Frei Lesen: Der Werwolf

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Hake von Stülpe, Erstes Kapitel | Zweites Kapitel | Drittes Kapitel | Viertes Kapitel | Fünftes Kapitel | Sechstes Kapitel | Siebentes Kapitel | Achtes Kapitel | Neuntes Kapitel | Neuntes Kapitel | Die Sündflut und der Tempelhoffsche Berg I., Erstes Kapitel | Zweites Kapitel | Drittes Kapitel | Viertes Kapitel | Fünftes Kapitel | Sechstes Kapitel | Siebentes Kapitel | Die Sündflut und der Tempelhoffsche Berg. II., Erstes Kapitel | Zweites Kapitel | Drittes Kapitel | Viertes Kapitel | Fünftes Kapitel | Die Kurfürstin Elisabeth und die weiße Frau, Der Vertrag in ... | 2. Kapitel: Aufruhr | 3. Kapitel: Mundus vult decipi. | 4. Kapitel: Der Reichstag von Augsburg von einer Seite | 5. Kapitel: Der Reichstag von Augsburg von der andern Seite | 6. Kapitel: Die erste Kommunion | 7. Kapitel: Die Überraschung | 8. Kapitel: Die Flucht aus Berlin | 9. Kapitel: Die Gäste aufgenommen | 10. Kapitel: Die Gäste ausgewiesen | 11. Kapitel: Wunder und Wahrheit | 12. Kapitel: Attila und Konstantin hörten die Stimme Gottes. | 13. Kapitel: Der Kehraus |

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Willibald Alexis

Der Werwolf

Siebentes Kapitel

eingestellt: 8.8.2007



Der Prediger hatte es gut gemeint, und Hans Jürgen mußte sich sagen: der Schwarzrock hat recht. Wenn er aber auch erkannte, daß das ebenfalls eine Art Ritterschaft sei, mit Ruhe und Gelassenheit zu ertragen, daß man ausgelacht wird, wo man fühlt, daß man es nicht verdient, so mußte er wohl noch zu jung sein, um sich über die Ritterschaft zu freuen.

Ja, und was hatte Musculus für ein Ziel? – Den Teufel wollte er bekämpfen. Um die Hölle zu überwinden, lohnt sich schon, der Welt Verachtung auf die Schultern zu laden; was er wollte, dafür dünkte es ihm zu viel, zu leiden wie er litt, und warum? Weil er ein Kleid trug, das nicht mehr in der Mode war!

Eva, sein treues Weib, litt mehr als er, wenn sie sich heimlich sagte: Wie anders könnte mein Mann sein, wenn es anders wäre! Er hat freilich nicht so viel Witz wie der Kurfürst und Bischof von Brandenburg, aber genug, daß sich keiner hier unterstehen dürfte, ihm auf die Schulter zu klopfen, wenn – alles eben wäre, wie es sein sollte.

Sie haßte die Hosen. Verdenken kann mans ihr nicht, wenn man weiß, welche Angst Eva als junges Mädchen ihre Mutter darum ausstehen sah, und sie selbst nicht etwa auch? Und trug sie nicht davon noch jetzt die kleine Narbe am Kinn! Die kleine weiße Narbe verunzierte die hübsche Frau gar nicht. Aber wenn der selige Herr Gottfried aus jenen Räumen herab es mit angesehen, wie sie dem Stück, das er so hoch in Ehren hielt, mit dem kleinen Fuße jedesmal, so oft sie dran vorüberging, einen Schub gab, als wärs von ungefähr, da hätte er doch geseufzt: Das ist zu viel, und vielleicht wäre aus dem Himmel ein Tropfen gefallen, und der Tropfen wäre eine Träne gewesen, aus Herrn Gottfrieds Wimpern.

Ihrer Mutter dagegen war Eva gehorsam; nämlich was das Waschen betraf. Was mußte nicht das Leder in den Kessel übers Feuer, und dann ward geklopft, gebürstet und gestriegelt. Die Luft, die über den Festungswall vom Werder streifte, trocknete und bleichte allwöchentlich das Elensfell, bis es fast weiß ward. Aber von dem vielen Waschen wurde, was erst so weit war, allmählich eng, bis der Marschall eines Tages seiner lieben Frau beim Trocknen lächelnd in die Backen kniff: »Aber wenn das so fortgeht, wie soll ich da hinein?« Eva war eine kluge Frau, sie sah das ein; das Gelübde konnte sie nicht wegwaschen lassen, aber sie sann ein wenig nach und hatte etwas gefunden. Die Hosen kamen nicht mehr so oft in den Kessel, doch wenn die Mägde den Rücken wandten, schüttete sie Lauge und Pottasche, oder gar noch anderes aus der Apotheke ins siedende Wasser.

