Willibald Alexis
Der Werwolf
Die Sündflut und der Tempelhoffsche Berg. II., Erstes Kapitel
eingestellt: 8.8.2007
Wie lange schon ists her, seit die Klosterglocken von Lehnin verstummten! Seitdem der Hirt, wenn er die Abendmette hörte, den Hut abriß, die Hände faltete und aufs Knie sank, sein Angesicht im halblauten Gebet dahin wendend, von wo der Glocken Klang durch den Frieden der Wälder zitterte. Wie weit schallte der Ton, wie lieblich, lockend, tröstend dem verspäteten Wanderer. Wenn nun die dunklen Kiefern sich lichteten, und über den Dampf des Lugs die hundert bunten Giebel
und Türme mit ihren goldenen Wetterfahnen, angerötet vom Abendschein, ihn gastlich anblickten, hörten die bangen Herzschläge auf; Unholde, Wölfe und Räuber hatten ihre Macht verloren. Vor dem Hirten, dem Wanderer, dem Handelsmann öffneten sich die Pforten in den dicken Mauern von festgebranntem roten Steine, und drinnen dampfte der Kessel über dem Herde den Hungernden; ein weiches Lager war für den Erschöpften gestreut, für jeden je nach Stand und Würden, für alle Frieden und Ruhe.
Es
war eine schöne Zeit, sagten viele. Hat doch jedwede Zeit ihr Schönes und ihr Häßliches. Unter dem Krummstab ist gut wohnen, meinten unsere Väter, und die Glocken läuteten den Frieden ein. Die Glocken in Ehren, wir meinen heut, es sei besser, wenn der Friede überall ist und wächst, wie der Halm aus dem Boden; wenn der Friede ist, wie ein Mannaregen, der alle erquickt, die leben und atmen, als wenn er eingepfercht ist in den festen Mauern eines Kirchhofes, und die Glocken läuten am Morgen und
Abend den Bangen und Verirrten in der Wildnis, daß sie eilen heranzukommen, um teilhaft zu werden, was nur wenigen beschert wird.
Die Glocke von Lehnin tönt noch heute; s ist aber eine schwache Stimme, als schämte sie sich des kleinen spitzen Bretterhauses, das einen Turm vorstellen soll, und unten stehen noch die gewölbten Riesenmauern mit ihren bunten schönen Krenelierungen, als schämten sie sich auch des Zwerges, den der Zimmermann auf ihren Scheitel nagelte. Die hundert goldenen
Wetterhähne drehten sich nicht mehr im Sonnenlichte, die bunten Dächer sind in Schutt gefallen; von den kühn gezackten Giebeln ragt nur noch ein Paar in die Lüfte, verwittert, zerfallen, und der Storch schaut von seinem Nest auf der Firste über die Verwüstung solcher Herrlichkeit. Aber die Mauern, Keller und Türme reden noch zu dem Verständigen, die uralten Linden und Rüstern schütteln ihre Schattenwipfel wie ehemals; der schwarze, fette Boden treibt Kräuter, Stauden und Aehren so üppig als je,
und Friede und Sicherheit ergossen sich aus den durchbrochenen Mauern weiter, als die Glocken schallten, über das Land.
Es war ein schöner, stiller Juliabend, als die Mette von den Türmen läutete. Die Abendsonne übergoß mit ihrem goldenen Rot die alten Gebäude und die alten Bäume; aber im Kreuzgang an der Ecke glänzte ein anderes Licht von hundert Kerzen auf hohen Armleuchtern von Silber und Messing, oder in den Händen der Chorknaben, die mit wohlgekräuseltem Haar in ihren roten und
weißen Festhabiten die Weihkessel schwenkten, während ein Priester die Mette las. Die Armleuchter standen im Kreis um ein steinern Ritterbild, und um die Kerzen lagen viele Personen auf den Knieen, meist edle Frauen und zarte Kinder. Die in der würdigen Matronenhaube, welche so eifrig ihren Rosenkranz durch die Finger gleiten ließ, wer hätte die Burgfrau von Ziatz nicht erkannt. Zur Linken ihr die schöne Eva mit dem Kreis von Kleinen um ihre Füße. Schwerer hätte vielleicht ein anderer zu ihrer
Rechten die geistliche Frau wiedererkannt, die im Schleier ihr tiefbewegtes Antlitz verbarg. Es war ihre Tochter Agnes, die jetzt Aebtissin im Nonnenkloster zu Spandow, vom Bischof den Permiß erhalten, der Einweihung des Standbildes ihres Vaters in Lehnin beizuwohnen.
