Willibald Alexis
Der Werwolf
Fünftes Kapitel
eingestellt: 8.8.2007
»Hans, was ist Dir?« rief die junge Frau, und fuhr aus dem Kissen, als schreckte sie eben erst aus dem Traume; es war kein Traum mehr, was sie sah.
»Ist mir nichts, Eva,« antwortete er, der aufgerichtet saß, den Kopf im Arm, den Ellenbogen auf dem Knie. »Schlaf nur weiter.«
Daß sie noch gar nicht geschlafen, sondern zwischen den Wimpern nach ihm geschielt, seit er nach dem Abendgebet den Kopf ins Pfühl sinken ließ, hatte Hans Jürgen nicht
gemerkt. Fünfzehn Jahr und darüber war er schon verheiratet und hatte vieles in der Welt gesehen und gehört, aber der Frauen Listen mußte er noch lange nicht bis auf den Grund sein. Wie hätte er sonst denken mögen, daß sie ruhig neben ihm schlief, die Frau, die ihn so lieb willkommen geheißen, als er spät gestern heimkehrte, und ihm selbst den Abendimbiß aufgetragen, und ihm eingeschenkt in seinen Mundbecher, und sich zu ihm gesetzt und ihm die Stirn gestreichelt und so sanft gefragt: »Aber
Hans, was ist Dir!« und er hatte einmal geantwortet: »Nichts!« und sie hatte dann gesagt: »aber doch etwas!« und er: »Nein, auch gar nichts, Eva;« und dann hatte sie eine Weile geschwiegen, als summte sie eine Weise zwischen den Lippen, und hatte ihm geholfen die Kleider ausziehen, und dann hatte sie sich auf seinen Schoß gesetzt und ihn bei den Ohren gefaßt und so herzlich ihm ins Aug geschaut: »Hans, s ist doch was, was Dich drückt, und ich bin Dein Weib. Sag mirs, Du mußt es.« Und Hans Jürgen
Bredow, des Kurfürsten Marschall, hatte auch da zu seiner lieben Frau gesagt, aber gerad schaute er sie dabei nicht an: »Eva, s ist wirklich nichts!« – Da hatte sie gar nicht getan, als merke sie, daß er rot ward; sie hatte nur wieder zwischen den Zähnen gesungen, nachgesehen, ob die Kinder gut zugedeckt waren, und Mann und Frau waren ins Bett gestiegen und hatten kein Wort mehr gesprochen, als er: »Gute Nacht, Eva!« und sie: »Gute Nacht, Hans!«
Und der Ritter Hans Jürgen
hätte denken sollen, daß Eva drauf eingeschlafen wäre, ohne zu erfahren, was ihren Mann drückte? Ohne zu wissen, warum er ausgeritten und wohin, und was er mitgebracht, und sie war sein ehelich Weib, vor der er nie ein Geheimnis gehabt – wenn er es dachte, so wußte sie es anders – und hieß Eva!
Eine andere Eva hätte schmollend ihr Köpfchen in die weichen Kissen sinken lassen; das: gute Nacht Hans! hätte schon weinerlich geklungen, und dann hätte er ein stilles Schluchzen
hören müssen, und immer, wenn er einschlafen wollte, wärs ein lautes Schluchzen geworden, was einen Mann, der einen guten Magen hat, so ängstigen kann, als einen, der Musik in den Ohren hat, wenn die Katzen auf den Dächern anfangen. Und wenn er gesagt hätte: Aber Eva, was ist Dir? hätte es geantwortet: Gar nichts, lieber Mann! Und dann wäre es doch losgebrochen: Mein Mann ist nicht mehr mein Mann, er hält seine Frau nichts mehr wert, daß er ihr sagt, was ihn drückt.
Nein, Eva war
nicht so. Sie hatte nicht still und nicht laut geschluchzt; sie hatte geatmet, als wenn sie schliefe, aber sich so gelegt, daß sie nicht auf dem Ohre zu liegen kam und die Federkissen so gerückt, daß sie zwischen den Seidenwimpern alles sehen konnte, was sie sehen wollte.
