Frei Lesen: Der falsche Woldemar

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Willibald Alexis

Der falsche Woldemar

Sechstes Kapitel.

eingestellt: 23.7.2007



Da kamen Rathleute von Berlin und Köln; die beiden Städte waren seit ein und vierzig Jahren durch Vertrag eine Stadt worden, und ihr Rath saß zusammen im Hause auf der langen Brücke, und sie hatten dieselben Bürgermeister und dasselbe Regiment. Die Rathmänner kamen als Abgesandte, daß sie den alten Markgrafen aufforderten, er solle eilends nach der Spree kommen, um die Huldigung der Bürgerschaft zu empfangen.

Die Fürsten waren nicht einig darüber. Sie meinten, es thue keine Noth, nach Berlin kommen. Da Brandenburg gehuldigt, sei es genug. »Mit Brandenburg haben wir das Land gewonnen,« sprach der Erzbischof von Magdeburg; »aber wir wissen nicht, was wir in den andern Städten verlieren mögen. So auch nur eine sich widersetzig zeigt, um die wir uns mühen, so geht der Schein, den wir gewonnen, verloren. Und ist der Schein fort, daß wir Herren sind des Landes, so sind wir nicht mehr Herren.« Er wußte durch seine Späher, daß nicht alle Städte wie Brandenburg dachten. Darum hatte er verhindert, daß sie nicht über Spandow zogen. Auch wußte er nur zu gut, wie es um Frankfurt stand, und zwischen Frankfurt und Berlin war viel Verkehr und viele große Familien waren in beiden mächtig. Ueberdem mochte er nicht zu weit ab von seinem Stifte und war zufrieden damit, was er schon gewonnen. Es hatte ihm nämlich Woldemar, ehe er aus Magdeburg ausrückte, drei Ortschaften verschreiben müssen, Jerichow, Sandow und Plauen, als Ersatz für die Kriegskosten. Als ein kluger Mann meinte er: wer mit kleinem Gewinn nicht zufrieden, verliert oft noch dazu, was er hat.

Rudolf von Sachsen meinte desgleichen, man solle bleiben, wo man wäre; denn Alter und Dickleibigkeit hatten ihn schwerfällig gemacht. Er rührte sich nicht gern. Ein Hauptmann, den man hinsende in die Spreestädte, thäte es eben so gut. Die aufsässigen Bürger dort, mit ihrem losen Maul, verdienten nicht, daß edle Fürsten ihnen zu Hofe ritten. Er erinnerte sich, daß sie vor fünf und zwanzig Jahren, als er im Lande waltete, manch bitter und neckisch Wort in Berlin ihm hinterm Rücken gesprochen. Gutes vergißt sich und auch Böses, aber den Spott vergißt man nicht leicht.

»Ich stimme Euer Liebden bei,« sagte der von Anhalt. »Im alten Berlin sind sie gar wetterwendisch. Wer weiß, ob der Schluß heute, wo sie uns rufen, morgen ihr Schluß bleibt; und da wir ankommen, haben sie sich inzwischen anders besonnen. Als Euch bekannt, sind noch nicht zwei Jahre um, daß sie vom Interdicte losgesprochen worden wegen des Bernower Abtes. Das hat ihnen entsetzlich viel Geld gekostet, und die Bürgerschaft ist darum schwierig auf den Rath, und so der Rath uns die Thore öffnet, wißt Ihr, ob die Bürger sie nicht wieder zuwerfen? Derohalb ist meines Dafürhaltens, es ist nicht rathsam für unsern Vetter, in eine Stadt einzureiten, wo es noch gährt und ist voll Unsicherheit.«

Woldemar, der still bis da zugehört, sprach: »Ich meine, Ihr Herren, es ist an einem guten Fürsten, nicht daß er weile, wo er sicher ist. Denn meines Dafürhaltens, ist er da, nicht daß er gehen lasse die Dinge, als sie sind, sondern festsetze, wie sie sein sollen.«

»Das sei für sich!« fiel rasch der Magdeburger ein. »Nachmalen ist dafür Zeit, wenn der Kaiser kommt. Itzo, erwägen wir, das wars, durch den allgemeinen Schreck, daß wir siegten. Die Wirkung dauert nimmer aus. Ein Rückschlag ist gefährlich. Der kleinste Unfall, so wir erleiden, mag den Glauben, der für uns ist, erschüttern. Das darf nicht sein. Berlin ist ungewiß, Brandenburg ist sicher.«

» Item, so ists, wir bleiben,« rief der Sachse.