Das war das Fest, was an diesem schönen Abende im Kloster Lehnin gefeiert ward. Seltsam, daß nur so wenige zugegen waren von der andern Sippschaft; noch seltsamer, daß von den Klostermönchen gar nicht alle im Kreuzgang
mitsangen und administrierten; es war ein seltenes Fest und gereichte dem Kloster zu großer Ehre. Wenn ein Bärenführer trommelte und seine Affen in den roten Jacken springen ließ, stürzten sie doch hinaus, kein Kopf blieb zurück. Die Mönche hatten vollauf an allem, nur nicht an Zeitvertreib. Und heute – was hatten sie anderes, wichtigeres zu schaffen? Der Abt selbst zeigte sich nur ab und zu; aber wenn er sich gekreuzt und geneigt und in die Responsorien eingestimmt, schlich er wieder
abwärts.
Wohin? – Er ging wie ein Träumender umher, bald langsam, den Kopf zur Erde, bald hastig und die Augen nach allen Seiten. Einmal war er auf den Ringelturm gestiegen und hatte, die Hand überm Auge, in das Abendgold geschaut; ein andermal war er in den Keller gestiegen, nicht um den dicken Subprior aufzurütteln, der wieder in der Ecke lag, auf einem Weingestell, und den Abt gar nicht merkte; denn er gab schauerliche Töne von sich aus Mund und Nase, die in der Einsamkeit
einen anderen erschreckt hätten. Nein, der Abt achtete gar nicht auf ihn, vielleicht weil er unverbesserlich war; auch kostete er nicht von dem goldenen Hungarwein, der in einem halbvollen hohen Spitzglase neben dem Schläfer stand. Er blieb vielmehr in der Mitte des großen Kellers und schüttelte den Kopf. Sein blaß Gesicht blickte ringsumher auf die Stückfässer, wie einer, der Abschied nehmen will von teuren Gegenständen, und er muß sie zurücklassen oder er kann nur etwas mitnehmen, und er hat
die schwere Wahl. Ach, sie sind ihm alle gleich lieb. An einige klopfte er mit dem Finger; da klatschte der Wein drinnen an seine Eichenwände, und die Klagestimme des Geistes mußte der Abt verstehen; er wischte unwillkürlich mit dem Finger am Auge, und ein Seufzer stieg aus seiner Brust. Was aber sollte das? – Er legte sich plötzlich auf die Erde, da wo der Keller am tiefsten, und tippte mit demselben Finger, der sein Auge berührt, auf den Boden, ob er naß sei? Dann legte er sich auch mit
dem Ohr hin und horchte. Er hörte nichts als das Schnarchen des Subpriors.
Draußen im Nebenhof, der nach dem Garten mündet, war etwas zu sehen, was keiner zu irgend einer Zeit in Lehnin gesehen. Da standen vier Säulen, über mannshoch, zwei waren gekappte, alte Lindenbäume, die anderen beiden waren von starken Ziegelsteinen oder behauenen Feldsteinen aufgemauert. Auf diesen vier Säulen schwebte in der Lust ein neugezimmert großes Schiff, gut verdeckt, mit einem Mast, nicht allzuhoch.
Hinten war ein Steuer und vorn hingen zwölf lange Ruder heraus, zu jeder Seite sechs. Wars eine Galeere, mit der ein Zauberer durch die Luft segeln wollte? Wie hätte man einen Zauberer in einem christlichen Kloster geduldet! Aber am Vorderteil war, von Holz geschnitzt, das Bild eines Mannes mit einer morgenländischen Pelzmütze, und um den Rand des Schiffes stand, in zierlichen Buchstaben gemalt, der Vers:
Pater Noah oramus ex profundis Salva nos ex aquis et undis!
so lateinisch auf der einen Seite, und so deutsch auf der anderen:
Vater Noah, gelobt in der Höh.
