Willibald Alexis
Der neue Pitaval - Band 15
George Frederick Manning und Maria Manning
eingestellt: 22.7.2007
Zu Taunton hatte im Jahr 1847 ein gewisser Manning mit seiner Frau ein Wirthshaus gehalten, welches sie aber bald wieder aufgaben und sich in Miniver-Place, Bermondsey, in London niederließen. Auch hier hatten sie ein ganzes Haus, wie es in London Sitte ist, gemiethet, ohne daß man erfährt, in welcher ausgesprochenen Absicht. In England ist es nicht Art, sich danach streng zu erkundigen, wenn die Miether nichts Anstößiges vornehmen und ihrer Pflicht im Uebrigen
nachkommen.
George Frederick Manning war bis zum Jahre 1847 bei der Great Western Eisenbahngesellschaft angestellt gewesen, wo er sich verheirathete und sein Glück in dem erwähnten Geschäft versuchte. Er war ein junger Mann von gegen 30 Jahren und stammte aus Somersetshire, seine Frau am Ende der 20, aus der französischen Schweiz gebürtig, scheint als Bonne nach England gekommen zu sein, und hatte bis dahin in Diensten einer Tochter der Herzogin von Sutherland gestanden.
Das Ehepaar lebte in der genauesten und vertrautesten Bekanntschaft mit einem Herrn Patrick OConnor, der in den London Docks angestellt war und als ein wohlhabender Mann galt. OConnor war unverheirathet, und man wußte, oder erfuhr doch bald, daß er mit Maria Manning in einem mehr als vertrauten Verhältnisse stand, welches der Ehemann nicht gehindert hat; es scheint im Gegentheil, daß er es begünstigt hat.
OConnor wohnte in Greenwoodstreet, Mile-End, für London nicht sehr weit von
Miniver-Place.
Donnerstag am 9. August 1849 hatte er seine Wohnung schon Morgens um 6½ verlassen. Man sah ihn im Lauf des Tages an verschiedenen Orten, gegen Mittag auch an der London-Brücke, wo er zweien Freunden ein Billet zeigte, welches ihn zum Mittag einlud und Maria unterzeichnet war. Ein Bekannter sah ihn gegen 5 Uhr Nachmittags in der Nähe von Miniver-Place. Dies war das letzte Mal, daß man ihn lebendig gesehen.
Von da ab vermißten ihn seine Freunde, und alle
Nachforschungen nach ihm, auch bei Mannings, blieben vergeblich.
Am 13. August verließen beide Eheleute Manning plötzlich und heimlich ihr Haus in Miniver-Place. Am 14. fand es der Hauswirth ganz leer stehend, ohne daß ihm die geringste Anzeige gemacht worden. Die Polizei, davon benachrichtigt, ließ am 17. eine genaue Haussuchung halten, und unter den Fliesen der Küche fand man alsbald den Leichnam des Vermißten in einer frischen Grube, nackend, die Beine rückwärts gegen die Hüften
gebunden. Sein Schädel hatte eine Schußwunde, außerdem war er grausam zerschlagen.
Patrick OConnor war umgebracht worden, und zwar zwischen dem 9. August, wo man ihn zum letzten Male gesehen, und dem 17., wo er gefunden ward. Diese Gewißheit begegnete sich mit der höchsten Wahrscheinlichkeit, daß die Manningschen Eheleute die Mörder waren, denn sie allein hatten das Haus bewohnt, wo der Leichnam gefunden ward, und sie waren plötzlich, nachdem, wenn auch noch nicht der Mord, doch
OConnors Verschwinden ruchbar ward, ebenfalls verschwunden.
Es ward auf beide Eheleute gefahndet. Die außerordentlichen Umstände der gräßlichen Mordthat, unterstützt, wie es scheint, durch die Bemühungen der zahlreichen Freunde des Ermordeten, hatten auch eine außerordentliche Thätigkeit der polizeilichen Behörden angeregt.
Frederick Manning ward auf der Insel Jersey entdeckt und ergriffen. Er gestand das Verbrechen insofern ein, daß er die ganze Schuld bei der ersten
außergerichtlichen Vernehmung auf seine Frau warf. Diese ward, unter einem fremden Namen, in Schottland entdeckt, ohne jedoch zu gestehen; Beide wurden nach London zurückgebracht und der Proceß gegen sie eingeleitet.
Diese Notizen, als notorisch geworden, schicken wir diesem nächstberühmtesten englischen Criminalfall aus der Gegenwart vorauf. Außer denselben hatte sich aber eine große Menge Gerüchte, auf wahre Umstände und auf leere Fictionen begründet, im Publicum, zum Theil durch
die Presse, verbreitet, vor denen der öffentliche Ankläger die Geschworenen warnte, und sie bat, auf nichts zu hören und Alles aus dem Sinn zu schlagen, was ihnen auf außergerichtlichem Wege zu Ohren gekommen, indem die gerichtlichen Ermittelungen der Art wären, daß sie aus denselben ihr Urtheil vollständig schöpfen könnten. Auch wir folgen seiner Weisung und geben den Proceß ganz nach der gerichtlichen Verhandlung, welche am 25. October 1849 vor dem Central Criminal Court von Old Valley begann
und von den Zeitungen in der seltenen Ausführlichkeit mitgetheilt ist, welche sie nur Processen widmen, welche die allgemeine Aufmerksamkeit in Anspruch genommen haben.
Seit langer Zeit hatte man kein solches Gedränge vor dem Gerichtshofe gesehen, als es an diesem Morgen, und schon in für London ungewöhnlich früher Stunde stattfand. Was in englischen Gerichtshöfen früher nicht gewöhnlich, es hatten die Sherifs Entreebillets ausgetheilt, und nur gegen diese fand das Publicum
Zutritt. Es ward in den Zeitungen gerügt, daß dies für Geld geschehen, und doch standen die vornehmen oder wohlhabenden Käufer, welche gute Plätze haben wollten, schon vor 8 Uhr an den Thüren, während erst um 9 Uhr geöffnet ward. Gegen Mittag waren die Straßen umher von Volkshaufen fast gesperrt. Im Saale selbst brachte man Damen und Herren, unter denen sich die ersten Würdenträger und Gesandten befanden, wo es nur irgend möglich war, unter; Einige wurden auf die Bänke der Richter gesetzt,
während Andere sich selbst bequemen mußten, in nicht zu großer Entfernung von den Angeklagten zu sitzen.
Nachdem verschiedene kleinere Verbrecher und Uebertreter abgeurtheilt waren, trat der Lord Oberrichter Sir Fr. Pollock, von den Richtern, dem Lord Mayor und andern Beamten begleitet, ein. Zugleich wurden aber auch die beiden Gefangenen eingeführt, auf die das Publicum, Monate lang durch die verschiedensten Berichte neugierig gemacht, sofort die Blicke richtete. Mann und Frau hatten
sich seit ihrer Verhaftung noch nicht gesehen, keiner aber warf einen Blick auf den andern, als jeder in eine besondere Ecke der Verbrecherschranken gewiesen ward. Manning erschien in anständiger schwarzer Kleidung mit schwarzem Halstuch. Sichtlich war er von nervöser Unruhe geschüttelt. Er wechselte oft seine Stellung an der Schranke, und warf dann und wann verstohlene Blicke auf seine Frau.
Maria Manning dagegen verblieb von dem Augenblicke an, wo sie an der Schranke sich
hingestellt, über eine Stunde in derselben Stellung, bewegungslos wie eine Bildsäule. Während des ganzen übrigen Tages warf sie keinen Blick auf ihren Mann. Doch war sie sichtbar leidend; die eisenfeste Gesundheit, welche sie noch nach ihrer Arretirung besessen, hatte sie zugleich mit der Frische und spielenden Keckheit verlassen, die man früher an dem jungen Weibe bewundert und gerügt. Sie trug ein Kleid von dunklem Zeug, welches bis hoch oben am Halse schloß, einen Shawl von lebhaften Farben,
in welchen das Blau vorwaltete, und hellfarbige Handschuhe. Ohne Haube, hatte sie über dem Haar einen sie wohlkleidenden weißen Schleier. Ob sie sonst wohlgebildet war, haben die Reporter nicht berichtet. Sie wird 28, ihr Mann 30 Jahr alt angegeben. Beide hätten aber viel älter ausgesehen. Der Frau ward im Verlauf der Verhandlung, auf Antrag ihres Vertheidigers, ein Sessel zugestanden.
Die verlesene Anklage ging dahin: daß Frederick George Manning am 9. August 1849 zu Bermondsey
verrätherischerweise eine Pistole abgeschossen, geladen mit einer Kugel, auf Patrick OConnor, und ihm eine tödtliche Wunde beigebracht, an welcher er darauf und daselbst gestorben. Ferner eine Anklage: daß besagter Frederick George Manning den Tod von Patrick OConnor verursacht, indem er ihn gestoßen, geschlagen und verwundet am hintern Theil des Kopfes mit einer Brechstange. Die weitern Anklagen: daß er den Tod des OConnor verursacht zusammen durch Schießen und Schlagen und durch eine
Schießwaffe, die eine Windbüchse gewesen. Die Anklage gegen Maria Manning lautet: daß sie zugegen gewesen, hülfreich und aufreizend besagten Frederick George Manning, das Verbrechen zu begehen.
Befragt, wie er sich auf die Anklage gestellen wolle, rief Manning mit lautem und festem Tone: »Nicht schuldig.«
Für die weibliche Angeklagte erklärte ihr Vertheidiger Mr. Ballantine, sie sei aus Genf gebürtig, und mache deshalb Anspruch auf das Ausländern gestattete Vorrecht, von
einer Jury gerichtet zu werden, welche zum Theil aus Ausländern zusammengesetzt wäre. Der technische Ausdruck dafür ist, sie verlange ein trial per medietatem linguae.
Hierauf fragte der Lord Oberrichter die Gefangenen nach der alten Form: »Wie wollt Ihr gerichtet werden?« Statt zu antworten: »Durch Gott und mein Land«, antwortete Maria Manning in selber Weise: »Durch eine Jury de medietate linguae.«
Auf die nun auch an sie gerichtete Frage: »Seid Ihr
schuldig oder nicht schuldig dieses Verbrechens?« antwortete sie mit kaum hörbarer Stimme: »Nicht schuldig.«
Hierauf folgte eine sehr lange juristische Verhandlung zwischen dem Staatsanwalt, den Vertheidigern und dem Lord Oberrichter: ob der Einwand der Angeklagten, daß sie durch eine besondere, halb aus Ausländern zusammengesetzte Jury gerichtet werden müsse, Platz greife?
Uralte und neueste Gesetze und Statuten wurden citirt, der Hof entschied sich aber nach einer
Berathung: daß er nicht Platz greife, indem Maria Manning, durch ihre Verheirathung mit einem Engländer, als naturalisirt anzusehen sei. Die Angeklagte hatte diesem Rechtsstreit mit der größten Aufmerksamkeit zugehört, verrieth aber, als die Entscheidung zu ihren Ungunsten ausfiel, nicht die geringste Bewegung.
Die Anklageacte lautete mit Weglassung Dessen, was uns aus dem oben Gegebenen bekannt ist, dahin:
Am 9. August, am Donnerstag, hatte Patrick OConnor Morgens um
sieben ein halb seine Wohnung verlassen. Auf den London Docks war er, wie sein Amt es erforderte, gegen 8 Uhr, zeichnete seinen Namen in das Präsensbuch und blieb bis gegen 4 Uhr Nachmittags, wo er ihn wieder in ein anderes Buch eintrug, in welches Diejenigen sich einzeichnen, die das Bureau verlassen.
Ein Viertel vor 5 sahen ihn zwei Freunde nahe an der London-Brücke. Als sie ihn fragten, wohin er ginge, zog er ein Billet aus der Tasche und zeigte es den Freunden. Es war eine
Einladung zum Mittagessen, unterzeichnet Maria.
Um 5 Uhr sah man ihn in der Westonstreet, unfern vom Miniver-Place. Etwas später sah man ihn wieder auf der London-Brücke. Er schien unschlüssig, wohin er sich wenden solle.
Seitdem hat ihn Niemand mehr gesehen.
Am 13. August verließen die Manningschen Eheleute plötzlich ihre Wohnung.
Am 14. fand ihr Wirth das Haus ganz leer. Sie hatten es, ohne ihm eine Meldung zu thun, verlassen.
Am 17.
stellte die Polizei eine sorgfältige Haussuchung an. In der Küche im Hinterhause zeigten sich Fliesen, die nicht so fest wie die andern eingekittet schienen. Man löste sie ohne besondere Mühe, und, nachgrabend in der frisch umgewühlten Erde, fand man 4 Fuß tief unter der Oberfläche, Patrick OConnors Leiche, nackt, die Beine hinten an die Hüften hinaufgebunden. Sie war mit Kalk überschüttet.
Von den Kleidern des Todten fand man in der ganzen Wohnung keine Spur, auch nicht den Brief,
der ihn zum Mittag eingeladen, ebensowenig eine Waffe, durch welche er vom Leben zum Tode gebracht sein konnte.
Die Identität der Leiche mit dem verschwundenen OConnor ward durch viele Zeugen außer Zweifel gesetzt.
Den Beweis, daß er ermordet worden, führten die Wunden, die man vorfand. Ein Schuß war durch den Kopf gegangen. Der Schädel war aufs fürchterlichste zerschlagen.
OConnor war demnach ermordet, und zwar an Ort und Stelle selbst, in dem Hause, welches die
Eheleute Manning allein bewohnten, und in dem Zeitraum zwischen dem 9. und 17. August. Der dringendste Verdacht fällt schon aus diesen Umständen auf die Eheleute, welche das Haus bewohnten; er wird aber durch die folgenden Indicien zur bündigsten Gewißheit.
Er fürchte, sagte der Staatsanwalt, daß die Jury, wenn sie die Zeugen höre, der Meinung sein werde, daß es sich hier um ein tief angelegtes Complot handle; und die Zweifel, die sich bei ihnen erheben dürften, würden nur die sein,
ob einer der Eheleute, oder ob beide zugleich in diesem Complot betroffen wären; ob Maria Manning dem Opfer den Todesschlag gegeben, und der Mann nur zugegen gewesen, oder Frederick George Manning den Schuß und den Schlag versetzt oder auch irgend ein dritter Unbekannter, und Maria nur gegenwärtig gewesen, helfend und anfeuernd; oder ob endlich Einer von Beiden allein die That begangen und der Andere nicht zugegen gewesen? Er vertheidigte in Bezug hierauf die Formel des Anklageantrags, welche
das Gesetz bedinge, um in jeder Beziehung sicher zu gehen, jenachdem die Beweisführung die Schuld des einen oder des andern Theiles in helleres Licht stelle. Die gründliche Erörterung hierüber ist für das englische juristische Publicum, nicht für uns von Interesse; um so weniger als durch den Verfolg der Gerichtsverhandlungen und was ihnen nachfolgte, über die subjective Thäterschaft und das factische Verhältniß alle moralischen und selbst die juridischen Zweifel gelöst erscheinen.
Der Staatsanwalt ging alsdann zu einer chronologischen Aufzählung derjenigen Anzeichen über, welche der That vorangingen.
Er hatte nicht ermittelt, wie alt die Bekanntschaft der Eheleute mit OConnor sei; aber er glaubte Grund zur Vermuthung zu haben, daß OConnor schon vor 1847, also vor Marias Verheiratung, mit ihr in Berührung gestanden. Gewiß aber sei, daß sie in letzter Zeit auf sehr vertrautem Fuß miteinander gelebt. Sie besuchte ihn sehr oft in seiner Wohnung, sie wußte um alle
seine Vermögensangelegenheiten, sie hatte Zutritt in seiner Wohnung, auch wenn er nicht zu Hause war, und blieb daselbst oft lange Zeit. OConnor war ein Mann von hübschem Vermögen.
Nachdem die Mannings das Haus in Miniver-Place gemiethet, nahmen sie einen Aftermiether auf in der Person eines Studenten der Medicin, Namens Massay. Sie hatten aber keinen Dienstboten. Maria besorgte die häuslichen Geschäfte allein; nur gelegentlich nahm sie eine oder die andere Frau an, um ihr in der
Arbeit beizustehen.
Manning richtete in Gegenwart seiner Frau zuweilen Fragen an den Studenten, welche jener Zeit ganz harmlos und unbedeutend erschienen, die aber in Beziehung auf das Nachfolgende eine nur zu schwere Bedeutung gewinnen.
Manning erwähnte, daß OConnor ein wohlhabender Mann sei, daß er wol an 20,000 Pfund besitze und ein Testament gemacht habe zu Gunsten seiner, Mannings, Frau.
Er befragte den Studenten über die Natur und Wirkungen des Chloroform
und Laudanum, und ob sie wol so wirksam seien, um einen Menschen ganz zu betäuben, etwa in der Art, daß er seinem Freunde OConnor eine 500 Pfund Note aus der Hand nehmen könne? – Er wollte wissen, welcher Theil des menschlichen Körpers am leichtesten eine tödtliche Verletzung annehme? Die Antwort war: die Kehlader. – Er fragte, wo der Sitz des Gehirns sei? Massay zeigte es ihm. – Er fragte: ob Massay jemals eine Windbüchse losgedrückt, und ob sie Geräusch verursache? –
Ein ander Mal fragte er ihn, was er über das Ende eines Mörders denke?
Massay hatte diesen Unterhaltungen wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Sie fanden vor dem Juli statt. Aber einige Tage vor dem 28. Juli drückten beide Gefangene dem Miether ihren Wunsch aus, daß er ihre Wohnung wieder verlassen möge. Sie sagten, sie wollten auf einige Zeit verreisen. Sie drängten immer wieder und wieder, bis Maffay an jenem Tage wirklich auszog.
