Willibald Alexis
Der falsche Woldemar
Drittes Kapitel.
eingestellt: 23.7.2007
»Wagen wirs!« antwortete nach einigem Sinnen Herzog Ludewig seinen Begleitern, und die drei Ritter sprengten seitwärts ins Dorf. »Hussa! Alles um Brod!« tobte Betkin Osten vorauf. Ein bitter Lächeln schwebte um des Fürsten Lippen; ernst aber schaute hinter ihm der Dritte, Betke Botel, sein Roß hinkte. Kaum trugs mehr den schweren stählernen Mann.
Hätten sies nicht gewagt! Die breite krumme Gasse war öde, als ausgestorben die Häuser, da sie einritten. Wo
Betkin mit dem Hammer an die Thüren schlug: »Brod, Ihr Leute, Brod.« keine Stimme antwortete, keine Thür that sich auf. Er donnerte Flüche, er bot Geld, es blieb still. Und auch nicht still; in den Höfen knurrte es und schlug an, und Ketten rasselten; bald zeigte sich hier ein häßlicher Hund, bald fuhren dort zwei, drei unterm Strauchzaun vor, den Thieren zwischen die Beine. Die Rosse scheuten und trugen ihre Reiter in wildem Galopp. »Alle Höllengeister über das Nest!« rief der tobende Osten,
»laßt uns ein Gehöft aufbrechen.« Aber da er den Scheunenflügel sprengen wollte, grüßten ihn Mistgabeln und Dreschflegel.
Es war ein stiller Einritt, aber ein lauter Ausritt aus dem Dorfe. Da knurrten, heulten und sprangen um die geängsteten Rosse wohl dreißig Köter. Von den Dächern und hinter den Zäunen hagelten Steine, Bauern und Weiber hetzten die Hunde an. »Jagt die Räuber!« »Schlagt sie todt!« »Die Pest über die Baiern!«
Schlimm ists, wenn Ritter sich gegen Hunde
wehren müssen, schlimmer, wo alte Weiber ihnen Steine auf den blanken Harnisch werfen. »Hinaus, meine Freunde!« rief Ludewig, »hinaus! Für uns ist nichts zu holen«. Aber er gerieth in einen Sack, und als er sich los machte, war er von den Freunden getrennt. Sein arm Thier blutete mehr von den bissigen Hunden, als vom Druck der Sporen. Manchen Köter schleuderte das Thier fort, aber über ein Dutzend folgten ihm nach über das letzte Heck. Er sprengte ins Feld.
Das war ein trauriger
Ausritt. Zu Dreien waren sie hineingesprengt und ein einzelner Mann dankte Gott, als er den Wald erreicht vor der Meute, die ihn verfolgte. Weil sie hungerten. waren sie hinein geritten, und hungriger ritt er aus.
»Ach guter Gott, und die Freunde!« dachte Herr Ludewig. »Die hat gewiß der Teufel geholt.«
Aber die Hunde am Heck schlugen von Neuem an. Betkin Osten kam über Feld seitwärts geritten; kümmerte sich nicht um die Köter, die doch sein Pferd fast zerzausten, und da er
seinen Herrn gewahrte, jubelte er auf und hielt etwas hoch, das Ludewig nicht erkannte. Drei Hunde lagen winselnd in ihrem Blute, aber sein Roß blutete noch ärger; da hatte er sich los gemacht und winkte und grüßte den Herrn.
»Wo ist Betke?« rief der Fürst ihn an.
»Brod! Brod!« jubelte Osten und hielt ein klein Laib auf der Degenspitze ihm hin.
Sie schnittens, ihr Hunger war groß.