»Und ordnen von hier aus,« setzte der Dessauer hinzu.

»Und was werden die Spreestädte sagen, so wir ihnen ihre gute und ziemliche Bitte abschlagen?« sprach Woldemar.

»Ketzerisch Volk! Sie verdienens nicht,« erwiderte der Magdeburger.

»Sie sind in guter Art vom Bann gelöst.«

»Ist uns gleichgültig. Laß sie kommen zu uns.«

Das sprach Herzog Rudolf; aber der Erzbischof fiel ihm ein: »Was so viel Aufhebens und so viel Rathschlagens um zween kleine Städte, die müssen sich fügen, was die andern thun. Dies Brandenburg ist die älteste Stadt und Hauptstadt, ist Sitz des Bischofs und eines Schöppenstuhls, der durch die Marken gilt. Hier ist die Auctoritas, und achten wir wohl, daß wir Brandenburgs uns noch mehr versichern, so wir die Spreestädte klein halten. Wir bedürfen der Liebe der Brandenburger –«

»Ihr, Herr Erzbischof!« sprach Woldemar.

Die Herren sahen ihn an.

»Eure Söldner in Plauen mißhagen den Brandenburgern sehr.«

Die Herren schwiegen, und der Erzbischof lächelte; aber Woldemar fuhr fort:

»Mit Eurer Vergunst, erlauchte Herren, unsere Ansichten sind verschieden. Erlaubt, daß ich Euch meine vortrage. Berlin ist keine kleine Stadt mehr. Sie ist groß im Lande, seit sie mit Köln eins ward. Und wäre sie klein von Raum, es spricht von großem Sinn, daß sie freiwillig mit einer kleinern ihre Rechte theilte. Jeder Theil gab auf von seinem zur gemeinen Kraft. Wer das vermag, strebt hoch. Denn wer nur fest hält, was er hat, bleibt, was er ist, und will nicht weiter, und kanns nicht. Berlins Stimme gilt im Lande; aber sehe ich recht, sie wird noch mehr gelten. Berlin hat eine große Zukunst vor sich. Dies treue Brandenburg in Ehren, aber es ist alt wie seine Mauern. Wer junge Kraft in sich fühlt, daß er fortlebe für die Geschlechter, die nach uns kommen, der muß mehr thun als fest halten am alten Recht und alten Satzungen. Ihr Herren, am Fürsten, meine ich, ists, das zu erkennen, was träg zurück bleibt, und das, was kühn und muthig vorwärts strebt. Darum acht ichs für wichtig, daß wir Berlin gewinnen, mit Leib und Seele gewinnen, daß wir ihm freudig die Hand bieten, und geben ihm die Ehre, deren es werth ist. Ists so unser, haben wir die festeste Burg der Marken.«

Der Dessauer meinte, die Mauern von Brandenburg seien fester und höher.

Woldemar fuhr fort: »Gewinnen wollen wir das Land, nicht uns vor ihm vertheidigen. Eine Hauptstadt darf nicht ein Kerker sein, sie ist das Herz des Reiches, dahin alle Blutadern pulsen, und das Blut strömt daraus zurück ins Land. Da thun hohe Mauern und Thürme nicht noth, so meine ich, vielmehr der gute und hohe Sinn seiner Bürger. Sie sind stolzen Sinnes in Berlin. Laßt einen Fürsten unter ihnen weilen, und ihr Sinn wird nicht ausschlagen, als er itzt thut, in Störrigkeit und Zänkereien; der Fürst wird ihn leiten zum Guten und Heilsamen. Darum, wir müssen Berlin gewinnen, mit seinen reichen mächtigen Geschlechtern, seinen fleißigen Bürgern; dort schlagen wir dem Baiern die Todeswunde seiner Herrschaft, dort bauen wir eine Burg, höher als Brandenburg, denn sie wird hinaus schauen über Elbe und Oder, und, verstehts, Ihr Herren, die Hauptstadt werden eines großen Landes.«

»Schon gut,« sagte der Sachse, »wir bleiben hier.«

»Wir nicht,« sprach Woldemar.

»Wenn wirs beschließen!« rief der Dessauer, und Alle schauten ihn mit seltsamen Blicken an.

