Willibald Alexis
Der Werwolf
Sechstes Kapitel
eingestellt: 8.8.2007
Als die Sonne an dem Tage die Mittagshöhe erreicht, waren die vier Reiter, die sich im Lehniner Walde trennten, schon jeder auf anderem Wege, und jeder ging seinen eigenen Gedanken nach. Den Gedanken von vier Menschen ist schwieriger folgen, als den vier Winden. Die Sonne leuchtete ihnen nicht, denn ob die Luft schon stille war, und die Schneewolken sich verzogen, war das Himmelsgewölbe doch wie mit einer blaßgrauen, flimmernden Kruste überdeckt, durch welche nur
ein hellerer Schein an der Mittagshöhe dämmerte.
Der Bischof saß in Pelze gehüllte in dem Staatswagen des Lehniner Abtes, der ihn nach dem Dom von Brandenburg zurückführte. Nicht zwar was er dachte, aber daß er Ernstes dachte, stand in Runzeln und Falten auf seiner Stirn geschrieben. Er wollte denken, wie er es seinem Kurfürsten zurechtlegen und vortragen solle; aber der Mensch denkt und Gott lenkt, und so lenkte er es diesmal, daß der Bischof von Brandenburg dachte, wie er vor sich
selbst die Sache zurechtlege. Wer nun hätte es, und im kalten Februar geglaubt, daß ihm Schweißtropfen auf der Stirn perlten. »Es ist nicht gut allein sein,« sagte der Prälat, indem er die Stirn mit dem Tuche wischte, »wenn man mit anderen spricht, kommen die Visionen nicht auf. Und überdem ist alles, was aus der Ordnung schlägt, nimmer gut,« dachte er weiter, und meinte damit die Reise nach Wittenberg. Er war viel in seinem Leben gereist, aber immer als Legat eines Fürsten, an Höfe und an
Reichstage, immer mit seiner Würde und Bequemlichkeit. Aber was man heute inkognito nennt, zu reisen, und zu Roß, und um eines Mönches willen, und gar mit diesem Mönche unterhandeln zu müssen, wie mit einer Macht, statt ihn den Willen der Autorität kurz und bündig wissen zu lassen, das erschien ihm wie eine Versündigung gegen die gute, alte Ordnung, daher gegen Gott, und jemehr er sich das ins Gedächtnis rief und sich eingestand, daß er eigentlich nicht erreicht hatte, was er sollte, um so
verdrießlicher ward er, und um so mehr fanden die Geister der Furcht ihn empfänglich für ihre Eindrücke. Vergebens rief er die des Stolzes auf, und jene Kunst, die er so oft geübt, durch anmutige und scherzhafte Wendungen eine eingebildete oder selbst eine wirkliche Gefahr wegzureden. Was ihm beim Kurfürsten so oft gelungen, gelang ihm bei ihm selber nicht; wie er sich auch sagte, es sei Torheit, die beängstigenden Bilder kamen immer wieder; ja als die Türme von Brandenburg sichtbar wurden,
schienen sie ihm in verkehrter Ordnung zu stehen und zu schwanken.
»Es kommt etwas,« sprach er verdrießlich bei sich, »das hat seine Richtigkeit; derlei Vorahnungen lassen sich nicht ganz abstreiten, sintemalen sie in der ganzen Geschichte vor großen Ereignissen sich kund gaben, und es waren nicht die beschränktesten Köpfe, die es im Blute fühlten.« Dabei warf er sich etwas in die Brust und dachte an den Abt von Lehnin, wobei ein mitleidig Lächeln über sein Gesicht zückte. Und doch
ging er unwillkürlich in Gedanken alle die Gefahren durch, welche der Abt in seiner Angst hergezählt. Bei den Türken schüttelte er wieder vornehm den Kopf: »Bis die hierherkommen!« – Bei der Sündflut sah er wie getröstet auf die Sandhügel am Wege, und dann schwieg er und wiegte den Kopf, aber er schüttelte ihn immer wieder und wieder, und seine zusammengebissenen Lippen pafften fast verdrießlich das Wort »Bettelmönch« vor sich hin. Aber daß er das Wort in derselben Weise mehrmals
wiederholte, hätte anzeigen können, daß ihn der Gegenstand doch mehr beschäftigte, als er gegen jemand und gegen sich selbst zugeben wollte.