Bete für uns in Sturm und See!
Die Arche Noah mochte wohl fertig sein, aber noch war viel Geschäftigkeit darum. Unten schwelten Feuer, und mit langen Pinseln teerten sie den Bauch des Schiffes, von dem der Schiffszimmermeister aus Brandenburg gesagt, er sei zu groß, und der Kiel werde zu tief im Wasser gehen. Aber nach langen Debatten im Konvent hatten die
Mönche beschlossen, er solle bauen, wie sie es wollten, und nicht wie er es verstand. Denn in einer pergamentenen Vulgata hatte ein Pater das wahrhafte Bild der Arche Noah am Rande verzeichnet gefunden, und diese hatte gerade einen solchen Bauch. Da hatte der Zimmermann gemeint: wes Geld uns klinget, des Lied man singet. Und wenn sie ersaufen, hatte er bei sich gedacht, ists zu spät, daß sie mir einen Prozeß an den Hals werfen.
Der, Bauch war aber nötig, wenn man sah, was schon dort
im Speicher stand, in Kisten und Tonnen verpackt, so alles hinein sollte. Der Pater Küchenmeister war eben die Leiter mit einem Sacke hinaufgestiegen und trocknete sich die Stirn ab, als der Abt ihn fragte, was er hineingetragen?
»Teltower, Domine! Die Rüben müssen vor allem trocken liegen.«
Der Abt seufzte: »Werden wir denn einen Boden finden, wo wir wieder Rüben stecken können?«
Wichtiger schien das Gespräch mit dem Pater Kellermeister, nach den Mienen
beider zu schließen, als sie auf und ab gingen.
»Unser schönes Rostocker«,« sagte der Pater, den Kopf schüttelnd. »Es zerfließt wie Honig auf der Zunge; gerade jetzt kommt es in Kulmination, Domine«
»Lieber Bruder,« entgegnete wehmütig der Abt, »haben wir nicht jeden Kubikfuß ausgerechnet! Für jede Kanne Bier eine Kanne Wein weniger.«
»S ist wahr,« entgegnete der Pater, auch den Kopf sinken lassend.
Die Glocken schwiegen, die Feier im
Kreuzgang war zu Ende und der Abt genötigt, seinen edlen Gästen den Abschiedsgruß zu bieten. Da floß manche Träne, als er seine in Gott geliebte Schwester, die Aebtissin, an der Hand faßte, um sie nach dem wohlverschlossenen Wagen zu führen, der sie, begleitet von vier Reisigen, nach dem Kloster zurückbringen sollte. Niemand konnte ihr ins Gesicht sehen, der edlen jungfräulichen Frau, weil der dichte Schleier es verhüllte; aber wie sie jetzt noch einmal sich umwandte, der Mutter noch einmal in
die Arme flog, dann der Schwester, und, schiens doch, nicht los konnte von ihrer Brust, und wer das stille Schluchzen hörte, der mochte sich sagen: sie preist die Glücklichen, aber sie selbst ist nicht glücklich. Und wie die Kleinen, Evas Kinder, der Base noch nachliefen, bis an den Wagentritt, und sie eins um das andere aufhob und küßte und plötzlich sich abwandte und, auf den Arm des Abtes gestützt, in den Wagen sprang, da dachte mancher: die wäre auch lieber nicht Aebtissin.
»Sie
wird für uns alle beten,« sprach der Abt, als er zu den anderen zurückkehrte. »Die Fürbitte einer so frommen tugendhaften Jungfrau ist bei den Heiligen oft von ganz besonderer Wirkung.«
Die Sänfte war herangebracht, darin Frau Brigitte nach dem Schlosse von ihren Knechten zurückgetragen werden sollte; sie konnte seit einiger Zeit das Fahren auf den Wurzelwegen nicht vertragen.
