Willibald Alexis
Der falsche Woldemar
Fünfzehntes Kapitel.
eingestellt: 23.7.2007
Nach dem Kämmerlein daneben, das in einen Vorsprungsthurm ausging, und man schaute aus den Fenstern auf die Gassen und Plätze, drängte sich durch das Gewühl die Gräfin. Dort saß, erschöpft von der Anstrengung, der Erzbischof mit wenigen Vertrauten. Die Thüren waren offen, und er mochte sehen, was in dem Saale vorging, ohne daß er gesehen wurde. Auf der Stirn des geistlichen Fürsten lagerte Wohlbehagen; aber so er auch erschöpft war, man sah es an seinen lebhaften
Augen und dem Spiel des Mundes, sein Sinn arbeitete noch.
Der Kanzler schrieb in einer Ecke Briefe, der Dechant Bruno kam ab und zu, mit dem Herrn flüsternd, und in einem Winkel schlief Herzog Rudolf, derweilen es auf dem Platze draußen lauter und lauter ward. Denn halb Magdeburg war auf den Beinen, das Wunder zu sehen, das unter der Fahne des heiligen Moriz geschah.
Die Gräfin rauschte über die Schwelle und auf den Bischof zu: »Wir sind verrathen,« flüsterte sie ihm zu,
und ihr Gesicht glühte. »Er ist es nicht.«
»Wer nicht?«
»Er ist ein anderer. So kann kein Mensch sich verstellen. Haar, Farbe, Bart kann man wechseln. Aber so nicht sich selbst. So lügt Keiner einen Blick, so borgt er nicht Augen, die nicht sein sind. Vetter, bei allen Schutzpatronen, wir sind betrogen.«
»Bei der Gebenedeiten, ich verstehe Euch nicht.«
»Versteh es Einer! So aufrecht, dieser Gang, die feste Haltung, der königliche Blick. Jeder ein
Blitz, der in die Seele schneidet, als läse er unsre tiefsten Gedanken, und lächle wie ein Ueberirdischer über unsere Verwirrung. Diese Sprache lernt man nicht in den Schulen; wo sollen Mönche Andern beibringen, was sie selbst nicht wissen!«
»Muhme, trinkt einen Becher Wasser.«
»Ich bin eiskalt.«
»Und was uns freut, ist Euch nicht recht? Er spielt gut.«
»In Euch spukt der Wein. Ich beobachtete ihn mit Luchsaugen. Er spielt zu gut, um zu spielen. Und so
er spielt, spielt er nicht für uns –«
»Für wen?«
»Für den Teufel, sos Euch lieber ist. – Kreuzt Euch nur, sprecht alle Bannformeln! Der Gaukler, den Ihr bezahltet, daß er Figuren an die Wand male, ist ein Zauberer worden, und rief für einen Schatten einen Lebendigen.«
»Wen?«
Der Kanzler ließ die Feder fallen und blickte auf. Der Erzbischof neigte sinnend sein Vollgesicht, indeß er mit klugen Augen halb die Gräfin musterte, halb die Leute im
Saale, ob kein Lauscherohr horche; aber seine Lippen verzogen sich zum Lächeln, während die Gräfin im Eifer fortfuhr:
»So blickt nur ein Fürst, der geboren ist, so athmet er, so schaut er Dich an und über Dich weg. Sagt mir, die Erde spaltete sich, und aus der Hölle schoß ein Todter auf, unsere Sinne zu verrücken; lügt Euch, der Himmel sandte einen Heiligen herab, was Ihr wollt! Aber der Mann ist nicht von Euch; Ihr habt den nicht gemacht.«
»Schöne Muhme, ein
Kluger könnte sagen, Ihr wärt in dem Fieber, worin Weiber Gespenster sehen. Eure Freunde behaupten, das sei Eure Art. Aber Euer Wort sei uns ein gutes Omen! – Wart Ihr, Muhme, war ich, wer war bei des Markgrafen Sterbebette?«
»Seid Ihr selbst im Fieber!« Die Gräfin sah mit ungewissen Blicken den Bischof und seine Vertrauten an. »Unsinnige! den Schlüssel werft Ihr von Euch, der Faden, fiel er Euch schon aus der Hand!«
Aber plötzlich lachte sie innerlich auf; das
Lächeln, was um die feinen Lippen des Bischofs spielte, gab ihr eine andere Antwort, als die sein Mund sprach. Da war jedoch nicht Zeit mehr das Gespräch fortzusetzen, denn auf den Gassen entstand ein neuer Lärm, und die Drommeten auf den Thürmlein über dem Pallast sagten die Ankunft eines wichtigen Gastes an, da Alles wach sein mußte zu seinem Empfang. Das war der Stellmeiser Obrister, der mit seinen Gesellen in der Stadt eingezogen war, und nun zum Pallast ritt, um mit dem Erzbischof den
Vertrag zu beschwören.