»Thut als Euch recht dünkt, erlauchte Herren. Ich gab den Abgesandten mein Wort. Ich reite gen Berlin.«

»Wann?«

»Morgen!«

»Höll und Teufel!« fuhr der Sachse auf. »Wir bleiben, sag ich.«

Der Erzbischof stand auf: »Habt Ihr ihnen als Fürst das Wort gegeben?«

»Als Fürst, hochwürdiger Herr!«

»Dann räth die Klugheit: Reitet, lieber Herr.«

»Als Fürst, Ritter und Mann gab ichs,« rief Woldemar, »und wills thun, als Jeder von ihnen.«

»Und Ihr thut gut!« sprach der Erzbischof. »Denn zu Anfang eines Regiments muß ein Fürst jedwedes Wort halten, das er gab. – Und er hat Recht,« setzte er nachdenklich hinzu, nachdem Woldemar hinaus gegangen. »In Berlin hat er die Mark.«

» Er!« fuhr der Sachse auf. »Was will er denn dort?«

»Sich Freunde machen.«

»Was, Freunde!« rief der Herzog. » Wir sind seine Freunde.«

Der Erzbischof lächelte: »Verargts dem Manne nicht, so er sich nach bessern umsieht.«

Der von Anhalt schaute zu Boden: »Ihr wißt –«

»Was Ihr denkt,« unterbrach ihn der Erzbischof, »oder uns fürgebt, daß Ihr denkt. Darauf kommt es nicht an. Es kommt darauf an, die Mark so schnell zu besetzen, als es geht, Völker zu werfen in die Schlösser, Städte; die Bürger huldigen lassen. Die Baiern dürfen kein festes Haus mehr haben, wenn Ludwig aus Tyrol kommt. Der Mann hat Recht, ich wollte sagen der Markgraf. In die Spreestädte muß er ziehen, mit wehenden Fahnen und Trommelschlag, heute lieber als morgen. Was heute für uns ist, wissen wir; was morgen wider uns sein wird, wißt Ihrs, weiß ichs?«

Der Sachsenherzog stieß sein Schwert auf die Diele und brummte: »Mir gefällt das nicht.«

»Das wird die Berliner hoch erfreuen,« sagte Graf Albrecht, »wenn ein Erzbischof von Magdeburg wieder in ihre Stadt eingeht.«

» Ihr, nicht ich,« entgegnete der Bischof. »Für einen Erzbischof ziemt es nicht. Die Stadt raucht noch vom geweihten Blute, die Luft muß erst rein werden, bevor die gesegnete Nähe eines Fürsten ihr wird.«

»Und Ihr, Erzbischof, wo wollt Ihr hin?«

»Nach Magdeburg. Dieser, obwohl guten, doch fremden Sache brachte ich schon zu große Opfer für mein Volk. Eines Fürsten erste Sorge ist sein Land und sein Volk.«

Ungehalten schauten die Beiden ihm nach.

»Weshalb schickt er uns nach Berlin! Was will er?«

Der Dessauer antwortete: »Was er erworben, wie man die Hand umdreht, in Sicherheit bringen. Verschanzt Plauen bis an die Zähne! Nachmalen kommt er wohl zurück und sieht, was er noch dazu kriegt!«

»Das mir fortgenommen und vorweg!« brummte der Sachse.

» Mir, Vetter,« entgegnete der Dessauer. »Mein Erbtheil sollte Jerichow und Plauen sein.«

»Das geschah hinter unserm Rücken, Vetter, daß er sich Plauen verschreiben ließ. Was mußte der Kerl – ich meine unser – sogleich bei der Hand sein, und bereit dazu!«

»Wißt Ihr, ob ers war?«

»Er hält doch sonst hinterm Berge, wenn sie ihn um Schenkungen bitten und Privilegien. Er hätte den Erzbischof hinhalten sollen mit Worten und Versprechungen.«

»Der läßt sich nicht hinhalten. Als ich weiß, hätte er ihn nicht aus dem Thor gelassen, bis er Plauen verschrieb. Ja er hat noch Mehres abgedungen, was der Erzbischof forderte.«

»Werd der Geier draus klug!«

»Vetter!« sprach der Dessauer. »Ich meine, es ist gut für uns, daß der Magdeburger geht. So bleiben wir allein um ihn.«

»Und wollen zusehen,« fiel Rudolf ein, »daß er nicht noch mehr verschreibt, Gottesbarmherzigkeit, es ist zum toll werden, daß Einer, dem kein Pfifferling gehört, der verschreibt, mir nichts dir nichts, was unser ist, und wir müssen ja sagen. Höll und Teufel!«

»Es läßt sich auch vielleicht zurück verschreiben,« lächelte der Graf.