»Wir werden alle alt,« sagte die Edelfrau zum Abt. »Nun ichs erreicht hab, den schönen Tag, daß
ich meinen Götz in Ehren gesehen, mag der Herr mich rufen; an welchem Tag es sei, daß er den Tod, der sein Diener ist, an meine Tür klopfen läßt, ich werde ruhig antworten: Herein ! Da wird er alle uns versammeln, einen nach dem andern. Nun, mein Gottfried ging voran! Ich habs der lieben Seele, weiß Gott, gegönnt. Er war zu gut für diese Erde. Da wird er am Tore uns erwarten, weiß und rein im Himmelskleide, wie er da kniet.«
»Daß von den lieben Blutsfreunden gerad der liebste an
diesem Tag Euch fehlen mußte,« sprach der Abt.
»Herrendienst geht vor Freundschaft,« entgegnete die Matrone. »Hat er mir doch wenigstens sein Liebstes auch geschickt, daß ich meine Eva und ihre Kleinen bei mir hab Da mag er meinethalben noch recht lange ausbleiben. Nicht wahr, Ihr kleinen Schelme, Ihr bleibt gern bei der Großmutter, Ihr verlangt gar nicht nach dem Vater, der fortgeritten ist, und sich um Euch nicht kümmert.«
Die Kleinen sahen die Großmutter schlau an,
drängten sich aber doch dann um die Mutter, wie sie aufzufordern, daß sie die arge Rede der Großmutter nicht dulden solle.
»Mein Herr wird nicht mehr lang säumen, bis er heim ist,« sagte Frau Eva etwas errötend. »Mir sagts mein kleiner Finger, daß er bald hier ist,« wandte sie sich zu den Kindern, die laut aufjubelten.
»Es ist hart, wenn ein Hausherr, in solcher Zeit, auf des Fürsten Befehl in die Fremde muß, und so weit! Man sagt, der Marschall ward an des Kaisers Hof
geschickt in wichtigen Dingen.«
»So ists,« entgegnete die junge Frau zur Verwunderung der Matrone, denn Frau Brigitte hatte bisher gemeint, es sei ein groß Geheimnis, und nun sagte es Eva geradezu dem Abte heraus; aber sie hatte heute ein Schreiben erhalten, das ihr Gutes meldete, und daß ihr Herr auf der Rückkehr sei, und während der Messe, Gott verzeih ihr die Sünde, hatte sie ausgerechnet, daß er schon über Nacht an das Burgtor von Ziatz pochen könne. Davon pochte ihr Herz, und
sie trieb zur Rückkehr.
»Es muß eine sehr wichtige Botschaft gewesen sein, daß unser allergnädigster Herr gerade seinen Marschall jetzt ins Reich senden mußte,« wiederholte der Abt.
War der Abt neugierig? Wenigstens in diesem Augenblicke war er es, denn es ging das Gerede, daß Joachim seinen Vertrauten nicht eigentlich in politischen Dingen an den Hof des jungen Karl gesandt, dazu gebrauchte er andere Unterhändler – auch nicht, wie einige meinten, wegen des
Türkenkrieges; sondern – des Gegenstandes halber, welcher so viele tausend Köpfe im Abendlande beunruhigte, verrückte. Graf Vitus Rango, der General des Kaisers, hatte nämlich an seinen Herrn ein untertänigstes Promemoria gerichtet, daß in Anbetracht der furchtbaren Anzeichen, als welche an vielen Orten von den unterschiedlichen Personen hintereinander, in den Sternen und sonstwo, beobachtet und von den gelehrtesten und weisesten Männern dahin ausgedeutet worden, daß der Erde eine
Revolution ganz nahe bevorstehe, indem der Himmel seine Schleusen öffnen und durch entsetzliche Regenströme das flache Land überschwemmen werde, daß, sei er des Dafürhaltens, beizeiten Vorsichtsmaßregeln genommen würden, um wenigstens das kaiserliche Heer in dieser Kalimität zu retten. Und des Generals Vorschlag war dahin gegangen, daß die kaiserliche Majestät auf den Bergen in ihren Staaten Magazine anlegen lasse und dieselben beizeiten zu verproviantieren Befehl gebe, damit wenn die
Überschwemmung anbreche, die Truppen hinaufrücken möchten. Obwohl es dazumal keine Zeitungen gab, war die Sache doch bekannt genug geworden, und die deutschen Fürsten und Städte harrten in Ungeduld, was der hohe Rat des Kaisers darauf resolvieren werde; ja, mehr als einer hatte Abgesandte nach dem Hoflager des Kaisers geschickt, um des ehesten den kaiserlichen Beschluß zu erfahren. Die Sache mußte aber geheim betrieben werden, das war wohl erklärlich; denn dazumal hatte das Volk es noch nicht
begriffen, warum zuerst für die Soldaten gesorgt werde, und dann erst für die anderen Menschen.