Am 23. Juli war Manning zu einem Maurermeister
Wells gekommen, um eine Quantität Kalk von ihm zu kaufen, er sagte, um die Schnecken in seinem Garten zu vertilgen. Auf die Frage, ob er grauen oder weißen Kalk wolle, antwortete er, solchen, der am schnellsten brenne. Man schickte ihm darauf grauen Kalk. Der Bursche des Maurers sollte den Kalk bringen. Als er ihn vor die Hausthür trug, öffnete Mannings Frau, und ohne ein Wort zu sprechen, oder zu fragen, was er bekomme, gab sie ihm ein Geldstück. Der Mann zeigte dem Burschen einen Korb, in
den er den Kalk schütten solle.
Am 25. Juli bestellte Manning in einen: Eisenwaarenladen ein sehr starkes Brecheisen für eine bestimmte Summe. Am 28. Juli war es fertig, und ein Arbeitsmann trug es in der Hand, uneingewickelt, nach Mannings Wohnung. Auf der Mitte der London-Brücke begegnete Manning dem Manne, und war ungehalten darüber, daß er das Eisen so blank und baar trage. Er trat mit ihm in einen Laden und kaufte einige Papierbogen, in welche das Eisen eingewickelt ward. Dann
wies er ihn an, es nach Miniver-Place zu bringen, wo Jemand die Stange in Empfang nehmen werde. – Mannings Frau machte dem Arbeitsmann die Thür auf. Dieser übergab ihr die in Papier gehüllte Stange, ohne ein Wort zu sprechen, und sie, ohne ein Wort über den Inhalt zu sagen, fragte nur: was es koste? Als der Mann die Summe nannte, beklagte sie nur, daß es theurer sei, als accordirt war, zahlte ihm aber sofort und empfing dafür das Brecheisen, das immer noch in seinem Papier verhüllt
blieb.
Dieses Brecheisen hat sich weder im Hause vorgefunden, noch war es unter Gegenständen, welche Manning später an einen Trödler verkauft hatte.
Am 8. August, also am Tage vor dem, wo O Connor zum letzten Male gesehen ward, kaufte Mistreß Manning eine Schaufel. Sie sollte stark sein, sonst wäre es ihr gleichgültig, ob der Griff kurz oder lang wäre. Am 8. August, nach dem Kaufe des Kalks, des Brecheisens und der Schaufel, schrieb Mistreß Manning an OConnor einen
Brief, in welchem sie OConnor zum Mittagessen an dem Tage bei sich einlud. Der Brief lautete:
»Mittwoch Morgen,
Lieber OConnor – wir würden sehr vergnügt sein, wenn Sie diesen Mittag mit uns speisen wollten, um 5½.
Ihre ergebene Maria Manning.«
Dies war nicht der Brief, welcher OConnor zu seinem Opfergange veranlaßt hat. Er war erst Mittwoch am 8. um 3 Uhr Nachmittags auf die Post gegeben, adressirt an OConnor auf den London Docks. Er konnte nach der Postordnung erst am folgenden Tage seine Adresse erreichen.
In der That ward er auch erst Donnerstag am 9. in OConnors Wohnung von einem Portier der Docks abgegeben, nachdem jener schon um 7½ seine Wohnung verlassen hatte. Er hat ihn nicht mehr gesehen.
Am Abende des Tages, als jener Brief abgesandt ward, am 8. August, kam OConnor zufällig in das Manningsche Haus; glücklicherweise für ihn in Gesellschaft eines Andern, eines Herrn Welsh. Mistreß Manning sagte ihm, sie habe ihm einen Brief geschrieben, in welchem sie ihn heut zu Mittag
eingeladen, und sei verwundert, daß er nicht gekommen. OConnor erwiederte, daß er den Brief nicht erhalten.
OConnor blieb im Manningschen Hause mit seinem Begleiter bis gegen Mitternacht. Er rauchte, trank aber nicht. Die Unterhaltung betraf gleichgültige Gegenstände; unter andern eine Geldsumme, welche Mstr. Welsh für ihn in Empfang genommen. Als er um 12 Uhr ging, klagte er, daß er sich übel befinde.
Vom folgenden Tage, dem 9., weiß man nur Das von ihm, was oben
angegeben ist.
Um 5 Uhr Abends, oder einige Minuten später, hatte man ihn, wie angeführt, in der Westonstreet, etwa 3 Minuten von Miniver-Place entfernt, zum letzten Mal gesehen, und er schien unschlüssig, wohin er sich wenden sollte.
Am Abende dieses 9. August, etwa ein Viertel vor 6 Uhr, kam Mistreß Manning nach QConnors Wohnung in Greenwoodstrect.
Um von Miniver-Place nach dem gedachten Hause zu gelangen, braucht, nach sorgfältigen Ermittelungen, ein Fußgänger
etwa 42 Minuten, ein Omnibus 35, ein Cabriolet 20. Die Manning blieb in der Wohnung bis etwa ein Viertel nach 7 Uhr, also im Ganzen sechs Viertelstunden.
Er, Manning, war aber unzweifelhaft den ganzen Abend durch in seiner Wohnung; denn um ¼ nach 7 sahen ihn Nachbarn auf der Plattform seines Hinterhauses rauchend und plaudernd. Er blieb dort etwa 20 Minuten, sprang dann aber plötzlich hinunter, indem er sagte, er habe sich mit Jemand verabredet.
Wahrscheinlich lag der Mord
schon hinter Beiden.
Am 10. August, Freitags, begab sich Mistreß Manning abermals in das OConnorsche Haus, wieder um 6¼ und blieb wieder etwa so lange, wie am vorigen Abende. Die Absicht: von OConnors Sachen einen Theil mitzunehmen, springt von selbst in die Augen. Ihr Besuch erregte keinen Argwohn, man war daran gewöhnt. Eine Zeugin aber bekundet, daß sie beim Fortgehen sehr bleich und nervös ausgesehen.
Am 11. August, Sonnabend, hatte die Manning ein Mädchen angenommen,
um die hintere und vordere Küche in ihrer Wohnung rein zu machen. Auch gab sie ihr einen Korb zu waschen, in welchem sichtlich Kalk aufbewahrt gewesen. Das Mädchen konnte nicht damit zu Stande kommen und die Manning machte sich nun selbst daran, bis alles Wasser, was im Hause vorräthig, erschöpft war.
Am selben Tage verkaufte Manning bei einem Wechsler, im Namen Patrick OConnors, auf dessen Namen sie lauteten, und dessen Namen er oder ein Anderer unter die Cessionsurkunde gesetzt
hatte, 20 Eisenbahnactien der Eastern Counties, die unzweifelhaft OConnors Eigenthum waren, für 110 Pfund. Die Hundertpfundnote, die er dafür empfing, setzte er an der Bank um in 50 Sovereigns und 5 Zehnpfundnoten. Diese Noten wurden später im Besitz der Mistreß Manning vorgefunden.
OConnors Nichterscheinen im Bureau, seine Abwesenheit von Hause hatten natürlich Bestürzung und Verdacht im Kreise seiner Freunde erregt. Diejenigen, welche ihn am Donnerstag (9.) auf der London-Brücke zum
letzten Male gesehen, und denen er das Invitationsbillet zum Mittag bei Mannings gezeigt, gingen am Sonntag (12.) in die Manningsche Wohnung, um sich zu erkundigen. Auf die Frage: ob OConnor am Donnerstag hier gegessen, antwortete die Manning: Nein. Sie habe ihn seit dem Mittwoch vorher nicht mehr gesehen, wo er mit Master Welsh bei ihnen vorgesprochen gewesen. Sie habe ihn wohl am Donnerstage erwartet, da er nicht gekommen, wäre sie in seine Wohnung gegangen. Master Welsh war mit dieser
Auskunft wenig zufrieden; am Montag (13.) kam Master Flynn, ein Verwandter des Verschwundenen, in das Manningsche Haus, um sich bei der Ehefrau zu erkundigen. Auch ihm gab sie dieselbe Antwort, OConnor habe am Donnerstag weder bei ihnen gespeist, noch habe sie ihn während des ganzen Tages zu Gesicht bekommen. Dem Zeugen schien sie im Zustand großer Aufregung, daß er sie fragte, ob sie unwohl sei? Sie antwortete, ja, sie wäre einige Tage vorher unpäßlich gewesen.
An diesem Montag
(13.) war Manning am frühen Morgen zu einem Möbelhändler gegangen, Namens Bainbridge, und hatte ihm, unter dem Vorgeben, daß er aufs Land gehe, sein ganzes Mobiliar für 13 Pfund verkauft. Er forderte, daß die Möbel ihm am folgenden Tage, und zwar früh um 5 Uhr abgeholt werden sollten. Der Käufer willigte ein, und es ward abgemacht, daß Manning nun 14 Tage bei ihm wohnen sollte. Nachdem Manning Bainbridges Haus betreten, sandte er einen Diener, um auch seine Frau abholen zu lassen. Der Diener
aber kam mit der Nachricht zurück, daß Mistreß Manning schon vor einer Stunde ihre Wohnung verlassen habe. Manning ging selbst nach seinem Hause in Miniver-Place zurück, etwa um 5 Uhr, und klopfte, aber Niemand gab Antwort. Auf sein Anfragen in der Nachbarschaft erfuhr er, daß seine Frau das Haus in einem Cabriolet verlassen und einiges Gepäck mit sich genommen habe.
Die Frau des Möbelhändlers fragte Manning, wenn seine Mobilien doch noch bis am nächsten Morgen in seiner Wohnung
blieben, warum er selbst nicht dort übernachten wolle? Er antwortete: er möge dort nicht schlafen, und wenn man ihm 20 Pfund zahle.
Aus andern Zeugenaussagen scheint hervorzugehen, daß die Manning gegen 4 Uhr Nachmittags eine große Masse Kleider und andere Gegenstände zusammengepackt hatte; sie rief dann ein Cabriolet vom Haltepunkte, packte mit Hülfe des Kutschers ihre Schachteln hinein und nahm den Weg nach der South-Eastern-Eisenbahnstation, Unterwegs kaufte sie in einem Laden
einige Karten, auf welche sie die Adresse schrieb: »Mistreß Smith, Passagier nach Paris.« Auf der Station angelangt, beauftragte sie den Thorwärter, diese Karten auf zwei ihrer Schachteln anzunageln, welche sie zu dem Behufe zurückließ.
Alsdann ließ sie das Cabriolet nach der Eustonsquarestation fahren, und, ihrer eigenen Erzählung zufolge, nahm sie einen Platz auf der Eisenbahn nach Neweastle. – In Edinburg ward sie am 21. Aug. arretirt. Sie nannte sich Mistreß Smith, aber die
Polizei hatte Argwohn, daß sie die gesuchte Maria Manning sei. Als man es ihr ins Gesicht sagte, gab sie sich auch nicht mehr Mühe es abzuleugnen. Man forderte ihr ihre Schlüssel ab, die sie willig hingab. In ihren Schachteln und an ihrer Person fand man 73 Sovereigns, eine Funfzigpfundnote, eine Anzahl Zehnpfundnoten, von welchen fünf zu denen gehörten, welche ihr Mann in der Bank eingewechselt, und eine Fünfpfundnote, welche Manning von einem Actienhändler erhalten, eine Anzahl Sambre- und
Maas- Eisenbahn-Quittungsbogen, und andere Eisenbahnbons, die unzweifelhaft OConnors Eigenthum gewesen waren.
Was ihren Mann betrifft, so miethete er am 15. August, zwei Tage, nachdem er seine Möbel verkauft und sich bei Bainbridge einquartiert, ein Cabriolet und fuhr damit nach der Southampton-Eisenbahnstation. Man setzte ihm nach und schon am 27. August ward er von den Polizeibeamten auf der Insel Jersey ergriffen.
Man erinnert sich aus den Zeitungen, daß Mannings
Verhaftnahme auf Jersey von schreckenerregenden Umständen begleitet gewesen. Er wurde Nachts überfallen, er hatte sich vorher nach den Vermögensumständen der Leute erkundigte, bei denen er innen lag, auf seinem Tische hatte man ein Rasir- oder anderes Messer gefunden. Die Meinung hatte obgewaltet, daß der fürchterliche Mensch abgefangen worden, als er im Begriff war, eine neue Raub- und Mordthat zu präpariren. Weder in der Anklage, noch in den übrigen Aktenstücken des Prozeßverfahrens finden
wir etwas darüber erwähnt, bei sorgfältiger Nachforschung mögen die Indicien sich daher als Schreckbilder der aufgeregten Phantasie, von den Zeitungsschreibern ausgebildet, erwiesen haben, und der Staatsanwalt warnte ausdrücklich die Geschworenen an nichts zu glauben, als was die Anklageacte enthalte und die Zeugen bekunden.
Zugleich richtete er an dieser Stelle noch eine Warnung an die Geschworenen. Manning hatte nach seiner Verhaftung ein Geständniß abgelegt und seine Frau als
Mörderin angeschuldigt. Auf diese Angabe durfte nach dem englischen Gesetz kein Gewicht gelegt werden. Der Attorney-General verwarnte daher schon jetzt die Jury, wie es später die Richter thun würden, irgend einen Glauben, ein Vortheil gegen die weibliche Gefangene bei sich zuzulassen in Folge der Erklärungen, welche der männliche Gefangene bei seiner Arretirung abgelegt. Der ganze, volle Beweis solle und werde durch Zeugen und logische Schlüsse geführt werden. Eine formelle Gewissenhaftigkeit,
wie sie nur in England zu Gunsten der Angeklagten vorkommt, daß schon der Ankläger darauf bedacht ist, die Rechte der von ihm Angeklagten nach aller Strenge der Gesetze zu wahren! Nicht alle öffentliche Ankläger üben diese Gewissenhaftigkeit.
Manning, fährt die Anklage fort, leistete keinen Widerstand. Er sagte, er habe im Begriff gestanden, nach London zurückzukehren, um Alles aufzuklären. Im Wesentlichen ging seine Erklärung dahin: daß nicht er, sondern seine Frau das Verbrechen
begangen, und er sei versichert, sie werde es selbst eingestehen in seiner Gegenwart und der eines Geistlichen. Auch beschrieb er die Art und Weise, wie der Mord begangen worden. Seine Frau habe OConnor zu Tisch gebeten, und als sie zu Tisch die Treppe hinuntergingen, habe sie ihren Arm um seinen Nacken geschlungen und ihm in den Kopf geschossen. Aber er gab keine Auskunft darüber, wie OConnors Kopf so furchtbar und grausam zerstümmelt worden, denn er war fast buchstäblich in Stücke zerschlagen
gewesen, durch ein Instrument, welches höchst wahrscheinlich ein Brecheisen war.
Mehr sei nicht ermittelt worden, es genüge aber.
Es sei kein Zweifel, daß OConnor ermordet worden von Jemandem. Die Frage für die Jury sei nur die: zu entscheiden, ob beide oder einer von den Gefangenen den Mord vollbracht, oder ob einer von ihnen es gethan unter Wissenschaft und Beihülfe des andern?
Sie möchten erwägen, daß vor Begehung der That der Kalk offenbar bestimmt, um das
Corpus delicti, wenn das möglich, verschwinden zu machen, von dem Manne eingekauft und in Gegenwart der Frau abgeliefert worden; daß das Brecheisen, wohl geeignet, um den festen Boden, in welchem das unglückliche Opfer eingescharrt werden sollte, aufzulockern und die Steinfliesen aufzubrechen, unter denen man die That zu verbergen hoffte, daß auch dieses Brecheisen vom Manne gekauft und in Gegenwart der Frau abgeliefert, auch von ihr bezahlt worden; daß am 8. August noch von der Frau eine
Schaufel angeschafft sei, die, wiewol auch sonst zu gebrauchen, doch zur Einscharrungsarbeit sehr nützlich gewesen sei. Ohne alle Anzeige vorher hätten beide Angeklagten am 13. August ihre Wohnung verlassen, doch erst nachdem bei ihnen verschiedene Nachfragen nach OConnor gemacht waren. Bei den Gefangenen sei eine beträchtliche Summe Geldes und andere Effecten gefunden worden, von denen ein Theil OConnors Eigenthum gewesen; anderes Geld sei erweislich eingelöst für Effecten, die OConnor
gehört, oder in seinem Namen. Der Generalanwalt schloß, daß er der Jury vertraue, sie werde »ruhig und redlich« alles Andere aus dem Gemüth entfernen, die Zeugenaussagen ferner prüfen und danach sprechen.
Eine lange Reihe Zeugen ward vorgeführt, welche die in der Anklageacte aufgeführten Thatsachen bekundeten. Es liegt außer unserer Aufgabe, Alles, was sie ausgesagt, noch einmal aufzunehmen, wir beschränken uns auf die Momente, wo sie von dem Angeführten abweichen, es ergänzen, oder
factische und psychologische Incidenzpunkte liefern.
Der Constabler Clarkson hatte mit dem Constabler Burton am 17. August die Haussuchung abgehalten. Eine feuchte, dunstige Stelle zwischen zwei Fliesensteinen in der hinteren Küche hatte seine Aufmerksamkeit erregt. Sie brachen die Steine auf und fanden zuerst Mörtel, dann frisch eingeschaufelte Erde. Die Steine schienen erst vor kurzem gelegt. Zwölf Fuß tief stießen sie auf die Zehen eines Mannes, noch weiter, 6 Fuß
grabend, auf seine Lenden. Der Körper lag auf dem Bauche und die Beine waren zurückgebogen und mit starken Stricken an die Hüften befestigt. Der Leichnam war ganz nackt, und ringsum mit Kalk eingebettet. Der Wundarzt Lockwood, der hinzukam, nahm ein Gebiß falscher Zähne aus dem Munde der Leiche.