Der Teufel von Soltwedel reitet ein! Da war kein Winterabend, wo sie am Rocken spannen, daß nicht Einer von ihm erzählte, eine schreckhafte Geschichte, und es lief den Andern eiskalt über die Haut. Der ritt jetzt ein, leibhaftig, bei hellem Tag, mit Waffenklang, und die Trompeten bliesen, und Niemand durfte sich vor ihm fürchten. Wer sollte das nicht sehen wollen mit seinen eignen Augen! Es kitzelte mehr die Sinne der Gemeinen als ein auferstandener Markgraf.
Wars auch eine Schaar, die sichs lohnte zu sehen. Riesige Leute, er hatte gewiß seine besten gewählt, mit Gesichtern, die möchten Kinder und Weiber erschrecken, und auf wilden ungeschlachten Rossen, und mit Wehr und Waffen, die starrten von Spitzen und Haken und Ketten. Der Hauptmann ritt ein schwarzes Thier, zottig und häßlich sah es aus, aber es war rasch und wild. Er saß gebückt drauf, kleiner als sie Alle, ein alter Mann; ein verrosteter Harnisch um sein dickes Büffelwamms und der
zottige Regenmantel hing um seinen Rücken. Auf dem Kopf eine Eisenhaube; darüber wehten drei rothe Hahnenfedern. Zwar schaute sein Gesicht so wild, als in der Haide, und wo er Nachts durch die Flammen bricht und schreit: »Heißa Ihr Leute, der Teufel ist da!« Das rothe Haar war gescheitelt über das gelbe Gesicht, und hinter den Ohren wars zurückgebunden, und der Bart war gekämmt. Aber wenn er ein Weib anschaute mit seinen grauen Augen, bedeckte sie mit dem Brusttuch das Kindlein, das sie auf dem
Arm trug. Als hätte der Mann den bösen Blick, und sie wollte es wahren davor.
Der sprang jetzt aus dem Sattel, und sein Gesicht lachte höhnisch, als ihm der Marschall, den der Bischof die Treppen hinunter geschickt, mehreres im Stillen sagte.
»Ihr Herren vom Stift und der Stadt,« sprach er gar laut. »Komme her mit Euch mich zu vertragen als wir gedungen, aber mit keinem Markgrafen nicht. Der drüben ist mein Feind, als ich meine er ist auch Eurer. Die Lebendigen, dafür ist
mein gut Schwert, und die Todten, über die lache ich.« –
Da trat zu ihm der Burchard von Veltheim auf Geheiß seines Herren, und sagte ihm, was vorgefallen, und daß der Bischof sich überzeugt, was an ihm, daß der alte Markgraf noch lebe, und die Fürsten und Herren hätten ihm zugestimmt. Und sitze er neben ihnen in der Halle, Hof zu halten. Rathe ihm deshalb der Bischof, daß auch er sich vertrüge mit dem durchlauchtigen Markgrafen, und wolle gern ein Wort für ihn einlegen.