Der Mond in der Brüderstraße zu Köln an der Spree hob gerade sein blasses Vollgesicht über Sankt Nikolas Dach nach dem spitzen Kirchturm hinauf, und so schaute er durch die runden Scheiben ins tiefe Zimmer. Der
Marschall nämlich wohnte nicht im Haus der Bredows auf dem hohen Steinweg im neuen Berlin, sondern, damit er seinem Herrn näher sei, im alten Köln in der Straße der schwarzen Brüder. Nun schaute der Mond durch die zwei Fenster des tiefen Zimmers über gar viele kleine Betten, die am Ende standen, und aus denen so viele gesunde Töne und frische Atemzüge zu den Balken aufstiegen, als die Ehe zwischen Hans Jürgen und Eva mit Kindern gesegnet war. Und über diese kleinen Betten weg schaute er durch
einen aufgezogenen Vorhang auf ein großes Bett mit vier Pfosten und einem Himmel darüber, das in einem finsteren Alkoven stand. Der Mond leuchtete aber so hell bis hinein, daß Hans Jürgen, der, wie wir sagten, aufrecht im Bette saß, einer steinernen Figur fast ähnlich sah, die über einem Grabsteine sitzt und trauert oder denkt, die Gestalt selbst weiß nicht was.
Da hatte sich Eva auch aufgerichtet und warf über den Bettrand besorgte Blicke auf ihre Kleinen. Sie erinnerte sich, was der
Knecht Ruprecht oft gesagt, daß es nicht gut, wenn der Mond auf schlafende Kinder scheint. Bleichsucht zeuge es, irre Gedanken; und allerlei Geister, er wolle nicht sagen, daß es just böse seien, stehlen sich in die Seelen und machten die Kleinen zu absonderlichen Menschen. – »Wärs ein Unglück!« sprach der Ritter. Uebrigens meinte er, der Knecht Ruprecht sei wohl ein kluger Knecht, aber nur klug für Feld und Wald. In der Stadt und auf den Märkten lasse sichs anders an, und der gute
Mond, der zum Bürger oder zum fürstlichen Hofhalt ins Fenster schaue, sei auch ein anderer, als der den verirrten Wanderer auf der Heide anbleicht, wenn sein Kopf auf dem Moorhügel ruht. Frau Eva hatte nicht eigentlich Furcht vor dem Monde; denn wenn der Mond bleich macht, macht die Sonne rot, und daß ihre Jungen und Mädchen nicht zu viel in den blassen Mond sehen würden, dessen war sie schon gewiß; waren doch recht verbrannte Gesichter drunter, und sie dachte, da schadet es nichts, wenn sie der
Mond ein bißchen weißt. Aber ihre Sorge war gar nicht nötig; die Kinder hatten sich selbst geholfen; so hatten sie sich im Schlaf gerückt und die Arme vors Gesicht, daß der Mond ihre Augen auch gar nicht traf. Nur den Vater bleichte er, daß sie fast erschrak, wie er mit der Hand übers Gesicht fuhr.