Der Sergeant Wilkins bekundete, daß die aufgehobenen Fliesensteine in der Küche 2 und 3 Fuß im Geviert groß gewesen. Sie waren so schwer, daß die Männer Brecheisen dazu anwenden
mußten. Auch gab er eine genaue Beschreibung des Hauses. Es bestand aus 6 Stuben. Wenn man durch die Straßenthür eintrat, lag die Hauptwohnstube rechter Hand nach vorn; die beiden Küchen waren unter den Wohnstuben. Andere Häuser begrenzen das Mordhaus von beiden Seiten, hinten hat es einen kleinen Garten. Im Garten fand Wilkins einige Sträucher und rothe Winden an Fäden gezogen, im Hause selbst »bei der Gelegenheit« 28 Leinentücher, die frisch gewaschen schienen, und in der hintern Küche eine
Schaufel. (Dies scheint aber bei einer frühern Gelegenheit gewesen zu sein, von der die Anklage nichts erwähnt, einer vorangängigen Privatnachspürung, denn Wilkins sagt: »als ich am 14.« während die Anklage nur von einer am 17. stattgefundenen Haussuchung spricht.)
Der Wundarzt Lockwood war schon hinzugekommen, als man den Körper noch nicht ausgegraben hatte. Schon in dieser Lage nahm er das falsche Gebiß aus den Munde. Als die Leiche in der Vorderküche niedergelegt war,
fand er über dem rechten Auge einen festen, doch beweglichen Auswuchs. Er schnitt und fand darunter eine Kugel. Der Hinterschädel hatte furchtbare Brüche und Quetschungen, dergestalt, daß der Arzt nicht den Lauf beurtheilen konnte, welchen die Kugel genommen. Auch konnte er die Wunden nicht zählen, glaubte aber, es könnten wol 16 gewesen sein. Sie durften durch eine Brechstange oder einen Meißel bewirkt sein, und waren, wie gesagt, theils offene Schnitte und Brüche, theils Zerquetschungen,
die Mehrzahl aber wie die Kugelwunde tödtlich.
Viele Bekannte und Verwandte OConnors recognoscirten die Leiche, zum Ueberfluß erkannte auch ein Zahnarzt in dem Zahngebiß dasjenige, welches der Ermordete von ihm entnommen.
Master Welsh, der OConnor am Abende des 8. August zu Mannings begleitet und an der vertraulichen Unterhaltung Theil genommen, sagte nicht viel mehr aus, als was wir aus der Anklage wissen. Die Manning bedauerte, daß er nicht zu Mittag gekommen,
und erklärte es sich selbst dadurch, daß sie ihr Billet zu spät auf die Post gegeben. Man sprach von verschiedenen Schuldforderungen, die OConnor zum Theil eingeklagt hatte, zum Theil noch einklagen wollte; zwischen den Mannings und ihm schien die größte Eintracht und Vertraulichkeit obzuwalten. Sie rauchten mit einander, als OConnor plötzlich unwohl wurde; er setzte sich aufs Sofa. Die Manning bestrich seine Schläfe mit Eau de Cologne, was aber keine Wirkung hatte. Man brachte Brantwein und
Wasser, er wollte aber davon nichts nehmen. Er ließ sich von Welsh nach seiner Wohnung führen; unterwegs ward er wieder ganz wohl. Beachtenswerth ist, daß in seiner Gegenwart nichts erwähnt wurde von der neuen Einladung zum Mittagessen am folgenden Tage.
Die beiden Bekannten, welche am Donnerstag Nachmittags (am 9.) ein Viertel vor 5 OConnor zum letzten Mal auf der London-Brücke begegnet waren, sagten auch nichts Positiveres aus. Beide, Keating und Graham, waren
Zollbeamte und mit OConnor von den Docks her bekannt. OConnor zeigte ihnen den Invitationsbrief. Nach einem flüchtigen Gespräch entfernte er sich in der Richtung nach dem Manningschen Hause. Er schien gesund und munter. Als Keating sich am folgenden Sonntage nach OConnor erkundigen wollte, öffnete ihm die Manning die Thüre. Sie sagte ihm auf seine Frage, Herr OConnor sei am Donnerstag nicht zu Mittag gekommen. Sie selbst wäre darauf am Abend in seine Wohnung gegangen, um sich nach seinem
Wohlsein zu erkundigen, da sie gefürchtet, er könne krank sein, weil er am Abend vorher bei ihr unwohl geworden. Keating erwiderte: Das sei doch seltsam, da er ihn an Donnerstag Nachmittag frisch und wohl auf der Brücke gesehen und er in der Richtung nach ihrer Wohnung fortgegangen wäre. Sie antwortete nichts. Als Keating fragte, ob er nicht ihren Mann sehen könne, gab sie die ausweichende Antwort: Master Manning fände es sehr seltsam und nicht »gentlemanartig«, daß OConnor nicht zu Mittag
gekommen. Sie schien sehr nervös aufgeregt. Keating fragte noch ein Mal nach ihrem Manne; sie erwiderte, sie glaube, er sei in die Kirche gegangen. Er wünschte, ihn am Abend zu besuchen; sie entgegnete: sie wären Beide zum Thee gebeten. Der Zeuge hatte keine eigentliche Vertraulichkeit zwischen OConnor und der Manning bemerkt, wol aber sie oft mit einander spazieren gehen gesehen.
Zwei andere Zeugen, der eine auf dem Deck eines Omnibus fahrend, hatten OConnor noch eine halbe Stunde
später, um 5¼ in Westonstreet, etwa 150 Schritte vom Miniver-Place gesehen. Er ging sehr langsam und hielt mehrmals an, wie unentschieden, wohin er gehen solle?
Eine Sophie Peyne, die in einem anstoßenden Hause wohnt, sah am Mordabende, etwa ¼ vor 7, Manning auf seiner Gartenmauer sitzend und eine Pfeife rauchend. Sie unterhielt sich mit ihm von ihrem Hause aus etwa 20 Minuten, als er plötzlich heruntersprang. Er sagte, er habe ein Rendezvous vergessen und müsse sich
anziehen. Es war noch heller Tag. Manning war wie gewöhnlich angezogen. Er saß mit den Beinen gegen seinen Garten, in dem viel Blumen sind. Die Zeugin wußte aber nicht, ob er sie besonders cultivire. Sie hatte um 5 Uhr mit ihrem Manne Thee getrunken, wo es immer sehr still in ihrem Hause zugeht, aber sie erinnerte sich nicht, ein verdächtiges Geräusch gehört zu haben. In ihrem Hause ist eine Steindruckerei, die Arbeit fängt aber erst Abends nach 7 Uhr an. Die Kinder im Hause werden ruhig
gehalten. – Montag, nach dem Morde, kam Manning um 6 Uhr Abends an die Thür der Zeugin und bat sie, ihn durch ihr Haus in seines zu lassen, weil seine Frau ausgegangen sei. Sie erlaubte es ihm, und er sprang über die Gartenmauer.
Master Flynn, OConnors Freund, gleichfalls beim Zollwesen angestellt, hatte, wie die vorigen, am Sonntage in seiner Wohnung sich nach ihm ernstlich erkundigt. Mistreß Manning sagte, daß sie so wenig als ihr Mann das Geringste von ihm gehört
hätten. Flynn meinte, das wäre sehr seltsam; sie entgegnete, es wäre sehr verdrießlich; einige Freunde hätten ihn doch am 9. auf der London-Brücke gesehen. Sie nannte Keating und ließ fallen: OConnor wäre ein sehr wankelmüthiger Mensch, er sei oft in ihr Haus gekommen und ein oder zwei Minuten geblieben, dann aber plötzlich fortgelaufen. Sie meinte dann, er möchte vielleicht in Vauxhall sein, wo sie mit ihm einige Mal gewesen und er einen Freund habe, Namens Welsh. Dann rief sie plötzlich: »Der
arme Herr OConnor, er war der beste Freund, den ich in London hatte!« Bei den Worten aber wechselte sie Farbe und ward blaß. Flynn fragte, ob sie unwohl wäre oder das Zimmer zu heiß! Sie antwortete: Nein! aber seit sechs Wochen sei sie nicht recht wohl. Dann gab sie auch Flynn von ihrem Besuche in OConnors Wohnung die bekannte Auskunft. Beim Fortgehen äußerte sie: »Ihr Herren seid auch sehr argwöhnisch.« Flynn ging nachher in OConnors Wohnung und erbrach dessen Geldkiste mit Gewalt. Seine
Cassette befand sich darin, in dieser aber nur einige Papiere, kein Geld.
OConnors Hauswirthin sagte nicht viel mehr aus, als die Anklageacte enthielt. Die Manning kam sehr oft zu ihrem Miether, oft allein, oft mit ihm, am meisten im letzten Monate; doch dürfte die Bekanntschaft, insoweit sie intim war und das Haus der Wirthin damit in Berührung kam, nicht von früher als einem Jahre datiren. OConnor und die Manning tranken oft Thee mit einander. Im Schlafzimmer hatte sie Beide nicht
zusammen gesehen. Beachtenswerth ist die Notiz, daß die Manning einige Tage vor dem Morde sich nach Eisenbahnactien bei OConnor erkundigte, wie sie sagte, um deren zu kaufen. Dieser hatte sein Cassabuch dabei vor sich und auch einige Actien. Er deutete auf einige und sagte: »diese sind gut«. Zuweilen kam sie auch mit dem Studenten Massay und OConnor und alle drei Personen schienen in gutem Einvernehmen zu stehen. – Am 9. August sah die Wirthin Mistreß Manning um ¾ auf 6 nach OConnors
Zimmer hinaufgehen; um 7¼ kam sie wieder herunter. In der Regel ging sie durch die Hausthür, dieses Mal ging sie durch den Laden, in welchem die Wirthin war. Am folgenden Abend (Freitag) geschah es ebenso. Als sie bei der Rückkehr durch den Laden ging, wechselte sie etwas Geld und kaufte Kleinigkeiten. Sie hatte für die Wirthin etwas Besonderes. Sie zitterte sehr; auch gab sie das Geld mit der linken Hand, da sie in der rechten etwas hielt. – OConnor pflegte seine Schlüssel in einem
Bunde bei sich zu tragen.
Die Schwester der Wirthin, in deren Laden zur Aushülfe beschäftigt, bestätigte alle Einzelnheiten obiger Aussage, namentlich auch den Actienhandel, bei welchem Mistreß Manning sehr eifrig geschienen, OConnor ihr aber guten Rath ertheilt habe, Dies zu nehmen und vor Jenem sich zu hüten. Die Schwester will die Manning an beiden Abenden, als sie aus OConnors Stube zurückkehrte, blaß und sehr zitternd gefunden haben. Sie erwähnte auch, daß die Manning in einer
frühern Nacht, gerade, als jenes Actiengeschäft abgemacht werden sollte, in ihrem Hause geschlafen habe. OConnor bestellte nämlich bei der Wirthin ein Bett für seinen Freund und dessen Frau; aber nur die Frau und nicht der Freund kam.
Auch der Student Massay konnte nur bekunden, was in der Anklageacte schon aufgenommen ist. Manning sprach sehr oft und gern von OConnor, von dessen ansehnlichem Vermögen, von dem letzten Willen, den er gemacht, und zwar zu Gunsten seiner,
Mannings, Frau. Einst, erzählte er, seine Frau habe OConnor in den Docks in vollkommen trunkenem Zustande gefunden; so viel Branntwein habe er getrunken, lediglich aus Furcht vor der Cholera. – Massay scheint in dem Spiel, was die Mannings mit OConnor trieben, gewissermaßen mitzuspielen, er erschreckte diesen durch seine Choleraberichte und empfahl ihm den Branntwein als Specificum dagegen an. Wenigstens warf Manning dies scherzhaft dem Studenten vor. Derselbe richtete wirklich die in
der Anklage enthaltenen, verfänglichen Fragen an denselben. Einmal aber auch die, als er des Mörder Rush Bildniß im Wachsfigurencabinet der Madame Tussaud gesehen: ob Mörder in den Himmel kämen? Der Student der Medicin antwortete: Nein!
Der Kalkankauf erfolgte ganz in angegebener Weise. Desgleichen der des Brecheisens. Unterweges ließ Manning, wie gesagt, das Eisen in Papier wickeln, indem er dabei dem Träger rügte, daß es nicht schon geschehen, »damit nicht Jedermann wisse, was er
gekauft!« Ein dem Träger vorgezeigtes Brecheisen schien ihm dasselbe, welches er zu Mannings gebracht, nur wäre seines 5 Zoll länger gewesen.
Die wieder vorgerufenen Aerzte erklärten, daß der Körper des Ermordeten, als sie ihn fanden, die Zeichen an sich getragen, wie der eines Mannes, der etwa vor einer Woche ums Leben gekommen. Die Einwirkungen des Kalkes hätten sie dabei wohl berechnet.
Eine kleine zwölfjährige Streichhölzerverkäuferin erregte anfangs große Theilnahme
und man erwartete gewichtige Aufschlüsse über die Mysterien des Mordhauses von ihr zu hören. Die Manning hatte sie am Freitag (10.) auf der Straße aufgegriffen, um für einen geringen Tagelohn ihre Wohnung zu reinigen. Hanna Firman erbot sich die Hinterküche zu scheuern, aber die Manning sagte, das habe sie schon selbst gethan. Sie sollte statt dessen einen Korb waschen, in dem Kalk gewesen. Das kleine Madchen schützte vor, sie könne das nicht mit ihrer Hand, und die Frau that es darauf
selbst, indem sie so viel Wasser als möglich durch den Korb rinnen ließ. Befragt, ob sie die Frau wieder erkennen würde, ließ Hanna ihre Blicke in der Versammlung umgehen, bis sie ausrief: »Da ist sie!« – Sie war am Freitage auch im Kohlenkeller beschäftigt worden, als sie über sich den Mann mit der Frau zanken hörte. Er stampfte und rief: »Auf der Stelle gib mir das!« Sie erwiderte, »sie werde es ja geben.« Damit endete der Streit. Der erste Eindruck, den die Kleine durch ihre Aussage
hervorgebracht, ward indeß durch ihr Geständniß schnell verlöscht, daß sie sich allerhand Mausereien in der Manningschen Wohnung zu schulden kommen lassen. Der Vertheidiger der Frau, Ballantine, entlockte ihr diese Geständnisse, eines um das andere, die das schlaue Kind naiv von sich gab, nur möglichst die gestohlenen Gegenstände ins Diminutivum übersetzend.
Mannings hatten das Haus Miniver-Place auf ein Jahr gemiethet, der Hausherr fand es aber schon Dienstag (14. Aug.) von ihnen
geräumt, ohne daß er die geringste Notiz darüber erhalten.
Der Möbelhändler oder Trödler Bainbridge bestätigte Alles, was die Anklageacte über den Verkauf der Manningschen Hausgeräthe an denselben, so wie über den Umzug des Ehemannes in das Bainbridgesche Haus angibt. Maria Manning forderte für ihren gesammten Hausrath 16 Pfund, Bainbridge wollte nur 13 Pfund geben, man ward einig um 13 Pfund 10 Schilling. Manning erklärte seinen Wunsch, ein 14 Tage bei Bainbridge zu wohnen,
aus dem Umstande, daß sein »governor« vor 14 Tagen nicht fortgehe. Bald nachher sagte er: er habe sein Weib aufs Land spedirt. Er selbst wolle auch aufs Land und dann in ein Seebad. – Zur Frau Bainbridge hatte er die Worte geäußert: nicht um 20 Pfund möchte er in seinem Hause noch schlafen. Letztere bekundete noch: als sie die von Mannings angekauften Kleidungsstücke untersucht, hätte sie einen Fleck bemerkt, »als ob da Blut gewesen wäre,« man hätte ihn aber nachher viel gewaschen und
gerieben, wodurch das Zeug stockig geworden. – Bei den Kreuzfragen kam indeß nicht mehr heraus, als daß dies eine Vermuthung der Frau war; sie hatte das Zeug nur sehr durchwaschen und unvollkommen getrocknet gefunden, und gemeint: wenn man es in kochend Wasser bringe, würden wol die Blutflecke herauskommen! – Zum Dienstmädchen der Trödler hatte Manning am Abende, ehe die Sachen abgeholt wurden, gesagt: wenn Jemand nach ihm frage, solle sie antworten, sie habe ihn seit 14 Tagen nicht
gesehen.
Eine Dame, die auf Miniver-Place dem Manningschen Hause gegenüber wohnte, hatte Montag (13.) Mistris Manning in ein Cabriolet steigen und mit mehren Schachteln fortfahren sehen. Dies geschah um 3 Uhr Nachmittags. Um 5½ kam der Mann und klopfte an Thür und Fenster, ohne daß Jemand antwortete. Er fragte die Zeugin, ob sie seine Frau gesehen. Als sie ihm jene Auskunft gegeben, dankte er, fragte aber noch besonders: ob sie Gepäck mitgenommen? Nachdem er auch hierüber unterrichtet
worden, klopfte er ans Nebenhaus, um (durch den Garten) in seines zu klettern. – Die Cabrioletführer und der Portier an der Eisenbahn bekundeten alle erwähnten Umstände über die Abfahrt der Manning und ihres Mannes zu den verschiedenen Eisenbahnen.
Maria Manning hatte in Edinburg wahrscheinlich durch das zum Verkaufausbieten von Eisenbahnactien oder Quittungsbogen Verdacht erregt. Der Polizeisuperintendant Moxhay, der als Zeuge in London erschien, hatte sie in ihrer
Wohnung in Edinburg aufgesucht. Maria gab sich für die Witwe eines Herrn Smith aus, sie sei ihrer Gesundheit wegen von Newcastle hergekommen und habe in Portobello die Seebäder genommen. »Haben Sie nicht Eisenbahnactien?« fragte der Beamte. Sie leugnete. Er sah sie mit einem scharfen Polizeiblick an: »Meine Vermuthung ist, daß Sie die Frau von Frederick George Manning sind?« Auf seinen Wink trat ein Master Dobson ein, und sagte: »Ja, das ist die Dame, welche mir Quittungsbogen zum Kauf
anbot.« Der Polizeimann fragte: Ob sie Einwendungen dagegen zu machen habe, daß er ihr Gepäck besichtige. »Gar keine«, antwortete sie und gab den Schlüssel her. Im ersten Koffer schon fand man ein altes Wirthshausrechnungsschema, überschrieben: »F. G. Manning, Taunton.« – Mein Argwohn ist bestätigt, rief Moxhay und befahl alle Effecten in Verschluß zu nehmen, indem er ihr seine amtliche Befugniß dazu erklärte. Noch einmal leugnete sie auf seine Frage, daß sie Actien, Quittungsbogen und
Inscriptionen besitze, und erklärte doch, nichts dagegen zu haben, daß man ihr Gepäck durchsuche. In einem ihrer Koffer nun fanden sich die angeführten Geldsummen, Bankbillets und eine Menge von Eisenbahnactien und Inscription der verschiedensten Art, die hier aufzuführen überflüssig ist.