Aber es mußte eine Wunderkraft in der Haut des Elches sitzen; sie widerstand dem Bürsten, Klopfen und der Pottasche. Kein Löchlein, kaum ein dünner Sprung ward sichtbar. Und das war es, worüber Frau Eva im Bette nachgedacht, wo wir sie im vorigen Kapitel sitzen ließen, oder vielmehr sie war schon herausgesprungen. Aber als sie noch saß, die Hände um ihre Kniee, und das Kinn in Gedanken wiegend, hatte da vielleicht das steinerne Bild ihres Vaters den Arm drohend erhoben: »Blut von meinem Blut, was tust Du? Eva, mein Kind, habe ich das um Dich verdient, daß Du aus irdischer Sinnenliebe um einen Mann, Deinem Vater im Sarge wehe tust und die heiligsten Pflichten gegen Dein Haus vergissest? Aber Du warst ja immer eine Schelmin, und schon bei meinen Lebzeiten hast Du mich mit Deiner Mutter hinters Licht geführt; so fahre denn fort in Deinem heimlichen Tun, wie die Giftmischerinnen, bis ihre Taten voll sind, und sie ans Tageslicht kommen.«

Ach nein, man hätte falsch geschlossen. Das Gespenst ihres Vaters erschien Eva so wenig, als es ihrer Mutter erscheinen wollen. Sie hatte auch bis da gar keine Gewissensbisse über ihr Tun empfunden. Sie dachte nur etwa, was wir in Neudeutsch so wiedergeben: Wer es einmal über sich gebracht hat, einen andern langsam, durch Gift sterben zu lassen, begeht denn der ein größer Verbrechen, wenn er sich entschließt, ihn auf einmal mit einem Messer niederzustechen? Im Gegenteil, er handelt männlicher und erspart dem andern noch viel Qual. Zu solchem Mut kommen die Giftmischerinnen nicht; ihr Mut wächst nur darin, daß sie immer dreister das Gift in die Schale träufeln, und daß sie immer herzhafter den Leiden zusehen, die sie bereiten. Darum war Frau von Bredow keine Giftmischerin, und es war diese große Ueberzeugung, in welcher sie aus dem Bette gehuscht war, und in die Pantoffeln und in die Jacke gefahren, und schon hatte sie das Leder in der Hand, als – vielleicht doch ein Schatten von dem steinernen Bilde im Mondenstrahl vorüberschwebte. Da hatte sie sich rasch über das Bett ihres Lieblings gebeugt: »Ich tus ja nur um Euretwillen, Eures Vaters Ehre ist auch Eure.«

Aber ganz ruhig war sie darum doch nicht. – Was würde ihr Mann sagen, wenn er erwachte? – Und hatte sie nicht gewissermaßen auch das Gelübde am Totenbette abgelegt? Eva selbst wußte noch nicht alles, was sie vorm Gericht der Heiligen und ihres Mannes sagen würde, aber sie wußte, daß sie nicht stocken würde. Und doch schienen ihre Füße zu stocken, als sie die steile dunkle Treppe hinabstieg.

Was soll denn Hans Jürgen anziehen, wenn er morgen zu Hofe muß! Fürs Haus, da war zur Not gesorgt. Aber an Hof! Womit sollte er sich entschuldigen lassen? Wenn die Lakaien und Büchsenspanner in den Küchen, in den Gängen, auf der Treppe sich zuzischelten: Der Marschall kann nicht ausgehen, er hat keine – Und wo sind sie? – Sie sind verbrannt. – Wer hat sie verbrannt? – Ach, unter den Treppen am Hofe wissen sie alles. Was Du retten wolltest, Frau Eva Bredow, Deines Gatten Ehre war da erst, und auf immer verloren.