»Das solls! Das ist ein gut Wort. Das muß sein. Er ist unser, unser Vetter, nicht wahr? Wir leiten ihn, und dem Pfaffen ein Schnippchen.«

Die von Berlin und Köln waren ihm weit über ihr Weichbild entgegen gezogen. Das war eine Einholung! Nicht funfzig Menschen, außer den Alten, waren in den Städten geblieben. Liefen selber die Wärter fort aus den Spitälern, von Sanct Gertraud und draußen von Sanct Georg vorm Oderberger Thor. Alte und Gebrestige hatten sie genug gesehen, die ihnen unter den Händen starben, aber wer sah einen Markgrafen, der fünf und zwanzig Jahr im Grabe lag, und nun stand er wieder auf. Ja auch die Kinder, wer hätte die zurückgehalten. Die müssen vor Allem das Wunder sehen; denn sie tragens zum längsten, und erzählens, wenn sie alt sind, ihren Kindern und Kindeskindern wieder. Und viele Knaben und Mägdlein hatten sie von Stadtwegen weiß angezogen, mit bunten Bändern, und sie trugen Kerzen und Kränze, dem lieben Landesherrn entgegen. Aber wer zählt die Tausende, die auf den Feldern standen und zuschauten. Die Weibel wußten nicht, wo sie hinlaufen und reiten sollten, um Platz zu machen. Da waren sie aus den Ortschaften und Dörfern, auf Meilen weit, herangekommen, Frauen und Männer, und mancher Edelmann hielt zu Roß, und im Wagen neben ihm saßen auf Säcken die Edelfrauen und Fräulein. Die Jungen, und große Bursche darunter, hingen auf den Bäumen am Wege, so lang er war, und schüttelten einen Regen gelber Blätter hinab. Manche Rüster hing so schwer von Flachsköpfen, daß man meinte, sie müsse brechen. Und war auch manche Gefahr, denn sie stießen sich und kitzelten und rissen sich am Haar. Die Fräulein, die unten auf ihren Strohsäcken zuschauten, hatten deß große Lust.

Und nun die Gewerke, zu Roß und zu Fuß, mit Fahnen und Fähnlein! Seinen besten Sonntagsrock Jeder umgethan, und die Harnische und Pickelhauben blank geschliffen, und die Hellebarden und Spieße und Morgensterne, das flimmerte in der Sonne. Voran ritten, nach altem Rechte, die Knochenhauer; das konnte ihnen keiner nehmen. Und so übermüthig als sie, saß kein Junker zu Roß.

Die von den Geschlechtern, an Pracht wer thäte es ihnen gleich! Aber nur die Jungen ritten; die Alten blieben am Thor mit ihren schwarzen Feierwämsern und güldenen Ketten. Nun hätte sichs wohl geschickt, daß die Reiter blanke Harnische und Schienen angethan, denn der Mann ist zum besten in der Rüstung, und allzeit muß er rüstig sein, wenn sein Landesherr ihn ruft. Das bedeutet es. Aber wie so junge Fante sind, wollten lieber ihre Wämser zeigen, vom feinsten Scharlachtuche, oder blau, mit Weid gefärbt, der in der Mark wächst, und mit Seide gefüttert und ausgepufft und geschlitzt.

Und meinten, ihre Gliedmaßen nähmen sich besser drin aus, als im Stahl, und ihr Spitzbart stände besser überm Zobelkragen, als unter der Eisenhaube. Als ob auf so etwas ein alter Mann sieht! Aber darum wars ihnen auch nicht zu thun; das Volk sollte sie ansehen, und die Frauen sich verwundern über ihren Putz und Jeder dachte, die Mägdlein müßten auf ihn grad zeigen und fragen: du, wer ist der schmucke Gesell? So, aus Eitelkeit hatte es Einer dem Andern zuvorgethan, nicht um den Markgrafen.

Die Brüderschaften, die Dominikaner und Franziskaner, die schwarzen und grauen, zogen barfuß mit ihrem härnen Gewande, den Rosenkranz um ihre Hände. Da meinte man doch die Demuth zu sehen gegen den Stolz. Wie die Träger keuchten unter dem großen Crucifixe, wie sie die hohen Kirchenfahnen im Schweiß ihres Angesichts aufrecht hoben, selber so klein. Aber wer ihnen ins Gesicht sah, da war nicht Demuth. Und sah man nun den Probst und seine Kaplane und Diaconen in ihren reichen Meßgewändern mit Geschmeide und feinen Stickereien, die Baldachine und die strahlenden Monstranzen, die Akoluthen und Knaben umher in rothen Kleidern mit weißem Ueberwurf, die dampfenden Weihkessel hin und her schwenkend, dazu die hunderte von armdicken Kerzen, deren Rauchwölklein in die klare Luft ringelten, und sah man vor Allem die feisten glänzenden Gesichter, da dachte Keiner, daß die Kirche an Demuth den Laien nachstand.