»Das mag ein gut Mährlein sein für die hinter dicken Mauern wohnen; wir in der freien Luft sehen schärfer,« entgegnete hohnlachend der Hauptmann. »Ihr seid jüngere Leute und habt den Woldemar kaum von Angesicht gesehen, ich aber bin alt und entsinne mich wohl vieler Dinge, von denen Ihr nichts wisset. Und wisset, ich habe ihn gekannt. So als Du hier vor mir stehest, sah ich ihn von Alters in Stralsund. Zeigt mir den Mann, und ich sage es Euch, daß er ein falscher ist.«
Das
sprachen sie, als sie schon mitnander die Treppe nach der großen Halle hinaufstiegen. Dort saßen, auf zween Sesseln neben einander der Pilger und der Erzbischof und rings um standen die Herren, und Viele hatten gehört, was draußen der Veltheim mit dem Hauptmann verhandelte.
Nun trat der ein und schritt ehrerbietig auf den Bischof zu, und neigte sich dreimal tief. Aber als er den Mund aufthat und sprechen wollte, hub der Prälat den Arm:
»Nicht mit mir, dieser höhere ists,
denn er ist Dein Landesherr, daß Du Dich vor ihm beugst.«
»Hochwürdigster Herr! Das ist ein Pilger. Was sollte ich jeden Pilgersmann kennen!«
Nun erhob sich der und schaute den Hauptmann mit hellem Blicke an:
»Kennst Du mich nicht, Hans Merken von Steinbrunnen?«
Der Räuberhauptmann zuckte zusammen. Scharf sah er ihn an, aber je schärfer er blickte, so blinzelte er mit den Augen; da hob der starke Mann beide Arme, und dann stürzte er sich vor ihm
nieder;
»Mein Herr und Markgraf! Er lebt.«
Das hatten die Wenigsten erwartet. Da war nicht Einer, der nicht sein Herz pochen hörte. Der Erzbischof sah vergnügt aus. Nur eine Frau veränderte nicht die Züge. Sie schaute fast kalt und bitter drein, und ihre Lippen warfen sich spöttisch. Zum Dechanten Bruno, der neben ihr stand, flüsterte sie:
»Ihr spielet gut Spiel mit Euern Freunden. Wo soll Treue sein, wo ein Genoß den Andern täuscht!«
Das hörte Keiner.
Sie sahen nur auf den Pilger und den Hauptmann. Und der Hauptmann war auf dessen Geheiß aufgestanden, und erzählte, da es der Bischof ihm befahl, woher er den Markgrafen kenne, und wie er dessen gewiß sei, daß der Pilger derselbe wäre, den er kannte. Eine Geschichte aus alten Zeiten, aber Jeder hörte sie gern und sie verschlangen die Worte.
Zu den Zeiten als die freie Stadt Stralsund von den Fürsten von Rügen und Dänemark mit Krieg heimgesucht ward, um deßwillen, weil sie auf ihren
Reichthum und ihre Macht zur See und auf ihre Privilegien trotzte, und die Herrschaft der Rügenfürsten wollte abschütteln, litt sie eine harte Belagerung; und viele verbündete und mächtige Fürsten waren wider sie, die alle der Stadt ihren Reichthum und ihren freien Sinn nicht gönnten. Und sie hatte nur einen Freund, das war Woldemar von Brandenburg, der um deßwillen nachmalen die Feindschaft aller dieser Fürsten auf sich lud. Aber der Markgraf war fern, und die zahllosen Feinde tobten mit
Geschossen und Schleudern und Sturmböcken vor den Mauern, und sie sahen von ihren Thürmen, wie die Wälder umher niederfielen unter den Aexten der Dänen und Pommern. zu Strauchkörben, die Gräben füllen sollten, und zu Leitern, um die Mauern zu ersteigen. Da sank den Bürgern der Muth, und wie viel Boten ihnen Woldemar auch schickte, daß sie aushalten sollten: »Was helfen uns seine Worte, so er nicht selber kommt.« Aber er konnte nicht kommen, denn andere stärkere Feinde hielten ihn daheim fest.
