Frei Lesen: Der Werwolf

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Hake von Stülpe, Erstes Kapitel | Zweites Kapitel | Drittes Kapitel | Viertes Kapitel | Fünftes Kapitel | Sechstes Kapitel | Siebentes Kapitel | Achtes Kapitel | Neuntes Kapitel | Neuntes Kapitel | Die Sündflut und der Tempelhoffsche Berg I., Erstes Kapitel | Zweites Kapitel | Drittes Kapitel | Viertes Kapitel | Fünftes Kapitel | Sechstes Kapitel | Siebentes Kapitel | Die Sündflut und der Tempelhoffsche Berg. II., Erstes Kapitel | Zweites Kapitel | Drittes Kapitel | Viertes Kapitel | Fünftes Kapitel | Die Kurfürstin Elisabeth und die weiße Frau, Der Vertrag in ... | 2. Kapitel: Aufruhr | 3. Kapitel: Mundus vult decipi. | 4. Kapitel: Der Reichstag von Augsburg von einer Seite | 5. Kapitel: Der Reichstag von Augsburg von der andern Seite | 6. Kapitel: Die erste Kommunion | 7. Kapitel: Die Überraschung | 8. Kapitel: Die Flucht aus Berlin | 9. Kapitel: Die Gäste aufgenommen | 10. Kapitel: Die Gäste ausgewiesen | 11. Kapitel: Wunder und Wahrheit | 12. Kapitel: Attila und Konstantin hörten die Stimme Gottes. | 13. Kapitel: Der Kehraus |

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Willibald Alexis

Der Werwolf

Viertes Kapitel

eingestellt: 8.8.2007



Der Berg, welcher seit dreißig Jahren in Berlin der Kreuzberg heißt, hieß durch sechshundert Jahre der Tempelhofsche, von dem Dorfe Tempelhof, das eine Stunde gen Mittag auf der Höhe liegt, und eine Komturei war des Johanniterordens, vordem aber eine des Ordens der Tempelherren, welche Markgraf Albrecht der Bär in die Mark Brandenburg gezogen, ihm zu helfen im Kampf gegen die heidnischen Wenden. Man mag es glauben, daß seiner Zeit der Tempelhof ein festes Schloß gewesen, wenn man die Lage der uralten Kirche ins Auge faßt, die, aus gequadertem Granitstein, auf einem Hügel sich erhebt aus Niederungen, Sumpf und alten Gräben. Die Niederungen sind nun Teich und Gärten, die Gräben verschüttet, die Kirche und die alten Lindenbäume und wenig vom Gemäuer das einzige, was aus der grauen Vorzeit übrig blieb. Die Markung vom alten Tempelhof erstreckte sich aber weit über den Berg in das Spreetal hinein und faßte einen guten Teil von dem, was heut zur großen Stadt Berlin gehört und die Friedrichsstadt heißt. Ja, das Gebäude selbst des berühmten Kammergerichtes, welches Joachim I. seinem Lande zum Heil stiftete, lag auf der Mark des Dorfes, und alte Leute entsinnen sich, daß die Tempelhofer eines Morgens ihr Rindvieh auf den Hof des Kammergerichts trieben, zum großen Erstaunen der Räte. Es war aber nicht bös gemeint, wie böse Jungen in Berlin behauptet, daß die Tempelhofer gedacht, ihre Ochsen könnten ebenso gut Recht sprechen, als die gelehrten Herren am grünen Tische; es geschah nur, daß sie ihr Hutungsrecht nicht wollten verjähren lassen.

