Willibald Alexis
Der falsche Woldemar
Fünftes Kapitel.
eingestellt: 23.7.2007
Nach einer Nacht voll Schwelgerei und Lust ist der Tag grau; und verloren dünkt er Dem, der am tollsten schwelgte. Allem ist sein Maß gemessen; dem Schmerz wie dem Jubel. Drüber hinaus leidet Keiner, drüber hinaus ist Keiner froh. Nur die Natur, das bunte Kleid, das Gott um seinen Geist legte, ist allezeit frisch; auch der Herbst, wenn die Blätter fallen, ist nicht matt, und der knisternde Schnee, wenn das Sonnenlicht drauf spielt; der Winter ist ein frischer alter
Mann, der sich nicht kümmert, daß sein Haupt weiß wurde. Weiß, es dauert nicht lang.
In dem Schlosse Wörbelin sah es wüst aus am Tage drauf; hatte die Hochzeit doch kaum drei Tage gedauert. Aber, weil die Zeit so kurz war, hatten sie wohl geeilt, sie zu genießen. Will dir nicht malen, wies in den Hallen und auf den Treppen aussah, die wüsten, blassen Gesichter.
Aber in das stille Kämmerlein, mit dem Gitterfenster nach dem Sumpf zu, dorten, wo du schon einmal warst, führe
ich dich. Als dazumal ein wunder Mann drinnen lag, lag auch heute wieder einer auf dem Bette. Der dazumal hier genesen, von den Wunden, ein schlichter Gesell, war gestern ausgeritten als ein stolzer Ritter und froher Bräutigam mit Sang und Klang. Der heut hier lag, hatte mehr Recht mit Rittern und Reisigen einzuziehen, und Drommeten bliesen ihm vorauf, und wie still lag er da, und lauschte ängstlich, wenn die Thüren knarrten, und wer kommen möge. Ihm wars zum Besten, so Keiner wußte, daß er
athmete.
Die helle Sonne schien über den Schnee in die schlechte Kammer, und ihn schien sie an und die hohe Frau, die an seinem Bette stand und seine Hand hielt. Die Beiden hatten gestern nicht aus vollen Pokalen den goldnen Wein geschlürft, noch im Reigen sich geschwungen, noch der Freude genossen, bis sie taumelten. Dennoch, was sahen sie blaß aus.
Er verstörter als sie, und wenn er sie ansah, schlug er die Augen nieder wie gestern. Sprach nicht von Alpenmatten und dem
Frühroth auf den Gletschern, er hüstelte und schüttelte den Kopf:
»Sende lieber heimliche Boten an Deine Brüder, die in Spandow halten.«
Unmuthig kräuselte sich ihre Stirn: »So Du itzt aus dem Lande fliehst, ist es für Dich verloren. Des Herrn Blick und Gegenwart ist gewaltig.«
»War ich nicht hier?«
»Du warst nicht hier als Du solltest,« sprach sie mit leisem Vorwurf. »Es schlagen noch viele treue Herzen für Deine Herrschaft, die nur nicht vorzutreten
wagten, weil Du Deine Banner nicht hoch genug aufpflanztest. Du hast viel gewonnen, wenn Du die Zeit nutzest. Der Kaiser ist fort, das ist viel, mehr noch: der Bund ist uneins. Laß mich sorgen, warte den Augenblick ab, und dann laß uns handeln.«
»Mit diesen Menschen, die – Es ward zu viel verdorben.«
»Doch nicht so viel, daß wirs nicht wieder gut machen. Denen überlasse es, Fürst Ludewig, den Schaden wegzutilgen, die ihn angerichtet.«
Er sah sie forschend
an. Ihr Gesicht wurde roth.
» Mir, Ludewig, ja mir allein. Den ich aufrichtete Dir zum Verderben, den fortschaffen, ist meine Pflicht nun. Bei allen Gesegneten des Himmels, ich schwöre es Dir. Er oder ich –«
»Mathilde!«
»Traust Dus mir nicht zu: den Strohmann auszureißen, den ich in den Sand pflanzte!«
Er richtete sich halb auf: »Den Mann, den Du Deine –«
Sie fiel ihm ins Wort: »Und ich sollte Dir kein Opfer bringen!