»Hans, ist Dir was auf der Heide begegnet!« fuhr es jetzt heraus. Gott weiß, wie sie an das schauerliche Lied dachte, das ihr die gnädigste Kurfürstin einst vorgesungen aus ihrem Vaterlande
Dänemark, von einem Ritter, Herrn Olaf, der über die Heide reitet zur Braut heim, und die Elfenjungfrauen bleichen im Mondschein ihr Gewebe. Das Lied hatte einen gar traurigen Ausgang. Gott weiß, wie sie daran denken mußte, und wie es kam, daß er das Lied auch kennen mußte. Er lächelte:
»Mir eine Elfenjungfrau einen Schlag aufs Herz! – Eva, mein Herz ist ein gut alt märkisch zähes Herz,« setzte er hinzu. »Bin oft durch Nebelgeflunker und Mondscheingeglitzer geritten, aber
– das ist nichts, so man nur gut gesattelt hat.«
Es dünkte sie, daß er sie schärfer ansah, und auf das mir einen eigenen Ton legte. Da legte sie die Hand auf seine Schulter und sah ihn groß an:
»Hans Jürgen, wärs doch das?«
»S ist Schlafenszeit, Eva. Wir wecken die Kinder. Der Wächter auf der langen Brücke singt schon Mitternacht.«
»Und wenn er den jüngsten Tag absänge, zwischen uns muß es erst Tag werden. – Du bist nicht wie
sonst, Hans Jürgen. Nicht heut nur, auch gestern, ehegestern. Es ist lang her, daß Du nicht recht herzlich gelacht hast, weißt Du noch, als wie wir in Ziatz –«
»Eine Mandel Jahre dem Grabe näher –«
»Schau mir ins Auge. Ich drücke Deinen kleinen Finger, bist Du schreist. – Denkst Du ans Grab?« –
»Wer sagt uns, was kommt! Wer sagt uns nur, was ist.«
»Hans Jürgen Bredow, schäme Dich. Da vor Deinen Kindern, da vor dem blassen
Mondmann, der übers Kirchendach eben lugt, und vor Dir selber schäme Dich. Vor mir hast Dus nicht nötig. Wenn Dus selbst glaubtest, was die Leute einmal geredet haben, oder vielleicht auch noch reden, wärs auch nur ein ganz klein bißchen, daß Du Bange hättest, ob nicht doch was dran wäre, da möchte es sein, nein, da hättest Du sogar recht. Aber da Dus nicht glaubst, auch nicht ein klein bißchen, und auch nie geglaubt hast, daß es möglich wäre –«
»Sankt Florian!« unterbrach der
Ritter, »wenn ich einen wüßte, ders wirklich glaubt, und wär er, ich weiß nicht was, Eva, nicht um mich, um Dich –«
»Still, Hans, es gibt eine hohe Frau; die glaubts nicht gerade, aber sie hat große Angst, daß sie es glauben könnte. Ihr wirst Du doch nicht den Handschuh vor die Füße werfen!«
»Wem nicht, wenns mir durch die Adern schwillt! Dem ganzen Hofgeschmeiß, den Gelahrten und Ungelahrten; und lassen sie ihn liegen, ihnen den Rücken kehren; alles ließ ich ihnen
zurück, meinethalben auch meinen guten Namen.«
»Ich hange nicht am Hof. Wir haben glückliche Tage in Ziatz verlebt. Laß uns dahin; oder ists Dir zu nah an Berlin, nach der Altmark, wo wir das Gut kauften. Da wollen wir ganz glücklich leben.«
»Daß sie dann erst hinter uns lachen!« sagte der Mann. »Meinen guten Namen, sei es drum; Deinen laß ich ihnen nicht. Nein, Eva, wie ich schon damals sagte, bin ich darum weniger, daß sie sagen, alles was ich bin, wär ich durch mein
Weib, oder bist Du vor Dir und mir darum schlechter, daß ihre Lästerzungen Dich sein heimlich Kebsweib schelten? Wenn wir den Hof und Berlin verließen, ja dann würden sie erst züngeln und schreien; dann hätten sie recht. Ich gönne ihnen kein Recht nicht. Ich fühls in mir, ich habe nun mal Lust, meinen Pelz unter ihren Schlägen zu schütteln, wie der Bär, bis ihre Arme müde werden, und dann will ich ihnen auch meine Zähne weisen und sie ansehen und probieren, ob sies aushalten.«
Darüber
war nun Eva beruhigt. Es war nicht Eifersucht, noch was damit zusammenhängt; Hans Jürgens Blut floß zu ebenmäßig, als daß es um ein Luftbild aufwallte; aber es war noch etwas nicht in Richtigkeit mit dem Blute. Sie war so schmeichlerisch, und gewiß war Eva eine sehr gute Frau, aber sie war auch ihrer Mutter Tochter, und auch die Tochter der Urureltermutter, die im Paradies schon ihr die Ehre erwiesen, ihren Namen zu führen. Wer hätte sie falsch gescholten, wer nicht drauf einen leiblichen Eid