»Wo kriegtest Dus? Gab Dich schon verloren.«
»Meinte es fast
auch, gnädiger Herr. Es galt durch oder drauf. Gelobt sei Gott, daß die Dörfer keine Mauern haben. Als ich über die Hecke setzte, führte mich mein Heiliger bei einem Backofen vorbei, aber der Teufel blendete mich. Als ich runtergabelte, mußte ich grad das kleinste Laib mit dem Degen spießen. Aber nun in die Heide, schnell, gnädigster Herr. Die Bauerbengel warfen sich aufs Pferd. Sünd und Schande, so wir auch mit denen kämpfen müssen.«
Aber als sie ein paar Schritt geritten, hielt der
Fürst: »Wo ist Betke?«
»Um den sorgt nicht, gnädigster Herr, der ist in guten Händen. Saht Ihr ihn nicht stürzen?«
»Todt! Er war ein wackrer Mann.«
»Ei, und wirds bleiben, so ihn auch die Weiber ein wenig zausen und kneifen. Seine Mähre sank unter der dicken Linde auf die Hinterfüße. Da warfen ihm die Hexen ihre Röcke über den Kopf, stracks kriegten sie ihn unter. So verstrickten sie wohl nimmer einen Ritter. Aber keine Furcht um ihn, er kann Lösegeld zahlen.«
»Wer zahlt für mich Lösegeld!« seufzte Ludewig, aber es war eine Stund drüber vergangen und sie hatten kein Wort miteinander gesprochen. Waren waldein geritten und lagerten nun auf Moos und Wurzeln. Des Herzogs Renner, das war ein traurig Schauspiel, wie das edle Thier, blutig und abgetrieben, zitternd scharrte im Schnee und das Moos vom Baum nagte. Der andere Gaul lag funfzig Schritt davon und Ostens Schwert stand blutig an einer Eiche; hatte ihm der eigne Herr den Gnadenstoß gegeben.
Die beiden Flüchtlinge hatten nur ein Pferd.
Der Ritter schnallte den Harnisch los und die Schienen von Arm und Beinen, den Helm hatte er schon fortgeworfen: »Als Euch beliebt, Herr Markgraf, thätet Ihr dasselbe. Euer Roß trägt keinen schweren Mann mehr.«
»Was ist leichter, als ein Fürst, der sein Reich verlor!« spottete Ludewig.
»Wer auch den Muth verlor«, sprach der Osten für sich.
»Schau«, sagte der Fürst, deß Augen in den Wolken waren, »da kommen
sie schon an zur Mahlzeit, so wir ihnen bereitet. Ach. wer ein Vogel wär!«
Er meinte die Raubvögel, die schon in der Luft kreisten um das gefallene Thier.
»Die Bestien!« knirschte Osten. »Welcher Ritter siehts ruhig an, daß sein treu Roß der Vögel Speise wird. Hätt ich eine Armbrust!«
»Da würdest Du um ein Aas kämpfen. Recht so, Betkin. Will mich manchmal bedünken, daß unser ganz Land nicht mehr ist. Um eine Krone denken wir zu streiten, rennen und jagen, ziehen
und schlagen uns –«
»Um ein Laib Brod«, fiel Osten ein.
Ludewig lachte, Osten lachte wieder.
»So wir nur noch ein zweites hätten!«
»Nicht einmal das! Herr Herzog, das Lachen haben wir frei. Kann man nicht ohne Brod lachen! Ich hörte von einem klugen Meister, man soll sich auch satt lachen können.«
Sie hatten ausgelacht. Die Natur wollte ihr Recht. Wie brüderliche Kampfgenossen schliefen sie neben einander. Als wäre der Himmel mitleidig
mit ihren Leiden, trat die Sonne aus den Wolken; ihr milder Decemberstrahl hauchte auf ihren Scheiteln.
Gestärkt richtete sich Osten auf. Er mußte Fröhliches geträumt haben, da er den Gefährten rüttelte. Der fuhr unwillig auf und strich den Schlaf fort.