Der Berg aber, der in vielen alten Urkunden genannt wird und nur ein vorragender Punkt ist des Höhenzuges nach Mittag vom Spreetal, war dazumal höher als jetzt. Denn, als Berlin größer ward, fuhr man, wie vorhin gesagt ist, den Sand ab auf die Elsenbrüche und die sumpfigen Wiesen der Myrica, um festen Boden zu gewinnen für den neuen Stadtteil. Auch ward er im Jahre 1813 nicht größer, als man zum Schutz der Hauptstadt gegen die Franzosen hier schanzte und auf dem höchsten Punkt eine Citadelle von steilen, grünen Wällen anlegte, die so stattlich aussah, das Bernadotte, der damalige Schwedenkronprinz, sie zierlich wie eine Zuckerbäckerarbeit nannte. Die Tausende von Gefangenen, welche wie Ameisen mit ihren Karren bergauf, bergab fuhren, waren ein lustig Schauspiel für die Einwohner der Stadt. Sah man diese doch in jenen ernsten Tagen mit Weib und Kind an jedem Nachmittag vor das Hallische Tor strömen, um zuzusehen, wie man ihnen eine Festung baute! Kluge Leute meinten allerdings schon damals, es sei auch nur ein Schauspiel, gleichviel ob für den Feind oder den Freund; denn wie der Tempelhofsche Berg unter den Bergen, werde dies eine Festung unter den Festungen werden, und die beste Festung für eine große Stadt sei ein mutiges Heer, das sich, die Kolbe in der Hand, vor ihre Tore stellt. Die Festung fehlte nun den brandenburgischen Landen nicht in den Tagen von Groß- Beeren und Dennewitz, der Feind fand an der Brust der Landwehr einen stärkeren Wall als an den grünen Rasenschanzen; die Kolbe tat in der märkischen Faust das Ihre, sie »flutschte« nieder, da man nicht schießen konnte, des Regens halb, auf die Köpfe der Feinde, und die Festung war umsonst geschanzt. Nicht doch ganz umsonst; sie hatte den Mut der Einwohner der großen Stadt aufrecht gehalten. Ein Spiel, bei dem auch der Schwache lernte, vor dem Ernst, welcher Preußens Hauptstadt drohte, nicht mit den Augen zu zücken; und der Ernst wäre furchtbar gewesen, wenn die Franzosen Berlin mit Sturm genommen. Allgemach kam so unter dem Spiel der Mut zurück; die schon eingepackt hatten, packten wieder aus; die schon angespannt hatten zur Flucht, nahmen die Pferde heraus und schickten sie zu den Erdfuhren. So mußte in Preußen mancher Mut zu großen Dingen langsam wachsen; es geschah unter allerlei Spiel, daß man ihm die Gefahr zeigte, bis es stark ward und kühn den Kopf erhob; und je langsamer es ward, um so ausdauernder wird es sein. Schade nur, daß die schöne Arbeit der tausend Franzosen, der Schweizer und Holländer und Neapolitaner ein Frühlingsmärchen blieb, das verschwunden ist bis auf die letzten Spuren. Der Berg ward noch einmal um und um gekehrt; und auf seine Spitze hat man das große eiserne Kreuz gestellt, und ringsum unter gotischen Bogen, nicht Heilige, sondern Helden des Krieges, die oft Miene machten, die ehernen Gestalten, als wollten sie herausspringen aus ihren Blenden, ich weiß nicht, ob gegen den alten besiegten Feind, oder aus Unmut, daß es damals so ganz anders ward, als sie erwartet, und daß sie oft die höhnischen Worte der jüngeren hören mußten: Wozu nun das alles? –

Vor dreihundert Jahren, als Kurfürst Joachim am schwülen Julitage mit seinem Hofhalt droben lagerte, war also der Berg höher. Wo man aber Berlin noch von der jetzigen mäßigen Höhe ganz wohl übersieht, welches an zwanzigmal größer wurde, mögen dazumal die Städte Kölln und Berlin, von ihren Mauertürmen und Gräben rund umzirkelt und ihren hohen Kirchendächern und Glockentürmen überragt, ein zierlich Bild abgegeben haben, inmitten der weiten Heiden, Wiesen, Aecker und dunklen Wälder. Fehlten auch die stolzen, hohen Häuser, die Kuppeln und Paläste, so prangten dafür desto stattlicher unter den Schilf- und bemoosten Ziegeldächern die bunt gewürfelten, steilen Kirchendächer, wie kostbare Teppiche, die hohen, kunstreich geschnitzten grauen Giebel der fürstlichen Häuser in der Breiten Straße und Klostergasse, das Schloß mit seinen vielen Türmchen, die beiden Rathäuser, und vor allem leuchteten die goldenen Kuppeln und Spitzen der Glockentürme von Sankt Peter, der schwarzen Brüder, von Sankt Marien und Sankt Nikolas, die von den grauen Brüdern bis zu dem fernen Kirchtürmlein von Sankt Georg außer der Stadt, für die Preßhaften vor uralters von den mildtätigen Vätern erbaut. Strotzte auch nicht mehr das Gold in ihren Taschen, ließen unsere Vorväter doch das Gold auf ihren Kirchturmspitzen nimmer matt werden. Das war die Ehre der Stadt, die vor den Fremden leuchten mußte.