Was der Kaiser und sein Hofrat beschlossen, war in Deutschland noch ein Geheimnis; auch erfuhr es der Abt von Lehnin, wie geschickt er fragte, von Frau von Bredow nicht.
Fast wehmütig hatte er die Hand der alten Burgfrau beim Abschiede gedrückt: »Es weiß jetzt niemand, wann und wo er den anderen wiedersieht!«
Da hatte die Matrone sich über die Sänfte gebeugt:
»Hochwürdiger Herr, das weiß kein Menschenkind zu keiner Zeit, sintemal es in des Herrn Hand steht, daß er spricht: bis hier und nicht weiter! Und wer in der Hütte von Lehm und Schilf auf seinen Knien liegt und Gott bittet: Herr, tue wie Dein Wille ist, an dem geht der Sturm vorüber, wann er den niederreißt, der sich gebettet hat auf dem allerfestesten Turme und glaubt ihm zu trotzen. Der Fürwitz und der Hochmut, hochwürdigster Herr, das sind unsere allerschlimmsten Feinde, so wir vermeinen,
Gott müsse uns lieb haben absonderlich, und uns besonders in seinen Schutz nehmen.«
Es war ein heller Abend, als wolle das Licht noch nicht scheiden von der Erde. Die Bienen summten in der Lindenblüte, die ihre Düfte in die warme wonnigliche Luft ausgoß. »Es wird gut zu gehen auf dem weichen Rasen,« hatte die Burgfrau gemeint, und dieweil die Sänfte und der Wagen den längeren Weg in der Niederung einschlugen, ging Frau Brigitte über die Höhe hin und sog die Abendhelle ein, wie ein
Kranker den frischen Trunk, den ihm der Arzt erlaubt. Eva ging vor ihr mit den Kleinen, die so munter und ausgelassen waren, daß es Mühe kostete, sie in Zucht zu halten. Aber auch der jungen Frau merkte mans nicht an, daß sie von einer Totenfeier kam. Wars der Abendschein, der ihr Gesicht rötete, oder die Freude der Erwartung? Wenn letzteres, dann mochte sie es wohl nicht der Mutter zeigen, auf deren Zügen die ernste Stimmung dieses Tages ruhte; darum mußte sie immer hinter den wilden Kleinen
jagen.
Ernst war das Gespräch, das Frau Brigitte mit dem Knecht Ruprecht pflog, der neben ihr schritt, den Spieß in der Hand, mit dem er vorhin an der Sänfte mitgetragen.
»Nein, Gestrenge,« sprach er, »nicht darum, daß Euer Stündlein schlägt, ists, daß Ihr heller seht; aber die Welt wird nicht untergehen.«
»Aber Ruprecht, so viele gelehrte Männer, die zehnmal, noch hundertmal mehr wissen als wir –«
»Sie merken was, das ist schon richtig.