»O was mußtest Du mich wecken.«
»Schau, die Sonne meint es gut mit uns.«
»Ich lag am Isarstrande; das Wasser plätscherte an meinem Fuß. Ueber dem kahlen Wetterstein zog ein Gewitter, und auf der
Zugspitz glänzte der ewige Schnee als ein Riesenbette. Dahin wollte ich mich strecken, ausruhen von der ungeheuren Müdigkeit, als ein Aar die Wolken theilte –«
»Hat er Euch Brod gebracht, Herzog? Schlagt sonst den Adler aus dem Sinne; Ihr wißt, sie führen uns nicht gut. Wir sind in einer brandenburgischen Heide, verirrt, flüchtig und hungern. – Schnallt den Harnisch ab, wir retten diesmal nichts als unser nackt Leben.«
Ludewig riß an den Schienen, und die Stücke
schleuderte er hin, als wär es Kindertand, und wäre ihm das Herz leichter, da der Leib frei ward seiner kostbaren Wehr. Betkin legte vorsorglich die Panzerstücke zusammen zwischen Wurzeln, und breitete Moos und Kiefernadeln drüber; seis, daß sie die Fliehenden nicht verriethen, seis, daß er sie später wieder zu finden hoffte. Derweil lehnte Ludewig an die Eiche und schaute sich um. Ihn fröstelte.
»Wo bleiben wir die Nacht?«
»Auf Meilen ringsum ist hier kein Dorf.«
Ludewig lachte auf: »Ich dachte, ich sei im Thale von Meran.«
»Vergleichen thut nimmer gut, zumal wer im Unglück ist.«
Ludewig hörte ihn nicht: »Nicht zehn Schritt, und zehn neue Burgen lugen mich an. Dort Planta, dort Tyrol, o – mein Castellbell! Du gluthgeröthete Mendola vor mir, wenn die Etsch an meinen Füßen rauschte und hinter mir aus dem Passeierthal der kühle Wind über die Schultern wehte. Du Mandelblüthenthal mit rebenumsäumten Klippen, ihr duftenden
Kastanienwälder, ihr Feigenbäume, die mir ins Fenster rankten, ihr grauen Münster und freundlichen Sennhütten, ihr plätschernden Bäche und du wonnige Luft! Ein Narr, wer unter Euch leben, Eure Wonne einschlürfen kann, und quält und müht sich um ein Land. wo man – nicht Betkin? – drei Meilen in der Runde nach einem Strohdach sucht! Ein Narr, nicht wahr? – Sieh, jetzt streiten sie um Dein gefallen Thier. Als Dus den Vögeln, laß ich mein Reich den Füchsen und Wölfen. Wohl bekomms!
Betkino! Betkino! zu Pferd mit mir nach dem Tyrol, wos nur edel Wild giebt.«
» Ich habe kein Pferd.«
»Was thuts. Du fängst Dir eins. Die Sohlen brennen mir auf diesen Kiefernadeln. Der Schnee, den ich zerstampfe, o ich sage Dir, er ist Schmutz gegen den ewigen, leuchtenden auf den Berghöhen. Da hebt sich die Brust, die Seele kriegt Flügel, das Auge leuchtet. Komm mit.«
»Ein andermal, Herr.«
»Warum nicht jetzt?«
»Weil wir, mein ich,
bis Nacht Tyrol nicht erreichen und Euch ein Nachtlager Noth thut. Da geht die Sonne schon unter.«
Im Zwielicht hatten die Müden eine einsame Hütte gefunden. Den erschöpften Wanderern sah das wendische Mütterlein nicht an, was große Herren es waren, die heißgierig das Gerstenbrod verschlangen, und an die hölzerne Kanne mit Brunnenwasser so gierig die Lippen setzten, als wär es edler Wein.
»Was werdens sein als ein Paar von der Straße«, zischelte die Alte auf wendisch dem
Hausirer zu, der im Winkel seine Päcke schnürte. »Es glückte ihnen was nicht, und werden verfolgt.«
Der Handelsmann schnürte und packte fort, als hätt er auf nichts acht; aber seitwärts schielten seine Augen auf die Fremden.