Nicht stelle Dir das Bild ringsum zu grau und düster vor. Das goldene Aehrenfeld, die lichte Saat zwischen den dunklen Kiefern blinkt Dir freundlich entgegen, die Hirsche, die aus dem Dickicht brechen, stürzen sich in die vielen kleinen Seen und Tümpel, die blau daraus vorleuchten, und wo ein Hügel sich erhebt und die Mittagssonne ihn bescheint, rankt sich die Rebe auf, und Winzerhäuschen blicken zwischen den Weingärten. Ja, Reben zogen sich selbst bis hoch auf den Berg, auf dessen kahler Höhe der fürstliche Hof war. Es hieß die köllnischen Weinberge.

Auf einem Feldstuhle saß dort der Kurfürst, den Kopf im Arm. So sollte er schon Stunden gesessen haben, und die Sonne brannte so heiß. Er hatte fast mit keinem gesprochen; die vier Hatschiere mit ihren flimmernden Hellebarden wiesen zurück, wer sich ungerufen nahen wollte. Vor ihm war auf einem Stock ein Fernrohr geschraubt, das gerade nach der Spitze des Turmes mündete, welcher an der Ecke des Schlosses nach der Spree schaut. Wenn Joachim nicht in die Luft ausschaute oder den Blick nicht auf den Boden wurzelte, legte er das Aug an das Rohr und sah auf die goldenen Kugeln und Stangen, die auf dem Turme spielten.

Ein unbehagliches Lager für einen fürstlichen Hof. Kein Baum hielt auf dem dürren Bergkamm die Strahlen der brennenden Sonne ab; aus dem heißen Sande trieb nur die Distel ihr saftloses Grün. Das Gras in den Vertiefungen der Winterbäche war versengt, die Hagebutte stand mit verdorrten Blättern.

Wetter kamen, aber sie gingen wieder. Kein Wind rauschte, kaum daß das kurfürstliche Banner, das sie in den Boden gepflanzt, sich regte. Nur wo die durchlauchtige Kurfürstin saß mit ihren Fräulein, hatten sie zur Not einen Teppich an Stangen ausgespannt, der sie vor der brennenden Sonne schütze; wer schützte vor der Schwüle, davon die Fliegen matt wurden? Das Frauenzimmer, was unter dem Zelt nicht Platz hatte – vielleicht gehörten auch nicht alle in die Nähe der Kurfürstin – suchte im Schatten der Wagen einigen Schutz.

»Bredow, «sagte die Kurfürstin, »ist Dein Mann nicht zurück?«

Eva sah viele Reiter in der Ebene Staubwirbel auftreiben; Hans Jürgens Federbusch sah sie nicht.

»Was tut er itzt?« fragte die Fürstin leiser, ohne die Augen dahin zu richten, wohin ihre Frage gerichtet war; ihres Herrn Feldstuhl war aber um fünfzig Schritte von dem ihrigen auf dem höchsten Punkte des Beiges aufgeschlagen.

»Seine Durchlaucht sitzt so abwärts gekehrt, daß ihm keiner ins Gesicht schaut,« entgegnete die Edelfrau.

»Auf einen Berg führte der Versucher unseren Heiland. Hofprediger, wie hieß der Berg?«

»Die heilige Schrift hat uns den Namen nicht aufbewahrt, durchlauchtigste Frau. Die Gelehrten aber meinen –«

»Viel Törichtes gewiß, womit wir unser Gedächtnis nicht beschweren wollen. So wir dabei stehen blieben, was in den heiligen Schriften aufbewahrt ist und nichts hinzusetzten, stände es besser um unser Seelenheil.«

»Das ist gewiß ein Quell, aus dem jeder Dürstende auch in der brennendsten Wüste einen Labetrunk schöpft, wenn er nur immer in dem Glauben meiner gnädigen Frau die Lippen daran brächte!«