Das flüsterte jetzt auf der letzten Stufe der Versucher ihr zu. Nicht der Hauptmenschenfeind, nur einer der kleinen, geriebenen, neidischen Geister, denen es ein Aerger ist, wenn auf Erden etwas Großes geschieht. Es war der Dämon, der, wenn wir etwas tun wollen, uns zuruft: »Ists auch jetzt die rechte Zeit? Erwäge doch, ob Du es nicht besser machen kannst, wenn Du das und das zuvor bedenkst und das fragst und das prüfst und das zurecht legst?« – O, wie überstürzt sich der grinsende Kobold, wenn wir auf ihn hören, und prustet sein Hohngelächter aus. Der tückische Gnom hat große Macht geübt in alten Zeiten, zumal in Deutschland, und hätten ihn unsere Vorfahren zu beschwören gewußt, wie sie manchen Kobold beschworen, so stände es besser schon jetzt mit dem heiligen römischen Reich deutscher Nation. Nun fangen wir erst an, ihn zu knebeln, und der Herr gebe seinen Segen.

Eva Bredow war ein beherztes, kleines Weib. Sie riß den Fuß aus seinen Krallen los, mit denen er sie auf der letzten Stufe festhalten wollte. »Wenns jetzt nicht geschieht, so geschiehts nimmer.«

Durch die trüben runden Scheiben des Fensters nach dem Hofe drang der Mondenschein nur spärlich in die ungeheure Küche, die am Ende des Flures lag. Das Mondenlicht tat aber auch nicht mehr not; schon prasselte auf dem niedrigen Herde die Flamme in den gewaltigen Schlot, wo ein ganzes Heer von Kobolden Platz gehabt hatte. Und nachdem das Reisig, eine helle Lohe, knisterte und flackte, legte die Hausfrau, die es angezündet, ein mächtiges Scheit nach dem andern darauf.

Auf einem Schemel davor saß sie nun; in der Hand glänzte eine große Schere. Noch hatte sie nicht zugeschnitten. Wenn man auch mit sich einig ist, daß etwas geschehen muß, ist mans noch nicht immer über das Wie? ja daran ist manche Tat gescheitert. Anfänglich wollte sie sie um einen Stein wickeln und in den Stadtgraben versenken; aber wenn Wasser Leder vernichtete, wo wären sie längst gewesen! Und wie, wenn der Stadtfischer einmal gekrebst hätte, und statt der Krebse brachte er im Netz die Hosen des Herrn von Bredow wieder ans Tageslicht! Nur das Feuer half. Aber Leder gibt einen häßlichen Gestank. Darum wollte sie es in Stücken und Streifen zerschneiden. Etwas Gestank gab auch das, aber wo laßt eine böse Tat keinen zurück! –

Sie hatte noch nicht zugeschnitten, und ihr Herz pochte hörbar, aber es pochte noch etwas anderes. Es kam über den Hof, es trat in den Flur – Herr Gott, es trat in die Küche. War das der Geist des Vaters? Das Kleid entsank, die Schere entfiel ihr und er legte seine kalte Hand auf ihre Schulter.

»Eva, was tust Du?«

Frau von Bredow sank in Ohnmacht, aber es durchrieselte sie eiskalt, und der rote Flammenschein beleuchtete ein schneeweißes Gesicht; wie angelötet saß sie auf dem Schemel, als das Gespenst den Birkenstamm, seinen Stock, aus der Hand legte und sich vor ihr auf die Bank setzte.

»Du kennst mich nicht mehr, Eva?«

»Vetter Hans Jochem,« sagte sie endlich aufatmend, »ach was habt Ihr mich erschreckt.«

Sein Haar hing struppig, schon grau gesprenkelt, um das blasse Gesicht, sein Bart wallte in krausen, wilden Locken um das Kinn und über das zerrissene Franziskanerhabit. Wie war er anders geworden; nur die kleinen, runden, glänzenden Augen waren noch dieselben; sie irrten noch immer umher; aber nicht mehr mit der Freude, mit dem Entsetzen liebäugelnd.

Ein Lächeln schien um seinen blassen Mund zu spielen, als Eva ihre Nachtkleider hastig ordnete und zusammenzog. Auf Spuk und Geister war die mutige Frau vielleicht gefaßt gewesen, aber nicht auf einen Mann von Fleisch und Bein, der noch dazu vor Jahren für ihren Freier galt.

