeug; der garstige Mann! Geht ihr, Malvolio; wenn es eine Gesandschaft vom Grafen ist, so bin ich krank oder nicht bey Hause: Sagt was ihr wollt, um seiner los zu werden.
(Malvolio geht ab.) Ihr seht also, Sir, eure Narrheit wird alt und gefällt den Leuten nicht mehr.
Narr.
Du hast unsre Parthey genommen, Madonna, als ob dein ältester Sohn zu einem Narren bestimmt wäre; Jupiter füll' ihm seinen Schedel mit Hirn aus! Hier kommt einer von deiner Familie, der eine sehr schwache pia mater hat - -Achte Scene
Sir Tobias zu den Vorigen.
Olivia.
Auf meine Ehre, halb betrunken. Wer ist vor der
Thür, Onkel?
Sir Tobias.
Ein Edelmann.
Olivia.
Ein Edelmann? Was für ein Edelmann?
Sir Tobias.
Ein Mutter-Söhnchen, dem Ansehen nach - - der Henker hole diese Pikelhäringe! Was machst du hier, Dumkopf?
Narr.
Guter Sir Toby - -
Olivia.
Onkel, Onkel, wie kommt ihr schon so früh zu dieser Lethargie?
Sir Tobias.
Es ist einer vor der Pforte, sag ich.
Olivia.
Nun, wer ist er denn?
Sir Tobias.
Er kan meinethalb der Teufel selber seyn, wenn er will, was bekümmert mich's; glaubt mir was ich sage. Gut, es ist all eins. (Er geht ab.)
Olivia.
Wem ist ein berauschter Mann gleich, Narr?
Narr.
Einem Narren, einem Ertrunknen und einem Rasenden. Das erste Glas über das was genug ist macht ihn närrisch; das zweyte macht ihn rasend; und das dritte ertränkt ihn
gar.
Olivia.
So kanst du nur gehen und ein visum repertum über meinen Oehm machen lassen; er ist würklich im dritten Grade der Trunkenheit; er ist ertrunken; geh, sieh zu ihm.
Narr.
Er ist dermalen erst toll, Madonna, und der Narr wird gehn und zu dem Tollhäusler sehen. (Er geht ab.) Malvolio zu den Vorigen.
Malvolio.
Gnädige Frau, der junge Bursche schwört, daß er mit euch reden wolle. Ich sagte ihm, ihr befändet euch
nicht wohl; er antwortet, so komme er eben recht, denn er habe ein vortrefliches Arcanum gegen dergleichen Unpäßlichkeiten. Ich sagte ihm, ihr schliefet, aber es scheint er habe das auch vorher gewußt, und will deßwegen mit euch sprechen. Was soll man ihm sagen, Gnädige Frau? Er will sich schlechterdings nicht abweisen lassen.
Olivia.
Sagt ihm, er solle mich nicht zu sprechen kriegen.
Malvolio.
Das hat man ihm gesagt; und seine Antwort ist,
er wolle vor eurer Pforte stehen bleiben wie eine Säule, er wolle das Fußgestell zu einer Bank abgeben; aber er wolle mit euch sprechen.
Olivia.
Von was für einer Gattung Menschen-Kindern ist er?
Malvolio.
Wie, von der männlichen.
Olivia.
Aber was für eine Art von einem Mann?
Malvolio.
Von einer sehr unartigen; er will mit euch reden, ihr mögt wollen oder nicht.
Olivia.
Wie
sieht er aus, und wie alt mag er seyn?
Malvolio.
Nicht alt genug, einen Mann und nicht jung genug, einen Knaben vorzustellen; mit einem Wort, ein Mittelding zwischen beyden, ein hübsches, wohlgemachtes Bürschgen, und er spricht ziemlich nasenweise; man dächte, er habe noch was von seiner Mutter Milch im Leibe.
Olivia.
Laßt ihn kommen; ruft mir mein Mädchen.
Malvolio.
Jungfer, die Gnädige Frau ruft. (Er geht
ab.)
Neunte Scene
Maria tritt auf.
Olivia.
Gieb mir meinen Schleyer: Komm, zieh ihn über mein Gesicht: Wir wollen doch noch einmal hören, was Orsino's Gesandtschaft anzubringen haben wird. Viola zu den Vorigen.
Viola.
Wo ist die Gnädige Frau von diesem Hause?
Olivia.
Redet mit mir, ich will für sie antworten; was wollt ihr?
Viola.
Allerglänzendste, auserlesenste und
unvergleichlichste Schönheit - - ich bitte euch, sagt mir, ob das die Frau vom Hause ist, denn ich sah sie noch niemals. Es wäre mir leid, wenn ich meine Rede umsonst gehalten hätte; denn ausserdem daß sie über die maassen wol gesezt ist, so hab ich mir grosse Mühe gegeben, sie auswendig zu lernen. Meine Schönen, eine deutliche Antwort; ich bin sehr kurz angebunden, wenn mir nur im geringsten mißbeliebig begegnet wird.
Olivia.
Woher kommt ihr, mein Herr?