»Mit wem spricht er denn, Bredow?«

»Mit sich selbst, scheint es. Nur dann und wann winkt er dem Propst.«

»Was predigte er ihm vorhin?«

»Ich konnte nur einzelne Worte hören. Der arme Propst kämpft sehr mit der Hitze. Er trocknet in einem fort die Stirn.«

»Wenn er ein rechter Mann Gottes wäre, so mühte er nicht schöne Worte seinem Herrn zur Beruhigung ins Ohr säuseln, er müßte, meine ich, wie ein anderer Elias und Jeremias seine Stimme erheben. – Hofprediger, wäre es nicht seine Pflicht gewesen, als Beichtvater, dem Kurfürsten mit aller Dringlichkeit abzuraten von den dunkeln, heillosen Wissenschaften, von denen in der Bibel nichts steht? Die Kirche verbietet sie auch.«

»Gnädigste Frau, die Grenzen zwischen dem Erlaubten und Verbotenen hierin sind so schwer zu finden.«

»So ists Eure Pflicht, sie zu suchen. Wozu seid Ihr ordinierte Diener Gottes!«

»Sehr kluge, gelehrte, ja fromme Männer haben zu allen Zeiten –«

Gegen Gottes Gebote gesündigt. Und darum dürfen auch wir sündigen, wenigstens die Mächtigen und Großen, zu denen kein Priester wagt zu sprechen: Du tust gegen seinen Willen!«

»Man könnte in sotanem Falle –«

»Entschuldigungen suchen! Die werdet Ihr immer für ihn finden. Ich aber frage Euch, wer lobt den Dienstboten, der den Kindern vorausspricht, was der Vater ihnen am heiligen Christbaum bescheren wird? Oder so der Vater sie züchtigen will, zu wessen Dienst handelt der Knecht, der es ihnen heimlich verrät? Begeht da der Mann, welcher sich in seinen geheimen Rat schlich, nicht eine unermeßliche Versündigung?«

Der Hofprediger drückte die Hände an seine Brust: »Als nun alle vorhin die Bestürzung ergriff, als wir ohne Ceremonien in die Kapelle stürzten, wir alle zitterten; auch mein edles Beichtkind, als es auf den Knien lag. Glaubten wir nicht alle da an die schreckhafte Botschaft! Wer von uns war – wie er sein sollte, des stillen, seligen Vertrauens, daß auf unserem Haupte kein Haar gekrümmt wird ohne den Willen dessen, der sie alle gezählt hat. Wie schwoll mancher verschwiegene Gedanke von unseren Lippen, welcher Schuld bekannten wir uns; wie gelobten wir reuig Besserung, wenn der Herr uns nur noch aus dieser Gefahr erlöse –«

»Ein böser Geist hat unsere Sinne verwirrt,« sagte mit einem leichten Erröten die Fürstin. »Ich wünsche nicht, Musculus, daß Ihr alles, was in der Angst uns da entfuhr, für recht und wahr nehmt.«

»Wie sollte ich das, wenn ich eine edle Frau sich anklagen hörte, daß sie gegen ihres Herrn und Gemahls Willen in Schriften lese –«

»Das ist Mutter!« rief die kleine Prinzessin. Die Kurfürstin wies sie halb verdrießlich, halb beschämt zum Schweigen.

»Das verstehen Kinder nicht. Das sind auch nicht Gespräche, Musculus, die sich vor jedem Ohre schicken.«

Der arme Musculus hatte doch das Gespräch nicht angefangen! War er auch nicht so beleibt wie der Propst von Berlin und ehemalige Dechant von Brandenburg, und stand er auch nicht wie der ganz in der Sonne, sondern zur Hälfte, nämlich mit der, welche er der Fürstin zuwandte, im Schatten, so schwitzte doch der eine kaum minder als der andere, und keiner von beiden schien in der Lage, eine besondere Lust zum Predigen zu spüren.