Grade nun – nun die Hölle mich grinsend anlacht, weil sie mich verstrickt hält mit tausend Banden, nun will ich ihr klar ins Aug schauen. Jetzt ist mein Werk rein, meine Aufgabe groß; ich wills vollbringen, denn ich handle nicht für mich.«
Der alte Markgraf von Brandenburg wollte ausreiten aus dem Schlosse, darin die Hochzeit seines Sohnes gefeiert worden. Die Rüstwagen standen schon im Hofe und die Reisigen tummelten ihre Rosse; aber die Herrin des Hauses war noch bei ihm, hieß
es, und die Kammeriere und Ritter vom Hofe hatten gut warten auf den Treppen und Vorhallen, denn ihr Gespräch währte lang. Gern hätte Mancher belauscht, was sie sprachen, aber Hans Lüddecke stand davor mit seiner Hellebarde, und Keiner mochte heran, wenn der häßliche Mann sie anlachte.
»Als ich glaubte, liebe Schwägerin, daß ich Euch so nenne, hatten wir gestern schon Abschied genommen, darum daß ein zart Weib nicht in der Frühe gestört werde durch unsern Aufbruch. Was dank ichs nun,
daß Ihr dem alten Manne zu Ehren so früh aus der Ruhe Euch reißt, so Euch Noth thut.«
»Einem alten Manne thut Ruhe noth« erwiderte sie.
»Ein Fürst darf nimmer ruhen, so sein Land Sorge drückt.«
»Die Sorgen werden ihm Andere abnehmen.«
»Ei Gott, was ist Euch, Gräfin? Liebe Schwägerin, Ihr empfingt doch keine böse Mähr von unsern Kindern?«
»Für die sorgt Gott.«
»Als für uns Alle, edle Frau.«
»Für Euch auch?«
»Setzt Euch, Ihr seid erhitzt. Eure Augen rollen. Ihr bringt mir wichtige Dinge.«
»Sind die Thüren bewacht?«
»Was mich angeht, möchte jeder meiner treuen Brandenburger es hören!«
»Vergebt, wenn ichs bezweifle. Euch gilts; wollt Ihr, so mögt Ihr alle Thüren aufreißen, daß es die Buben im Stall hören. Aber um Euch, um mich, und um dies Land ists besser, daß nur die kalten Mauern Zeugen sind.«
»Ists um Brandenburg, so sprechen wir in Heimlichkeit. Wollt
Ihr mir ein Mährchen erzählen?«
»Von einem Mährchen, das bei Nacht sich gut anhörte, am Morgen lacht man darüber, und es ist gut, so mans bald vergißt. Herr Markgraf von Brandenburg, wie Ihr am Abend, im Lichterglanz schaut, das weiß ich. Aber ich möchte Euch des Morgens sehn, wenn der erste Tagesstrahl Euch ins Aug schaut. Werdet Ihr nicht roth?«
»Als alle Creatur, hoch und gering, die seine Sonne erblickt, wenn sie aufgeht.«
»Mein Mährlein ist kurz. Es war ein
alter Mann gestorben. Ueber dessen Erbschaft stritten seine entfernten Verwandten, denn er hatte keine Kinder. Da es viel Aergerniß gab, Streit und Blutvergießen, und es wollte nicht enden, und Keiner kam zum ruhigen Besitz, wurden Etliche miteinander einig; sie sprengten die Sage aus, der alte Mann lebe noch, irgendwo in einem Winkel der Erde; er werde wieder kommen. Das Volk glaubte das Gerede, versteht Ihr, weil, die es wollten, es ihm einredeten. Sie fanden Einen, irgend woher, der ungefähr
dem Todten ähnlich sah. Den hüllten sie in die Kleider des Verstorbenen, und sagten ihm, wie er sich benehmen, was er sprechen müsse. Er kam – und es ging gut. Versteht Ihr, der Fremde, den sie abgerichtet, hatte seine Rolle gut gelernt, und das Volk ließ sich täuschen. Und so ging es weiter, grad als sie wollten, die das Mährlein erfunden, vielleicht auch als sie nicht wollten. Darauf kommt es hier nicht an. Genug – das Uebrige thut nichts zur Sache – die Etliche meinten, nun
sei es des Spiels genug, sie hatten sich vertragen oder nicht vertragen, aber sie wollten nicht weiter spielen. Was sagt Ihr zu dem Mährchen, Markgraf?«
»Fragt lieber, was der Mann dazu gesagt.«
»Das Mährchen ist aus. Der Mann hat nichts mehr zu sagen.«
Woldemar hatte ruhig vor sich auf die Erde geblickt; nun sah er die Gräfin eben so ruhig an.