Sie ward auf die Polizei geführt. Befragt nach ihrem Manne, sagte sie: »Auf Ehre, ich weiß es nicht. Ich verließ London in aller Eile, als er am Montag Nachmittag ausgegangen war.« Auf eine
Anspielung auf OConnor rief sie aus: »OConnor ermorden! Nein, gewiß nicht. Er war der beste Freund, den ich je auf der Welt besaß. Er handelte als Vater an mir. Ich sah ihn zuletzt in der Nacht zum Mittwoch. Er kam etwas angetrunken und ging spät fort. Wir erwarteten ihn Donnerstag zu Mittag, aber er kam nicht. Wir waren etwas erschreckt darüber und ich ging in sein Haus, um nach ihm zu fragen.« In Bezug auf ihren Mann klagte sie, daß er sie schlecht behandle. Er habe sie
maltraitirt und einst sogar mit einem Messer verfolgt, drohend, er wolle ihr den Hals abschneiden. Der Hauptgrund ihrer Uneinigkeit sei, daß sie ihm ihr Geld nicht herausgeben wolle. Einen Theil der Eisenbahnactien, die man bei ihr gefunden, sei für sie von OConnor gekauft worden.
Der Polizeisergeant Langley war Manning nach Jersey gefolgt. Er landete am 25. und erreichte Prospecthouse, wo Manning sich aufhielt, am 27. Als er, im Gefolge mehrer Andern ihn in seinem Zimmer
überraschte, rief Manning aus: »Hallo, seid Ihr Alle da?« Nachdem Langley ihn zum Gefangenen erklärt, sagte er: »Seid Ihrs, Sergeant? Ich bin froh, daß Ihr kommt. Ich wollte eben nach London und Alles aufklären.« – Später fragte er: »Ist die Elende ergriffen?« Der Sergeant antwortete, er wisse es nicht. Manning sagte: »Ihr würdet ein hübsch Stück Geld bei ihr finden; 1400 Pfund oder 1300 wenigstens.« Der Polizeimann wiederholte, daß er von der ganzen Angelegenheit nichts wisse und daß
Manning sich als Gefangenen betrachten müsse, in Betracht der schauderhaften Geschichte, welche in seinem Hause sich ereignet. »Gut, gut«, rief er, »ich kann Alles aufklären, aber Ihr werdet mir doch nicht Handschellen anlegen.« Als man ihn die Treppe hinunterführte, sagte er noch: »Sie schoß ihn. Das Tischtuch war aufgelegt, und sie fragte ihn, ob er nicht hinuntergehen wolle und sich die Hände waschen? Unten an der Treppe faßte sie ihn an der Schulter, und mit der andern Hand schoß sie ihm
hinten in den Kopf.« Ein Capitain Chevalier fragte, was dann mit dem Körper geworden? »Sie hat eine Grube für ihn gegraben«, war die Antwort. – Manning drang darauf, bald nach London abgeführt zu werden. Unterwegs verhielt er sich ruhig und fragte nur: ob, wenn sein Weib bekenne, er in Freiheit gesetzt würde? Der Polizeimann bat, ihn mit solchen Fragen zu verschonen. »Ich bin ganz gewiß«, sagte er, »sie wird bekennen, wenn sie mich sieht, besonders wenn ein Geistlicher zugegen ist.«
Der Superintendant der Sicherheitspolizei, J. Haynes, hatte in den Schachteln, welche die Manning auf der Eisenbahnstation, als Passagiergut nach Paris, zurückgelassen, Kleidungsstücke gefunden, die mit Blut befleckt gewesen zu sein schienen; das Blut war aber ausgewaschen. Derselbe holte den von Jersey eingebrachten Manning aus Southampton ab. Manning erkundigte sich bei ihm nach seiner Frau, und ob er sie zu sehen bekommen werde? Haynes ließ es ungewiß, sagte ihm aber: »Das
ist eine sehr ernsthafte Sache, Manning, Sie brauchen aber nichts zu sagen, was Sie selbst anschuldigt.« »Das weiß ich wohl«, entgegnete er, »ich war recht thöricht fortzulaufen, ich hätte da bleiben müssen und Alles aufklären. Auch zu Haynes wiederholte er, daß er überzeugt sei, seine Frau werde Alles eingestehen, wenn nur ein Geistlicher dabei sei, denn sie sei es, die OConnor erschossen. Er erzählte die Sache, wie er sie Langley berichtet. Sie sei ein sehr heftiges Weib, und einen
Menschen todtschlagen kümmere sie so wenig als eine Katze todtschlagen; er sei oft für sein eigen Leben besorgt gewesen, und eines Tages hätte sie ihn mit einem scharfen Messer verfolgt. Sie sei schon darum entschlossen gewesen, sich an OConnor zu rächen, weil der sie verführt, das Haus in Miniver-Place zu miethen; 30 Pfund hätte es sie gekostet, es zu möbliren, und OConnor habe ihnen versprochen, bei ihnen zu wohnen. Er, der Mann, wäre damals außer der Stadt gewesen, und als er
zurückgekehrt, habe ihm seine Frau gesagt, OConnor wäre nur eine Nacht da geblieben und hätte nicht länger bleiben wollen. – Der Polizeibeamte fragte ihn: außer dem Schuß seien doch noch andere Wunden am Kopf gefunden worden? Manning schwieg darauf! –
Etwas nach 6 Uhr ward die erste Gerichtssitzung geschlossen. Als man beide Gefangene abführte, bemerkte man nicht, daß Einer einen Blick auf den Andern warf.
Die Sitzung der Jury am 26. October war wo möglich
zahlreicher besucht als die vorangängige. Man sah unter den Lords und Gesandten auch einen Bischof und den Sohn König Wilhelms IV., den bekannten Lord Adolphus Fitzclarence, zumal aber viel Damen in glänzender Toilette. Auch die der Angeklagten wird uns geschildert. Sie hatte ihren Anzug gewechselt und schien diesmal noch sorgsamer gekleidet als das erste Mal. Mann und Frau begrüßten sich nicht beim Eintreten, sondern stellten sich so weit als möglich von einander entfernt in die Schranken.
Die ersten heut vernommenen Zeugen waren Chemiker. Sie bekundete, daß die Flecken an den Kleidungsstücken, welche die Polizei in den von der Manning auf der Eisenbahn zurückgelassenen Kisten gefunden, zum Theil von Blut herrührten.
Demnächst wurden einige Staatspapier-Händler vernommen, mit denen OConnor in Verkehr gestanden. Sie gaben Rechenschaft von dessen Ankäufen in industriellen und andern Papieren. Namentlich hatte er viele französische Eisenbahnactien entnommen,
und die im Koffer der Manning aufgefundenen gehörten sämmtlich zu diesen von OConnor gekauften. Nur waren ihrer weniger geworden. Der Wechsler Stevens gab aber noch über ein Factum Auskunft, was bis jetzt nicht zur Sprache gekommen war.
Er erinnerte sich nämlich, daß Mistreß Manning zu Anfang August, am 2. oder 3., auch bei ihm gewesen, und sich als zu ihm von OConnor gewiesen, präsentirt habe. Sie erklärte, sie wünsche 200 bis 300 Pfund anzulegen, und möchte nun gern
wissen, welche Papiere oder Actien sie in London kaufen solle, und die sie im Auslande wieder verkaufen könne. Der Wechsler fragte sie, wohin sie denn ginge, um ihr den besten Rath geben zu können. Nach einigem Zaudern sagte sie: nach Paris. Stevens rieth ihr nun zu französischen Renten und zeigte ihr einen auswärtigen Courszettel, um sich selbst zu orientiren. Darauf wünschte sie zu wissen, welche Actien sie kaufen müsse, wenn sie nicht wollte, daß sie der Controle ihres Mannes unterworfen
wären. Stevens entgegnete: wenn sie Boulogne- und Amiens- oder Sambre- und Maas-Actien nehme, so könne sie dieselben kaufen, ohne daß ihr Mann etwas davon erführe. Sie ging darauf fort, und Stevens sah sie nicht wieder.
(Wahrscheinlich war auch dies schon ein Theil der Vorbereitung zum Mordanschlage; die Manning unterrichtete sich nicht allein über den Werth der Papiere, welche sie rauben wollte, und über die Art, wie und wo man dieselben losschlagen könne, sondern sie wollte sich im
voraus als eine Person zeigen, die wohl befähigt wäre, Actien zu verkaufen, ohne daß nachher um deshalb ein Verdacht auf sie geworfen werden könnte. Eine andere Deutung ist wenigstens nach der Actenlage schwer zu finden, da über ihre eigenen, frühern Vermögensumstände nichts ermittelt, und das Verhältniß, in welchem sie zu ihrem Manne gestanden, auch durch die nachfolgenden Ermittelungen nicht vollständig aufgehellt ist.)
Damit schließt die Zeugenaufnahme; die Aussagen der Wechsler
und verschiedenen Beamten der Bank, bei denen Manning für die verkauften Actien Noten und Geld gewechselt, sind nur insofern erheblich, als sie die Identität der Person mit dem Angeklagten herausstellen.
Die Vertheidiger hatten eine schwierige Aufgabe. Ueber die Thatsache des Verbrechens konnte kaum ein Zweifel obwalten, auch nicht über die Thäter als ein Complex, wohl aber über den Antheil eines jeden derselben. Es ward ein Prozeß zwischen Mann und Frau, die sich gegenseitig
anschuldigten, ohne es doch deutlich aussprechen zu dürfen, und dieser Krieg zwischen den Eheleuten ist es eigentlich, was diesem Criminalfall ein so besonderes juridisches und moralisches Interesse lieh.
Wir lassen ihre Advocaten selbst sprechen.
Der Sergeant Wilkins erschien für Manning. Er erklärte seine Stellung für eine so eigenthümliche, als sie vielleicht in der ganzen Geschichte der Criminalverhandlungen nicht vorgekommen. Die Schwierigkeiten, die sich ihm
darböten, seien ungeheuer. Schon die Anschuldigung und öffentliche Anklage gegen Jemand fördere in 9 unter 10 Fällen das Vorurtheil gegen ihn, daß er schuldig sei. Er müsse eine Vertheidigungslinie innehalten, die auf den ersten Blick schon verzweifelt erscheine, demnächst stehe aber hinter ihm eine andere Vertheidigungsschaar, deren Pflicht es sei, alle Schüsse und Stiche zu neutralisiren, so weit es geht, und, wenn möglich, den Mann zu verderben, den er, um Alles, retten möchte. »Ich zürne
um deswillen dem Anführer der Schaar hinter mir nicht, noch will ich mit ihm hadern. Welche gewaltige Streiche er auch für seine Clientin führen möge, und wie peinlich auch meine Lage dabei wird, ich muß ihm die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß er nur seine Pflicht thut.« Damit sei aber seine Schwierigkeit noch nicht zu Ende. Es sei unerhört, daß der Ankläger selbst die Geschwornen gegen die Eindrücke warnen müssen, welche sie durch die Zeitungsnachrichten über das Sachverhältniß erhalten,
eine Warnung gegen Diejenigen, »welche sich selbst vor der Welt als die Vertheidiger unserer Freiheiten hinstellen, die aber, in solchen Fällen, Alles, was sie können, thun, Euern Sinn mit Vorurtheilen zu füllen, Euch irre zu führen und dem Publicum Umstände zu erzählen, die für Euch nimmermehr ein Gewicht haben dürften, und die doch, ob Ihr nun wollt oder nicht, auf Eure Gemüther von Einfluß sind.« Der Vertheidiger belobte demnach die Haltung des öffentlichen Anklägers als eine sehr würdige.
Nicht allein in der Politik, auch in der Criminalistik, häufe die schlechte Presse allerhand Vorurtheile auf eine Sache, bevor sie gehörig untersucht worden, wodurch die eigentliche Gerichtsverhandlung, wenn die Geschworenen darauf hörten, zu einer leeren Förmlichkeit werde. Er beschwor die Jury, die dicta dieser Presse zu verachten und sie ganz aus dem Sinne zu schlagen. Er wisse wohl, er fordere, daß sie sich selbst entmenschten, denn kein Mensch könne sich ganz den Eindrücken
verschließen, welche die Presse, namentlich die Zeitungen, auf ihn hervorbrächten, aber er flehe sie an zur größtmöglichen Aufmerksamkeit und Vorsicht. – Er bitte sie nur, daß sie ruhig und leidenschaftlos jedes einzelne Factum für sich betrachten und ihm die ernsteste Aufmerksamkeit widmen möchten.
Die Vertheidigung sei dieselbe, welche sein Client vom Augenblick seiner Verhaftnahme an geführt. OConnor ist ermordet worden. Hiergegen lasse sich kein Beweis führen. – Der
unglückliche OConnor, der allein um deswillen unsere Theilnahme errege, weil er so rasch und schrecklich in die Ewigkeit gestoßen worden, ist von – Jemandem ermordet worden. Die nächsten Fragen sind: Wann? Von wem? Wie? und Wo? ist er ermordet.
Wann? Die Anklage behauptet am Donnerstag, den 9. Es ist nicht bewiesen, aber wahrscheinlich.
Wo? Dies ist nicht ganz klar. Die Anklage behauptet, im Hause der beiden Angeschuldigten.
Wie? Dies ist über allen Zweifel durch die ärztlichen Atteste erwiesen.
Wer ist der Mörder? Die wichtigste aller Fragen. Von beiden Angeschuldigten, heißt es. Wo aber ist der Beweis ihrer Uebereinstimmung? Was ihn, Manning, anlange, so sei kein einziges Factum da, die Hypothese zu rechtfertigen, daß Manning OConnors Ermordung im voraus beschlossen. Nichts könne darauf gedeutet werden, als der Ankauf des Kalkes und des Brecheisens. Er habe darüber eine eigene Hypothese
sich gebildet. Wie Frauen in der Tugend den Mann übertreffen können, so auch im Laster, wenn sie ein Mal sich ihm ergeben haben. Sie, die Manning, entwarf, formirte und consumirte in Gedanken die Mordthat; ihr Mann ward nur ihr Spielball, ihr Instrument. Was habe Manning denn gethan? – Kalk gekauft. Nicht unmöglich im Auftrage seiner Frau, die wirklich zu ihm gesagt: Kaufe, um die Schnecken im Garten zu vertilgen. Er machte aus diesem Ankauf kein Geheimniß; dies würde er gethan haben,
wenn er dabei eine sträfliche Absicht gehabt. Wenn er den Kalk zu geheimem Gebrauche bedurft, hätte er ihn ohne große Beschwerde selbst nach Hause tragen können, oder er hätte ihn in einem entfernten Stadtviertel gekauft. Statt dessen kaufte er ihn in nächster Nähe und schrieb selbst seine Adresse auf einen Zettel! Obgleich der Kalk zwei Tage nach der Bestellung nicht ankam, ward er doch nicht ungeduldig. Ist das ein Zeichen von einem Geheimniß? – Noch stärker trete dieses Moment beim
Ankauf des Brecheisens hervor. Da gäbe es in dunkeln Gassen zahllose Trödelbuden, wo gestohlene Eisenwaaren, besonders von der Marine, verkauft würden. Wer solcher Mordwerkzeuge bedürfe, werde dort in der Stille, vom Verkäufer nicht um seinen Namen befragt, kaufen, nicht aber in einen großen, offenen berühmten Eisenladen treten und sich ein Werkzeug, wie eine Brechstange, bestellen, auf seinen Namen, mit Hinterlassung einer schriftlichen Adresse, dasselbe beim hellen lichten Tage in sein Haus
bringen lassen. Ueber den Umstand mit der Papierumwickelung sprang der Vertheidiger leichter weg, er ließ hier eine zufällige Aufwallung gelten. Die Ehefrau müsse aber als die eigentliche Auftraggeberin erscheinen, sie wußte darum, als das Eisen ankam, sie empfing, bezahlte, und bezahlte über den bedungenen Preis, obgleich nicht ohne Remonstration, daß es zu theuer sei. Uebrigens sei es unwahrscheinlich, daß das Brecheisen überhaupt, um als Mordwerkzeug zu dienen, erkauft worden. Zum Morde hätte
die Pistole und der Feuerschürer genügt; letzterer und andere Werkzeuge, um die Steine in der Küche auszuheben.
Und dies seien die beiden einzigen(?) vorangängigen Indicien gegen den Ehemann!
Könne denn der Mord von beiden Eheleuten begangen sein? Alle Umstände vor und nach der That führten auf eine entgegengesetzte Annahme. Sie waren nie einig; sie waren immer uneinig. Beide entfernten sich nach verschiedenen Richtungen; man sah sie niemals mit einander sprechen, man
sah sie niemals mehr zusammen.
Könne der Mord von einer Person begangen sein? Darüber sei kein Zweifel. Denn, angenommen, OConnor sei durch einen Pistolenschuß umgekommen, so könne ein Kind die Pistole abgedrückt haben. Auch reichte die Kraft einer Person aus, die Leiche zu begraben.