»Ich wollte nur untertänigst bemerkt haben, wie auch meine durchlauchtigste Fürstin eben die Gnade hatte zu bemerken, daß in einem solchen allgemeinen panischen Schrecken niemand seiner selbst sicher ist.«

»Bredow! spricht er nicht jetzt wieder mit ihm? – Wenn er ihm doch recht zum Herzen reden wollte.«

Vergebens strengten die vom Prinzessinnenlager ihr Gehör an, um dem Zwiegespräche zu folgen. Nur einem, der zwischen beiden Lagern am entferntesten stand, und dem Anscheine nach auf andere Dinge achtete, entging kein Wort. Der Marschall Peter Melchior von Krauchwitz, der sich in vielen Künsten versucht, hatte es in seinem Alter in der einen gar weit gebracht. Er wußte sein Ohr zu spitzen, das es auf hundert Schritt ein Wort auffing; ja sie sagten von ihm, er könne auch durch die Wände hören.

»Das also Deine Meinung, Propst?«

»Wenn mein Herr die andere nicht zuläßt, daß die Ketzerei –«

»Nein, und abermals nein! Warum nicht als Huß predigte und Wiklef, warum nicht gegen die Waldenser, die Katharer, gegen die Greuel der Socinianer!«

»Ich verstumme in Ehrfurcht.«

»Rief ich Dich darum? – Wie oft soll ich es sagen, daß ich freie Meinungen liebe, ich will sie hören.«

«Wenn man nun argumentierte, daß Gottes Langmut durch die so oftmalige Wiederkehr dieser Torheit denn doch endlich erschöpft wäre –«

»Da argumentierte man recht töricht – recht wie Ihr es begreift. Erhebe Deine Gedanken höher zum Herrn der Unendlichkeit, Wohl hat er unsern Sünden ein Maß gesetzt, aber das Tröpflein, was der Mönch hinzuträufelt, macht die Schale nicht überfließen. – Daß wir den Urewigen, der tausendgestaltig und ewig neu ist, durchaus binden wollen in Formen und Farben, darin er sich vor unsern blöden Augen einmal setzte. Ist schon kein Blatt im Walde, wie das andere, was ist sein Geist, der ewig neue, lebendige, der sich in immer neuem Schaffen gefällt, um doch nicht zu vernichten, um immer Neues, Vollendeteres zu gebären! – Mit der Kirche hat es der Mönch zu tun, nicht mit dem ewigen Gott. – Gegen die frevelt er, sie wird ihn strafen. – Was bist Du wieder stumm? Ich will ja Deine Meinung. Nicht die Meinung, ich meine die Du vorhin –«

»Dieser Sandberg, auf dem wir stehen, erinnert mich daran, mein gnädigster Herr. Unter uns, Fuß gegen Fuß, stehen nun vielleicht auf einem andern Berge, in einer andern Welt, andere Menschen, und im selben Augenblick schauen sie, ängstlich wie wir, nach den drohenden Zeichen am Firmament. Wer hätte noch vor fünfzig Jahren sich das nur träumen lassen! Und wer weiß, ob es Gottes Willen war, daß wir jene Welt und das Geheimnis der Natur entdecken sollten, von dem die Heiligen, die Kirchenväter nichts geahnt, ja von dem Christus selbst – angesehen seine menschliche Natur – nicht gewußt hat. Wenigstens ist in den heiligen Schriften nichts davon zu finden. Wie wenn nun der Herr diese Goldküsten und Inseln mit den roten Menschen unserm Auge verschließen wollen, wenn er seine besondern Zwecke mit ihnen gehabt, und wenn er unserm sträflichen Fürwitz zürnte, der, aller Warnungen ungeachtet, den Weg dahin durch Strudel fand. Dies ist eine Meinung, die im Volke –«

»Die nach dem Volke schmeckt. Falsch, grundfalsch, lästerlich und töricht.«

»Auch habe ich stets, wo ich sie hörte, dagegen eingewandt, daß Gott durch den Weg, den er gnädig dem Kolumbus zeigte, uns den wies, wie wir den verkümmerten roten Menschen dort die Segnungen unserer Religion brächten.«

Joachim blickte verächtlich den Redner seitwärts an. »Du siehst so weit Dein Auge trägt, weiter nicht. Die Natur gab er uns, sie zu beherrschen, indem wir sie ergründen. Da setzte er keine Schranken als unsere Schwäche: weil die Mächte der Natur gegen seine heiligen Satzungen unmächtig sind. Und so ein Zauberer alle Sterne in seine Hand faßte und ihre geheimen Kräfte auspreßte, hätten sie Macht, von Sankt Peters Felsen nur einen Stein zu zerschmettern?«