»Dafür habe ich keine Augen mehr, Muhme. Mein Aug ward schärfer. Durch die wonneschwellenden Formen einer Liebesgöttin sah ich nur noch das modernde Gerippe. – Was versteckst Du, Eva,« fiel er ein, als sie das Kleidungsstück, was ihr vorher entfallen war, durch eine unmerkliche Bewegung mit dem Fuß seinem Gesicht zu entziehen suchte. »Ich sah und weiß.«

Eva war ihrer Mutter Tochter, aber fest, verständig, wie jene war sie das Kind einer neueren Zeit, rascher in ihren Entschlüssen, gewandter sich in die Umstände zu schicken. Sobald der erste Schreck vorüber, wußte sie Licht zu finden in dem Dunkel. Ihr Mann war spät, mit einer besonbern Heimlichkeit zurückgekehrt; er hatte sich im Stall und Schuppen verschlossen, ehe er zu ihr hinaufgekommen, er war auch einigemal wieder in den Stall zurückgegangen. Was hatte er da zu suchen? Hatte er seinen Vetter Hans Jochem mitgebracht und dort versteckt gehabt? Man sprach von einem wilden Manne, dem der Kurfürst auf der Jagd begegnet sei, dessen Reden den Herrn in Tiefsinn versetzt; ihr Gatte hatte plötzlich auf Joachims Befehl ausreiten müssen; er hatte nicht verraten wollen weshalb, noch wo er gewesen, noch was er zurückgebracht. Hans Jochem war nun hier; gewiß ein wilder Mann; er war im geheimen hier. Das reimte sich. Sie wollte schnell zur Gewißheit:

»Vetter Hans Jochem, was willst Du hier?«

»Ich gehorche dem, der mich schickt und mir gebietet.«

»Wer hat Dich hergeschickt? Brachte Dich mein Mann mit? Was suchst Du hier? Warum so heimlich? Was sinnst Du, Vetter? – Mir wird bang mit Dir. Was stechen Deine Augen? Was soll der Unkenton, in dem Du fragst? – Wir haben nichts mit Geheimnissen und Prophezeiungen zu tun; wir sind ruhige, ordentliche Leute –«

»Und sündigen im geheim, wie alle Kreatur.«

Sie hielt seinen lächelnden, stechenden Blick nicht aus.

»Eva, was hast Du getan?«

»Ich? Nichts.«

»Was hast Du tun wollen? – Dein Tun war keines, worauf das Auge Gottes mit Wohlgefallen sieht. Was brauchtest Du es sonst zu verbergen? – Armes, schönes Weib, was fehlt Dir denn noch auf dem Wege, den Du einschlugst? Vollauf schüttete er ja, der Fürst dieser Welt, das Füllhorn seiner Gaben auf Dich aus! er gab Dir zur Schönheit, Gesundheit; zu Kindersorgen und Haussorgen auch die Zufriedenheit, daß Du wie ein satter Schwan segelst auf dem ruhigen Lebensstrom. Daß der Fürst der Welt Dich dadurch leibeigen machte, daß er Deine Seele in Fesseln schmiedete, daß Du ein buntes Schattenleben führst, ohne Rausch und Seligkeit, ohne Verlangen und Sehnsucht, das fühlst, das begreifst Du ja nicht. Warum nun nicht genießen die kurze Spanne Traumesdasein? Was brauchst Du noch heimlich zu sündigen? Wie, oder regt sich schon der Dämon des Ungenügens? Zückte ein Strahl in Deine Verzauberung, Weib? Fühlst Du, daß der Herr sein nicht spotten läßt, daß er Dir den Geist gab, nicht damit Du ihn durch Spenzer und Schnürleiber erdrücktest? Verlangt Dich nach Auffrischung aus dem grauen Einerlei? Sündigst Du zum Zeitvertreib? Sündige denn fort, Eva, es ist der Weg zum Erwachen.«

Der jungen Frau stürzten die Tränen aus dem Auge. Wenn sie sündigte, wollte sie in der Wahrheit gesündigt haben. Sie riß das Kleid vor: »Ich habe nicht gesündigt, ich wollte tun, was ein treues Weib tun muß.«

Der Zornige ist ein schlechter Advokat für seine Sache. Es schoß und sprudelte wie ein Wasser über Steine und Blöcke, aber der Gast hatte sie doch verstanden. Er saß still eine Weile, dann faßte er sanft ihre Hand:

»Ists denn unrecht, so ich den, der mir der Liebste auf Erden, erlöse?«

»Wovon?«

»Daß er wieder das Auge aufschlagen kann wie ein anderer Mensch, daß er zu der Ehre kommt, die ihm gebührt!«