getan, daß sie ein wahrhaftes Weib war; aber war ihre Mutter, Frau Brigitte, nicht auch eine so wahrhaftige Frau gewesen, als eine zehn Meilen in der Runde, und doch wo es ihres Mannes Bestes galt, nämlich was sie dafür hielt, zum Beispiel, wenn seine Hosen gewaschen werden sollten, war sie nicht da vom geraden Wege ein klein wenig seitab gegangen, und damit es ihr Herr nicht merke, war sie nicht noch weiter, nämlich recht lügnerisch ihm um den Bart gegangen? Wer verargts nun ihrer Tochter, wenn
sie dem Mann auch um den Bart ging, wo sie meinte, es wäre zu seinem Besten, und zu ihrem auch, nämlich daß sie erführe, was ihn drückte. Wie sprach sie besorgt von den lieben, kleinen Kindern, ob der Zahn, den das jüngste bekam, ihm Sorge mache, denn an den Zähnen nimmt der Todesengel manches Kind in den Himmel? Oder der kleine Georg und seine Wildheit? Ja er hatte, als er mit den kleinen Prinzen vor der Stechbahn spielte, und der Kurprinz hatte sie geneckt oder zurecht gewiesen, mit einem
Schneeball den durchlauchtigsten Kurprinzen an die Nase geworfen.
»Ach, lieber Gott, nun weiß ichs, das haben sie gewiß dem Kurfürsten hinterbracht, da ist er in die Wut geraten, darum hat er aufgestampft, darum ließ er Dich rufen und sperrte sich mit Dir ein, er war der wilde Mann, von dem sie sprechen, und gegen Dich! Nun weiß ichs, er, hat Dich im Zorne fortgeschickt. Aber wohin! – Bist in Nacht und Nebel wiedergekommen, heimlich durchs Hintertor. Darfst Du Dich nicht sehen
lassen in Berlin? Sprich? Was würden Deine Feinde sich ins Fäustchen lachen. Nein, das dürfte nicht sein. Da erlaubtest Du mir, daß ich zum Kurfürsten ginge, da scheute ich mich gar nicht vor dem Gerede; das täte ich, das müßte ich tun, unserer Kinder wegen. O ich wollte zu ihm reden.«
»Werds selbst schon tun.« Der Ritter lächelte. Der Mondmann schien auch zu lächeln, wie Eva vor dem Blick ihres Mannes die Augen niederschlug. Sie verstanden sich alle drei, »Hältst denn Deinen Mann für
einen Bauern? Und hab ich denn Künste, die Du mir abfragen kannst?«
»Ja aber der Kurfürst –«
»Laß den Kurfürsten, und ihm seine Sorgen. Er hat ein groß Pack.«
»Was schüttelt er sie ab! Und was auf Dich, als ob Du nicht auch Deine Sorgen hättest. Wozu hat er denn seine Räte und Minister. Die müssen alles aufladen, dazu werden sie bezahlt.«
»Und wozu mich? – Damit sie mich beneiden.«
»Du siehst wieder Nebelbilder, Hans.«
»Hans bin ich, ihrer, seiner, aller Welt Hans. Wies von der Leber kommt, darf ich sprechen, der Hofnarr darfs auch; und auch Er hat nichts heimliches vor mir, das ist richtig –«
»Weil er weiß, daß Du seines Vertrauens wert bist.«
»Weil, Eva – der Herr vor seinem Hunde nichts Geheimes hat, vor seinem Kleiderstocke auch nicht, auch nicht vor ner Vogelscheuche. Das bin ich ihm, darum behängt er mich mit Flitter und Ehren. Sie sollen vor mir sich bücken. Wenn
sie schon vor seiner Puppe den Hut ziehen, was dann erst vor mir! Das ists. Da fühlt er sich wohl, da fließt es ihm voll stillem Wohlbehagen durch die Glieder: der ist nur mein Machwerk, und –«
»Stell Dich mit ihnen auf die große Wage am Rathaus, sie in die eine Schale und Du allein in die andere; Du schnellst sie alle in die Luft. Das erkennen sie auch alle an.«
»Wer denn, Eva? Die, wenn ich Kehrt mache, kichern, oder die mit dem Finger auf mich weisen! Hör ich nicht
ihr Flüstern! Der Schatten bleibt hinter mir, und der Schatten ist ein Fluch.«
»Bist Du nicht treu wie Gold, wer erkennt es nicht an! Nicht tapfer, ehrlich, hast Du nicht ein gesund Urteil und Witz so viel Du brauchst?«
»Und was noch sonst kann er mir geben, was mir fehlt? Oder wollte er es nur? Ihm ists schon recht, daß, dem er traut, die anderen nicht trauen. Recht, daß ich wie ein Ausgestoßener umschleiche, damit ich mich ihm allein anhängen muß, eine Klette am Rock.