Eine klägliche Hütte wars. Das Rohrdach draußen drückte fast die Erde, und die Decke im Gemach war löchericht und verbogen. Der Kiehnspahn an der Wand beleuchtete feuchte Wände und eine schmutzige Diele. Und was noch sonst vorm Rauch zu sehn war, den
der Wind oft zurückwarf, war nicht tröstlicher. Nur im Winkel stand ein Himmelbett, der einzige Schatz, den der Bauer hat, daß er seine Noth verschlafen kann, und in den Federn denkt er sich im Himmel.
Der Herzog lag auf der Bank, sein Ritter ruhte, Kopf und Arme auf dem Tisch. Der Rauch oder die Unruhe ließ sie nicht schlafen.
»Es werden bessere Tage kommen«, sprach Osten, als zum Trost dem Herrn.
»Schlimmere, Betkin! Als der Bach ins tiefe Meer fließt, geht des
Menschen Leben bergab, immer tiefer. Oder sahst Du ein Wasser, das wieder zu den Bergen stieg? Meinem Vater, dem Kaiser, sagten sie auch, als die Wetterwolken über seinem Haupt zusammenzogen, er solle Muth behalten, seine Sonne werde wieder leuchten. Verlor er etwa den Muth? Mit starrem Nacken kämpfte er wider das Gezücht; und immer enger verstrickten sie ihn, immer weiter wich der Boden unter ihm.«
»Ihr seid nicht Euer Vater.«
»Wer über die Sonnenwende kam, steigt nicht
wieder auf. Das ist bei Einem und bei Allen. Mein finster Geschick ist wider mich.«
»Die Pfaffen sinds, Herr, glaubts mir, die allein.«
»Die Pfaffen mögens gebraut haben, das dumme Mährchen schmeckt nach ihrer Küche. Aber andere finstere Geister ließens gelingen.«
Rathschlagen war nicht Ostens Art; er schlug lieber los, und lachte lieber als er redete.
»Christ im Himmelreich! Man soll die bösen Geister nicht rufen.«
»Ich bin krank und alt.
Ich träumte vorhin, als wir in der Heide schliefen –«
»Nur nicht hier davon! Wenn wir wieder zu Roß sitzen, in freier Luft, in Deinem Schlosse. Die Nacht ist keines Menschen Freund.«
»Wieder jung war ich. Das Blut pulste durch die Adern. Der Hengst stöhnte unterm Druck meiner Schenkel. Durch Wald und Nacht, Du hinter mir. Mir war, als seis der Weg, den wir oft ritten, Betkin.«
»Schlagt ein Kreuz, Herr! Die Katze sprang über den Heerd.«
»Da
blinkte ein Licht durch die Nacht. Die Zweige verbargens, es kam wieder; nun wards ein helles Schloß. Unsere Rosse flogen; mein Herz pochte. Das Pförtlein flog auf und die Treppe herunter flog in meine Arme –«
»Die Hexe, Herr! Schlagt drei Mal ein Kreuz und dankt Gott.«
»Wofür! O wär ich wieder da! Diese Heiden waren damals schön, ein Rosenlicht war über die Wälder ausgegossen. Die Lerchen wirbelten anders, die Nachtigallen schlugen voller.«
»Ihr wart
jung.«
»Könnt ich sie zurückrufen.«
»Was! Herr mein Gott, Euch schüttelt ein Fieber. Sie ja wars, die –«
»Auch sie war jung.«
»Sie, die schöne Hexe, Herr, glaub mir, sie hats Dir angethan.«
»Ich, Betkin, ich wars.« – Er barg das Haupt in die Arme vor sich. – »Die Sünde hats mir angethan. Die hat verzehrt mein Mark, mein Reich, meine Lust, meine Hoffnung. Könnt ich doch wieder jung sein, bei allen Heiligen, ich wollte ein
anderer Fürst werden.«
Osten fuhr auf: »Was war das! Ging da nicht Einer hinaus?«
»Wir sind allein, Betkin; oder nicht allein. Die bösen Erinnerungen schleichen um uns.«
»Da redet nicht von.«
»Auch Du warst jung.«
»Mein Lebtag, ich denks! Schlagts aus dem Sinn. So kommts nicht wieder.«
»Und manches Mal denk ichs doch. Wie sie da, mitten im süßen Kosen, so ernste Worte sprach von Fürstenpflicht.«
»Wär gar zu gern
Markgräfin worden!«