»Nun, und wenn es kommt,« sprach er bei sich endlich, wie aufatmend von einem langen Druck, »so kommt es nach uns. Der Kurfürst kann und darf nicht – dafür will ich sorgen! – Bei uns geht alles seinen langsamen Gang – die Märker sind zäh und fest. Was kann ein Gewitter schaden, das in den Sand einschlägt! – Havelberg kann
mir nicht entgehen, und wenn der Blumenthal auch alle Stimmen der Kapitulare für sich hat – Joachim mag ihn nicht, er ist zu ungestüm. – Brandenburg und Havelberg zusammen sind beinahe ein Erzbistum wert – es gibt bessere Stifter, Halberstadt, Magdeburg! Die will man für Prinzen von Geblüt aufsparen! Markgraf Albrecht soll sich genügen lassen mit dem Kurhut von Mainz. – Indessen es ist noch nicht aller Tage Abend – Kardinalshüte kommen so selten nach Deutschland
– dazu gehört welsches Blut – und die Tiara! – Träume, Träume, die den Hungrigen nicht satt machen. Ein Tor, wer von Deutschen jetzt Papst sein möchte, seit die Torheit dort zu Hause ist. Es ist schier unglaublich, was man von der Verehrung dort erzählt, so dort dem schlechtesten Gesindel gezollt wird, Musikanten, Malern, Versemachern, Querpfeifern, Baumeistern und Anstreichern! – Im Vatikan, der auf die Wände pinselt, wie heißt er doch? Ja, Rafael, für den man nicht
Ehren genug weiß, ja sogar, s ist unglaublich, einen Kardinalshut. – Nein, da lobe ich mir mein Brandenburg. – Solcherlei Künste, mag man sie treiben, aber Ehre dem Ehre gebührt.«
Die Glocken der Türme fingen zu spielen an. Der Bischof lehnte sich vergnügt aus dem Fensterschlage, die Schornsteine der alten Stadt dampften von den Mittagsherden so behaglich. »Ja,« fuhr er mit wohlgefälliger Miene bei sich fort, »es ist hier warm und gut, und die Stürme, die nach uns kommen,
für die mögen andere sorgen, mich treffen sie nicht mehr.« – Und wie zur Bekräftigung brach in dem Augenblick, als die Wagenräder über die Brücke zur Dominsel rasselten, die Sonne durch die Eiskruste des Himmelbogens, und die beschneiten Dächer und der weite Spiegel der Havel strahlten wieder von ihrem Lichte. Es war ein schöner Anblick, aber des Bischofs Antlitz verfärbte sich. Der Wagen hielt an, ein Leichenzug verstopfte den Weg. Der Sarg war offen, sie trugen auf der Bahre den
Verstorbenen nach der Kirche. Es war ein noch jugendlich Gesicht im vollen Priestergewande, ein Domherr, der erst gestern gestorben – der Bischof hatte keine Kunde davon – es war der jüngste Domherr, aber sein brennender Ehrgeiz strebte schon nach einem Bischofshut, wohl noch weiter; und wenn Hieronymus seiner Gaben gedachte, so die Natur ihm verliehen, und der Macht seiner Familie, durfte er ihn fürchten. Er hatte ihn nicht mehr zu fürchten, aber blaß lehnte er sich hintenüber,
und wie getroffen stieg er die Schwellen zu seiner Residenz hinauf.
Währenddessen war der Abt in den Kreuzgängen des Klosters wie ein Schatten oder ein Schatzgräber umhergestreift. Wohl zehnmal war er an die Stelle zurückgekehrt, wo das Steinbild des Ritter Gottfried errichtet werden sollte, aber wenn er allein war, sah er nicht auf die Stelle an der Mauer, sondern schaute nach dem Riß im Gewölbe, und maß den Riß im Ringelturm. Dann konnte man ihn stehen sehen mit unterschlagenen
Armen am Pfeiler und trüben Blickes auf den Hof hinschauen. Im Hofe sah es doch lustig aus, von Lebendigen und Toten. Das schönste Federvieh gackerte und wühlte unter den mit vollen Händen hingestreuten Körnern, die Aale und Karpfen und Zander sprangen im Netz und in den Körben, welche die Fischerinnen eben gebracht, und der Pater Küchenmeister musterte mit Kennermiene den Dammhirsch, den die Jäger ausweideten, während der Pater Kellermeister, sein volles Kinn zwischen dem Daumen und
Zeigefinger, den Auerhühnern den Vorzug zu geben schien. Und zwei oder drei andere standen neben den Würdigen, und, nach ihren ernsten Mienen zu schließen, erwogen sie das Gewicht der Worte; schwer ists zu entscheiden, wo zwei Kenner sich streiten. Und da kamen neue Gegenstände ernster Erwägung, der wendische Gärtner mit einer Karre kleiner, brauner Rüben, eine andere Karre mit grünem Winterkohl, und plötzlich ward der Pater Kellermeister, der jetzt mit dem Zeigefinger die Weichen des
Dammhirsches ernstlicher befühlte, abgerufen, denn der längst erwartete Wagen aus Rostock stand vorm Tore, und die Tonnen des fremden Bieres, das die Lehniner, laut besonderem Privilegium, zollfrei erhielten, wurden über den Hof gerollt. Wer wandte da nicht seine Blicke hin, wer wollte nicht selbst gern Hand anlegen und den Schrötern helfen, den besten Saft, der schon seit zwei Monaten ausgegangen, in die Keller zu schaffen, daß er ohne zu große Erschütterung auf die Lager kam.