Welche Motive könne Manning gehabt haben? Man habe angedeutet, daß er eifersüchtig gewesen. Er, der Vertheidiger, glaube, daß Manning nicht eifersüchtig sein könne. Er nahm die Pflichten eines
Ehemannes nur zu leicht. Er erlaubte seiner Frau, OConnor nächtlich zu besuchen, er empfing ihn in seinem Hause mit der größten Herzlichkeit und Freundschaft. Das geschah noch ganz zuletzt. War es Habsucht? – Betrachten wir die Thatsachen. Es scheint nicht, daß Manning auch nur einen Schilling von Dem, was OConnor gehört, für sich besessen hat. Indem er die Hundertpfundnote wechselte, erscheint er als der reine Spielball, die Puppe seines Weibes, wie er es sein ganzes Leben durch gewesen.
– Man habe gesagt, daß Manning sich mit Infamie bedeckt, indem er alle Schuld auf seine Frau warf. Wenn das Verhältniß aber wirklich so war, sollte er auch noch nach der gräßlichen That ihr gehorsamer und willenloser Diener bleiben!
Sie, Maria Manning, sei dagegen ein Weib, zu der man sich der That, und daß sie dieselbe allein vollbringen könne, vollkommen versehen dürfe; ein Weib, wie es glücklicherweise wenige gibt. Sie schrieb den Einladungsbrief an ihn; sie war beständig
in seiner Wohnung, sie wußte um seine Geheimnisse. Dann ihre heuchlerische Art, wie sie Die empfing, welche nach dem Verschwundenen fragten, ihre verfänglichen Redensarten, das scheinheilige Bedauern, daß OConnor ihr bester Freund gewesen. »Armer OConnor! riefen Sie (zur Angeklagten gewandt) und wußten, daß sein Leichnam in Ihrer Küche modere, daß Sie schon im Besitz seines Eigenthums waren. Sie wußten, daß seine Stimme nie wieder vernommen werde. Sie hatten ihn in die Ewigkeit gestoßen, und
konnten in dem Augenblick, wo Sie ihn bedauerten, ihn als eigensinnig, unbeständig, wankelmüthig verschreien!«
Sie ward im Besitz seiner Papiere, Gelder gefunden. Diese waren in seinem Geldkasten verschlossen; die Schlüssel dazu führte er stets in seiner Tasche. Wie konnte sie zum Besitz dieser Schlüssel kommen, ohne unbehindert in seine Tasche greifen zu dürfen! Warum ging sie (gleich nach der Mordthat) in OConnors Wohnung? Warum kam sie blaß, zitternd herunter? Wahrscheinlich fand
sie mehr, als sie fortragen konnte; und deshalb kam sie am andern Tage wieder. Eins ist aber evident: sie wußte, wo OConnor sein Vermögen aufbewahrte und sie ward später im Besitz desselben gefunden.
Er, Manning, ward, vermuthlich kurze Zeit nach Begehung der Mordthat, gemüthlich rauchend, auf der Mauer seines Gartens gesehen! Der Vertheidiger wollte nicht in Abrede stellen, daß er, nachdem die That geschehen, vielleicht aus Furcht, vielleicht aus Rücksicht für seine Frau, ihr bei
der Beerdigung der Leiche beigestanden, damit sei aber nichts gegen ihn bewiesen, daß er den Mord mit ihr verabredet, oder bei Verübung desselben ihr beigestanden. Jenes Rauchen auf der Gartenmauer sei vielleicht eine Schaustellung gewesen, um eine That zu verbergen, die auch ihm, wie unschuldig er immer sei, ans Leben gehen könne. Die Zeugin sah ihn in seinem gewöhnlichen Anzuge, ohne Unordnung, ohne Blutflecken.
Als Manning am Montage zu Bainbridges übergezogen war, ließ er um 5 Uhr
seine Frau zum Thee rufen. Sei irgend ein Motiv anzunehmen, daß er nicht geglaubt, daß sie noch in ihrem Hause sei? Als das Mädchen zurückkam, meldend, sie wäre nicht da, lief er selbst hin. Er klopfte und erhielt keine Antwort, er erkundigte sich und erfuhr, daß sie entflohen war. Ist da irgend ein vernünftiger Grund anzunehmen, daß er Komödie gespielt? Sie war ihm wirklich, und unerwartet, auf und davongegangen, und mit dem geraubten Gute, welches sie für sich geraubt.
Daß Manning
OConnors Tod zu verbergen gesucht, dafür ließe sich noch immer ein Grund finden in dem Rest von Theilnahme, welche er für seine Frau empfand. Wenn aber, was ihre Vertheidiger schon angedeutet, Mistreß Manning OConnor wirklich mehr geliebt als ihren Gatten, dann würde sie gewiß nicht seinen Tod verborgen haben. Hätte sie den Geliebten von der Hand Dessen fallen sehen, den sie verachtete, so würde sie ohne Zaudern den Mörder der Justiz angegeben haben; sie würde nicht heimlich ins Zimmer des
Ermordeten geschlichen sein, nicht ihn beraubt und sich auf den Weg nach Edinburg gemacht haben, um die Sachen, so gut es ging, loszuschlagen. Eifersucht sei leider nicht seinem Clienten vorzuwerfen, leider müsse er bekennen, daß dieser sich ganz gut befunden zu haben scheine, indem er dem Verhältniß OConnors und seiner Frau zugesehen.
Am Freitag Abend vor der Ermordung war die Manning bei OConnor in dessen Wohnung, wo eine Menge Actien und Inscriptionen auf den Tisch gelegt wurden,
und OConnor seiner Freundin Unterricht gab, was sie gälten, welchen Vorzug die einen vor den andern hätten. Die Vermuthung liegt nahe, daß sie diesen Unterricht impetrirt hatte, um zu erfahren, wie viel er besaß, und wie man diese Effecten am besten losschlage. – Bei alle dem sei ihr Mann unbetheiligt. – Weshalb sei sie am Donnerstag Abend (nach dem Morde!) bei ihrem Besuch in OConnors Wohnung eine Stunde dort geblieben, da sie doch, nach ihrer eigenen Angabe, nur kam, um sich nach
ihm zu erkundigen, ja später angab, sie hätte vermuthet, er werde sich inzwischen in ihrem Hause eingefunden haben.
Des Studenten Massay Aussagen erschienen dem Vertheidiger sehr unerheblich. Ja, er gebe zu, es könne ein Verdacht gegen seinen Clienten daraus entspringen, wenn alle die Fragen, die Manning an ihn gerichtet, hinter einander vorgebracht wären; es ergebe sich aber, daß sie gelegentlich während eines langen Zusammenseins von ihm gethan wurden, wo sie dann gar nichts
Auffälliges hätten. Ob nachdem sie das Wachsfigurencabinet mit den Bildnissen von Rush und andern Mördern gesehen, die Frage etwas Besonderes sei: ob Mörder wol in den Himmel kämen? Daß Manning den Studenten einst gefragt: wo denn der Sitz des Gehirnes wäre? sei allerdings eine besondere, aber eine sehr einfältige Frage. – Bei dieser Bemerkung verzogen sich die Züge der Angeklagten, welche bis da in melancholischem Ernst an der Barre gestanden, zu einem Lächeln.
Dem
Vertheidiger kam es sehr darauf an, das Zeugniß des Möbelhändlers Bainbridge und seiner Frau, nicht gerade zu verdächtigen, aber in der Art anzufechten, daß sie sich wahrscheinlich verhört hätten: Manning werde und könne nicht gesagt haben: Ich habe meine Frau aufs Land »spedirt« (started, ein vulgair kräftiger Ausdruck), sondern der Sinn seiner Rede müsse gewesen sein: »sie hat sich aufs Land gedrückt.« Wenn er ein Socius ihres Verbrechens gewesen, wäre es denkbar gewesen, daß er es zugelassen,
daß sie über alle Berge ging, das Beste, alle Beute, mitnahm und daß er noch gesagt haben sollte, er selbst habe sie aufs Land gesandt?
Am deutlichsten zeige das wahre Sachverhältniß die unwillkürliche Aeußerung, welche Manning bei seiner Verhaftung gegen einen Polizeibeamten ausstieß: »Ich war ein großer Narr, daß ich nicht blieb und Alles aufklärte.« Bei ungebildeten Leuten sei es gewöhnlich, daß sie, wenn sie sich in unangenehme Dinge verwickelt sehen, aus Angst Schritte thun, die
sie immer tiefer verwickeln und als Beweise ihrer Schuld gelten können.
Der Vertheidiger stellte eine Hypothese auf: Manning saß oben im Eßzimmer, als seine Frau hinunterging und OConnor durch den Kopf schoß. Von Entsetzen ergriffen, habe der Mann bei sich überlegt: hier hat mein Weib einen Mitmenschen umgebracht. Was habe ich zu thun? Gebe ich sie an, so bringe auch ich einen Nebenmenschen, und zwar mein eigen Weib, um. Die Welt aber würde mich doch anschuldigen, daß ich die That
begangen, oder, da sie im Hause, wo ich wohne, begangen ward, ich sie doch hätte verhindern können! Er war schwach, und gab die That nicht an. Möglich, daß er darauf bei der Verscharrung der Leiche geholfen. Seine Angst ließ ihn nun einen Misgriff nach dem andern begehen, bis er sich mit den Worten gegen die Polizeibeamten löste: »Ich bin ganz unschuldig. Ich bin ein großer Thor, daß ich fortging, ohne die Sache anzugeben.« Es scheint sogar, daß er mit der Absicht zu sprechen in London länger
verweilt, als er nöthig hatte. Ja, es scheint, daß er die Absicht gehabt zurückzukehren, denn er ließ bei einem Freunde einen neuen Hut, den er sehr leicht mit sich nehmen können.
Der Vertheidiger hob den schlagenden Gegensatz hervor zwischen den Verhaftungsformen der beiden Angeschuldigten. Sie, in Edinburg, spielt die vollkommene Weltdame, durch keine der auf einander folgenden Entdeckungen erschreckt, mit einem, wie es scheint, vollkommen vorbereiteten Vertheidigungssystem; er gibt
sich dem Augenblick hin und zeugt sofort gegen das Weib, die Diebin, bei der man ein hübsches Stück Geld finden werde, gewiß 1300 bis 1400 Pfund Sterling. Da man nun nur ungefähr 150 Pfund bei ihm gefunden, so ergebe sich auch daraus, daß er nichts vom Umfang der Beute seiner Frau gewußt, daß er der eigentlichen Verbrecherin fern gestanden. In den Taschen seines Jagdrockes hatte man etwas Pulver und Reste eines Papierpfropfens gefunden. Dieses Indicium gegen ihn scheint man später haben fallen
zu lassen; die Vertheidigung bemächtigte sich jetzt desselben. Wenn Manning der Mörder gewesen, würde er nicht vor allem dafür gesorgt haben, daß die Spuren wenigstens, welche sich in seinen Kleidern vorfinden könnten, vertilgt würden! Daß er sie nicht vertilgt, spricht für sein gutes Gewissen.
Wie Maria Manning zu ihrem Manne gestanden, gehe klar aus des Banquier Stevens Aussage hervor. Sie wollte ihren Mann betrügen, wie jeden Andern. Könne da ein Zweifel obwalten, daß im
Augenblick, wo sie sich nach den Sambre- und Maas- und den Amiens- und Boulogne-Actien, die OConnor gehörten, erkundigte, sie schon die Absicht gehabt, England zu verlassen, und ihrem Manne davonzulaufen? Ihr Mann sei in Allem und Jedem von ihr als Instrument gebraucht worden. So habe er nach dem Verkaufe der gestohlenen Eisenbahnactien die Cession der dafür empfangenen Banknote zwar mit seinem Namen unterschrieben (was er auf Weisung seiner Frau gethan, ohne zu ahnen, wie gefährlich es für ihn
sei), wahrscheinlich aber die Banknote nicht persönlich bei der Einwechselung präsentirt (so ließen sich wenigstens einige Aussagen der Bankcommis interpretiren) und die Früchte des Actes habe allein seine Frau gezogen, bei der das eingewechselte Geld, und sogar noch in Natura, in Edinburg vorgefunden ward.
Der Vertheidiger schloß seine schwierige Aufgabe mit der Bemerkung, daß er wohl fühle, wie er gegen eine Masse von Vorurtheilen zu kämpfen gehabt, von denen hervorgerufen, welche
die Sache besser verstehen sollten, und daß er die dem Gefühl widerstrebende, ja herzzerreißende Position, in der er sich befinde, vollkommen würdige und empfinde, indem er, einen Ehemann zu vertheidigen, sein Eheweib anschuldigen und sich bemühen müsse, sie in ihrer vollen Schuld darzustellen. Aus einem Vertheidiger sei er ein Ankläger geworden. Aber es sei eine unabweisliche Pflicht, und er vertraue den Geschworenen, daß sie in diesem ernsten Falle nicht den gewöhnlichen Impulsen von »gut«,
»göttlich«, »sittlich« folgen würden, Impulse, von denen sie mit Recht in ihrem Privatleben sich leiten ließen, sondern daß sie mit ihrem Verstande die Sache auffassen, sich zergliedern und ein Verdict, nicht ihrer moralischen Stimmung, sondern der Vernunft, abgeben würden.
Wir geben nur ein kurzes Resumé der sehr langen Vertheidigung, und auch dies nimmt einen größern Raum ein, als wir ihn in den meisten Fällen der Defension gewähren konnten. In dem vorliegenden ist aber gerade die
Frage, welche der Vertheidiger behandelt, bei der sonstigen Klarheit des Hauptfactums, nämlich die über die relative Thäterschaft, die Hauptsache, und da weder Anklage, noch das Verdict, noch auch die Zeugenaussagen selbst darüber ein klares Licht verbreiten, mußten und müssen wir zu den Deductionen der Advocaten deshalb unsere Zuflucht nehmen.
Nach einer Erholungspause von 20 Minuten erhielt der Vertheidiger der weiblichen Angeklagten das Wort, indem auch er mit einem Compliment für
die würdige und gemäßigte Art begann, mit welcher der öffentliche Ankläger die Sache behandelt. Auch er wies darauf hin, wie die Presse diese Sache unförmlich vergrößert und entstellt, wie sie seiner Clientin Dinge angedichtet, von denen die Jury erstaunt sein werde, nun, da der Beweis aufgenommen, auch gar nichts zu finden. Uebrigens könnte sie sich darauf verlassen, daß auch gar nichts mehr ermittelt sei, als was gestern und heut ihr vorgelegt worden, denn Justiz und Polizei hätten mit der
allergrößten Aufmerksamkeit diese Sache bis in ihre Minutien verfolgt. Seine Clientin sei aber, schon vor den Gerichtsverhandlungen, von der andern Seite (des Ehemanns) so verleumdet worden, daß die Jury sich nicht wundern dürfe, wenn er für sie ein besonderes Gericht gefordert.
Diese Verleumdung sei von seinem gelehrten Freunde, dem Vertheidiger des Ehemanns, auch jetzt vor Gericht in einer Art ausgebeutet, die er – wenigstens grausam nennen müsse. Schon die persönliche
Gegenwart der Unglücklichen hätte seinen gelehrten Freund vom Gebrauch solcher Ausdrücke abhalten müssen.(!) Er wolle aber dem Beispiel seines gelehrten Freundes nicht folgen, und nicht die Anschuldigung auf dessen Clienten zurückschleudern; ja, wenn Das nöthig würde, nämlich so zu handeln, wie Wilkins gethan, wolle er lieber seinem Berufe entsagen.
Der Jury sei in der Anklageacte gesagt worden: daß sie seine Clientin entweder als Hauptthäterin befinden müßte oder als zutretend vor
der That.
Letzteres sei schwer denkbar. Beim ehelichen Verhältniß zwischen Beiden wäre es schwer zu bestimmen, wo der Eine gehandelt und der Andere geholfen. Wenn die Jury nicht etwa die positive Ueberzeugung gewonnen, daß die Frau beim Morde zugegen gewesen, so würde sie es auch unmöglich finden, daß sie vor der That zugetreten und hülfreich gewesen. Er glaube aber beweisen zu können: daß zur Zeit, als der Mord begangen ward, die Frau nicht zugegen war. Falle diese Annahme fort, dann
sinke die andere von selbst zusammen.
Zuvörderst möge man bedenken, daß nichts zu der Vermuthung berechtige, daß Mistreß Manning ein Weib sei, die ihr Geschlecht vergessen kann, und daß sie von Natur prädisponirt sei, einen kaltblütigen, gräßlichen Mord zu begehen.
Das Verhältniß zwischen den Eheleuten war nicht der Art, in ihr die tugendhaften Neigungen, die sie besitzen mochte, zu stärken. Manning hatte sein Weib schlecht behandelt. Wenn sie nun Trost in ihrem
Verhältniß zu OConnor gesucht, sei es da denkbar, daß sie diesen umbringen wollen! OConnor war über die mittlern Lebensjahre hinaus. In diesem Alter werden die Männer schwach gegen Frauen, sie geben denen, welchen sich ihre Neigung zugewandt, gern Alles hin. Die Manning konnte ohne Pistole und Brecheisen in schwachen Stunden, die sie zu benutzen gewußt, den Weg zu OConnors Geldkasten finden. Welche Motive konnte sie daher zur That haben?
Entweder war sie ein ausgelassenes Weib von
schlechtem Charakter, ohne alle Scham, nun dann konnte sie durch gemeine Liebkosungen und Schliche Alles erlangen, was sie wünschte; – oder sie war von edlerer, zarterer Gemüthsart, dann konnte sie nicht zur gemeinen Verbrecherin werden.
OConnor ward am 9. August auf der London-Brücke gesehen, um 5 Uhr, – in der Westonstreet 10 Minuten später, und wieder auf der London-Brücke um ¼ nach 5. Er schien also unschlüssig, ob er zu Mannings gehen solle oder nicht. Aber er nehme
an, sagte der Vertheidiger, daß seine Unschlüssigkeit damit geendet, daß er wieder umkehrte und nach Miniver-Place ging, wo er jetzt allerdings später ankommen mußte, als er erwartet ward. Man aß bei Mannings gewöhnlich um 5 Uhr. Er mußte weit später als um 5 Uhr eingetroffen sein.