»Und eine stolze Markgräfin wäre sie! – O wer giebt mir das zurück! Ich gäbe viel darum, könnt ich noch einmal anfangen.« Er war aufgestanden. »Nun bin ich matt, es rieselt das Gift durch meine Adern, nicht der Feigheit, nein, der Muthlosigkeit. Vor einem Popanz, einem – ein Wittelsbacher, pfui, pfui! Auf meinen Grabstein werden sie schreiben – werft mich ins Meer, ich will keinen Leichenstein; verbrennt meine Asche, setzt mich auf die Alpen aus,
auf eine Eisklippe, daß die Raubvögel meinen Leib fressen. Es ist zu spät, leih mir eine Kutte, ich will mich verbergen an der Welt Ende.«
Eine Stimme rief: »Ei schon!«
»Alle guten Geister!« rief Osten und sprang auf.
Die Beiden rissen ihre Schwerter heraus.
»Sei mir Gott gnädig, die Hölle spricht«, sagte Ludewig, da er Niemand in der Stube sah.
»Laßt uns auf und davon. s ist nicht geheuer hier«, flüsterte Osten und ließ den Degen sinken.
Da öffnete sich die Gardine über dem Himmelbett und ein Gesicht sahen sie, davor gute Männer wohl erschrecken konnten. Fahl, häßlich wars, alt und runzelich, mit Plastern entstellt, und die Kopfbinde um die Stirn war voll Blutflecke, daraus das graue Haar struppicht vorhing.
»Wer bist Du?« rief Ludewig.
»Der Gottseibeiuns!« rief Osten, und riß den Fürsten am Arm zurück.
Das häßliche Gesicht grinste sie an; auf dem Ellenbogen in den Kissen gestützt.
»Ihr seid ja gute christliche Ritter. Werdet doch den Teufel nicht fürchten?«
»Satan nimmt bisweilen Menschengestalt an«, flüsterte Osten.
»Wer Du seist, was willst Du? Kennst Du uns?« sprach Ludewig. Sein Begleiter setzte hinzu: »Wir sind versprengte Reiter, sächsische Edle, und suchen die Schaaren Herzog Rudolfs seit der Schlappe an den Oderhöhen.«
»Rath Euch, nicht dem Rudolf zu begegnen; denn Euch vergißt der Sachse nimmer, daß Ihr ihm die Küchenwagen
bei Zossen nahmt.«
Die Flüchtlinge schwiegen und sahen sich an.
»Belauschtest Du uns als ein Verräter, dann Gnade Dir Gott!« rief der Fürst.
Der Mann im Bett lächelte gar seltsam. »Fürchten so tapfre Ritter sich vor mir. Ich bin siech und wund. Liege hier seit Wochen.«
»Wer bist Du«, rief Osten, den Dolch zückend. »Antworte, oder das macht Dich auf ewig stumm.«
»Keines Diener, als Ihr seid, Herr von Osten. Ich bin ein freier Mann. Laßt Euren
Herrn fragen, so er meinen Rath will.«
»Fort, Herr, laßt uns fort.«
Der Herr schüttelte den Kopf. »Nicht doch, Betkin. Ich muß ihn reden hören. Was willst Du von mir?«
»Ich, Herr, zur Zeit nichts«, antwortete Der im Bett. »Aber ich meinte, Ihr wolltet etwas. Ihr schaudert, daß Ihr eine Gabe nehmen sollt, und von mir, solch einem häßlichen, zerlumpten Kerle. Ei was! das geht mal so im Leben. Ein Kaiser, wann er alt ist, und sieht einen Bettelbuben Rad
schlagen über die Straße, meint Ihr, er neidets ihm nicht, daß er das noch kann, was er nicht mehr kann. Und denkt, was ein Kaiser konnte, als er jung war. Auch ich war jung ein Anderer.«
Ludewig hatte sich wieder auf den Sessel hingeworfen: »Jung machen und vergessen das Geschehene, das kannst Du nimmer, und wärst Du der größte Beschwörer zwischen Himmel und Erde.«
»Aehnliches doch vielleicht. Ihr seid auf der Flucht, werdet verfolgt, Ihr sucht eine sichere Zuflucht,
Speise, Wein, und was weiß ich, tausend kleine Dinge. Wie nun, wann ich das Alles Euch nachweisen könnte, würdet Ihrs verschmähen, mich darum zu bitten.«
Osten horchte auf, Ludewig ließ den Kopf sinken.