»Mich dünkt, das Mährchen ist damit noch nicht aus.«
»Was fehlt, das werden die Andern in ihrer
Klugheit beschließen.«
»Ei, es fehlt viel. Wurden denn die Verwandten einig, und worüber? Hübe nicht das alte Aergerniß wieder an?«
»Das Mährchen ist zu Ende, sag ich Euch.«
»Die Mährchen, so ich im Morgenlande hörte, schneidet man nicht kurz und scharf ab.«
»Wir sind im Abendlande, Herr Markgraf; glauben nicht an verwünschte Prinzen.«
»Aber sie glauben an den Einen! Wie wollt Ihr es ihnen ausreden? Wie! – wollen die klugen und
schlauen Verwandten sich als Betrüger offen an den Pranger stellen?«
»Betrüger oder Betrogene, dafür laßt sie sorgen. Die Geschichte gefällt Euch nicht, ich sehs an Euren Mienen. Aber es ist einmal so, und wer Augen hatte, mußte sehn, daß es dies und kein anderes Ende nehmen würde.«
»Welches?«
»Wollt Ihr, statt des Mährchens, Wahrheit?«
»Ich dachte nur, edle Frau, was aus Dem würde, ich meine, was die klugen Verwandten mit Dem beginnen wollten, den sie
nach ihrer Meinung betrügerischer Weise für den Gestorbenen ausgaben? Soll ihn die Erde verschlingen, soll er in Nacht und Nebel verschwinden? Gesetzt, es wäre ein so schwacher Tropf, der, wie das Volk an ihn, blindlings an die klugen Verwandten glaubte, der sich gar nicht der Hinterlist und Tücke vorgesehen hätte; bedenkt, das Volk glaubt an ihn und sein Verschwinden würde sehr gefährlich für Die, die ihn verschwinden ließen.«
»So der Mann klug ist, hört er auf eine freundliche
Verständigung. Er könnte, lebenssatt, sich in ein Kloster zurückziehen, oder, so er nicht Lust zum Mönche hätte, ich habe im Harz – man gäbe ihm in einem freien Gebirge eine freundliche Herrschaft, mit Wald, Jagd, aller Bequemlichkeit, darauf ein alter Mann Anspruch machen kann, die Verwandten setzten ihm eine ansehnliche Rente aus. Er entsagte so der Welt und verbrächte dort in Zurückgezogenheit und Schweigen – versteht mich wohl – in tiefem Todesschweigen den Rest seiner
Tage.«
Sie war aufgestanden und hochmüthig fiel ihr Blick auf den Greis, der sinnend da saß. Aber in seinem Antlitz hättest du umsonst nur nach einer Bewegung gesucht, einem Augenblitzen, einem Zucken der Lippe, was da Unruhe verrieth. Er blickte scharf, aber heiter zu ihr auf.