Gestrenge, aber das was, ist nicht das Rechte. Wenn die Hähne schreien, wenn die Hunde Gras fressen, regnets; wenn die Schwalben und die Krähen durcheinanderfliegen, zieht ein Gewitter an; das weiß ein Kind, und ein Ochse auch, wie denn ein Ochs manches Mal mehr weiß, als ein Mensch. Aber weiter gehen sie nicht hinein. Haben sie auch nur der Meise, dem Finken ins Nest geguckt, dem Specht, der Amsel? Auf sieben höchste Kiefern bin ich geklettert – für meine Glieder eine schwere Arbeit
– aber die Brut der Fischreiher liegt da und piept mit ihren gelben Schnäblein wie in Abrahams Schoß. Und an der Havel sah ich nach den Nestern der Uferschwalben; da ist keine Unruh. Und die Fische, die müßten sich doch freuen, wenn das Wasser in die Höh wollte. Ei, sie gehen ins Netz, sie beißen an die Angel, sie sonnen sich an der Oberfläche, sie schießen, spielen, ist nichts in der Natur, Gestrenge.«
»Aber was ist doch, und wo ist was, Ruprecht. Die Sterne –«
»Sind für die vornehmen Leute, Gestrenge. S kommt mir bisweilen mit den Sternen vor wie mit den lateinischen Worten, wenn die Stadtpfarrer damit von den Kanzeln um sich schmeißen. Das ist für die Gelahrten. Was es ist, das werden sie selbst am besten wissen, für uns ists nichts, denn wir wissen nicht, was es ist. Nun mein ich, der liebe Gott spräche zu uns Menschen, wenn wirs hören sollen, nur in der Sprache, die wir verstehen tun; zu jedem, wie ihms Ohr zugeschnitten; lateinisch für die
Gelahrten, und durch die Sterne für die Sterngucker. Das ist also was Apartes für sie. So nun Gott wollte, daß die ganze Welt unterginge, und wollte es durch Zeichen allen Menschen vorausgeben, damit sie sich vorsähen und Buße täten, so meine ich, würde er es durch solche Zeichen tun, die jeder verstehen kann; als wie er dazumal, da er die Welt errettet und erlöset hat von der Sünde, in seinem heiligen Evangelium so gesprochen hat, daß es jeder versteht. Denn daß Gott, wenn er die Welt zerstören
wollte, es nur einigen zu verstehen gäbe, nämlich den Gelahrten und den Vornehmen, das, meine ich, kann nicht sein, weil sonst Gott nicht Gott wäre, der für alle ist, und nicht für einige.«
»Du hast schon recht, und das ist gottlos Unterfangen, wenn einer jetzt noch meint, ihn sollte Gott besonders lieb haben und ihm besonders einen Wink geben wollen, als wie dem Lot und dem Noah; da wir doch durch Christus alle gleich sind und wiedergeboren in der Gnade; und die Sterne, um die wollte
ich mich auch gar nicht kümmern; aber in der Kreatur, Ruprecht, regt sich was. Woher käme denn die Unruhe, woher schlüge ihnen das Gewissen! Irgendwo muß es an die Glocke geschlagen haben. Der Abt ist nicht der einzige, so sich ein Schiff baut.«
Da sie inne hielt, wie um Luft zu schöpfen, blieb er auch stehen und stützte sich auf den Spieß, den er mit beiden Händen festdrückte, als wollte er ihn in die Erde bohren.
»Es hat schon irgendwo geschlagen. Aber habens die
unschuldigen Kindlein gehört, die Junker und Frölen da, die jetzt dem Eichhorn nachspringen möchten und in die Hände klatschen, oder hats das Eichhorn gehört; seht wie es in den Zweigen spielt, als wärs noch im Paradies, aber Ihr, gnädige Frau?«
»Was meinst Du damit?«
»Ich meine, daß die alle sich nicht fürchten; aber die sich fürchten, die haben die Glocke schlagen gehört, und die Glocke ist das böse Gewissen. Denen rauscht es im Ohr wie Wasser. – Der Mönch in
Wittenberg hat stark an der Glocke gerissen.«
Beide schwiegen eine Weile, bis die Edelfrau ihn bedenklich ansah: »Ruprecht, hast Dus auch bedacht?«
»Denken tue ich nicht viel, aber ich habs gewittert. Der Geist der Unruh ist in sie gefahren seitdem; allüberall. Die Geistlichen sind jetzt wie die Bienen, wenn sie schwärmen gehen.«
»Er hat sich gegen den heiligen Vater auch aufgelehnt! Alle Geistlichen, nicht bloß die schlechten, sagen, er geht doch zu weit. Wenn
er nun ein Ketzer wäre!«
»Ein Ketzer mag er schon sein; ich weiß nur nicht eigentlich, was ein Ketzer ist. Bei den Sperlingen und den Lerchen hats keine, auch nicht bei den Fischen und Fröschen, bei den Rehen und Hirschen erst gar nicht. Nur bei dem Vieh, was mit dem Menschen zusammenkommt; da schlägt ein Tier aus, eins stößt mehr als das andere und ist bissig.«
»Siehst Du, s hat auch räudige –«
»Schafe, ja. Einige meinen, das kommt vom vielen Scheren her.