Viola.
Ich kan nicht viel mehr sagen als ich studiert habe und diese Frage ist nicht in meiner Rolle. Mein gutes junges Frauenzimmer, gebt mir hinlängliche Versicherung daß ihr die Frau von diesem Hause seyd, damit ich in meiner Rede fortfahren kan.
Olivia.
Seyd ihr ein Comödiant?
Viola.
Nein, vom innersten meines Herzens wegzureden; und doch schwör' ich bey den Klauen der Bosheit, ich bin nicht was ich vorstelle. Seyd ihr die
Frau vom Hause?
Olivia.
Wenn ich mich selbst nicht usurpiere, so bin ich's.
Viola.
Unfehlbar, wenn ihr sie seyd, usurpiert ihr euch selbst; denn was euer ist um es wegzugeben, das kömmt euch nicht zu, für euch selbst zurük zu behalten; doch das ist aus meiner Commißion. Ich will den Eingang meiner Rede mit euerm Lobe machen, und euch dann das Herz meines Auftrags entdeken.
Olivia.
Kommt nur gleich zur Hauptsache; ich
schenke euch das Lob.
Viola.
Desto schlimmer für mich; ich gab mir so viele Müh es zu studieren, und es ist so poetisch!
Olivia.
Desto mehr ist zu vermuthen, daß es übertrieben und voller Dichtung ist. Ich bitte euch, behaltet es zurük. Ich hörte, ihr machtet euch sehr unnüze vor meiner Thüre, und ich erlaubte euch den Zutritt mehr aus Fürwiz euch zu sehen, als euch anzuhören. Wenn ihr nicht toll seyd, so geht; wenn ihr Verstand habt, so
macht's kurz; es ist gerade nicht die Monds-Zeit bey mir, da ich Lust habe in einem so hüpfenden Dialog' eine Person zu machen.
Maria.
Wollt ihr eure Segel aufziehen, junger Herr, hier ligt euer Weg.
Viola.
Nein, ehrlicher Schiffs-Junge, ich werde hier noch ein wenig Flott machen.
Olivia.
Was habt ihr dann anzubringen?
Viola.
Ich bin ein Deputierter.
Olivia.
Wahrhaftig, ihr
müßt etwas sehr gräßliches zu sagen haben, da eure Vorrede so fürchterlich ist. Redet was ihr zu reden habt.
Viola.
Es bezieht sich allein auf euer eignes Ohr. Ich bringe keine Kriegs-Erklärung; ich trage den Oelzweig in meiner Hand, und meine Worte sind eben so friedsam als gewichtig.
Olivia.
Und doch fienget ihr unfreundlich genug an. Wer seyd ihr? Was wollt ihr?
Viola.
Wenn ich unfreundlich geschienen habe, so ist es
der Art wie ich empfangen wurde, zuzuschreiben. Was ich bin und was ich will, das sind Dinge, die so geheim sind wie eine Jungferschaft; für euer Ohr, Theologie; für jedes andre, Profanationen.
Olivia.
Laßt uns allein. (Maria geht ab.) Wir wollen diese Theologie hören. Nun, mein Herr, was ist euer Text?
Viola.
Allerliebstes Fräulein - -
Olivia.
Eine trostreiche Materie, und worüber sich viel sagen läßt. Wo steht euer
Text?
Viola.
In Orsino's Busen.
Olivia.
In seinem Busen? In was für einem Capitel seines Busens?
Viola.
Um in der nemlichen Methode zu antworten, im ersten Capitel seines Herzens.
Olivia.
O, das hab' ich gelesen; es ist Kezerey. Ist das alles was ihr zu sagen habt?
Viola.
Liebe Madam, laßt mich euer Gesicht sehen.
Olivia.
Habt ihr Commission von euerm
Herrn, mit meinem Gesicht Unterhandlungen zu pflegen? Ihr geht izt zwar über euern Text hinaus; aber wir wollen doch den Vorhang wegziehen, und euch das Gemählde zeigen. Seht ihr, mein Herr; so eines trag' ich dermahlen; ist's nicht wohl gemacht? (Sie enthüllt ihr Gesicht.)
Viola.
Vortrefflich, wenn Gott alles gemacht hat.
Olivia.
Davor steh ich euch; es ist von der guten Farbe; es hält Wind und Wetter aus.
Viola.
O,
gewiß kan nur die schlaue und anmuthreiche Hand der Natur weiß und roth auf eine so reizende Art auftragen, und in einander mischen - - Gnädiges Fräulein, ihr seyd die grausamste Sie in der ganzen Welt, wenn ihr solche Reizungen ins Grab tragen wollt, ohne der Welt eine Copey davon zu lassen.
Olivia.
O, mein Herr, so hartherzig will ich nicht seyn; ich will verschiedene Vermächtnisse von meiner Schönheit machen. Es soll ein genaues Inventarium davon gezogen, und
jedes besondre Stük meinem Testament angehängt werden. Als, item, zwo erträglich rothe Lippen. Item, zwey blaue Augen, mit Augliedern dazu. Item, ein Hals, ein Kinn, und so weiter. Seyd ihr hieher geschikt worden, mir eine Lobrede zu halten?