»Welche Ehre gebührt dem Sohn des Staubes! Die Flitter, die er zusammengerafft? Plunder und Lumpen vom Strahl des Tages! Sprich mir nicht von jener Ehre, von welcher die Rechtlichen meinen, sie brächten sie mit aus der Wiege, sie erwürben sie durch ihre guten Werke, gemessen nach der Elle der Gebote. Diese Ehre flimmert wie der Morgentau, wie der bunte Schiller des Morastes im Abendrot, aber es ist der Meltau der Sünde ohne die Gnade. – Muhme Eva, meine Sendung ist zu andern, aber auch der hastende Wanderer mag dem Verirrten auf dem Wege ein Wort zusprechen, tue es nicht. Du zerstörst nur Torheit und Menschensatzung, aber eine Sünde begehst Du gegen den Herrn, der da sprach: Die Welt soll in Torheit wandeln, damit sie nach der Weisheit sich sehne.«

Er war aufgestanden; auf die Birke gestützt, sah, er sie scharf, aber nicht drohend an.

»Laß ihm den Fleck, den Schatten, der seine Ferse hemmt. Wen der Herr gezeichnet hat, den hat er in seiner Obhut. Kleiner Dinge bedient er sich, wo er Großes wirken will, weil Euer Auge nur wach ist für das Geringe. Hast Du vergessen, was er durch diesen Plunder gewirkt? Arme, die Du gedankenlos im Sonnenstrahle wandelst, es wird auch Dir die Zeit kommen, wo Du nach einem Schatten Dich sehnest. Pflücke, reiße ihn nicht ab von dem, der Dir der Teuerste ist auf dieser Erde; Du weißt nicht, was Du tust. Du fühlst die Sünde nicht, die Du begehst. Selig die hier verachtet sind, denn sie werden in Glorie strahlen; heilig die er hier prüft durch den Hohn der Welt, denn sie sind, die er auferwecken will. Laß ihm den Fleck, den Schatten, laß ihm den Stachel, der ihn peinigt. Aus der Peinigung wird er – Lebwohl, Eva.«

Eva rief ihn zurück: »Hans Jochem, so dürfen wir nicht scheiden. Du bist mein Gast, Du meinst es noch gut mit der Freundschaft. Vetter, geh nicht so fort. Laß uns ein freundschaftlich Wort tauschen. Wer weiß, wenn wir uns wiedersehen!«

Er ließ seine Hand in ihrer, die sie besorglich drückte. Sein Blick war nicht bös. Ihr Ton war so mild.

»Wo gehst Du hin? – Ich frage nicht aus Neugier. Wie siehst Du verstört aus. Du mußt lange in der Heide gelebt haben. Laß Dirs einige Tage, wenigstens heut, bei uns gefallen.«

»Mein Weg ist Unruhe, mein Ziel ist wandern.«

»Wer zu einer Reise ausgeht, muß sorgen, daß er gesund ist. Nun sprich ein treu Wort; sind wir nicht Deine nächsten Blutsfreunde? Was irrst Du, wie ein unstät Tier im Walde, wie der Wolf, der vor den Schwellen der Menschen schrickt.«

»Wohl dem, der den Wolf in sich erkennt!«

»Du bist krank!«

»Krankt nicht die ganze Menschheit am ungeheuern, unermeßlichen Todesverbrechen, daß sie da ist, und sie schlürft und trinkt in Jubel, Leichtsinn und Gedankenlosigkeit, Vergessenheit über Vergessenheit. Dann ist sie froh!«

»Bleibe bei uns, unter guten Menschen, die das Rechte tun, was sie verstehen, und nicht mehr wollen. Wer mehr will, versucht Gott.«

»Wem er nun aber rief! Wem das Tor sich lüftete, wer da einen Blick hinein tat auf die übertünchten Gräber, auf den Wirbelreigen der geschminkten Leichen, wie Sünde auf Sünde sich pfropfte, Geschlechter Geschlechter zeugten, sündenvollere Kinder als die sündigen Eltern, ein Gewimmel, wie wenn die Sonne brütet auf dem gefallenen Tiere, und der warme Dunst nährt die Millionen mal Millionen. Eines verschlingt das andere, eines ringelt sich, zehrt, lebt vom andern; die in Wollust über den Todeszuckungen von denen, und jedes Gewürm wähnt, Sonne und Mond leuchten für ihn, und der Herr sei da für ihn, wie ein Vormund und Verwalter, den der Gerichtsherr bestellt! O, wo ist der Himmel so reich an Gnade, daß er in diese Abdeckergrube Rettung gießt, daß er für dieses bodenlose Meer von Dünkel aus seinem Sternenhimmel Gnade schöpft!«