Aber wenn der Herr den Rock mal ausklopft, fällt die Klette ab, und die anderen treten sie mit den Füßen.«
»S ist doch große Ehre!« sagte Eva nach einigem Nachdenken, »Alle haltens dafür, die ich noch sprach.«
»Kurios! Ich kanns nicht fassen, wenn ich darüber nachdenk, was das vor Ehre ist, daß ich auf eines Schleppe sitze und mich von ihm ziehen lasse, und allen Staub muß ich einschlucken, den er auffegt, und könnte auf meinen eigenen Beinen gehen, und wär gesünder. Das
soll Ehre sein, daß ich wie ein Pudel wache an des Herrn Schwelle und für ihn belle; daß ich ihm nachspreche und für ihn mich schlagen lassen muß; und könnte mich für mich selber schlagen und bellen und knurren, wie ich Lust habe! Soll scheinen, als wär ich außer mir vor Freude, wenn er mich lang ansieht, als wär er die Sonne und ich eine Mistpfütze oder was sonst. Und was ich tue und besorge und denke und abmache, alles für ihn. Mach ichs schlecht ab, dann muß ichs ausbaden, aber mach ichs
geschickt, kommts auf ihn; er hats gedacht, getan; ich bin nur sein Mund, seine Hand, sein Spazierstock, seine Schuhsohle. S ist ne kuriose Ehre, Eva!«
Er sprach wieder davon, daß er mit dem Kurprinzen in den Türkenkrieg ziehen wolle.
»Meinetwegen geh,« sprach die Frau, »wenns Dir bei Weib und Kind nicht mehr gefällt. Laß Dich von den Türken zerhacken, oder nimm ein türkisch Weib, wie der Graf von Gleichen. Will dann zu Deinen Kindern sagen: Ihr hattet einen Vater, dem
gings gut, aber wems zu wohl ist, der geht aufs Eis und bricht ein Bein. Was fehlte denn Vatern? werden sie fragen. Ihm fehlte nichts, er hatte zu viel, muß ich antworten. Ein Weib, was er begehrt hatte; nun es mag wohl anderswo bessere geben, er hatte sie doch aber begehrt, und für hier zu Lande ging sie schon immer an. Und Kinder, die werd ich zwar vor den Schelmen nicht loben, aber der Storch kann schlechtere bringen. Und hatte alles vollauf; was er wünschte, schenkte ihm sein Herr, sogar
mehr; mit Aufträgen hat er ihn beehrt, um die ein Bischof und Geheimschreiber ihn neidet. Und wo er anklopfte, ward ihm aufgetan, und wen er ansprach, ward froh darüber; und wenn sie auch mitunter lachten, alle liebten ihn doch eigentlich von Herzen. Und fragen die Kinder mich dann: Aber warum lief denn der Vater fort? Da muß ich sagen: um einen Schatten. Was denn für einen Schatten, Mutter? – Ja, lieben Kinder, ich weiß nicht so recht, ob es sein eigener Schatten war oder eines andern
seiner. Da seht, so sah er aus.«
Zwischen dem Ehepaar im Bette und dem Monde über Sankt Nikolas hing etwas, was sich dann und wann bewegte und einen Schatten auf das Bett warf. Es waren ein paar lederne Hosen, aufgehängt am Bettpfosten, und wenn wir in unserem Gedächtnis nachschlagen, müssen wir sie schon kennen.