Nur
der Abt nicht. Vor seinem trüben Auge wuchsen Disteln aus dem Schutte, die Käuzchen hingen unter den Blenden, der Wind fuhr durch die Mauerspalten.
Er sah die kleine Rübe kaum an, die ihm der Pater Küchenmeister in die Hand gab, als er nach seiner Zelle schritt, und der Pater hatte ihn bis an die Schwelle begleitet: »Domine, Hochwürdigster! s ist ein Elend, die Rüben werden immer kleiner. Von uns ist nichts versehen, ich lasse die Erde gar hacken, an Dung fehlt es nicht, aber wir
bringens nicht gleich mit dem Teltow.«
»So laßt es gehen, und kauft im Teltow, es wachsen genug da –«
»Domine, Hochwürdigster, für unsere Tafel ja; s ist nur der Ehre wegen. Haben denn die Teltower besser Land als wir? Sand da und hier, trocken da und hier, und die Dinger, man muß es ihnen lassen, sie zergehen wie Honig auf der Junge, unsere bleiben faserig wie Stroh. Was könnt es uns bringen, so wir auch alljährlich ein Fäßchen davon nach Rom sendeten. Was dünken
sich die Plebanen in Teltow, weil der Papst von ihren Rüben ißt!«
»Den Pater Kellermeister!« sagte der Abt mit tonloser Stimme, sich in seinen Sorgenstuhl werfend.
»Nicht einmal mehr für seine Rüben hat der Dominus Sinn! Und war doch selbst bei der Aussaat zugegen gewesen.«
»Eine Kanne vom neuen Rostocker?« fragte mit etwas verdrießlicher Stimme der Pater Küchenmeister. Welcher Untere ist nicht verdrießlich, wenn sein Oberer ihn gehen heißt und einen anderen
ruft? In den Klöstern ist es nicht anders, als in der Welt. Die Gunst ist eine falsche Sonne; sie strahlt nicht jedem, aber jeder buhlt danach. – »Es hat sich noch nicht gesetzt; wenn wirs anzapfen, verdirbt das Faß.«
Der Abt schien nur die Hälfte der Rede gehört zu haben, so schaute er ihn an: »Es wird mehr verderben! – Vom griechischen – eine kleine gelbe –«
Als der Pater Küchenmeister die enge Treppe nicht zu hastig hinunterwatschelte, brummte er:
»Also ein Sorgenbrecher! Alles von dem verfluchten Mönch in Wittenberg!«
Als der Pater Kellermeister die kleine Gelbe entkorkte und der wunderbare Feuerduft ihm um die Nase spielte, hatte er vermutlich gedacht, der Dominus werde ihn auffordern, noch ein zweites Spitzglas aus dem Schrank zu nehmen, aber der Abt hieß ihn nicht einmal einen Schemel heranrücken, er fragte ihn nur, ob er keine Feuchtigkeit in den Kellern bemerkt, er fragte, wie hoch der Mühlenteich stände, ob der
Klostersee guten Abfluß habe, ob der Spring im Gohlitz im Herbst gerauscht. Ueber das Wasser hatte doch der Abt nie vom Kellermeister Rechenschaft gefordert.
Ein gutes Halb der kleinen Gelben mochte schon fehlen, und wer da weiß, wie klein das Gemach war, in welchem der Abt von Lehnin, der reiche Herr von hundertdreizehn Dörfern, seiner Zeit gewohnt, – das Häuschen steht noch heut – wird es auch nicht wunderbar finden, daß der kleine Raum vom Geruch des seltenen Weines
duftete, um so weniger, wenn wir ihm sagen, daß der Abt, der eingeschlafen war, die Flasche zuzukorken vergessen hatte. In der Kirche drüben spielte ein junger Mönch zu seiner Uebung auf der Orgel. Die Töne des
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