»Wie aber, wenn ich mehr Euch nachweisen, mehr Euch bieten könnte?«
»Was kannst Du mir bieten?«
»Viel Süßeres als Speise, viel Berauschenderes als Wein: Rache an Deinem Feind.«
»Hört ihn nicht, Herr mein Herr. s wird ein Toller sein.«
» Wer ist mein Feind?« fragte ihn Ludewig scharf. »Beglaubigung, soll ich Dich wieder anhören. Nenne ihn bei Stand und Namen, sonst achte ich Dich für einen Thoren, der mit leeren Worten nach Lohn jagt.«
»Umsonst sollt Ihr auch nicht meinen Rath haben.«
»Wer ist mein Feind?«
»Ihr habt Feinde als Sandkörner im Lande sind.«
»Die wohlfeile Weisheit behalte für Dich. Den Feind nenne mir, den ich fürchten und hassen muß vor Allen. Wer
ists?«
»Der Euch vom Throne stieß, statt Euer das Regiment führt, der aus der Gruft von Chorin einen alten Namen und Euch die Herzen des Volkes stahl; vor dessen Macht Ihr flieht, und, des belauschte ich – vor dem Herzog Ludewig verzagt.«
»Vor Dem verzag ich nicht«, sprach stolz der Herzog. »Eitles Gespräch! Betkin, Du hast Recht, ein Thor, ein Irrsinniger.«
Doch an der Thür wandte sich der Markgraf noch einmal um: »Kennst Du ihn?«
»Als mich
selbst«, grinste der Kranke.
»Wer ists?«
»Ei, so fragt man dem Bauer die Künste ab. Das ist mein Geheimniß. Was gebt Ihr mir dafür?«
Ludewig hatte ihm wieder den Rücken gewandt und faßte Betkins Arm.
»Als Euch beliebt«, hüstelte der Alte, und streckte den Kopf wieder auf die Kissen.
»Und so Dus weißt, was hilft mir Dein Wissen«, sprach Ludewig. »Auf einen Schelmennamen kommt es nicht an.«
»Ei doch, mit Namen beschwört man Geister,
und auf Namen verschwinden sie in Nebel und Dunst. Käms Euch nicht darauf an, so eines Morgens Der, welcher gestern ein Riese war, ein winzig klein Männlein würde, und die Gassenbuben verfolgten ihn mit Spott und Lachen, und Der Euch schreckte, dem schrieen sie nach, würfen ihn mit Koth und hetzten die Hunde! Ei, bedenkt doch, gnädiger Herr, was ein Name thut: Ein Name, ein bloßer Name wars, der hat Eure Fürstenherrlichkeit, Eure Burgen und Vasallen, Eure Städte und Euer Volk Euch über Nacht
abwendig gemacht. Schlugen die Fürsten Euch mit Heeresmacht, oder der Kaiser? Mit einem Namen allein, der klingt nicht besser, nicht schlechter als andere, und doch geschahs. Den Namen nun, so ich Den ihm stehle, als Nachts ein schlauer Dieb einem Manne das Hemde, und Morgens steht er Euch splitternackt da, daß ihn die Blinden kennen und erschrecken, und sich schämen. Den Namen hab ich, gnädiger Herr. Was gilt Euch der Name?«
»Was forderst Du?«
Der Kranke schwieg
einige Augenblicke: »Davon zu seiner Zeit. Wenn ich gesund bin, Herr, dann unterhandeln wir. Ruft mich, ich komme.«
Erzürnt stampfte Osten mit der Degenscheide auf den Boden: »Heilloser Schurke!«
Der Kranke richtete sich auf. Mit voller Stimme sprach er: »Ihr werdet mich rufen, Herr! Und daß Ihr Beglaubigung habt, mein Rath sei gut, wer ihn hört, so rathe ich Euch, sonder Lohn und Geld: weilt keinen Augenblick länger hier, verlaßt vielmehr die Hütte, eh der Morgen graut.