Dies stimme nun ganz mit Mistreß Mannings Angabe. Als er nicht zur bestimmten Zeit kam, ging sie nach seiner Wohnung, um ihn zu suchen. Dort kam sie, nach der Aussage einer Zeugin, welche der Manning
eben nicht gewogen schien, um 5¾ an (um ¼ vor 6) und blieb bis ¼ nach 7. Die Entfernung zwischen Miniver-Place und Greenwoodstreet beträgt 3 englische Meilen, seine Clientin brauchte also an ¾ Stunden, um den Weg zurückzulegen. Demnach mußte sie um 5¼ von Hause fortgegangen sein. Wenn dann der Mord begangen wäre zwischen 5½ und 7¾, so sei es ganz unmöglich, daß die Manning daran Theil genommen, denn während dieser Zeit war sie vom Hause fort.
Ward denn nun der Mord in dieser
Zwischenzeit verübt? Für die Anklage ist nach dem erhobenen Zeugenbeweise keine andere Annahme möglich, als daß der Mord consumirt sein mußte, bevor Manning auf der Gartenmauer mit seiner Pfeife im Munde gesehen ward, und das war um ¼ nach 7 Uhr.
Als Mistreß Manning nach Hause kehrte, was frühestens um 7¾ sein konnte, mußte der Mord schon begangen sein.
Die Anklage der Krone will die Manning als zutretend und hülfteich vor der That darstellen. Sie nehme an, daß eine That
wie diese eher von einem Manne, als von einer Frau begangen werde. Der Vertheidiger des Mannes stelle die Ansicht auf, daß die Mordthat wahrscheinlich nur von einer Person verübt worden. Darin sei er, der Vertheidiger der Frau, mit seinem gelehrten Freunde ganz einer Ansicht. Die Jury möge nun aber auch ihre Ansicht fassen, ob es wahrscheinlich, daß eine solche Mordthat von einem Manne oder einer Frau begangen werde?
Die Anklage führt drei Momente auf, woraus das Zutreten seiner
Clientin und ihre Hülfe vor der That erhellen solle, den Ankauf des Kalkes, des Brecheisens und der Schaufel. Er suchte sie als drei ganz harmlose Handlungen ihrerseits darzustellen, die weniger von der Krone als von dem Mitangeklagten Ehemann seiner Clientin zur Last gelegt würden. »Es war ein Expostgedanke, die Schöpfung eines schwachen Geistes, welcher dem Einfluß der Feigheit und Furcht nachgab. Ein Poltron, der er ist, opfert er hin, was es sei, um nur sein Leben zu retten.« – Er, der
Vertheidiger, könne sich gar nicht vorstellen, wie ein Ehemann, wäre seine Frau auch noch so schuldig, und das Verbrechen noch so gräßlich, sich dahin überwinden könne, alle Schande auf sie zu werfen, und in der Art, wie es hier geschehen.
Er ging dann auf die Blutflecken in den Kleidungsstücken seiner Clientin über, und wollte gar kein Gewicht darauf gelegt haben. Theils könnten die Chemiker sich geirrt haben, es möchten Eisenflecke sein, theils kämen Blutspuren auf weibliche und
andere Kleidungsstücke auch aus andern Ursachen, deren fänden sich auch auf Effecten der Manning, welche sie in ihren früheren Dienstverhältnissen geschenkt erhalten, und die mit dem Morde in keine Berührung gekommen sein könnten, und endlich hätte ein solches Blutbad ganz andere, furchtbarere Blutspuren zurücklassen müssen, als die kleinen Flecke, welche man an den Halskragen und sonst hier und da wo an den Kleidern bemerkt haben will.
Was die verfänglichen Gespräche mit dem
Studenten Massay betrifft, so seien sie nicht in seiner Clientin Gegenwart geführt worden; aus ihnen könne also gar kein Verdacht gegen dieselbe entspringen. Hätte Herr Massay bei Zeiten ihrer Erwähnung gethan (vor der Frau?), so würden sie alle jetzt vielleicht nicht als Mitspieler in dieser traurigen Tragödie sitzen, und der arme Patrik OConnor lebe wahrscheinlich noch!
Nach Annahme der Klage mußte am Abend des 8. August Alles zum Morde vorbereitet sein, die Pistole war geladen,
um OConnor zu erschießen, die Brechstange gekauft, ihm den Hirnschädel zu zerschlagen und die Steine zu seinem Grabe aufzuwälzen, die Schaufel, um das Grab zu graben, der Kalk, um seine Gebeine zu verbrennen. Und als am Abend dieses 8. August, am Mittwoch, OConnor mit seinem Freunde Welsh zufällig bei Mannings eintrat, verrieth die Frau auch nicht das Geringste in ihrem Benehmen, was auf solche Mordabsicht deuten konnte, oder auch nur irgend etwas Unsicheres. Dies mochte sein. Aber, mit der
fertigen Mordabsicht im Kopfe, wie konnte sie laut, vor Zeugen, klagen, daß OConnor ihrer Einladung zum Mittagessen nicht gefolgt wäre! Sie lud dadurch gegen sich einen Zeugen für den morgenden Tag, wenn an diesem OConnor verschwände. Mußte es ihr nicht im Gegentheil darum zu thun sein, daß von ihrer dringenden Intention, ihn zum Mittagessen bei sich zu sehen, so wenig als möglich verlautbare? – Und am selben Abend konnte sie ihm die Schläfe waschen, als ihm vom Rauchen übel geworden.
Konnte sie das mit der Absicht im Herzen, am andern Tage ihn umzubringen? »In solchem Moment würde auch das Herz des verworfensten Weibes sich geregt haben, sie würde zurückgeschaudert haben, sich in der Art einem Manne zu nähern, mit dem sie auf dem vertrautesten Fuße gelebt«(?)
Hätte die Manning, die augenscheinlich so viel von dem lebenden OConnor zog, nicht weit mehr Vortheil gehabt, wenn sie ihn fortwährend gerupft, als bei dem unsichern, gefährlichen Wagestück, ihn
todtzuschlagen? Er gebe zu, sagte der Vertheidiger, daß Maria Manning wirklich von dem Morde erfahren, wann, lasse er dahingestellt. Vielleicht am Donnerstag, vielleicht noch später; mit Wahrscheinlichkeit aber vor ihrer Abreise von London. Dann aber sei ihr ganzes Benehmen sehr erklärlich.
Angenommen, sie hörte von ihrem Manne, daß OConnor ermordet worden. Der Eindruck auf sie mußte, bei ihrem Schuldbewußtsein, beim Bewußtsein ihres sträflichen Umganges mit dem Ermordeten, ein
furchtbarer sein. Ihr erster Gedanke konnte nur sein: er ist aus Eifersucht umgebracht! Konnte ein Weib, durchdrungen von ihrer sündlichen und sträflichen Handlung gegen ihren Ehemann, die That bekannt machen, wo sofort der Verdacht der Thäterschaft auf ihren Mann fallen mußte? – So erschien sie am nächstfolgenden Tage in OConnors Wohnung. Da mag man eine Todtenblässe, ein Zittern ihrer Hand wahrgenommen haben. Wie sollte es auch anders sein!
Man hatte Papiere und Actien, die
OConnor gehört, in ihrem Besitz gefunden. Nun, OConnor hatte ja für sie Actien der Sambre- und Maaseisenbahn gekauft. Sie hielt sich für berechtigt dieselben mitzunehmen. »Und indem sie das that, nahm sie auch Anderes mit, wozu sie sich vielleicht für berechtigt hielt.«(!) Jedenfalls hätte sie Geld anlegen wollen ohne Wissen ihres Mannes, und aus den bekundeten Gesprächen zwischen ihr und OConnor gehe hervor, daß sie es durch OConnor in Eisenbahnactien anlegen wollte. »Denkt Euch nun die
unschuldigste und tugendhafteste Frau von der Welt und die allersittenloseste und verworfenste in dieser Lage. Was sie thun würden, wenn sie entdeckt, daß ihr Ehemann ihren Freund ermordet, würde doch sehr abhängen von dem Temperament einer jeden. Hier entschloß sich die Frau von ihrem Manne fortzugehen, und indem sie es that, nahm sie einen ansehnlichen Betrag von Geld und Geldeswerth mit sich.« Er hoffe nun, daß Jeder sich erinnern werde, wie es ihm nie in Sinn gekommen, seine Clientin der
Jury als ein Weib von reinen Sitten, oder von hohen moralischen Gefühlen gelenkt, darzustellen. Ja, er gebe zu, daß sie, auf die Nachricht von OConnors Tode, in dessen Wohnung geeilt, und nicht allein ihr eigenes Eigenthum, sondern auch anderes mitnahm, »von dem sie nicht deutlich wußte, ob es ihr, oder ob es ihr nicht gehörte.« Seiner Ansicht nach, habe der Ehemann auch einen Theil des so Genommenen an sich genommen, und, wie er angab, seine Frau aufs Land spedirt. Gewiß scheine, daß sie beide
in Uebereinstimmung sich getrennt, worauf sie den Namen Smith annahm. Sein Resumé war, bei der That kann sie nicht gewesen sein, also sie ist nicht Thäterin, weil sie während der Zeit, wo der Mord vollbracht sein muß, außer dem Hause war, und ebenso wenig könne sie nach dem von ihm Angeführten als zutretend und hülfreich vor der That gedacht werden. Er rechne von der Jury auf eine unparteiische Würdigung des Sachverhältnisses, damit sie nicht klagen könne, daß sie, als Fremde, ungerecht von
englischen Geschworenen behandelt worden.
Der Vertheidiger hatte gewiß Alles vorgebracht, was zur Vertheidigung gesagt werden konnte, ohne daß wir glauben, daß unsere Leser, wie die Jury, dadurch von ihrer vorgefaßten Meinung abgebracht werden. Es gehört aber zu diesem merkwürdigen Prozeß, auch diese Ausführung des andern Vertheidigers, da beide als Ankläger gegen einander auftraten, in ihren Hauptzügen wiederzugeben. Das Hauptmoment der Vertheidigung ist die Zeitbestimmung, in
welcher der Mord verübt sein muß. Wenn die Zeugen die Minuten richtig angaben, wo man OConnor zum letzten Mal sah, und die Minute, wo Marie Manning in seinem entfernten Quartier wieder gesehen ward, so schien es allerdings unglaublich, daß von ihr in dem Zwischenmoment die entsetzliche That verübt worden, und daß sie Zeit gewonnen, das Blut von ihren Kleidern, oder diese selbst abzuthun, um, wie sie erschien, in der Greenwoodstreet zu erscheinen. Aber es gehen nicht allein die Uhren verschieden,
sondern auch die Zeitauffassung seitens der Zeugen ist, wie wir hundertfach erfahren, in Criminalfällen eine der bedenklichsten Sachen.
Der Attorney-General hielt darauf seine Gegenrede, obwol der Rath der Verklagten dagegen protestirte, weil dies dem Herkommen entgegen sei, wenn die Angeklagten keine Zeugen für sich aufgerufen. Der Lord-Oberrichter erklärte aber den Staatsanwalt in seinem Recht. Die Anwalte der Verklagten wollten es ihm nun zur Gewissenssache machen, sich dieses
Rechts freiwillig zu begeben, in einem Falle, wo das Leben zweier seiner Mitmenschen auf dem Spiele stehe. Er aber glaubte auf dieses Recht bestehen zu müssen, weil es gelte, die Wagschale der Gerechtigkeit zwischen den verschiedenen Parteien, die in diesem Prozesse aufträten, ins Ebenmaß zu bringen.
Zuvörderst gab er dem Vertheidiger des Ehemanns in dem von demselben eingeschlagenen Verfahren gegen den Vertheidiger der Ehefrau Recht. Jener habe nur seine Pflicht als Advocat erfüllt,
und es scheine ihm männlicher gehandelt, geradezu dem andern ein Verbrechen zur Last zu legen, als es nur anzudeuten, und nicht den Muth zu haben, die Anklage auszusprechen.
Zugegeben sei von beiden Theilen, daß der Mord am 9. August, Abends, im Manningschen Hause, wo nur die Mannings wohnten, ohne Domestiken, begangen worden, entweder durch eine Pistole, oder durch ein Brecheisen, oder durch beide Instrumente. Beide Theile wären aber auch darin in Uebereinstimmung, daß der Mord
von einer Person allein begangen sein müsse. Das sei ihm aber sehr unwahrscheinlich. Weder könne und werde eine Person allein die Steine in der Küche ausgehoben, das Grab gegraben, es wieder bedeckt, und vor allem den Körper in der beschriebenen Lage hineingeworfen haben. Er könne sich keinen Grund denken, weshalb Manning allein den Mord verübt haben sollte, denn wenn seine Frau ihm nicht beistand, hatte er auch kein Motiv. Eifersucht war es nicht, es konnte nur Habsucht, das Verlangen nach
OConnors Vermögen sein. Nur seine Frau aber hatte Eintritt in OConnors Wohnung. Hätte er ihn gefordert, würde das sofort Verdacht erregt haben.
Der Staatsankläger hielt dafür, daß der Beweis nicht geführt, wann der Mord verübt worden. Ihm erscheine es sogar sehr möglich, daß erst, nachdem Maria Manning aus Greenwoodstreet zurückgekehrt, die That vollbracht wäre. OConnor ward nach 5 Uhr nahe am Miniver-Place gesehen. Nachher sah man ihn auf der Brücke, zaudernd und ungewiß, wie Jemand,
der einen Andern erwartet. Wahrscheinlich also, daß er, nachdem er die Frau nicht zu Haus gefunden, bald nach 5 Uhr Miniver-Place wieder verließ, aber später zurückkehrte, ob mit der Manning läßt sich nicht bestimmen. Aller Wahrscheinlichkeit nach ward erst da der Mord begangen.
Manning habe (außergerichtlich) ausgesagt, er sei im Hause gewesen, als es geschah, er nannte aber nicht die Stunde; er sagte nur, er sei zugegen gewesen und zeihte seine Frau der Mordthat. Gegen
7 Uhr rauchte Manning seine Pfeife auf der Gartenmauer und sprang dann hinunter. War es vielleicht, daß er erst jetzt OConnor ankommen sah, und in Begleitung seiner Frau?
Ballantine wandte ein, daß es schon 7½ gewesen, als er auf der Gartenmauer geraucht.
Der Attorney-General fuhr fort, es komme ihm nur darauf an, der Stunde so nahe als möglich zu kommen, um wahrscheinlich zu machen, daß der Mord nicht schon um 5 Uhr verübt worden. Am 8. seien Kalk, Brecheisen und Schaufel
bereits gekauft gewesen, aber beide Eheleute seien auch schon vor dem 8. wegen des Verkaufs ihrer Geräthschaften in Unterhandlung gewesen, die sie dann zwei Tage nachher wirklich verkauften. (In den Zeugenaussagen finden wir nichts darüber.) Warum kauften sie nun noch am intendirten Tage der Mordthat eine Schaufel, wo sie schon mit einem Trödler verhandelten, ihm für 13 oder 13 Pfund 10 Schilling ihr gesammtes Geräthe zu überlassen? Dies kann nur gewesen sein, um die Erde zum Grabe
damit wegzuschaufeln. – Daß Maria Manning am Abend des 8. so offen vor Zeugen von ihrer Mittagseinladung gesprochen, habe auch nichts auf sich, denn verrathen war dieser Umstand ja schon durch den abgegangenen Brief. Uebrigens lud sie OConnor nicht mündlich in Welshs Gegenwart zum andern Tage, Donnerstag, zu Tisch; sondern sie schrieb ihm Nachts nach 12 einen neuen Einladungsbrief.
Dafür ist kein Beweis, rief Ballantine.
Factum ist, entgegnete der Ankläger,
daß er zwischen Mitternacht vom 8. und 9. und andern Tages gegen 5 Uhr eine schriftliche Einladung zum Mittagessen erhalten hat, daß Maria Manning aber nicht ein Wort davon in Welshs Gegenwart sagte. Woher war sie so ängstlich, als OConnor nicht kam, in seine Wohnung zu laufen, um (nach ihrer Angabe) ihn zum Essen zu holen? Als sie zum zweiten Mal dahin ging, war es, um die Hinterlassenschaft auszubeuten.
Sie gesteht selbst, die Hintere Küche am (Mord-) Tage gereinigt zu haben, um
deswillen muß sie den Zustand derselben gesehen haben.
Was den Ehemann anlangt, so leugne er nicht beim Morde gegenwärtig gewesen zu sein, aber er versuche alle Schuld auf sein Weib zu werfen. Er wolle dabei gestanden haben, aber unschuldig! Ist es denkbar, daß ein Mann bei einer Mordthat, unter diesen Umständen verübt, unschuldig als Zuschauer dagestanden!
Am Tage nachher wird er gesehen, ein werthvolles Papier des Ermordeten umwechselnd. Er verschwindet dann, und bei
seiner Ergreifung ist das Erste, was er thut, die ganze Schuld auf seine Frau zu schieben. Es ist unmöglich, sich nicht zu denken, daß beide Angeschuldigte in das Verbrechen verwickelt sind. Beide handeln in Übereinstimmung beim Ankauf der Werkzeuge; Beide verstecken sich und Beide wurden betroffen im Besitz von Eigenthum, welches dem Ermordeten gehörte! – Er, schloß der Ankläger, rüge es nicht, daß jeder der beiden Vertheidiger, seiner Pflicht gemäß, Alles gethan, seinen Clienten zu
retten, und die Schuld von ihm ab auf den andern zu werfen versucht; seine Pflicht aber, als Ankläger, sei eben desgleichen, die Schuld auf Beide zu vertheilen.