»Allerheiligste Jungfrau! – Du bist doch kein Ketzer!« rief Eva. Leiser setzte sie hinzu, als scheue sie sich vor dieser Gedankenverbindung: »Du warst beim Dotor Luther.«

»Bei ihm war ich, den ich verkannt, den ich mich vermessen zu meinem Irrwahn verkehren zu wollen. Wie den stolzen Zehnender der Luchs im Dickicht anspringt, warf ich mich auf ihn; aber wie der Hagel abprallt vom Turm, und der Turm regt sich nicht, ward ich von seinem Blick zu Boden geschmettert. Dreimal vermaß ich mich, und dreimal mußte ich mich wie der Wurm krümmen, und der Riese würdigte nicht, mich zu zertreten. Eva, ich habe auch die Schmach gekostet; diese Feuerworte, die er auf mich goß, diese Kernsprache, die mich durchwühlte! Verdammt erst blind zu sein und dann zu freveln gegen den, dem er das Licht ins Auge senkte, den Donner in die Kehle, den Blitz in die Worte. Und er hat mich zum zweiten Mal geweckt; er verstieß mich nicht, er hat mich aufgerichtet, ich atme wieder, ich ahne seinen Lichtglanz und« – setzte er dumpf hinzu – »ich irre nun, wie das Tier in der Wüste nach der Quelle, nach dem Trank, und wittre nur Schwefeldampf, aus ihren Ritzen den Modergeruch der alten Erde, die nach ihrem Untergang sich sehnt.«

Im Hause Hohenziatz mußten die Priester es verdorben haben. Eva dachte nicht mehr an den Ketzer; der Gedanke vielmehr durchwärmte sie, daß der Augustiner der Mann sein könne, welcher ihren Vetter zum Rechten führe. »Wenn er der Rechte wäre!« entfuhr es ihr. So warm war der Ton, man hätte glauben mögen, sie fühle mehr für den Unglücklichen als Verwandtenliebe. Aber ihr weiches Herz hatte sich erschlossen für sein Elend; ihr eigner Kummer war vor dem Mitgefühl für seine Verirrung zurückgetreten.

Hans Jochem wiederholte die Worte, die er eigentlich nicht hören sollte, und starrte vor sich ins Schwarze.

»Er soll das heilige Bibelbuch ganz auswendig wissen.«

In Gedanken verloren fuhr er fort:

»Im Kampfe gegen die hohen, gegen die goldumwobenen Götzendiener zum Anbeten! Wie reißt er ihnen die erborgten Fetzen ab und stellt sie in ihrer scheußlichen Nacktheit an den Pranger –«

»Predigen soll er gewaltig, daß es in Herz und Nieren geht,« fiel Eva freudig ein.

»Wenn ihm nun doch die Larve von der Stirne fiele.«

»Hans Jochem! was ist Dir wieder, sie sagen alle, daß er in hohem Ansehen stände beim Magistrat und seinem Fürsten.«

»Mit Gott und Belial sich vertragen,« fuhr er heraus in einem Ton, der sie wieder erschreckte. »Wie kann ein Mann, der nur von Gott voll ist, mit der gescheiten Ordnung dieser Welt sich vertragen; sich setzen mit Magistrat und Fürsten, teilen zwischen dem Ewigen und dem Endlichen! Wie kann er singen, tafeln, trinken, Libelle schreiben gegen Könige und Bauern. Wie kann er sein ein Mann von dieser Welt, was sie nennen, »ein ordentlicher Mann«, den Gott zu einem Phropheten berief!«

Da senkte Eva die Augen, denn sie verstand es nicht; aber ihr ward bang, seine Stimme zitterte wunderbar.

»Mit unserer Kraft ist nichts getan, hört ich ihn singen durch den frischen Herbstmorgen, und er schüttelte seine Arme, daß die Gelenke knackten, und er schritt über den Gang, daß die Bohlen dröhnten. Rom will er zertreten, aber sein Wittenberg retten. Was läßt sich denn retten, wenn der Herr spricht: Es werde Wahrheit–«

Sein Auge leuchtete in dem Totengesicht.