Ein Spürhund lag an der Schwelle, als Ihr eintratet, und schlich fort, derweil Ihr spracht.« – Der Kranke horchte. Plötzlich rief er: »Schnell, Herr Herzog von Baiern, um Gotteswillen, schnell! Hört das Hundegeklaff. Pferdegalopp! Das war nicht der Wind. Man ist Euch auf den Hacken. Die Buchen gradaus, links über den Graben, schnell in den Wald, oder der Teufel von Salzwedel selbst kann Euch Brandenburg nicht retten.«
Es war nicht Trug. Das Geheul der Meute, die knallenden
Peitschen dröhnten den Flüchtigen noch lange nach im Dickicht des Waldes. Jetzt übertäubte es der Sturm, jetzt brachte er es näher. Wind und Wiederhall trugen es zurück. Wie arme Wanderer, gehetzt von nächtlichen Geistern, irrten sie, von allen Seiten verfolgt, und wo sie sich hinwandten, da fuhren sie zurück. Es kam von da.
Osten führte des Fürsten Roß am Zügel. Sie waren in ein Schneetreiben gerathen, Berge häuften sich vor ihnen, Berge hinter ihnen; denn der Wind trieb durch den
offenen Hau die Schneemassen gegen die Kiefern.
Das Thier keuchte, der treue Mann stöhnte tief auf. »Durch! Wir müssen durch.«
»Solch eine Nacht!« rief Ludewig, da sie den Wald wieder erreicht.
»Hilf mir Gott, ich kann nicht mehr!« sprach Osten, und lehnte sich an einen Baum.
Ludewig wollte vom Roß; er vermocht es nicht. Seine Glieder waren steif als Eis. Er hauchte in die kalte Hand; die faßte nicht mehr die Zügel. Die hohen Kiefern schüttelten die
Aeste, die Stämme krachten. Es heulte, und ein Wirbelwind trieb den Schnee in die Wolken.
»Die Höll ist los, glaub ich.«
»Gott sei uns Sündern gnädig!« sprach Osten. »Wir geriethen in ein Hexenloch, gnädiger Herr, ich sagt es wohl. Es war der Leibhaftige bei seiner Großmutter in der Hütte. Wir sind in ihrem Kreis. Wir kommen nicht los.«
»Betkin! Sieh, was ist das?«
»Ein Bär mit feurigen Augen. Ein Kauz, Herr!«
»Nun ists fort. Es war nur der
Schneeschein.«
»s war mehr. An dem Morast vorhin, ich wollt es Euch nicht sagen, aber ich sahs deutlich – es tauchte auf, als ein Weib, ein Riesenweib, und wenn ichs anschaute, tauchts immer wieder unter. Heiliger Christ, da wieder! Hört doch! – Wir sind verhext.«
»Still, still! –s war nur der Wind, Betkin.«
»Pfeifen warens und Waldhörner. Traut meinem Ohr.«
»Mit Pfeifen und Waldhörnern werden uns die Feinde nicht verfolgen.«
»Wer spricht von Feinden!«
Beide schwiegen, denn heller Glanz strahlte durch die Kiefern, es flammte hoch auf als ein Feuer, und der Schnee ward roth. Da hub eine Musica an und Schellengeläut, und Rossewiehern und Peitschengeknall, und lauter wards und vorüber sauste es und fegte: Traun, so etwas siehst du selten in einer Winternacht.