Da, eines frühmorgens, als die Rathsherren über Nacht zusammen gekommen waren, und waren ohne Rath mit hängenden Köpfen wieder fortgegangen, und die Sturmwidder krachten gegen die Außenthore, läuteten plötzlich die Glocken von allen Thürmen, und als Feuer, das in einer Stadt ausbricht, man weiß nicht wie von allen Seiten zugleich, rief es: »Der Woldemar ist da!« Und er war da, hier und dort. Auf einem weißen Rosse, im Silberharnisch, die brandenburgischen Wappen auf seinem Helm und um seine
Hüften, ritt er durch die hellen Haufen und feuerte sie mit mächtigen Worten an. Da wuchs den Bürgern der Muth zur lichterlohen Flamme. Alle insgesammt machten einen Ausfall, als der Feind dessen nicht gewärtig war, und unter des Brandenburgers Anführung schlugen sie den Feind in sein Lager zurück. Unter dem Geläut der Glocken und von den jubelnden Bürgern umringt, ritt Woldemar wieder in die Stadt ein und auf das Rathhaus, wo sie ihm einen Ehrentrunk reichten und ein Banket gaben, und er
herrliche Worte zu den Bürgern sprach, wie sie sich wacker gehalten, und so sie ferner stritten, wie heut und bisher, gebe er ihnen sein fürstlich Wort, sie sollten frei bleiben. Aber als es Nacht wurde, war der Markgraf ebenso plötzlich, man wußte nicht wie, verschwunden und aus der Stadt fort, als er plötzlich, und man weiß nicht wie, am Morgen drinnen war.
Das erzählte der Hauptmann. Er hatte selbst am Seethor mitgestritten dazumal in Stralsund.
Der Kanzler erhob sich:
»Hochwürdigster Herr, dieses Mannes Zeugniß ist, als mich däucht, von hoher Wichtigkeit, daß wir es in dem Briefe an des Kaisers Majestät niederschreiben.«
Einige riefen ja, Andere nein.
»Das ist eine alte Geschichte, und kennt sie Jeder; was ist das uns, daß er sie uns erzählt, und was dem Kaiser, daß wir sie ihm schreiben!« rief der alte Wichmann, ein Graf von Seehausen.
»Und er ist ein Räuberhauptmann, stimmte ein Domherr ein, der dem Bischof nicht freundlich
gesinnt war. Eines Räubers Wort ist kein Zeugniß.«
Wie wurden die Beiden überschrieen. Die Mehrzahl war für die Sache. Denn es war große Ehre für Magdeburg, daß hier ein Markgraf von Brandenburg gleichsam als ein Hülfeflehender auftrat, und den Bischof, das Kapitel und die Stadt zu Richtern annahm. Hätten sie gestimmt, eines Räubers Zeugniß gilt nichts, hätten sie gegen sich selbst gestimmt. Darum sprach der Bürgermeister:
»Haltet zu Gnaden, Ihr Herren, dieser Mann ist itzo
in der Stadt Frieden und unser Bundesgenoß auf drei Jahre und seine Ehre ist unsre Ehre. Darum kann er Zeugniß ablegen vor unserm Schöppenstuhl, und es gilt, als jeden freien Mannes Zeugniß davor gilt.«
Graf Wichmann stand auf: »Und so sein Zeugniß gilt, was hat er denn bezeuget? Daß der Markgraf vor alten Jahren den Stralsundern zu Hülfe kam, und er hat an seiner Seite und unter ihm gefochten. Ist das aber Zeugniß dafür, daß dieser Pilgersmann derselbige Woldemar ist, den er dazumal
gesehen? Eines alten Mannes Sinne werden stumpf und sein Gedächtniß wird schwach. Das weiß jeder alte Mann, oder er lügt, und was wir hier entscheiden und vor den Kaiser bringen, das gilt vor ganz Deutschland und seinen Fürsten. Darum seht Euch wohl vor, daß wir uns nicht in Schmach und Gelächter bringen.«
Viele murrten darüber. Dem Hauptmann aber flog es roth übers Antlitz, und er schaute erst wild, dann aber ruhig den Grafen an.