Ein zweiter ferner Donner rollte und die Luft schien sich zu regen. Kaum hatte Joachim das Aug an das Fernrohr gebracht, als er aufsprang. Aller Augen waren in die Höhe gerichtet, aller Herzen schlugen bang. Die alten Kiefern am Berge unten rauschten, ihre Aeste stöhnten. Der Wind wehte Staubwirbel in die Höhe; wohin man sah, zogen Gemitter zusammen; von Schöneberg, von den Müggelbergen lösten sich die Wolken und wogten, eine schwarze, dicke Masse, über die Treptower Heide, und jenseits der Städte, um Mitternacht, erhob sich langsam die dichte Wetterwand. Kein Laut unter den Hunderten auf dem Berge; nur die Krähen schrieen in der verfinsterten Luft, und wie ermattet schossen sie zwischen den Lagerern nieder. Als jetzt ein Blitz die Landschaft bläulich übergoß und ein heftiger Donnerschlag folgte, waren alle auf die Kniee gesunken. Auch die Hellebardiere um den Kurfürsten.

Aber die Donner rollten nicht weiter, die Blitze schlugen nicht nieder, nur die Pferde scharrten und wieherten vor Angst. Kein Regenschauer kühlte die Luft, aber der Wind trieb Wolken Staubes über die Köpfe. Und kaum war um das Drittel einer Viertelstunde verstrichen, als der Himmel wieder hell ward; die Nachmittagssonne schien blendend auf die weiße Spitze des Berges, die Turmspitzen der Stadt blinkten wie pures Gold, und die Vögel flatterten wieder lustig in den Lüften. Des Himmels Schleusen hatten sich nicht eröffnet, es kam keine Sündflut. Das fühlte jeder, das wußte jeder, und einer erhob sich still nach dem anderen; Joachim war der letzte gewesen. Wie sah er, blaß vor sich hinstarrend, auf seinem Feldstuhle. Er sah nichts mehr, er sah in sich hinein.

Im Lager war es jetzt wie Unruhe und Auflösung. Das Zelt der Kurfürstin war vom Sturme umgeworfen, und sie ließ es nicht wieder aufrichten. Sie war in Aufregung; sie sprach heftig, wie man es selten gehört, mit dem Doktor Musculus, mit dem Hofmarschall Krauchwitz und anderen vornehmen Herren. Die alle neigten sich tief, aber zuckten die Achseln.

»Wenn seine Finger so mit der Halskrause spielen, darf man ihm nicht nahe kommen,« flüsterte der von Krauchwitz.

»Er hörte uns doch nicht an,« meinte der alte Minister Schlieben, der sich auf einer Sänfte erst vorhin auf den Berg tragen lassen. Er hatte die Nachricht gebracht von der Aufsässigkeit in den Städten, und fürchtete, daß es inzwischen schlimmer geworden, da er auf dem Umweg über Schöneberg gekommen.

»Christus, mein Heiland, so ist es ja heilige Pflicht, zu ihm zu sprechen.«

»Man darf Seiner Durchlaucht nicht davon sprechen, daß das Volk aufsässig wird. Er glaubt es nimmer,« bemerkte ein anderer.

»Wir verredeten nur das Volk,« setzte ein dritter hinzu, »und liehen ihm unseren Mund; er kenne es besser, das gibt er stets zur Antwort.«

»So muß ers sehen mit eigenen Augen!« rief Elisabeth.

Die Hofleute senkten noch tiefer ihre Köpfe.

»Bredow, wäre Dein Mann hier!«

Der alte Schlieben schüttelte sein weißes Haupt.

»Ist denn kein einziger treuer Brandenburger unter so vielen, der seinem Fürsten die Wahrheit zu sagen wagt? Ihr Herren, es ist um ihn, um Euch, um das Land, um seines Hauses Ehre! Einer muß sprechen, – er muß ihn hören,«

»Wo er vermeint, daß er auf Gottes Eingebung handelt, hört er nur auf Theologen,« entgegnete Schlieben. Alle waren einig, nur eine theologische Disputation könne ihn bewegen.