S ist mir überhaupt so, wenn ich die Schafe ansehe, als wärens verdorbene Tiere, und das mag wohl herrühren vom Umgang mit den Menschen. Manches Mal, wenn ich so nem Schaf recht ins Gesicht seh, ist mir, als wärs der oder der.«
»Schäme Dich!«
»Schon gut. Aber seht nur die große Herde, ich meine die Mönche, und Clerici und Pfarrer und Meßner. Wo sind denn die Böcke geblieben? Lassen sie nicht alle die Köpfe hängen! Und warum verbrennen sie ihn nicht wie den Huß! Wenn sie auf
die Trommel schlagen wollen, wie bedächtig streifen sie die Aermel zurück, wie sehen sie erst nach hinten und allen Seiten. S ist nicht mehr die Art von sonst. Das böse Gewissen schoß ihnen in den Nacken; es steht hinter ihnen wie die Roggenmuhme und schlingt die Arme um sie, und preßt sie auf die Brust; und wenn sie fluchen, kommts wie Angstgeschrei raus. Wer in Sünde und Mammon und Ungerechtigkeit erstickt, der schreit um Rettung, der sieht die Wasser steigen, darin er ertrinken wird, und der
mag Boote und Schiff bauen; ob sie aber den Sturm aushalten, das weiß ich nicht.«
»Ruprecht, laß uns ein Vaterunser beten für den Doktor Luther, daß er kein Ketzer wird. Ich hab den Mann lieb. Möchte ihn wohl mal mit Augen sehen.«
Nach dem stillen Gebete gingen sie schweigend weiter. Aus dem Dorfe, dessen Kirchturm einen langen Schatten über die Niederung warf, daß er bis an ihre Füße reichte, tönte die Abendglocke.
»Der Pfarrer,« warf Frau Brigitte hin, »der
drüben läuten läßt, soll auch wittenbergsch denken.«
»Wenn sie uns nur die Glocken lassen. Gestrenge! Das übrige findet sich schon.«
Aber die Ruhe fand sich nicht. Immer wieder kehrte ihr Gespräch zur Unruhe zurück, welche alle ergriffen hatte. Und der Landesherr, war er nicht auch davon angesteckt, erzählte man sich nicht, daß die Medici ihm ausdrücklich befohlen, alle Tage auf der Jagd zu liegen, damit das schwarze Blut sich nicht setze.
»Woher kommt nun das
schwarze Blut einem Fürsten, der hat doch alles, was er wünscht.«
»Alles!« erwiderte der Knecht, und zeigte auf das Spiel des kleinen Georg, der nach dem Schatten eines Baumwipfels mit den Händen schlug, wie nach einem Schmetterling; er traf aber nie, denn der Abendwind fing den Gipfel des Baumes drüben an zu bewegen.
»Wies nur mit der Luckenwalder Jagd gewesen ist!« sagte die Edelfrau. »Das weiß doch kein Mensch nicht, und seitdem ists so mit ihm.«
Knecht
Ruprecht wußte es; auf seinem Gesichte stand es geschrieben.
»Er hat einen Werwolf gesehen!«
Die Burgfrau kreuzte sich.