»Ich bin ein alter Mann, das ist richtig;
und alte Leute vergessen Vieles, das ist auch richtig. Denn ihnen däuchts nicht der Mühe werth, worauf die Jüngern viel geben, drauf zu achten. Aber alte Leute entsinnen dafür sich dessen um so besser, was geschah, als sie selber jung waren, und sos Euch beliebt, hochwürdiger Herr, so will ich schwören hier einen Eid auf Eure Inful, auf das Muttergottesbild und auf das hochheilige Crucifix, daß dem so sei, als ich gesagt. Ja, ich könnte Eideshelfer rufen, denn ihrer leben noch, und gar große
ehrenwerthe Ritter, welche an jenem Tage in Stralsund waren.«
Und darauf schwur der Hauptmann auf die Inful, die ihm der Kanzler hinhielt, auf das Crucifix, das sie entblößten auf dem Altar, und auf das Marienbild, das in der Blende stand:
»Als wahr mir Gott helfe in meiner letzten Stunde, und ich sei hinunter geschleudert durch seinen Zorn in die untersten Tiefen der Hölle, und als wahr ich hoffe auf die Fürbitten aller Heiligen und meines Erlösers, darum, daß ich hier die
Wahrheit sage: dieser Mann im Pilgerrock ist leib und leibhaftig derselbige Woldemar, welcher jenes Morgens den Stralsundern zur Hülfe kam und die Dänen schlug und den Ehrentrunk im Rathshause trank. Ich schwöre es bei dem hochheiligen Crucifix, bei dem Bilde der gebenedeiten Mutter Marie und bei dieser Inful meines gnädigen Herrn, des Erzbischofs.«
Mit einer Stimme wars gesprochen, die von den Wänden wiederhallte. »Das ist Wahrheit!« riefen sie Alle, und wer saß, sprang auf, die
Prälaten sahen sich verwundert an, die Gräfin Mathilde war blaß und zitterte fast.
Und ruhig stand Der allein, dem der Jubel galt, und vor dem sich jetzt Alle neigten, auch die vorhin ihn mürrisch anblickten. Er aber schaute um sich, als müsse es so sein, es war etwas Schmerzhaftes um die Lippen, und sein Auge fiel auf den Grafen von Anhalt; der sah vor sich nieder, an eine Säule gelehnt.
»Und wäre unter all den ehrenwerthen Herren und Rittern kein Eideshelfer dem
Manne?«
Da schaute ihn der fürstliche Graf forschend an und trat einen Schritt näher. Er schaute lange und ungewiß, und sein Gesicht verfärbte sich.
Der Graf war um Einiges jünger gewesen denn sein Vetter, der Markgraf Woldemar. Man weiß auch, daß sie nicht gerad die besten Freunde waren, und kamen selten im Leben zusammen. Ja, in jener Fehde um Stralsund war Albrecht auf Seiten der Verbündeten und belagerte mit die Seestadt. Hübsch ist das nicht, wenn Verwandte wider
einander zu Felde liegen; aber dazumal galt es als kein Arges. Fehde war ein Ritterspiel. Beim Ausfall der Stralsunder war Albrecht gefangen worden, kam aber noch selben Tages um Lösegeld wieder frei.
»Lieber Vetter von Anhalt«, sprach der Pilger, und bewegte als wehmüthig den Kopf, »solche alte Dinge sollten Blutsfreunde vergessen. Ihr standet wacker mit den Jütischen Schützen. Nur Euer wundes Roß wars, das Euch an die Hecke warf, wir hätten Euch sonst nicht gefangen.«
»Alle Heiligen!« rief der Graf. »So schaute er –«
» So wohl nicht, Vetter,« lächelte der Pilger; »es sind an dreißig Jahr um. Aber so hob ich Euch auf: »»Vetter, deß keinen Groll!««
»Das spracht Ihr. – Gnade mir Gott –«
»Uns Allen, Vetter Albrecht!«
Und da er ihm die Hand gereicht, als dazumal, fiel ihm Der an die Brust. Das war ein herzig Schauspiel. Das hatte Keiner erwartet. Und nun fuhr der Dessauer wieder zurück und
faßte des Pilgers beide Arme mit seinen beiden und schaute ihn nochmals an und rief, wie aus tiefster Brust:
»Als mir Gott gnädig sei, ich kann nicht anders, er ists!«
» Ich bins!« sprach der Pilger. »Viel noch werden an mir zweifeln. So wende es der Herr überall, und es wird gut!«
Nun hätte Einer umsonst reden können vor dem Getös, was da entstand. Das war, als wirke der Wein erst jetzt in den Köpfen nach. Vielen standen die hellen Thränen im Gesicht.