»Was ist Wahrheit? – Dein blaues Auge, Weib, das mich treuherzig anlacht? Aber ich sehe aus tiefer, schwarzer Höhle schon das Nichts grinsen, wenn die weichen Lippen abgefallen sind, die süß geschwellte Wange Staub, wenn die Vögel über Deinen bleichenden Gebeinen flattern nach neuer Atzung. Wo werden die Gebeine denn ruhen? Sie schwimmen im Wirbelmeer der Verwesung. Wo sind Ninive, wo Sodom und Gomorrha? Ist Rom, ist Magdeburg, sind Brandenburgs Türme fester? Sand oder Granit unter Deinen Füßen, wenn die Glocke stürmt, und ich höre sie ferne klingen, wenn die Posaune dröhnt, und sie summt über der Wolke, wenn die Quellen siegen, und ich höre schon die Brunnen rieseln und steigen; wie zerschieben sich die Bilder zu greulichen Ungestalten, wie fällt der Farbenglanz ab. Staub vom Flügel der Motte. Alle Farbe ist Lug, auch das Grün, das die Erde kleidet; alle Gestalten sind Bilder unseres Auges und alle Bilder Täuschung. Die Ewigkeit frißt und verschlingt, ein hungriger Wolf, die Götzen und die Menschen, ihre Träume und ihren Wahn! Herr Gott, alles, alles! und wir wirbelnder Sonnenstaub !«

»Der Herr Christi ist für uns alle gestorben, sein Blut –«

»Das Blut eines sollte sühnen die Greuel von fünf Jahrtausenden, den entsetzlichen Abfall von des Herrn Geboten, wachsend, sich üeberstürzend wie eine Lawine. So stürzten wir aus dem Unrechten in das Verbotene, aus dem Verbotenen in die Sünde. Wer malt noch Kohlschwarz auf Pechschwarz? Wo das Paradies unter den Kutten, dem Ratsherrnpelz, dem Fürstenhut, wo Gottes Himmel über dem Baldachin? Wo die Gesetze der Natur unter des Doktors Weisheit! Die tausend mal tausend goldenen Kälber, vor denen das Menschengeschlecht tanzte, jubelte und opferte; diese Bilder, Eva, sind es, die uns in Ewigkeit verdammen; wir waren Bilderdiener, mehr nicht. Wenn wir schwimmen im Strudel, woran uns fassen? Was wir für Wahrheit hielten, da grinst uns der Molch an, die Schlange windet sich an unseren zitternden Händen. Da schwebt Christus durch den Nebel. Fasse doch nach seiner Ferse der Gerechteste, er faßt nur seinen Schatten –«

»Halt! Du darfst nicht fort, Hans Jochem. So nicht zum Kurfürsten.«

»Zu ihm.«

»Die Wächter lassen Dich nicht vor.«

Er lachte fürchterlich. »Der Wolf der Unruhe heult auch in dem Fürsten der Welt. Laß mich nur anschlagen, und alle Tore springen.«

»Was willst Du zu ihm reden?«

»Weiß ichs! Ob das Wasser sie verschlingen, das Feuer sie verbrennen, ob der Geist, der freigewordene, sie zerreißen wird, die alte Welt geht unter. O, ich freue mich, ihn zittern zu sehen; es ist Wollust, das Zähneklappern der Gewaltigen, wenn sie, die sich selber zu Götzen gemacht, die Götzen wanken und zittern sehen.« Auch Eva zitterte, als er sich losriß und durch den Flur nach der Tür schritt. Die Tür öffnete sich und schlug hinter ihm zu. Bis der Tritt auf der Gasse verhallt war, horchte sie mit angehaltenem Atem. Ihr ward zum ersten Male wahrhaft bang zu Mute. Es war so einsam, sie glaubte das Wasser im Brunnen rieseln und steigen zu hören. Endlich nahm sie sich zusammen und eilte hinauf. Alle ihre Lieben schliefen so ruhig. Sie kniete am Bette der Kleinen nieder und schlang ihre Arme darüber. Sie hörte nicht mehr, das Rieseln des Brunnens, der Mond zitterte nicht mehr, der Nachtwächter draußen sang das Ende der Stunde ab, in der die bösen Geister Macht haben:

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