Viola.
Ich sehe nun, was ihr seyd; ihr seyd zu spröde; aber wenn ihr der Teufel selbst wäret, so muß ich gestehen, daß ihr schön seyd. Mein Gebieter und Herr liebt euch: O! eine Liebe, wie die seinige, könnte mit der eurigen,
mehr nicht als nur belohnt werden, und wenn ihr zur Schönsten unter allen Schönen des Erdbodens gekrönt worden wäret.
Olivia.
Wie liebt er mich dann?
Viola.
Mit einer Liebe, die bis zur Abgötterey geht, mit immer fliessenden Thränen, mit liebe-donnerndem Aechzen und Seufzern von Feuer.
Olivia.
Euer Herr weiß meine Gesinnung schon, er weiß daß ich ihn nicht lieben kan. Ich zweifle nicht daß er tugendhaft, und ich weiß
daß er edel, von grossem Vermögen, von frischer und unverderbter Jugend ist; er hat den allgemeinen Beyfall vor sich, und ist reizend von Gestalt; aber ich kan ihn nicht lieben; ich hab es ihm schon gesagt, und er hätte sich meine Antwort auf diesen neuen Antrag selbst geben können.
Viola.
Wenn ich euch liebte wie mein Herr, mit einer so quälenden, so verzehrenden Liebe, so würd' ich mich durch eine solche Antwort nicht abweisen lassen; ich würde gar keinen Sinn in
ihr finden.
Olivia.
Wie, was thätet ihr denn?
Viola.
Ich würde Tag und Nacht vor eurer Thüre ligen, und so lange hinein ruffen bis mir der Athem ausgienge: ich würde klägliche Elegien über meine unglükliche Liebe machen, und sie selbst in der Todesstille der Nacht laut vor euerm Fenster singen; euern Namen den zurükschlagenden Hügeln entgegen ruffen, und die schwazhafte Gevatterin der Luft (die Echo) an Olivia sich heiser schreyen machen! O
ich wolte euch nirgends Ruhe lassen, bis ihr Mitleiden mit mir hättet.
Olivia.
Ihr könntet es vielleicht weit genug bringen. Was ist euer Stand?
Viola.
Ueber meine Glüks-Umstände, doch bin ich zufrieden; ich bin ein Edelmann.
Olivia.
Kehrt zu euerm Herrn zurük; ich kan ihn nicht lieben; er soll mich mit seinen Gesandtschaften verschonen; ausser ihr wolltet noch einmal zu mir kommen, um mir zu sagen, wie er meine
Erklärung aufgenommen hat; lebt wohl; ich dank' euch für eure Mühe: nemmt diß zu meinem Andenken - -
Viola.
Ich bin kein Bote der sich bezahlen läßt; Gnädiges Fräulein, behaltet euern Beutel: Mein Herr, nicht ich, bedarf eurer Gütigkeit. Möchte sein Herz von Kieselstein seyn, und ihr so heftig in ihn verliebt werden, als er's ist, damit ihr die ganze Qual einer verschmähten Liebe fühltet! Lebt wohl, schöne Unbarmherzige! (Sie geht ab.)
Olivia
(allein.)
Was ist euer Stand? Ueber meine Glüks-Umstände, doch bin ich zufrieden; ich bin ein Edelmann - - Ich wollte schwören daß du es bist! Deine Sprache, dein Gesicht, deine Gestalt, deine Gebehrden und dein Geist machen eine fünffache Ahnen-Probe für dich - - nicht zu hastig - - sachte! Sachte! - - Es müßte dann bestimmt seyn - - wie, was für Gedanken sind das? Kan man so plözlich angestekt werden? Es ist mir nicht anders, als fühlt' ich die Annehmlichkeiten dieses jungen
Menschen, mit unsichtbarem leisem Tritt zu meinen Augen hineinkriechen. Gut, laßt es gehn - - He, Malvolio! - - Malvolio tritt auf.
Malvolio.
Hier, Gnädige Frau, zu euerm Befehl.
Olivia.
Lauffe diesem nemlichen wunderlichen Abgesandten, des Herzogs seinem Diener, nach; er ließ diesen Ring zurük, ich wollte oder wollte nicht; sag ihm, ich woll' ihn schlechterdings nicht. Ersuch ihn, seinem Herrn nicht zu schmeicheln, und ihn nicht mit
falschen Hoffnungen aufzuziehen; ich sey nicht für ihn: wenn der junge Mensch morgen dieser Wege kommt, will ich ihm Ursachen dafür geben. Eile, Malvolio. Malvolio geht ab.
Olivia.
Ich thue etwas, und weiß selbst nicht was; ich besorge, ich besorge, meine Augen haben mein Herz überrascht! Schiksal, zeige deine Macht: Wir sind nicht Herren über uns selbst; was beschlossen ist, muß seyn, und so sey es dann! (Sie geht ab.)