Hierauf nahm der Lord Oberrichter das Wort und gab der Jury nochmals eine Uebersicht der ganzen Sachlage. Auch er bat die Geschworenen, Alles aus dem Sinn zu schlagen, was sie außer der Gerichtshalle über die That und die Personen gehört, und nur die Zeugenaussagen zu beachten. Die Sache fordere eine ungewöhnliche
Aufmerksamkeit, da das vorliegende Verbrechen in der englischen Criminalgeschichte vielleicht ohne Beispiel sei. Er setzte die verschiedenen Fragen, die er ihnen vorlegen müsse über den Antheil der Angeschuldigten an dem Verbrechen, mit Klarheit und in populairer anschaulicher Sprache auseinander, sich doch dabei jedes Urtheils, das den Geschworenen allein zusteht, enthaltend. Wir bedauern diese Rede unsern Lesern nicht mittheilen zu dürfen, aus Furcht von einer Wiederholung des so oft
Gesagten, aber sie war ein Musterstück, wie ein bewährter, kenntnißreicher und humaner englischer Richter einen schwierigen Fall abwägt, und auch da noch, wo jeder Urtheilsfähige die Verdammung auf den Lippen trägt, zu Gunsten des Angeklagten Alles und Jedes herauskehrt, was die Gesetze und Umstände für ihn anführen können. Doch können wir uns nicht enthalten, wenigstens den Schluß seiner Rede zu übersetzen, welche als Leitfaden auch für unsere Geschworenen von Wichtigkeit wäre.
»Was
die Zweifel anlangt, die Ihnen etwa aufstoßen, so meine ich, es ist Ihre Pflicht, ruhig und ernst den Fall zu erwägen, um dann zu sehen, zu welchem Eindruck und Beschluß Sie als Männer von Welt, als Männer von Gefühl und Verstand, als Männer einer festen Gerechtigkeit gelangen. Sind Sie zum Schluß gekommen, daß Sie die Gewißheit erlangt, welche das Gesetz erfordert, so werden Sie Ihr Verdict der Schuld gegen einen oder beide Angeklagte abgeben. Es ist aber nicht nothwendig, daß ein Verbrechen
dermaßen festgestellt werde, daß auch die Möglichkeit eines Zweifels ausgeschlossen bleibt. Es gibt Verbrechen, begangen in der Stille und Dunkelheit, denen man nur nachspüren kann und die nur ans Licht gebracht werden durch eine Vergleichung aller Umstände, die, einer zum andern sich fügend, endlich durch ihre Anzahl einen Eindruck auf das Gemüth hervorbringen. Zweifel gibt es bei jeder menschlichen Handlung. Wir sind häufig getäuscht in Bezug auf Das, was wir gesehen, noch häufiger in Dem, was
wir gehört zu haben glauben. Wie gesagt, bei allen menschlichen Handlungen läuft ein gewisser Zweifel mitunter, aber dies sind nicht die Zweifel, welche Sie, meine Herren, bewegen dürfen, indem Sie über eine Sache urtheilen, welche für das Publicum und die Angeklagten von gleich großer Wichtigkeit ist. Ich hege keinen Zweifel, daß Sie Ihre Pflicht mit aller Treue erfüllen werden. Sie werden erwägen, daß Sie auf der einen Seite eine Verpflichtung haben gegen das Gesammtwohl Ihrer Mitbürger,
nämlich, daß der Schuldige nicht entschlüpfen darf, daß Sie auf der andern aber auch eine gegen die Angeklagten haben, nämlich Sorge zu tragen, daß sie nicht auf bloßen Argwohn und Verdacht, sondern auf schwere und feste Gründe, die Ihr Verstand geprüft hat, verurtheilt werden, Gründe, welche Sie zu einer ausreichenden Ueberzeugung führen, daß Einer oder Beide des Verbrechens schuldig sind. So entlasse ich Sie zur Ihrer gewichtigen Aufgabe mit dem Wunsch und der Zuversicht, daß Ihre
Entscheidung auf Gerechtigkeit und Wahrheit gegründet sei!«
Um 6 Uhr zog sich die Jury zurück und kam um 6¾ schon wieder. Die laute Unterhaltung, welche in der Zwischenzeit geherrscht, verstummte im Augenblick.
Die erste Frage: ob die Jury in ihrem Verdict ganz einig geworden, beantwortete der Vormann mit Ja.
Sind die Gefangenen schuldig oder nicht schuldig?
Der Vormann antwortete: Beide Gefangene sind schuldig.
Nach dem Herkommen
wurden nun die Gefangenen befragt: ob sie etwas für sich anzuführen hätten, weshalb das Todesurtheil nicht an ihnen vollstreckt werden dürfe?
Da erhob sich Maria Manning in einem Zustande großer Aufregung. Mit starkem fremden Accent, aber mit einer ungemeinen Heftigkeit stieß sie folgende Worte aus:
»Es gibt keine Gerechtigkeit, es gibt kein Recht für einen fremden Unterthan in diesem Lande; für mich ist kein Gesetz. Ich hatte keinen Beschützer – weder bei den
Richtern, noch bei den Anklägern, noch bei meinem Manne. Ich bin ungerecht verurtheilt von diesem Gerichtshofe. Wäre ich im Vaterlande, da könnte ich beweisen, daß ich Geld von auswärts hergesandt, welches jetzt in der Bank von England ist. Meine Rechtsfreunde würden Zeugen aufgerufen haben, um zu erhärten, daß ich Actien für mein eigen Geld gekauft habe. Master OConnor war mehr für mich als mein Ehemann. Er war mir ein Freund und Bruder, seit ich in dieses Reich kam. Ich kannte ihn sieben
Jahre. Er wollte mich heirathen, und ich hätte ihn nur heirathen sollen. Ich habe Briefe von ihm, die beweisen würden, wie er mich achtete und ehrte, und wenn ich denke, daß ich ein Weib bin und ganz allein stehe, und zu kämpfen habe gegen meines Mannes Angaben, und zu fechten gegen meine Ankläger, und daß selbst der Richter gegen mich ist, dann denke ich auch, daß man mich nicht wie einen Christenmenschen behandelt hat, sondern wie ein wildes Thier des Waldes, und Richter und Geschworene werden
es auf ihrem Gewissen haben, daß sie gegen mich gesprochen. Ich bin nicht schuldig der Mordthat, die an Master OConnor verübt ist. Wenn ich gewünscht einen Mord zu begehen, würde ich doch nicht nach dem Leben des einzigen Freundes getrachtet haben, den ich auf der Welt hatte, – eines Mannes, der mich in einer Woche zu seiner Frau gemacht hätte, wenn ich eine Witwe gewesen wäre. Ich habe in achtbaren Familien gelebt, und kann Zeugnisse für meine Rechtlichkeit in jeder Beziehung
aufweisen, wenn man danach fragt. Ich kann mehr Geld aufweisen, als die Lumperei, die paar Actien, die man bei mir gefunden hat. Wenn mein Mann aus Eifersucht oder was sonst aus Rache gegen OConnor ihn ermordet hat, so sehe ich keinen Grund ab, weshalb ich dafür bestraft werden soll. Ich wünschte nur, ich könnte mich besser in der englischen Sprache ausgedrückt haben.«
Manning sagte nichts.
Der Richter erhub sich: Frederick George Manning und Maria Manning, Ihr seid
überführt des Verbrechens des Mordes –
»Nein! Nein! schrie Mistreß Manning heftig auf. Ich gestehe es nicht zu. Schämen müßtet Ihr Euch. Da ist doch kein Gesetz und keine Gerechtigkeit hier.«
Sie schien dabei aus den Schranken fortstürzen zu wollen, ward aber durch den Gefangenmeister von Newgate daran verhindert.
Der Richter redete sie wieder an: »Ein tüchtiger Vertheidigungsrath stand Ihnen zur Seite. Alles, was zu Ihrer Vertheidigung dienen konnte,
ist geschickt angewandt worden. Die Jury hat auf einen Zeugenbeweis gesprochen, der bei keinem menschlichen Wesen mehr einen Zweifel zurücklassen konnte. Die Jury konnte nur mit einem Verdict: Schuldig! zurückkehren. Hätte sie kein solches Verdict gebracht, so wäre es mir schwer zu glauben, daß sie ihre Pflicht gethan.« Hier ließ die Verurtheilte durch ihre heftigen Ausbrüche ihn kaum zum Weiterreden kommen. »Mord ist das größte Verbrechen, welches ein Mensch gegen einen andern begehen kann, in
diesem Lande. Es ist zu aller Zeit ein entsetzliches Verbrechen, aber ich erinnere mich keiner Mordthat, die so kaltblütig und planmäßig vollbracht worden. Unter dem Vorgeben der Freundschaft, ja der Liebe, lockten Sie ihn an den Platz, wo sein Grab wahrscheinlich schon gegraben war, und wo nachher die That vollführt ward, die wahrscheinlich tagelang vorher schon hin und her erwogen war. Dies ist eins der schauderhaftesten Beispiele, welche die Geschichte menschlicher Schwäche liefert. Man hat
gesagt, der Verstorbene habe ein lasterhaftes Leben mit Einem von Ihnen Beiden geführt. Darüber habe ich nicht zu sprechen, das müssen Sie mit Ihrem Gewissen abmachen. Aber, sei sein Leben gewesen, wie es ist, er ward von Euch in die Ewigkeit gestoßen, ohne daß man ihm einen Augenblick ließ, an sie zu denken, ohne daß er Zeit hatte zu Reue und Buße. Das Gesetz ist mitleidiger, als Ihr es waret: es gestattet Euch Zeit zur Vorbereitung. Einer von Euch hat mit dem Studenten Massay ein Gespräch
darüber gepflogen, wohin wol die Seele Derer fährt, die einen Mord begingen. Die Zeit ist gekommen, wo Ihr das wieder fragen mögt. Da ich Euch nicht die geringste Hoffnung machen kann, daß Euer Strafurtheil verwandelt wird, muß ich Euch auch sagen, daß Eure Hinrichtung unmittelbar nach der Bestätigung des Urtheils erfolgen wird. Ich rathe Euch daher, bußfertig dem Rathe des Dieners des Evangelium zuzuhören, der Euch besuchen wird. Lernet von ihm, was Ihr zu fürchten habt. Wohl ihm und Euch, wenn
er mit gutem Gewissen Euch eine Hoffnung verheißen kann, welche in dieser Welt unmöglich ist. – Welche Qual und Verdruß Euch auch die Proceduren dieses Tages bereitet haben, glaubt, daß Andere anders als Ihr darüber urtheilen, ja ich zweifle, ob irgend Jemand, der diesen Verhandlungen zugehört, nicht ebenso zufrieden ist als ich mit dem Resultate, welches das einzige mit der Gerechtigkeit harmonirende ist. Nach dieser Warnung und Ermahnung habe ich Euch nur den herben Spruch des Gesetzes
anzukündigen: daß Ihr von hieraus gebracht werdet in Ihrer Majestät Kerker der Grafschaft Surrey, und von dort auf den Executionsplatz, allwo ihr gehenkt werden sollet am Halse bis Ihr todt seid; und daß Eure todten Körper nachher verscharrt werden im Hofe des Kerkers, in welchem Ihr nach diesem Urtheil gebracht werdet, und sei der Herr gnädig Eurer Seele.«
Die Manning wollte noch einmal gegen den Gerichtshof loseifern, als man Befehl gab, sie fortzubringen. Sie schrie, es sei
schandvoll, solches Urtheil über sie zu sprechen; ja, sie schimpfte zu denen um sie her: »Elendes England!« Herkömmlich hatte man Raute auf die Bank vor den Schranken gestreut. Sie raffte davon in die Hand und warf es den Richtern vor die Füße, um ihre Verachtung und ihren Ingrimm auszudrücken, für die ihr die Worte fehlten. Der Director von Newgate und eine weibliche Gefangenwärterin mußten sie fortschleppen.
Manning beugte sich tief vor dem Hof und zog sich zurück. Er schien sehr
niedergeschlagen, blieb aber Herr seiner selbst. Die Gerichtssitzung schloß um 7 Uhr.
Die Manning war durch ihren Prozeß zu einem Lion des Tages geworden; die Zeitungen beschäftigten sich vorzugsweise mit ihrer Person, und brachten fast stündliche Bulletins über Alles, was sie that und sprach, ja ihre Blicke und Bewegungen wurden zur Begebenheit. Damit aber nicht genug, setzte die Tagespresse den abgeschlossenen Prozeß fort, sie brachte neue Zeugenaussagen und Documente, um Das, was
geheimnisvoll geblieben war, aufzuhüllen, und man muß bekennen, daß dessen nicht wenig war. Auch diese Enthüllungen gehören zur Prozeßgeschichte, und in ihrer Steigerung sind sie nicht ohne dramatisches Interesse. Wir geben sie, wie wir sie in dieser Steigerung in den Zeitungen finden, das Drama verfolgend, wie es sich Stück um Stück vor dem londoner Publicum aufrollte, und mit einer Schlußkatastrophe, welche an Schauer und Wahrheit selbst die eigentliche überbietet, und um deshalb schon die
Berühmtheit dieses Prozesses rechtfertigt. Wir machen nur darauf aufmerksam, daß, was von hier an folgt, nicht auf die Authenticität der vorigen Gerichtsverhandlungen Anspruch macht, sondern nur von den Reporters der Zeitungen aufgerafft ist. Ein kritischer Maßstab dafür ist indeß schon durch das Vorangängige gegeben, und die Warnung des Anklägers vor dem leichtsinnigen Berichterstatten dürfte auch auf die Reporter gewirkt haben.
Als beide Verurtheilte in ihren Kerker
zurückgebracht worden und man ihnen ankündigte, daß sie, dem Urtheil gemäß, auf der Stelle nach dem Horsemanger-lane-Kerker transportirt werden sollten, fuhr die Frau in derselben gereizten Weise auf, die sie vor Gericht gezeigt. Sie schimpfte auf ihre Advocaten, daß sie, gegen ihren Willen, die Zeugen zu ihren Gunsten nicht aufgerufen, die schon bereit gestanden hätten, der Jury und ganz England zum Trotz. Als man ihr Erfrischungen anbot, stieß sie dieselben mit Entrüstung von sich. Auch
Manning lehnte sie ab, aber in milder, verbindlicher Weise.
Um 7½ Uhr standen zwei Cabriolets vor dem Fleetgefängniß. Maria Manning erschien an der Seite des Master Wright, des Direktors von Newgate; ihre linke Hand war durch Handschellen an seine rechte Hand gekettet; sie nahmen Beide im ersten Cabriolet Platz, welches in Carriere fortfuhr. Als die Handschelle ihr zuerst angelegt worden, brach ihre ganze Leidenschaftlichkeit hervor; jede Muskel in Affect, die Hände ballend, die Zähne
knirrschend, schrie sie mit der heftigsten Gesticulation: »Hol Euch Alle der – «. – Ihr Mann stieg ruhig, mit beiden Händen an zwei Gerichtsdiener gefesselt, in den Wagen. Der ganze Transport ging schnell vor sich. In 20 Minuten waren die Gefangenen schon in ihren neuen Kerker abgeliefert, obgleich ungeheure Volksmassen sich auf dem Wege gesammelt hatten. Auf dem Wege schien die Manning jedoch plötzlich aus ihrem Todefieber zu erwachen. Sie unterhielt sich in mildem Tone ganz
vernünftig mit dem Direktor, ja sie scherzte mit ihm über das Band, welches sie Beide verknüpfe. Plötzlich aber nahm sie, als Master Wright in diese Scherze nicht eingehen wollte, einen hochmüthigen Ton an, und indem sie von der letzten Gerichtsscene sprach, sagte sie: »Ich habe ihnen doch einige Entschlossenheit gezeigt, nicht wahr?« Von ihrem Mann sagte sie: »Ich hatte Gelegenheit genug, ihn im Gefangnisse zu sprechen, auch noch während der Gerichtssitzung, aber ich mochte nicht. Er redete
mich auch nicht an, Gott sei Dank, der unmännliche Wicht.« Dabei ballte sie wieder die Faust und schlug gegen die Kutschwand. Als der Wagen vor einem großen Mauerplacat vorüberrollte, worin eine vollständige Beschreibung ihres Prozesses dem Publicum zum Kauf angeboten ward, gerieth sie aufs Neue in Wuth, knirschte, stöhnte und murmelte Verwünschungen: der Lump, ihr Mann, hole sie der – wenn sie mit ihm ein Wort spräche!
Mannings Benehmen blieb anständig und ruhig. Seine Stimme
klang melancholisch, er schien die Hoffnung nicht aufgegeben zu haben, daß man ihm nicht ans Leben gehen werde. Als Maria Manning von den weiblichen Schließerinnen in ihre Gefängnißzelle gebracht wurde, brach sie in helle Thränen aus, schluchzte wie aus tiefster Brust, daß sie das Mitleid ihrer Wärterinnen erregte. Dann aber stampfte sie auf den Boden, diesmal nicht aus Wuth, sondern aus Schmerz – sagen die Zeitungen nach dem Bericht der Schließerinnen. In wie weit diese psychologische
Diagnostikerinnen sind, bleibe dahin gestellt.
Manning warf sich, in seine Zelle angekommen, auf einen Schemel und stützte, wie in tiefen Gedanken, den Kopf im Arm. So blieb er lange Zeit sitzen. Aus seinen Träumen aufstarrend, sprach er wiederholentlich, wie für sich: er sei ja unschuldig am Morde, er könne darum nicht hingerichtet werden. Am 28. erklärte er mit Bestimmtheit seinem Wächter: OConnor sei nicht durch seine Hand umgekommen; sein Weib habe es gethan, sie habe ihn nur
vermocht, die Leiche zu verscharren.
Beide Verurtheilte empfingen die Besuche des Geistlichen und wohnten am Sonntage mit einem andern zum Tode Verurtheilten dem Gefängnißgottesdienste bei, wo die Predigt besondern Bezug nahm auf das Loos Derer, die durch das Schwert der Gerechtigkeit sterben müßten. Beide indeß mit der Hoffnung, daß die Predigt ihnen noch nicht gelte. Maria Manning hoffte, daß der Protest ihrer Vertheidiger, welche auf eine gemischte Jury, halb von Ausländern, auch
nach dem Urtheil angetragen, von Erfolg sein werde.