Weit übers Weichbild, sagte ich, und weit über die Marken der Städte liefen und zogen sie ihm entgegen. Da flimmerte es hinter dem Busche. Hohe Standarten und bunte Reiherfedern. Trompeten riefen drüben und Trompeten antworteten hüben, und mit einem Male flog ein Staub auf, und dem Volk ins Gesicht; und Die von den Geschlechtern, die eben ausschauen wollten, ob es der Ersehnte sei, prusteten und mußten sich umwenden. Die Knochenhauer hattens nicht abwarten können. Alsbald sie die Harnische vom Teltower Wege blitzen sahen, (den rechten Weg über Spandow konnte er nicht kommen) waren sie losgesprengt, rechts und links, ob die Herren auch im Staub fast erstickten, und Einer ihnen nachschrie, es schicke sich nicht. Ja, in dem Augenblick fragten die Metzger viel, was sich schicke, und ob die Abgesandten mit dem Tüchlein geweht hatten. Rechts und links schwenkten sie und dort bei Cedelendorp (hieß nachmals Zehlendorf) mußten sie ihn umringt haben. Denn nun sah man lange Zeit nichts, als einen Staubwirbel, den das Sonnenlicht beschien und er wirbelte näher, und Harnische flimmerten endlich draus vor und die Armaturen der Rosse.

Da kam der Markgraf Woldemar angeritten, und die Knochenhauer um ihn taumelten wie toll ihre Rosse und schwenkten ihre Hüte hoch, und schrieen es dem Volke zu von Weitem: »Er ists!«. Das ging nun als ein Funken auf Zunder um. »Er ists! Er ists!« die Mützen und Hüte flogen und die Mäuler rissen sie auf, daß er lebe; bis in die Wolken klangs. Es war viel Unordnung, und noch mehr Staunens. Der Eine sprach: »Du, so hab ich ihn mir gedacht!« und der Andere: »Nein, so hab ich ihn mir nicht gedacht!« Der Eine dachte, er müßte größer sein, der Andere kleiner, Der, er müßte älter sein, der, er könne jünger schauen.

»Sieh, wie er sie huldreich grüßt, die Herren!«

»Könnte den Kopf auch niedriger bücken,« sprach der Nachbar. »Wir thun ihm doch viel Ehre an.«

Das war kein Pilger mehr, der demüthig und bang in seine Heimath zieht. Er ritt auf einem hohen, weißen Pferde, darauf eine Scharlachdecke, und des Rosses Hals und Kopf war fürstlich geschmückt, doch nicht zu sehr. Nichts mehr vom rostigen Eisenharnisch, den er bei Gransee trug; eine glänzende Rüstung von Stahl, hellblau angelaufen, und ausgelegt mit silbernen Reifen und Figuren, umschloß seinen Leib. Darüber wallte der Purpurmantel mit Hermelin, und auf dem Haupte trug er, statt des Kriegshelms, eine blinkende Stahlhaube, um die eine Mütze sich wand, als der Mantel purpurn und mit weißem Hermelinbesatz. Das ward nachmalen die Krone der Kurfürsten. Schien er größer und jünger noch als in Brandenburg, und es waren doch kaum zween Nächte dazwischen.

Und das ist auch seltsam. Wie laut sie schrieen, wenn er noch fern war, sie verstummten, wo er vor ihnen stand. So ernst schaute er sie an, so huldvoll und doch so feierlich grüßte er. Da hielten sie die Mütze vor der Brust und neigten sich. Der Athem verging ihnen.

Er ritt allein. Die Grafen, Herren und Ritter blieben um mehrere Schritt zurück. Sie waren keck und froh, und ihre Backen geschminkt von Lebenslust und Leidenschaften. Er war allein, aus einer andern Welt. Und ohne Lebenslust und Leidenschaften war er in diese rückgekehrt. Wo aber waren der von Anhalt und der Sachsenherzog? fragten die Leute. Denen kam es doch zu, neben dem Markgrafen zu reiten. Sie hatten am Abend auf das glückliche Gedeihen zu stark mit Etlichen getrunken; da hatten sies am Morgen verschlafen, als der Zug ausrückte, und Woldemar führte sich selbst nach Berlin.