»Habt Ihr noch sonst etwas mir zu sagen?«
»Nichts. Ich warte auf Eure Antwort. Das erwägt, es ist das letzte Wort, das ich in Freundlichkeit an Euch richte.«
»Darauf
ließe sich Viel und Langes antworten. Ei, und woher so schnell, so ungeduldig? Eure Feindschaft grad nach dem Tage, wo wir innigste Freundschaft schlossen! Fragen könnte ich mancherlei, hundert Dinge, bevor ich antworte: wie es kam, daß die bis da uneinig waren, sich plötzlich vereinigt? Wie man die Hand umdreht, so schnell, so unbesonnen giebt kein Mann Freundschaften auf, die ihm noch Vortheil versprechen, und fängt Feindschaften an, von denen er das Ende nicht absieht! Das könnte mich
zweifeln lassen, ob Ihr Euch nicht selbst getäuscht. Ja, ich möchte, wäre ich argwöhnischen Sinnes, schließen, es sei nur List; vielleicht einer Frau, die, von den andern Verwandten gekränkt, in rascher Aufwallung der Laune, dem Kitzel der Eitelkeit, der Rache, weiß ich was, nachgiebt, die was ihr Einfall allein ist, für den Beschluß der Familie ausgiebt, und in kleiner Leidenschaftlichkeit eine große Sache verdirbt. – Doch – ich will nicht fragen; will Euch aber auch ein
Mährchen erzählen. Der Anfang ist so wie Eures. Die feinen, klugen Verwandten, davon Einer den Andern gern überlistet hätte, sprengten das Mährlein aus, sie stellten den Mann auf, und es ging so, als Ihr erzählt. Sie wurden dann sein überdrüssig, weiß Gott, weshalb? Vielleicht lebte er ihnen zu lang! Genug, sie wollten ihn los sein: Aber der Mann wollte nun bleiben. Er sprach: Was geboren ward, lebt, bis es sein Leben verwirkt vor Gott oder den Gesetzen. Nun flüsterten sie ihm ins Ohr: Du bist
unser Machwerk, was Einer macht, das kann er auch zerstören. Er schüttelte den Kopf: das Wort, das gute wie das unbesonnene, das du aussprachst, nimmst du nicht wieder zurück. Es bleibt in der Erinnerung. Und was mehr eine That, ein lebendiger Mensch mit Sinnen, Geist und Gedanken. Nun schrieen sie ihm zu: Du bist falsch. Vor Aller Welt wollen wir es ausrufen. Flüchte dich in Nacht und Nebel. Aber der Mann erhob sich und sprach: Ihr seid falsch, und ich bin wahr. Gottes
Finger hat Euch geführt. Als Ihr einen Betrüger suchtet, schlugen Euch seine Engel mit Blindheit, und Ihr grifft den echten Herrn. Der sieht nun, in welchen Händen er sein Gut gelassen, und Euch nimmermehr, wenn Gott ihn abruft, wird ers lassen. Darum weichet, Ihr schlechten und eigennützigen Verwalter. Er wird nicht von Euch weichen, die Ihr ihn riefet zum Strafgericht, das Gott über Euch verhängt! – So weit hörte ich die Geschichte.«
»Und ich will sie Euch fortsetzen,« rief
Mathilde: »Da der alte Thor so gesprochen, lachten die Erben aus vollem Halse, so wie ich lache, ha! ha! ha!«
»Habt Ihr ausgelacht?« sagte der Markgraf, der auch aufgestanden war.