Jeder wollte ihm Aug im Aug gegenüber stehen, dem frommen Pilger und Markgrafen, den Gottes Finger so sichtlich behütet; Jeder, wo nicht seine Hand an den Mund drücken, doch den Saum seines Kleides fassen. Was überschrieen sie sich draußen, und die drinnen hörten doch nichts davon.
Nun trat der Erzbischof Otto vor ihn, und in holdseliger Art sprach er davon, daß er sich fast entschuldigen müsse, wie er ihn nicht früher nach Stand und Würden empfangen. Wie er aber nun in ihn drang, daß
er das Pilgerkleid ablege, und in fürstliche Gewänder sich kleide, als ihm zieme! Und die besten Gemächer seines Pallastes und eine Ehrenwache stehe dem wahrhaftigen Herrn über Brandenburg zu Gebote.
Der Pilger schüttelte das Haupt: »Kam ich doch nicht zurück, um in Purpur die Glieder zu hüllen. Nur um zu sterben und zu ruhen in dem Boden, wo meine Väter ruhen.«
Der Erzbischof ergriff das Crucifix und hielt es ihm vor: »Als Du ausgingst, Fürst Woldemar, regierte
Der in Deinem Lande; itzt, wo Du wiederkehrst, ist der Antichrist darin. Kehrtest Du nur, um den Gräueln zuzuschauen und die Hände in Schooß zu legen, was bliebst Du nicht über der See! O Fürst, was willst Du dann hier? Es stirbt sich für einen Christen in jedwedem Lande besser, denn in der Mark Brandenburg, als sie ist.«
Da stürzten ihm zu Füßen die Brandenburger, und Alle hoben flehend die Hände zu ihm.
»O edler Herr! Du frommer Pilger!« sprach mit eindringlicher
Stimme der Bischof und beugte sich zu ihm: »Erhöre so viele Bitten! Ach, hättest Du mit eignen Augen das Elend dort geschaut, Du gürtetest wieder das Schwert um Deine Lenden und ergriffst die heilige Fahne zum Krieg mit den Gottlosen!«
Wie aus ernstem Sinnen erhub sich da der Pilger und schaute gen Himmel. Dann sprach er:
»Herr, Du siehst, wer ich bin, Herr, Du weißt, warum ich hier stehe; Gnade meiner Seele! – Ich sah das Elend,« wandte er sich zu den
Andern, und das Erz des Zornes klang wieder durch die Stimme, wie er sie auch meistern wollte, der alte Mann. Aber wie er fortsprach, rollten ihm die Thränen aus den Augen, und dann rollten seine Worte, wie Donner über Gebirge. »Ich sah, was Ihr mir zeigen mögt. Ich hörte, was Euer Ohr nicht vernahm. Ihr seid Fremde, Ihr seht es mit gleichgültigem Aug an, Ihr hört es mit dem Schauder, wie Einer am Feuerheerd ein grauslich Mährchen hört, und er kriecht ins warme Bett. Ich bin dort geboren; ich
spielte als Kind an diesen langsam rinnenden Flüssen, an diesen kalten Seen. Mir sangen die Kieferwälder mein Wiegenlied. Ich hörte sie wieder, diese Gesänge; die Wälder, durch die der Sturm zog, und wie anders klang nun ihr Lied –«
Er schöpfte Athem, und mit anderer Stimme fuhr er fort: »Daß ich meinen rechten Erben das Recht ließe, was Räuber an sich rissen, darum kam ich, Ihr Fürsten. Mein Testament zu machen vor Kaiser und Reich, und dann der Welt sterben, die für mich
gestorben. – Du, edles Magdeburg, Ihr, hochwürdiger Bischof, die Ihr mich gastlich empfingt, viele Monden sind es schon, daß meine Füße durch Brandenburgs Gefilde pilgern. Ich fand kein Recht mehr, ich fand nichts mehr, das ich meinen Erben hinterließ, ich fand – Worte sprechen das nicht aus. Ich bin alt, aber mein Schmerz ist eines jungen Mannes. Das Elend, das ich sah, hauchte Jugendmuth dem Greise ein. Gott sei mir gnädig; ich wills ändern. Fort dieser Pilgerstab, fort dieses