Am Dorfe Schöneberg auf der Höhe, und du siehst hinab über weite Felder auf die Stadt Köln, und jenseits Köln ragen die Thürme des alten Berlin vor. Die Städte schauten nicht so heiter als heute. Hohe Ringmauern mit mächtigen Weichhäusern und Warten und Thürmen von braunem Ziegelstein umspannten die spitzen Giebelhäuser. Aber du sahest mehr Thürme als du jetzt siehst. Denn was ist heut ein Thurm, wo die Häuser so hoch und zu Schlössern wurden. Lagen beide Städte, wer sie von hier schaute, als ein warmes Nest in einem hohen finstern Walde; der dehnte sich rechts und links und hinten nach Mitternacht unendlich weit. Einem Wanderer wohl ein erquicklicher Anblick, der, durchweht und müde, Abends hier auf die Höhe kam, und die vielen Lichter blickten ihm entgegen aus dem Thale, und der lichte Rauch stieg aus den Schlotten auf.

Am Dorfe Schöneberg hielten die jungen Patricier zu Roß, und in ihrer Mitte sollte der Fürst nun herabreiten. Da glaubte gewiß Jeder, ihn werde der Markgraf zumeist ansehn. Und er grüßte sie in adliger Weise, und seine Blicke gingen im Kreise um. Ob aber einem alten Manne frische Gesichter wie Blumen dünken, und er sieht im Geist, wie sie morgen welken, und kann sich deß nicht freuen, was sie freut; oder ob er schon glänzendere Wämser und reichere Silbergeschirre sah: auf Keinem blieb sein Auge ruhen, Keiner mochte sich rühmen, daß er ihm freundlicher zugenickt als dem Andern. Er hörte die Namen, so ihm ihr Führer nannte, als wärens ihm alte Bekannte, und doch stieg bei Keinem ihm eine Erinnerung auf. Sein Auge vielmehr wandte sich von den jungen Fanten wieder ab nach der Stadt und wies mit dem Finger auf die Wiese davor:

»Wo ist itzo die Grenze der Mirica?« fragte er, und zeigte nach rechts, wo der Elfenbruch nach dem Treptow sich hinzieht.

Das wußte Keiner, nicht mal den Namen, und sie wunderten sich der Frage. Einer sah den Andern an.

»Eure fürstliche Gnaden!« sprach ein jung Blut, der tummelte sich auf einem feurigen Rappen, und sein Aug leuchtete voll Uebermuth. Keiner war so prächtig gekleidet, und fast zu reich, und sein Bart war gekämmt und gekräuselt und duftete von seinen Specereien, daß es der Markgraf roch. Es war der junge Tile Wardenberg, der ein fünf und zwanzig Jahre später so viel von sich reden machte, und die Bürgerschaft aufwiegelte wider den Rath; nicht daß er sie liebte, sondern aus Stolz. Nahm nachgehends ein traurig Ende und mußte aus der Stadt weichen. Waren aber der Zeit die Wardenberge noch das mächtigste Geschlecht. Der also sprach, und man sah, er wußte sich was darauf:

»Fürstliche Gnaden, das sind alte und geringe Dinge. Aber den Baiern wollen wir austreiben, als Euch beliebt, und Eure Herrschaft mehren. Das kümmert uns mehr.«

»Ei!« sprach Woldemar, und ein fein Lächeln schwebte ihm um den Mund. »Wer Großes sinnt, fängt mit Geringem an. Und wer in einer Stadt regieren will, sollte seiner Stadt Geschichten vorerst wissen.«

Da lachte Tile Wardenberg. Seine Familie hatte Güter über die ganze Mark: »Es mag wohl alte Leute geben, die sich um so was kümmern bei uns.«

»Und die thun besser, junger Mann«, sprach der Fürst, »daß sie in den Spiegel schauen, darin die Vorzeit zu lesen, denn in einen, darin sie nur ihr eigen glatt Gesicht sehen.«

Da lachten die Andern, denn es war stadtkundig, daß Tile jeden Morgen, weiß nicht wie viel Stunden, vor dem Spiegel stand und den Bart sich kräuseln und brennen ließ, und mit seinem Räucherwerk durchdüften. So nur zeigt er sich vor den Leuten, und meinte, es gebe ihm Ansehn; aber sie lachten über ihn. Und nachmalen fing ers anders an, daß er Ansehn gewann. Weiß aber nicht, ob das besser war. Denn so Einer eitel ist, ists besser, daß er mit sich spielt, denn mit Andern. Und besser, daß die Leute ihn auslachen, als daß er um seine eitle Lust andere ins Verderben stürzt, und über das gemeine Wesen Unglück bringt. Thorheit in der Jugend, die schütteln die Jahre ab, aber Thorheit im Alter geht bis ins Grab mit.