Die Hufe der letzten Rosse schlugen den Schnee in die Lüfte, der Fackelglanz zog sich in die Kiefern, die Musica, der Peitschenknall ward
schwächer; nur der Dampf der Pechfackeln wirbelte noch um ihre Köpfe.
Osten war auf die Knie gesunken. Die Arme kreuzweis auf der Brust.
»Herr, seht Ihr noch was«, flüsterte er nach langen, bangen Minuten.
Ludewig starrte hinaus.
»Gebenedeite Jungfrau, daß sie uns nicht sehen. Ein höllischer Brautzug wars. Ich sah den Myrthenkranz deutlich um ihr Haar.«
»Alle heiligen Fürbitter! Wars Traum? Wache ich?« sprach Ludewig. »Die mußte ich
kennen.«
»Das ist der Geister Tücke, daß sie Gestalt annehmen von Lebendigen, uns zu necken.«
»Wollt es wäre Tag«, rief Ludewig. »O, du unheimlich Gespensterland!«
»Wer führte am Kreuzweg in der Winternacht nen Brautreigen! Schaut Euer Roß selbst, als es zittert und die Nüstern aufsperrt, und den Kopf zwischen die Beine steckt. Einen Schlag ihm, es ist verzaubert.«
Das war ein böser Schlag. Der Hengst bäumte und hob sich. Der Reiter schwankte im
Sattel. Dann schnaubte das Thier wild, als säße ein Luchs drauf, und wollte ihn abschütteln, und durch die Baumstämme fuhr es, als stäche es ein Schwarm Wespen. Zaum und Zügel entfielen dem erstarrten Reiter.
»Betkin! Betkin!« rief er noch.
»Um Gott, mein Herr!« schrie der treue Mann und konnte doch dem tollen Roß nicht nach, das wuthschnaubend der Spur folgte, wo die Gespensterrosse vorüberflogen. Dahin trug es seinen Reiter in angstgepeischtem Sturmlauf. Das Fackellicht
flimmerte wieder durch die beschneiten Bäume. Wer ritte gern im Geisterkreise! Noch einmal faßte der Fürst den Zügel; mit einem Schenkeldruck, dem die Angst Kraft lieh, wandte er es um. »Betkin! Betkin!« rief er durch Schnee und Waldnacht. »Ritter Osten!« Nur der Wind antwortete und die stöhnenden Kiefern. Keine Menschenstimme im öden Wald. Sein Pferd keuchte, sein Pferd blutete von den Sporen des Herrn, es fuhr links, es fuhr rechts mit ihm, wohin der Fürst es lenkte. Ein gutes Roß geht gut,
aber der Herr, der es lenkt, muß einen guten Willen haben.
Er sah ein dampfend Moor vor sich, tiefe Abgründe, da ein erleuchtet Schloß, und verschwunden war es. Und wieder kam es, hundert helle Fenster. »Und wärs dem Teufel in den Rachen, so hats ein Ende!« raunte ihm ein Rabe zu.
Und wieder wurde es Nacht. Er sah nichts. Die Aeste schlugen, die Kronen der Bäume schüttelten Klumpen Schnee auf ihn, als wollten sie ihn begraben. Der Sturm heulte, als rüttelte er an den
Wurzeln der vielhundertjährigen Bäume. Um ihn krachte es, als wo ein Riesenheer Lanzen bricht. Da traf den Reiter ein Schlag auf den Hinterkopf. Der Zügel entsank ihm. »Gott sei meiner Seele gnädig!« sprach Herr Ludewig, und hielt sich an die Mähne des Rosses, das durchs Dickicht mit ihm flog. Das Gesicht verging ihm.
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