»Wer einen Werwolf sieht und bringt ihn zum Stehen, da muß der Wolf ihm Rede stehen, und sich verwandeln und ihm zeigen, wer er ist; und alles Geheime, und das Zukünftige sieht er.«
»Bewahre uns der Herr in Gnaden!«
»In der Luckenwalde! Heide wars, wo er ein groß wild Schwein ankommen sah. Der Markgraf folgte ihm, wie er
ist; und wie er drüben von allen seinen Dienern fortgekommen, stand das Schwein in einem Morast, und Joachim auch, und ringsum heulte der Wind im Schilfe; und keine lebendige Seele, als die Raben in der Luft, und kein Weg, nicht vorwärts, nicht zurück in dem glitzernden Morast. Und da machte der Eber kehrt und wies dem Fürsten seine Hauer. Der aber stieß ihm den Spieß in den Rachen, daß die eisenbeschlagene Esche krachte. Und da sprühte das Tier Feuer aus dem Rachen, und der Spieß brannte und
Joachim sah, es war kein Eber mehr, es war ein Wolf. Hätte er da losgelassen, er wäre verloren gewesen. Aber er ließ nicht los, ob doch das Feuer ihm schon bis an die Finger brannte. Das war der Werwolf, den er zum Stehen gebracht und gezwungen hat, daß er sich ihm zeige, wer er war!«
»Und wer wars?«
»Das weiß niemand. Die vom Gefolge sagen jetzt, es sei ein wilder Köhlermensch geworden, der den Kurfürsten aus der Verwilderung geführt. Aber sie sagen nur, was ihnen
geheißen ist, das sie wieder sagen sollen. Das ist gewiß, der Markgraf hat den Werwolf gesehen, und von ihm Dinge gehört, davon das Haar ihm kraus ward, von dem, was ist und was kommen wird; und da ist der Werwolf in ihn gefahren, das ist die Unruhe, und er weiß nicht, was er tun soll.«
»Eva, was ist Dir?« sprach die Mutter, denn Eva hatte es mit angehört und ward rot, und schien ganz unruhig.
»Die Kinder sind so wild – man kann sie gar nicht halten.«
»Die
lieben Kinder! Die spielen ja nur mit dem Schatten.«
Auch Eva schien mit den Schatten zu spielen, die von drüben immer länger, immer stärker, je tiefer die Sonne sank, herüberfuhren. Sie ließ die Kinder sich tummeln, sie ging allein am Rande der Niederung, auf deren anderer Seite sich wieder nackte Hügel erhoben; ein anderer Weg nach dem Kloster führte darüber hin. –
«Sie denkt an ihren Mann,« sagte die Mutter. »Sie glaubt gewiß, er wird heute schon heimkehren. Eva
ist auch eine Träumerin worden.«
»Wes Blut und Herz rein bleiben, hat Witterung wie der Vogel in der Luft,« entgegnete Ruprecht. »Das ist noch keine böse Kunst, das ist der unverdorbene Sinn in der Menschennatur, der auch den Hauch fühlt aus der Ferne und weiter sieht, als das Auge trägt.« Dabei sah er auf einen Punkt, wo Staub aufwirbelte. Man hörte Roßgewieher und Hufschläge. Der letzte Strahl der untergehenden Sonne, oder war es schon nur ihr Luftbild, beleuchtete bald die
Stahlhaube, dann den Küraß eines Reiters, der über den Hügelweg trabte. Jetzt schnitten sich die Linien von Roß und Reiter scharf ab gegen den Horizont. Er war es, nur durch eine breite Niederung getrennt, über die ihre Stimme nicht drang; der Wind war entgegen, und ob auch ihr Blick hinüberflog, seiner fand nicht hinüber. Er hoch am Abendrote, sie tief am Saume eines Waldes. Sie hob die Arme, sie wehte mit dem Tuch, er hätte doch das Leuchten ihrer Augen sehen können; er sah nicht, sein Roß
wieherte mutig und vorüber flog die Erscheinung des Ritters.
Die Großmutter winkte den Kleinen und hielt sie bei der Hand; dem Knechte nickte sie mit freudigem Blicke zu, daß er sehe, wie ihre Tochter dem Manne Zeichen machte, und da er sie nicht sah, ging sie eine Weile mit seinem Schatten und schien vergnügt, wenn er ihr Gesicht traf.
»Schau, wie die Eva spielt!«
»Das ist schon ein gut Spiel mit dem Schatten,« erwiderte der Knecht, »so wir nur wissen, daß der
Schatten ein Wesen hat, und das Wesen ist uns nah, und wir wissen, daß wirs fassen und erreichen mögen.«
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