Woldemar lachte nicht. Vielmehr er sprach als zu den Seinen, aber die jungen Leute sollten es auch hören: »Diese Wiese, so die Mirica von Alters hieß, übereignete mein Großohm Otto der Dritte, den seine Völker den Gütigen nannten, der Stadt Köln zu ewigem Besitze. Vordem hatte sie der Ritter Rudolf von Stralow besessen, friedlich und ruhig seit alten Zeiten. Und so übergab er sie den Kölnern, denn sie hatten nicht Raumes genug für ihre Stadt, die wuchs, und für ihre Heerden, die der Weide bedurften. Deß Zeugen waren gute Männer jener Zeit, als ich von meinem Vater gehört, der dabei war, als die Urkunde aufgesetzt ward. Es war ein Ludwig von Kerkow, der Arnold von Bredow und Heinrich von Gröben. Auch Heinrich Trude, der war ein treuer Vogt in Spandow. Das geschah im Jahre 1261 nach unsers Herrn Geburt.«

Warum Woldemar das hier erzählte, darum kann man Unterschiedliches denken. Ein alter Mann erzählt gern von alten Dingen. Aber die Kerkows und Bredows, die hinter ihm ritten, von Brandenburg her, erfreute es sehr, daß er ihrer Vorfahren so in Ehren gedachte. Und unter Denen von den Geschlechtern war ein junger Gröben; den erfreute es auch. Das sah Woldemar, ob ers schon nicht merken ließ, aber er richtete nun, als sie weiter ritten, freundliche Worte an ihn und sagte, daß seine Väter den Städten und ihren edlen Familien stets hold gewesen. Und wie sie ihnen gern Land und Freiheiten geschenkt, wo eine Stadt aus ihren Kinderkleidern herauswuchs, daß sie sich erweitern könne und bauen und schaffen, was dem Gemeinwesen förderlich sei. Das machte viel gutes Blut unter Denen, die es hörten, und Einer theilte es dem Andern mit. Und wie es von Munde zu Munde ging, wußten sie am Abend in beiden Städten, der Markgraf habe oben auf dem Berge verheißen, daß er, gleich wie sein Großohm den Kölnern die Mirica, den Berlinern ein groß Stück Landes schenken wolle, daß sie ihre Mauern einrissen und ihre Städte vergrößerten zu beiden Seiten der Spree.

Unterm Berge hörte der Staub auf, denn da war feuchtes Bruchland. Aber, und wärs offenbar Wasser gewesen, sie hätten bis an den Knieen drin gestanden, zuzuschauen dem Einzug. Dort hielten auch die Johanniterritter, die seit dreißig Jahren auf den Gütern sitzen, welche vordem den Tempelherren in Brandenburg gehörten, und ihr Comthur vom Hofe zu Tempelhof mit andern Meistern und Rittern bewillkommten den Markgrafen. Der antwortete ihnen huldreich; aber auch nicht, als sies erwartet, voll großer Herzlichkeit. Denn die geistlichen Ritter standen nicht in gutem Geruch. War noch kein Menschenalter um, daß der Templerorden aufgehoben worden, und in andern Ländern hätten sie die Ritter eingesperrt und gefoltert, gemartert und verbrannt; nur in Brandenburg nicht.