»Nichts mehr von Mährchen!« rief sie. »Mathilde von Ruppin, die Gräfin von Nordheim und Herrin von Engern fragt Dich, alten Mann, willst Du freiwillig von der Rennbahn abtreten, dahin Du nicht gehörst, so wird sie in Güte und Freundlichkeit für Dein Leben sorgen. Unterlaß das ›Wie‹ ihr
und ihren Freunden; sie gibt Dir ihr heilig Wort.«
»Spricht Mathilde im Namen der Fürsten und des Kaisers, die ihn anerkannten und belehnten?«
»Das ist Dir gleich. Und wär ich ein gemein Weib, und wüßte, was ich weiß, zittre –«
»Du siehst, ich zittre nicht.«
»Doch, Du solltest! Zwing mich nicht. Ich bin Mutter und möchte gern – daß wir Beide in Frieden uns heut zum letzten Male sähen. Du sinnst nach. Wend es Dir zum Guten, Greis!«
»Ich sinne, was wohl ein Weib so über Nacht aus einer klugen Frau zu einer Rasenden machte.«
»Thörige Mühe. Es ist so. Entscheide Dich.«
»Ich schwankte nie.«
»All ihr Heiligen? Weißt Du, was der Zorn einer Wüthenden vermag. Noch bin ichs nicht. Du bist mir gleichgültig; ich konnte Mitleid fühlen mit Deinen weißen Haaren. Verschmähe es nicht durch Trotz, rufe nicht die wilden zuckenden Geister auf. Ich kann, wenn ich will – Fürsten haben vor mir gezittert.
Noch bist Du mir zu schlecht zum Aeußersten. Entsage dem, was Dir nicht zukommt.«
»Ich bin der Markgraf von Brandenburg vor Kaiser und Reich. Frau Gräfin von Nordheim, führet die Sprache, die einer Vasallin ziemt.«
»O hebe Deine Schultern, blicke mich mit allem erlogenen Stolz an. Du bist weniger als ein Nichts, Du bist – ich schweige –«
»Schütte Deine Wuth aus – Du siehst, ich hemme nicht Deine Zunge –«
»Pochst Du auch auf
Otto, Albrecht, Rudolf? Verlorener! Wenn ich als Klägerin auftrete, wenn ich als fürchterliche Zeugin beschwöre, erblassen Deine Freunde. Wärst Du ein solcher hirnloser Träumer, daß Du auf ihre Treue zählst? Entsetzt springen sie auf, stoßen Dich von sich, sie waschen die Hände in Unschuld oder in Schuld, Du büßest beides, daß sie sich täuschen ließen oder täuschten.«
»Lehre mich nicht die Menschen kennen.«
»Oder meinst Du, ich werde, ich könne es nimmer wagen, weil ich
mitschuldig war? Alter Mann, die Menschen magst Du kennen. Die klugen, schwachen, lauernden; mich nicht. Ein Weib, das liebt und haßt, für ihren Haß oder ihre Liebe, sie stürzt sich in den Abgrund, wenn kein Weg daneben führt.«
Er sah sie scharf an: »Ich traue Dir es zu.«
»Und doch! Unseliger! kennst Du denn die Größe Deines Verbrechens? Weißt Du, wie Kaiser und Reich es richten müssen? Fürsten fielen unter dem Richtbeil. Das Schaffot ist für Dich zu gut. Zur Richtstätte
geschleift, gezwickt, Rad und Scheiterhaufen, meine Zunge spricht nicht aus die Martern und die Schande, so Du Dir sparen magst.«
»Ich kenne der Menschen Gerechtigkeit.«
»Oder Karl! Du hoffst auf den Kaiser? Du meinst des Böhmen Werkzeug zu sein. Ja, er brauchte Dich. Halte Dich lieber an den Schatten der Wolken. Bei der Mutter Gottes, glaube mir, er giebt Dich preis.«
»Wenn ich ihm nicht mehr nütze, gewiß.«
»Irrsinniger! Oder was bist Du? Worauf
stützest Du Dich denn?«
»Vor Dir – auf mich selbst.«
»So will ich Dich zerschmettern in Deinem Stolz. Nichts! sinke zusammen in den Staub, aus dem meine Leute Dich kneteten. Ich machte Dich, ein Uhrwerk, das ich aufzog auf Stunden und Tage; nun ists abgelaufen. Ich wars, die den Gedanken zuerst faßte, bildete. Beschwören kann ichs vor allen Heiligenbildern und Gebeinen. Ich brauchs nicht zu beschwören, sie leben noch, die mir halfen, Hohe und Niedere, Zeugen, Briefe,
Pergamente. O die Welt wird viele Schande sehn. Knie nieder, Creatur, vor Deiner Schöpferin.«
Er kniete nicht nieder, er fuhr auch nicht zusammen.