Kleid des Friedens! Die alten Glieder sollen wieder in Eisen starren. Reicht mir ein Schwert; ich will versuchen, wie ich es wieder schwinge. Denn mein Ruf ist groß, meine Aufgabe schwer. Freunde, ich will wieder Markgraf sein, mein Reich wieder erobern, nicht mir, ihm selber, der Ordnung und Sitte, der heiligen Kirche, dem Deutschen Reiche, davon Brandenburg ein Theil war, und wahrhaftig nicht sein schlechtester!«
Er hatte den Stab fortgeschleudert, den Mantel riß er ab und griff das
Schwert eines der Ritter. Er hob es in die Höhe:
»Ihr, die Ihr Vasallen seid zu Brandenburg, Ihr Herren und Fürsten, die Ihr mir fremd seid, wollt Ihrs mit mir wagen?«
»Wir wollens!« riefen sie, eine Stimme; die Ritter zogen ihre Schwerter, die Geistlichen hoben ihre Hände, und was von heiligem Geräth da war, in die Höhe, die Frauen wehten ihre Tücher. Die Geiger und Pfeifer spielten auf und draußen bliesen die Drommeten. Als sie Alle aufgebrochen, läuteten die Glocken in
der Stadt, und in allen Straßen und Häusern war nur ein Strom. Ja, sie kamen vom Lande, aus den Dörfern herein, um das Wunder mit eigenen Augen zu schauen.
Als der Abend heranbrach, dröhnten schon die Ambosse in den Schmieden, die Harnische und Helme und Spieße wurden über die Straßen getragen; Alle rüsteten sich zur großen Fehde, die eine gar lustige zu werden verhieß.
»Das war eine gute Komödie,« sagte der Kanzler, als er Abends in das Gemach des Erzbischofs trat. »Es ist
Alles, als wir wünschen, abgelaufen.«
»Hier bei uns!« entgegnete lächelnd der Fürst, der sich von des Tages Last in seinem Armsessel ausstreckte, die Füße auf weichen Polstern. »Drüben fängt sie von Neuem an, und weiß Keiner, wer dort mitspielt, den wir nicht einluden.«
Der Kanzler reichte ihm die Briefe an den Kaiser zur Unterschrift. Gähnend nahm der Bischof die Feder.
»Ist unser Gast wohl gebettet?«
»Er verhandelt mit unsern Hauptleuten und den
brandenburgischen Rittern über den Feldzug. Sie sind verwundert, wie er das Land kennt und die Leute.«
»Er soll schlafen!« sprach der Erzbischof ärgerlich, und that einen dicken Zug unter den Brief.
»Sie meinen, er wird die halbe Nacht über den Karten sein, und theilt Jedem sein Part aus, als wär er ein geborener Feldherr.«
»Wo grifft Ihr den Satanskerl auf?«
»Hochwürdigster Herr, der Graf von Dessau glaubt allen Ernstes, daß es der verstorbene
Markgraf ist.«
Ein freundliches Lächeln breitete sich über die abgespannten Züge des Prälaten aus: »Das ist ja wunderbar. Der Herr stärke ihn in seinem Glauben, – und uns Alle dazu! Lache nicht. Ich will Dir eine Wahrheit vertrauen. Wer selbst an ein Mährlein glaubt, das er erzählt, findet auch mehr Gläubige im Volke, als wer mit aller Kunst erzählt und nicht glaubt. – Also der Graf von Dessau glaubt! Er ist ein ehrenwerther Mann, ein erfahrener Mann, sein Wort gilt im
Volke. Er kannte seinen Vetter. – Konrad, das ist ein gutes Wort. Das Zeugniß des Grafen von Dessau. Wer darf daran zweifeln? – Du? Ich? – Wir kannten ihn nicht. Ich gebe meinen Zweifel gefangen; ich glaube auch auf ein so ehrenwerthes Zeugniß. Kanzler, schreibe dem Kaiser: Unsere Sache ist gewonnen!«
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