Wenn das Woldemar war, er hatte Grundes genug, sie ernst anzuschauen. Denn er wars, der in jener schweren Zeit, als ein gerechter und milder Herr, die Templer geschützt, und hatte das Gericht, daß über sie erging, zum Guten geführt. Da ward kein Scheiterhaufen angezündet an der Spree, als es an der Seine geschah, die Fürsten und Edelleute griffen nicht mit gierigen Händen in ihre Schatzkammern und rissen ihre Güter an sich. Die Ritter behielten ihre Höfe und blieben Ordensbrüder, nur das Kreuz färbten sie und schnitten den Mantel um, und statt Templer heißen sie nun Johanniter. Solche Güte sollte Denen zur Warnung sein, deren Brust nicht rein ist von Sünde. Aber wenn ein Donnerwetter vorübergezogen, der Leichtfertige denkt, nun ists vorbei und kommt nicht wieder. Ist kein Uebergang so schnell als von Furcht und Zähneklappern zu Uebermuth und Dünkel. Da es ihnen nicht an Haut und Haar ging, vermeinten die Johanniter, sie würden ewig sitzen in den Marken. Und es waren doch schon damals Etliche, die meinten, wozu geistliche Ritter wären, die nicht beteten und fasteten, noch für Christi Glauben föchten, vielmehr zechten und schmausten und bösen Sünden fröhnten, und Alles, was geistlich an ihnen, sei das Kreuz auf ihrer Brust. Warum die Markgrafen also zu gnädig mit ihnen verführen! So sie keine Sünder, seien sie doch arge Faullenzer, und besser sei es gewesen, ihre Güter fleißigen Leuten zu geben, die ein ehelich Weib haben und eheliche Kinder, und für diese sorgen, und damit fürs Land, als sie Denen lassen, die nur Kebsweiber haben und deren Kinder umherlaufen ohne Namen und Eltern, und dem Lande geschieht damit kein Heil.

So dazumal dachten Die in Berlin und Köln. Die rechnetens gar nicht für Ehre sich, daß die geistlichen Ritter dicht vor ihren Thoren saßen, wo sie die Güter hatten Tempelhof, Mariendorf, Rixdorf und andere. Vielmehr hatte es vor Kurzem erst einen blutigen Strauß gegeben, darin die Kölner gesiegt. Aber sie kämpften mit den Rittern noch auf andere Weis, um sie los zu werden; das ist eine Weis, die darum Gutes hat, daß sie kein Blut kostet, sondern nur Geld. Sie kauften ihnen ab, was sie konnten, um von der Nachbarschaft loszukommen. Um deshalb ließen sich die Ritter ungern in den Städten sehen, das Volk zischte und höhnte sie. Um deshalb gaben die Johanniter dem Woldemar das Geleite auch nur bis zum Weichhause am Thore.

Da drinnen wurde auch kein Platz für sie. Die Mauern und die Märkte und die Gassen standen so voll, daß kein Apfel zur Erde konnte. Da wehten Tücher, Fähnlein, Bänder; da schwangen sie die Mützen, und wenn der Jubel ausbrach, stieg er bis in den Himmel.

Und wenn die Pfeifer und Geiger schwiegen und die Paukenschläger und das Geschrei nachließ: das Gesumme aller Glocken, der kleinen und großen, was dann durch die Lüfte schwirrte, das war eine Stimme, die zu den Herzen drang, und sie machte die Herzen weich. Glocken jetzt und Glocken damals! Es war etwas anderes, als die Leute noch hörten auf die Stimme aus den Lüften, und ihr Thun und Treiben danach richteten.

Woldemars Auge war feucht. Der Himmel war ohne Wolken, blau und linde. Da flatterten eine große Flucht Tauben hoch über den Köpfen. Ihre weißen Fittiche im Sonnenschein flimmerten als fliegende Sterne, oder als Widerschein von dem Lichte, das wir nicht sehen, aber wir ahnens.

»Das ist ein gut Zeichen!« sprach der Fürst, die Blicke nach oben gewendet. »Wolle der Herr des Himmels, daß es Frieden bedeute diesem Lande.«

Die Rathmannen beider Städte und ihre ersten Geschlechter standen als gesagt am Thor und haben gewiß Gutes und Tüchtiges gesprochen durch die Münder ihrer Verordneten, und Woldemar hat geantwortet Liebes und Gutes. Das thut jeder Fürst, der nicht im Zorn in eine Stadt reitet. Er kannte heraus von den Alten, und entsann sich ihrer. Das erfreute Jeden, den es traf, sehr. Da waren die Aken, die niederländischer Abkunft sind, die Blankenfelde, die Reiche, die Rathenow und Trebuß (ein Rathenow war Aeltermann) die Strobant und Garnekofer und vor Allem die Wardenberge.

So, sie Alle grüßend, zog Woldemar durch das Weichhaus und über die Brücke, die heut noch Sanct Gertrauden heißt, aus dem Teltow in die Stadt Köln ein. Und nun ging der Zug langsam durch Köln nach der langen Brücke, die Berlin von Köln trennt. und die Gewerke waren aufgestellt, zur Rechten und Linken, daß er Platz finde.

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