»Die lässest Du uns doch hier, wenn Du ins Türkenland zu den Hungarn gehst,« sprach schmollend die Frau; »denn Du nimmst nur mit, was Dir lieb ist; das ist Deine
Freiheit, und uns lässest Du zurück, was Dir Verdruß macht, das ist eine Frau, die Dir keine Ruhe läßt, und Deine Hosen mit dem Schatten.«
Wenn sie geschmollt hatten, so war jetzt eine herzliche Aussöhnung: »Bist doch ein lieb Weib,« sprach er.
»Du gehst nicht zu den Türken, Mann.«
»Werden schon andere sein, die sich an den Kurprinzen hängen.«
»Und – Mann – Du reitest nicht mehr in die Heide, wenns nebelt. Das heißt, Du sagst mirs vorher,
wenns sein muß; ich hätte Dir das wollene Halstuch umgebunden. Hast Dich verkühlt bei dem späten Ritt, davon hast Dus auf der Brust. – Wo wars denn? – Das mußt Du mir schon sagen, wo Du den Mann gesehen hast? – Ich will ja nicht wissen, wie er heißt, und wie er aussieht – auch gar nicht, was der Kurfürst Dir zum Bestellen auftrug – aber s war doch ein Christenmensch? – Und Du sollst ihn doch nicht gar nach Berlin bringen? Die Leute munkeltens – Hans
Jürgen, wenn das ist, mußt Dus mir zuliebe vorher sagen. Vor wilden Männern hab ich gar zu große Furcht.«
Der Marschall Hans Jürgen antwortete nur unverständliche Töne. Sein Kopf, während sie sprach, war allmählich aus der Hand in den Arm und von dem Arm in die Kissen gerutscht. Da schlief er oder schien zu schlafen, denn der Chor der Kleinen zu Füßen des großen Bettes ward um eine starke Stimme vermehrt, die wie der Vorsänger der Knaben auf der Straße den Gesang anhob oder einfiel.
Ob der Marschall wirklich schon schlief, als Eva jetzt aufgerichtet, den Kopf im Arme, vom Monde ungebleicht, gleich ihm vorhin, eine Figur auf dem Grabsteine, saß, oder ob er sich nur so stellte, weiß man nicht. Aber viele glauben, daß Hans Jürgen in den langen Jahren, daß ihre Ehe gedauert, von seiner klugen Frau einiges gelernt hat. Wie sonst wäre ein so guter Einklang gewesen, wenn nicht eins ins andere sich gefügt. Wie sie in Gottesfurcht wandelten und Aufrichtigkeit, in Wirtlichleit und
schlichter Sitte, in Liebe und Eintracht, zum Exempel ihren Kindern, das hatte einer dem andern mitgebracht, und war kein merklicher Unterschied, sie hattens beide von Haus. Aber Schlauheit hatte Hans Jürgen nicht als Morgengabe zugebracht, und wenn er sich jetzt anstellte, als ob er schliefe, hatte er das gewiß seiner Frau abgelauscht. Und warum er es tat, das war, weil er ihr nicht mehr antworten wollte. Wie aber einer, der sich lange verstellt, endlich die Rolle nicht mehr spielt, sondern sie
spielt mit ihm, so wird auch einer, der lange tut, als wenn er schliefe, zuletzt wirklich einschlafen. Daran war nun ein Zweifel, daß der Marschall Hans Jürgen Bredow nachmals in der Tat fest schlief. Denn wie der Nachtwächter vorüberging und sein Horn schallte, daß im hintersten Winkel des Alkoven der Perpendikel der Wanduhr zitterte, hat er sich nicht allein nicht geregt, sondern der Nachtwächter hat auf der Straße es gehört, daß der Herr schlief, und hätte es eidlich erhärten können vor
Gemeinheit und Magistrat.
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