»Ich weiß, daß Du Koth knetetest, und glaubtest, Leben zu schaffen! Aber Deinem Thonbild hätte der Funke Gottes gefehlt. Wer gab Dir den ersten Gedanken ein? Der Dein Sinnen lenkt, und Du scheust ihn nicht in Deiner Sünde. Deine Creatur ich! Du warst das Werkzeug, in das der Herr den
Gedanken goß, weil er zu groß war für die Schwachen und Gemeinen; darum that er ihn in eine gebrechliche Hülle. Sie verstehens besser, wenn das Gemeine zu ihnen redet, denn es ist ihnen ähnlich. Du mich gemacht! Was denn an mir? Das Haar, in Ehren grau geworden? Meine Liebe für mein Land und Volk? Meinen Blick für sein Elend? Meinen Rath für seine Nöthen? Mein Herz für seine Leiden? Riefst Du mich, ihm Zucht und Sitte wieder zu bringen, die Du Sitte nicht kennst und Zucht ist Dir fremd? Weib,
bethörtes! Siehe Dich an und mich! Wo ist denn dann in mir ein Zug, eine Neigung, ein Funke Dir ähnlich! Aus was machtest Du mich? Aus Deiner Eitelkeit oder aus Deinem Stolz? Aus Deinem Leichtsinn oder aus Deiner Sünde? Den Spiegel in Dir blicke an, ob ich von Dir etwas absehen konnte: etwa wie Du Deine Unterthanen drücktest, den Gatten betrogst, den Geliebten verriethest, die Tochter wegstießest; abgesehen, wie Du buhltest mit Sünde, Haß, Hochmuth, Verrath und Verbrechen? Von wem sollte ich
lernen, von der ehebrecherischen Gattin, von der Buhlerin, von der verräterischen Mutter, oder dem ränkesüchtigen Weibe, der Verbrecherin an Fürst, Volk und Land! Du, die ihr lüstern, frech Spiel mit was dem Menschen das heiligste, triebst, Dir nur zur Lust, aus Wollust, Rache, um Vortheils willen, Du willst mich geschaffen haben, dessen Thaten rein sind wie des Himmels Blau, in dessen Hauch mehr Tugend und Gottgefälligkeit ist, als Deine Seele in ihrem Leben dachte! – Mich schuf, mich
rief ein Anderer! Er öffnete die Gräber, er sendete auf mich seinen Geist, er gab mir Kunde von den Dingen, er Sprache, Kraft und Muth. Sein Werkzeug bin ich, sein erwähltes. Er schwebt über meinen Fahnen, er haucht auf mich seinen Geist, wenn ich zu den Völkern spreche! Was ich rede, ist sein Wort, was ich thue, sein Werk. Und Du willst mich davon abrufen! Wahrlich ich sage Dir, Fürsten und Kaiser sind zu schwach dazu. Ihrer Gerichte lache ich, denn ich bin stärker durch ihn. Du
willst wider mich streiten. So pickt der Sperling an einen Stahlharnisch. Armselig Gebilde, aus sündigem Staub geknetet, bescheide Dich in Deiner Ohnmacht, ehe auch der bunte Staub von Deinen Wangen fällt, womit Du der Menge die scheußliche Blöße des Lasters verbirgst.«
Er schritt hinaus. An der Thür warf er ihr noch einen Blick zu: »Rede und verschreie mich als Deine Thorheit Dich treibt. Deß hast Du Vollmacht von mir. – Aber als Mutter Deiner Tochter gedenke: was keines
Menschen Augen sah, sahen die Vögel in der Luft, was keines Menschen Ohr hörte, die rauschenden Bäume habens geflüstert. Am Havelwalde im Graben unter den Rothbuchen lag eine Leiche. Ihr Todesröcheln ist verhallt vor den Lebendigen; der Fürst hat es gehört, und der Fürst ist der höchste Richter im Lande.«
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