Da hatte die Fürstin rasch den Hofprediger Musculus beiseite gezogen. Der ehrwürdige Mann zitterte, und doch mußte in den Worten Elisabeths diesmal eine Gewalt liegen, welcher er nicht widerstand. Die Hand auf der bang klopfenden Brust, hatte er sich tief vor der edlen Frau verbeugt, und schweigend war er mit dem festen Schritt eines Märtyrers an den Propst von Berlin getreten. Er liebte den Mann nicht, aber er sprach und siegte. Der Propst hatte die Achseln gezuckt, die Hand geschüttelt: »Ich will anklopfen; eine theologische Disputation ist das einzige, was er nie abschlägt.« Er hatte angeklopft, ihm war geöffnet worden; und jetzt stand Andreas Musculus wirklich vor Joachim, und die theologische Disputation hatte begonnen.

Die Höflinge, welche gemeint, daß der Propst den Hofprediger dem Fürsten zugeführt, etwa wie man dem ergrimmten Löwen eine Maus in den Käfig wirft, mußten nicht richtig sein; der Fürst zerriß den Doktor Musculus nicht, als er mit tönender Stimme anhub: »Und soll hinfort keine Sündflut mehr kommen, die die Erde verderbe,« und »Meinen Bogen habe ich gesetzet in die Wolken: Dies sei das Zeichen des Bundes, den ich aufgerichtet habe zwischen mir und allem Fleisch auf Erden;« so sprach der Herr zu Noah, das war der Bund, den Gott mit Noah geschlossen, und daß der Bund noch heute gilt, sehen wir noch heute sein Zeichen am Firmamente.«

»Zweifelst Du, daß Gottes Allmacht eine Verheißung zurücknehmen kann?«

»Zeigt mein Fürst mir die Stelle in der heiligen Schrift, wo Gott diese Machtvollkommenheit sich vorbehielt, dann lege ich meine Zweifel nieder.«

»Das riecht nach wittenbergischen Argumentationen, Musculus. Wär er denn noch Gott, der alles können muß im Himmel, vie der Fürst auf Erden, wenn er das nicht könnte?«

»Gott hat sich nimmer widersprochen,«

»Jedoch gereuet hat es ihn, das steht auch in der Schrift, »es reuete ihn, daß er die Menschen gemacht hatte auf Erden, und es bekümmerte ihn in seinem Herzen.« Kaput 6, Vers 6 der Genesis, lies es nach, Musculus.«

»Aber Kaput 8, Vers 21 spricht Gott wieder: »Ich will hinfort nicht mehr schlagen alles, was da lebet, wie ich getan habe. So lange die Erde stehet, soll nicht aufhören Same und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.« So ein Fürst eine solche Verheißung täte einem Volke, und setze ein Zeichen darauf, wie Gott tat durch den Regenbogen, dann ist es ein Bund, den keiner brechen kann, für sich allein, und sie müssen beide einwilligen, wenn er aufhören soll.«

»So meinst Du,« sagte Joachim nach einigem Nachdenken, »Gott könne einen Teil seiner eigenen Freiheit aufgeben! – Das höchste Wesen, der Schöpfer, würde untertan einer Macht über ihm. Das führte uns direkt zum Heidentum. Ueber den Götzen war das Fatum, über Gott nur Gott selbst.«

»Das Gesetz, das er selbst setzte.«

»Was ein Fürst kann, muß Gott auch können: nach höchster Notwendigkeit aus seiner höchsten Weisheit ein Gesetz umstoßen. Und was ists? Die Welt ist endlich, nur Gott ist ewig. Wo suchst Du Zeichen dafür in der Schrift, daß dieser Erdball nie untergehen wird? Haben die Propheten, hat Moses, Christus, es verheißen? Und was haben wir mehr Vorrecht, als die fünftausend Jahre vor uns lebten oder die fünftausend Jahre nach uns leben werden! War eine Zeit schon gottlos wie diese?«

»Das leugne ich nicht, aber – in der Schrift steht es nicht.«

»Was in der Schrift nicht vollendet ist, ward fertig in der Tradition. Was in der Schrift nicht steht, da tritt die Wissenschaft mit ihrem Rechte ein.«

Es war, als atme ein anderer Hauch in der Seele des Hofpredigers, als er sich erhob, seine Stimme war tönendes Metall:

»Was ist die Wissenschaft, die Tradition, die Natur und ihre Gesetze gegen sein Gesetz, das sein Wort ist! Der Sand dieses Berges ist die Natur, ich trete sie, und sie weicht meiner Sohle; ein Nebelbild die Tradition, ein Irrlicht die Wissenschaft, eine Zugluft weht sie auseinander. Gottes Wort ist herrlicher wie die Morgenröte und fester als der Granit. Er hats gesprochen, es steht geschrieben: Hinfort soll keine Sündflut die Erde verderben! Wer löscht es aus, wer deutelt es, wer wagt zu klauben dran? Ist auch Gottes Wort trüglich, läßt auch das sich zurücknehmen, wo soll denn die arme Kreatur ein Festes finden? Die Schwalbe findet ihr Nest; das Atom, im Sonnenstrahle wirbelnd, durch das Gesetz der Schwere einen Ruhepunkt; das Blei, das durch die Lüfte saust, ein Ziel, der müde Erdenpilger endlich ein Grab. Und Gottes Wort allein hatte kein Ziel, kein Festes, keine unerschütterliche Wahrheit; der Bund mit Noah, die Verheißung, die er durch Moses und die Propheten gab, durch Christi Sendung und allerheiligstes Blut kräftigte? – Satan ist in der Natur, das ist sein Nest, darin er heckt, Satan in des Menschen Blute, in was er anfaßt, was ihm anhängt, Satan ist in seiner Klugheit und seinem Verstande, damit er besser und künstlicher machen will, was Gott gut und einfach gemacht hat, Kurfürst Joachim! wahre Dich! Dein Glaube sind die Schlüsse der Vernunft, nicht Gottes, und die Schlüsse führen zur Ketzerei!«

Zornig wollte Kurfürst Joachim ihn anblicken, aber statt der roten Zornesader perlte ein kalter Schweiß auf seiner blassen Stirn. Da wichen ehrerbietig die Trabanten; die Kurfürstin Elisabeth war herangetreten, die jungen Herrschaften an der Hand. Es war lange her, daß die fürstlichen Gatten kein Zwiegespräch gepflogen; auch in der Karosse, als sie auf den Berg fuhren, hatten sie schweigend jeder in seiner Ecke gesessen.

»Knieet, Kinder, vor Eurem Vater,« sprach sie, »vielleicht hört er auf Eure Stimme, der sein Ohr vor jedem verschließt.«

»Was sollen die Kinder bitten, Elisabeth?«

Da war Frau Elisabeth selbst mit ihren Kindern niedergesunken: »Daß Du Dich ihrer erbarmst, indem Du Deiner selbst Dich erbarmst. Daß Du die Verführer von Dir stößest, die Deine Sinne verwirrten. Das spricht nicht Dein gekränkt Weib; die Mutter Deiner Söhne sprichts, die Deinen Namen erben sollen, Dein Land und Leute und die Ehre des durchlauchtigsten Hauses Hohenzollern. Steh nicht ab von Deinem Volke, daß Dein Volk nicht von Dir absteht. Es spricht: Der hat uns verlassen, der für uns sorgen soll, er sorgt nur für sich. Wenn Gott Schlimmes über uns beschlossen, Joachim, was haben wir voraus, daß wir gerettet werden, und Deine Untertanen sollen untergehen? Wie willst Dus an jenem Tage verantworten, Joachim! Es ist die Herde, die der Herr in Deine Hand gab; von Dir fordert er sie. Kehre um zu Deinen Untertanen, und warte mit ihnen aus, was Gott tun will. So sies verschuldet haben, daß er sie strafe, haben sies nicht allein verschuldet.«

Was für Gedanken bohrten unter Joachims gerunzelter Stirn, welchen Ingrimm zerdrückte er in der zusammengepreßten Hand? Er wollte Zornblicke schleudern, aber die Wimpern schlossen sich, wenn er die knieende Kurfürstin und die Kinder ansah. Da war er plötzlich aufgesprungen, und saß wie der Donner, der von fernher anrollte, klang seine Stimme: »Der Wagen vor! Zurück nach Kölln!«

Ohne sich umzuschauen, ohne andere Befehle zu erteilen, war er in die Karosse gesprungen, wie einer, der sich vor sich selbst verbergen möchte.

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