Ein merkwürdiges Actenstück, welches im Prozeß nicht vorgebracht, ward jetzt erst aufgefunden, oder doch zuerst mitgetheilt, ein Brief des todten OConnor »an Miß Maria Roux, durch die Güte der Lady Blantyre, Sutherlandhaus.« Ein Brief an die alte Geliebte, nach ihrer Verheirathung geschrieben, um das frühere Verhältniß wieder anzuknüpfen:
Customs, Et. Katharine Docks, Juni 11. 1847.
» Theuerste Mistreß – Ihren wahren (jetzigen?) Namen nicht kennend, adressire ich an Sie, wie früher. Ich hoffe, der Brief wird Sie erreichen. Ich kann Ihnen meine Gefühle nicht beschreiben, noch was ich litt, seit ich Sie am letzten Abend sah. Wüßten Sie es nur zur Hälfte, so würden Sie Mitleid mit mir haben, und wäre ich Ihr größter Feind, den Sie je gehabt. Ich habe einen einsamen und traurigen Winter verlebt,
einen melancholischen, monotonen Frühling, in der Hoffnung, einen frohen und angenehmen Herbst zu erleben. Ich gab alle und jede Gesellschaft auf, brach Ihretwegen allen Umgang mit meinen Freunden ab, indem ich nur sorgte und sparte, um uns den Rest unsers Lebens annehmlich und glücklich zu machen. Ich wollte meinen monatlichen Urlaub am 6. August nehmen, wo ich glaubte, daß Sie vom Continent zurück sein würden, dann wollten wir am 7. Hochzeit machen, von London am 8. nach Boulogne gehen und
dort unsern Honigmonat feiern. Ach, wie sind diese Traume zerronnen. Sie haben alle Annehmlichkeiten, welche Ihr Herz wünschen kann, und ich bin zufrieden. Für mich Armen ist kein Trost geblieben, als der traurige Gedanke, wie ich um meine Hoffnung gekommen bin. Ach, Maria, Sie haben grausam gegen mich gehandelt. Warum haben Sie nicht, ihrem Worte gemäß, geschrieben und gesprochen, was Sie zu thun vorhatten, dann wäre ich, auf die Gefahr hin meine Stelle zu verlieren, wie es auch ging, nach
Erskine Haus gekommen, um das einzige Wesen auf Gottes Erde zu heirathen, das mich glücklich machen konnte. Und Maria, Theure, hätten Sie nur die Gefühle meines Herzens lesen können, Sie würden nicht gehandelt haben, wie Sie gethan. Doch, jetzt ist es zu spät, darüber noch zu sprechen. Wir müssen mit Gottes Willen uns versöhnen, und hoffen, daß alle Dinge von ihm nach einer weisen und wohlwollenden Absicht geordnet sind. Genug nun von dieser traurigen und melancholischen Angelegenheit; denn das
ist sie für mich. Indessen hoffe ich, wir werden immer dieselben liebevollen Gefühle gegen einander hegen – wie es alten Freunden zukommt. Ich kann mich dessen rühmen und will es halten. Wann werde ich das Vergnügen haben, Sie hier zu sehen? – Bringen Sie Ihren Mann mit, und wen Sie sonst lieb haben. Ich will Ihnen die Docks und die Gewölbe zeigen; aber bemerken Sie, daß Damen in die Gewölbe nur nach 1 Uhr geführt werden. Kommen Sie recht bald. Hier liegt ein Schiff aus China,
auf meiner Station in den Docks, der Viscount Sandon. Sonntag fährt er ab. Es würde für Sie etwas Neues sein, die drei Chinesen darauf mit ihren langen Zöpfen zu sehen. Sie sprachen davon am Sonntag zu kommen; ich wünschte, Sie thäten es. Wenn Sie kommen, schreiben Sie mir, und um welche Zeit, damit ich Sie gewiß treffe. Sie können mir dann wol einige Erklärungen geben über die Sache, welche sie ein wenig versüßen können. Ich wünschte nur, ich könnte Sie ganz freisprechen vom Vorwurf der Untreue
bei der Gelegenheit. Ich hoffe, daß Gottes Segen auf Allem ruhe, was Sie thun, und betrachten Sie mich, unter allen Umständen, bis zum Tode, als
Ihren treu ergebenen
Patrick OConnor.«
Man wird bekennen, daß die Sache dadurch interessanter wird, als sie in den trockenen Gerichtsverhandlungen erscheint, aber auch um so viel räthselhafter. OConnor erscheint als ein gebildeter Mann; sein Verhältniß zu Maria hatte nicht nur einen sinnlichen,
sondern auch einen sentimentalen Anstrich. Bald nach jenem Briefe ward der Ehemann bei ihm eingeführt, und von da ab schreibt sich der intimste Verkehr zwischen den Dreien.
Bekannt ward ferner noch ein Factum, daß die Mannings sofort nach der Mordthat an ein Verschwinden dachten, und Sorge trugen, daß ihre Entfernung keinen plötzlichen Verdacht errege. Sie bemühten sich daher einen Studenten Craven (einen Freund des Studenten Massay) auf alle mögliche Weise dahin zu bewegen, daß er
bei ihnen einziehe. Sie gingen ihn wiederholentlich an, bewirtheten ihn mit Wein und setzten ihm einen wahren Spottpreis. Er schlug es aber hartnäckig aus.
Auch wußte man schon am 30. October, daß Manning ein vollständiges Bekenntniß abgelegt, wie die Mordthat verübt worden, was aber erst nach der Execution bekannt gemacht werden sollte. Schriftlich hatte er seinem Vertheidiger Wilkins mitgetheilt: seine Frau habe OConnor erschossen, und nachher gedroht, auch ihn zu erschießen, wenn
er ihr nicht hülfe, die Leiche begraben. Er empfing auch einen Brief seiner Schwester, »welche eine höchst achtbare Dame in der Provinz sei.« Erschüttert schrie er beim Lesen mehrmals auf.
Man erfuhr ferner, daß Maria Manning aus ihrem Kerker, vor den Gerichtstagen, mehrmals Billette an ihren Mann geschrieben »in der allerobscönsten Sprache« und in gebrochenem Englisch, die ihren Vertheidigern mitgetheilt wurden. Sie machten aber natürlich keinen Gebrauch davon. Der Mordthat geschah
nirgend darin Erwähnung.
Ja, es häuften sich jetzt die Beweise, wenn es deren noch bedurft hätte.
Man erfuhr, daß OConnor kurze Zeit vor seiner Ermordung einer jungen Dame Heirathsanträge gemacht, daß sie auf dem Punkte standen, sich zu verheirathen, und daß Manning und seine Frau darum wußten. Wäre die Ehe zu Stande gekommen, so hörte wahrscheinlich das Verhältniß zwischen OConnor und Maria Manning auf, und damit verschwanden die Vortheile, welche beide Eheleute davon
zogen. Hier also auch ein nahe liegendes Motiv zur That.
Während der beiden Gerichtstage, wo die Gefangenen in unvermeidliche Berührung mit den Zuschauern kamen, wurden sie beim jedesmaligen Hinabführen in der Zwischenzeit streng durchsucht. Am zweiten Tage fand man in Mariens Tasche ein großes abgebrochenes Glasstück, welches ein gefährliches Geschoß in ihrer Hand hätte werden können. Man vermuthete, daß sie es einem Geschworenen oder Richter in ihrer Heftigkeit an den Kopf werfen
wollen.
Die Pistolen wurden bei einem Trödler aufgefunden und von Manning anerkannt. Er erklärte dabei, seine Frau habe beide geladen, und nachdem sie mit der einen die That verübt, die andere auf ihn gerichtet, mit der Drohung loszuschießen, wenn er ihr nicht beistehe. Die Kugel, welche der Wundarzt aus OConnors Schädel gezogen, paßte in die Pistolen.
Am 1. November wußte man auch aus Mannings Munde, daß OConnors Kleider mit seinem Taschenbuch in der Küche verbrannt
worden. Früher war die Polizei der Meinung gewesen, daß die Mörder die Kleider um das verschwundene Brecheisen gewickelt und Beides in die Themse versenkt hätten. London hoffte also auch noch das Brecheisen aufzufinden.
Ja, man wollte aus Mannings Munde wissen, daß das Grab schon seit dem Mai gegraben gewesen! So lange der Mord vorbereitet! Aber der Muth fehlte zur Ausführung bis zum Abend des 9. August. Ein Fensterladen der Hinterküche war darüber gelegt, über diese ein
Teppich. OConnor pflegte, wenn er bei Mannings zu Mittag aß, vorher in die hintere Küche zu gehen, um sich unter der Wasserrohre die Hände zu waschen. OConnor mußte mehre Male über sein eigenes Grab geschritten sein!
Die Zeitungen vom 5. November bringen uns eine Notiz über die Zusammenkunft Mannings mit seinem Bruder Edmund im Kerker, in Gegenwart des Gefängniß-Kaplans Roe und anderer beaufsichtigender Beamten.
Manning saß in der Halle der Verurtheilten an einem kleinen
Tische, so verändert und geistig niedergedrückt, daß sein Bruder ihn kaum wiedererkannte. Er schüttelte ihm fieberhaft die Hand, und hielt sie eine Weile krampfhaft gedrückt, ohne während der Zeit fähig zu sein, nur ein Wort zu äußern.
»Gewiß, Friedrich, du bist unschuldig an diesem schrecklichen Verbrechen?« sagte endlich der Bruder. – »Nein, ich bin nicht schuldig«, erwiderte der Gefangene, »ich habe Alles an Master Roe gesagt. Nicht wahr, Master Roe? (Dieser nickte.) Edmund,
sie ermordete ihn. Ich war oben und zog mich an, als sie ihn erschoß. Ich wußte nicht, daß sie deshalb hinunterging. Master Roe weiß, ich bin unschuldig.« Mit Heftigkeit fuhr er fort seine Unschuld zu betheuern. Als sein Bruder ihn fragte, ob er denn nicht in seine Frau gedrungen, ein volles Bekenntniß abzulegen, war seine Antwort: »Ja, und ich habe Master Roe autorisirt, habe ich das nicht immer wieder und wieder gethan, daß sie zu mir kommen solle, weil ich ihr solche Fragen vorlegen
wolle, daß sie nicht entschlüpfen sollte!« Der Geistliche bestätigte es, die Manning habe aber nicht kommen wollen. Manning übergab seinem Bruder eine Abschrift seines Briefes an seine Frau, worin er sie zum Bekenntniß drängt, damit die Welt den himmelweiten Unterschied zwischen ihrer Schuld kennen lerne, denn davon hänge für ihn Leben und Tod ab. Da sie doch bestimmt wisse, daß er unschuldig sei, beschwor er sie, ihn durch ein Wort von dem schmählichen Tode am Galgen zu retten. Der Brief
schloß mit der Bitte wenigstens um eine Zusammenkunft.
Maria Manning hatte schriftlich geantwortet. Der Brief fing an: »Ich richte diese Zeilen an dich, als meinen Ehemann«, und mehrmals war der Ausdruck gebraucht: »Mein Theuerster«. Aber im Verlauf sagt sie: sie wäre ganz unschuldig an der teuflischen Beschuldigung, die man ihr zur Last gelegt, und er allein könne sie retten; sie könne ihm keine Zusammenkunft bewilligen, bis er schriftlich ihr erklärt, daß sie an
OConnors Tode unschuldig! Darauf folgte ein merkwürdiger Passus, worin sie urplötzlich die Schuld auf einen Dritten schiebt. (Dieser und der Brief des Mannes werden in der Folge buchstäblich mitgetheilt, wir gehen daher hier über die ungenauen Mittheilungen derselben durch die Zeitungen hinweg.)
Als Mannnings Bruder den Brief gelesen, sagte er: »Friedrich, sie wäscht sich selbst rein und beschuldigt einen Dritten; wen meint sie?« – Der Gefangene erwiderte: »Alles ist falsch.
Niemand begleitete mich nach Jersey. Du wirst mir glauben, Edmund, wenn ich dich versichere, daß ich unschuldig bin, denn du warst immer mein bester Freund, und wenn ich deinem Rathe gefolgt wäre, hätte ich das Weib gar nicht geheirathet.« – Der Bruder ermahnte ihn nach einer Pause, seinen Frieden mit Gott zu schließen, der ihm gnädig sein werde, wenn er wirklich unschuldig sei. »Liebster Edmund!« rief Manning, »ich bin unschuldig. Master Roe weiß das ganz gut. Ich hoffe, der allmächtige
Gott wird meine Seele in die höllischen Flammen stoßen, wenn ich dieses Mordes schuldig bin. Master Roe weiß und hat Alles, was ich ausgesagt habe. Feierlichst erkläre ich, daß ich unschuldig an OConnors Morde sterbe. Ich habe ihm kein Haar an seinem Haupte gekrümmt.«
Man wollte am 5. November wissen, daß der unglückliche Mann sich außerdem der Theilnahme an einigen Räubereien beschuldigt, um auf diese Weise einen Aufschub vom Minister des Innern zu erhalten, während seine Frau
ihre Appellation im Wege der Beschwerde gegen die Jury aus Engländern und durch den Antrag auf Zusammensetzung einer gemischten Jury verfolgte. Im Uebrigen hoffte sie auf vornehme Fürsprache. Ihre Gönnerin, Lady Blantyre, oder deren Mutter, die Herzogin von Sutherland, werde sie doch nicht verlassen und ihr Leben retten. Sie fuhr fort sich mit großer Sorgfalt anzukleiden, sie aß mit vollem Appetit und schlief vortrefflich. Jeden Morgen besuchte sie regelmäßig den Gottesdienst, und schien sich
wenig um ihre Wächter zu kümmern.
Es scheint übrigens, daß Intriguen mancherlei Art angewandt wurden, um die Manning ihrem Schicksal zu entreißen. Ihr Privatanwalt, Salomons, empfing einen anonymen Brief, offenbar von weiblicher Hand, des Inhalts:
»Ich bitte Sie zu beachten, daß Mistreß Manning wahrscheinlich ein vollkommenes Recht hat, durch eine Jury de medietate linguae gerichtet zu werden, da ihre Eigenschaft als Fremde nicht wirklich verwirkt ist. Bemühen Sie sich nach
der Kirche St. Marylebone und blicken in die Kirchenbücher. So werden Sie finden, daß George Frederick Manning, jetzt unter dem Todesurtheil schmachtend, dieselbe Person ist, welche 1832 Mary Roberts heirathete, und daß sein Bruder Richard Manning Zeuge bei der Trauung war. Finden Sie das nicht so, so würden Sie (da und da) nähere Umstände erfahren.«
Wenn Manning rechtsgültig vorher verheirathet war, und Mary Roberts noch lebte, so war seine Ehe mit Maria Roux ungültig, diese
selbst also eine Fremde, die nur durch eine gemischte Jury gesetzlich gerichtet werden durfte.
Eine andere Zeitung läßt den ehrenwerthen Master Salomons nach der Marylabonekirche eilen, und es findet sich Alles, wie es im Briefe angegeben ist. Im Kirchenbuche steht die Notiz:
»März 2. 1832.
»George Frederick Manning, Junggesell und Mary Roberts, Jungfrau, wurden durch Aufgebot von der Kanzel verheirathet.
Sarah Lawrence [?] Richard Manning[?] Zeugen,
Organt Burgaß, B. A. Pfarrer.«
Eine nächste Nummer der Times brachte an ihren Herausgeber aber schon wieder folgenden Brief:
»Sir, da mir Ihre Bereitwilligkeit bekannt ist, alle Irrthümer zu berichtigen, die darauf ausgehen, das Publicum zu täuschen, besonders in dem Fall, auf den ich anspiele, so fühle ich mich, als Bruder des unglücklichen Frederick George Manning, veranlaßt, um mir, meinen Brüdern und der ganzen Familie Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, einer Angabe
zu widersprechen, welche auch Ihre Zeitung in Betreff einer angeblichen frühern Ehe meines Bruders mit einer gewissen Mary Roberts gebracht, welche 1832 in der Marylebonekirche stattgefunden haben soll, und in Folge welcher mein Bruder des Verbrechens der Bigamie schuldig erschiene. Ich bitte Sie demnach zu bemerken, daß er am 20. Mai 1820 geboren ward, woraus die gänzliche Unmöglichkeit dieses Factums entspringt, indem er zur Zeit jener Heirath gerade 13 Jahr alt war. Ich bin u. s. w.
Edmund Manning.«
Noch einmal fand in dieser Sache vor dem Appellhofe in Criminalsachen, the Court of error in criminal cases, eine feierliche Gerichtssitzung statt, in welcher über Maria Mannings Appellation auf das Recht, als Fremde gerichtet zu werden, verhandelt ward. Das übergroße Interesse, welches London für diesen Prozeß hatte, bewirkte einen Zudrang wie bei den wirklichen Gerichtsverhandlungen, obwol nur über eine Rechtsfrage debattirt wurde.
Der Anwalt der
Interpellantin, Ballantine, sprach beinahe eine Stunde: Nach zwei Parlamentsacten, aus dem 28. Regierungsjahr Eduard III., und dem 6. Georg IV. habe jeder Fremde das Recht, von einer Jury gerichtet zu werden, die zum Theil aus Fremden bestehe; das Eingehen in eine Ehe mit einem geborenen Unterthan könne die Berechtigte ihres Rechtes nicht berauben. Zwar besage eine Parlamentsacte, ergangen unter der gegenwärtigen Regierung der Königin Victoria: daß Personen aus der Fremde, welche mit einem
Engländer verheirathet seien, dadurch aller Privilegien geborener Unterthanen des Reiches theilhaft würden und deshalb auch wie geborene Unterthanen behandelt und gerichtet werden müßten. Dieses Statut sei aber erst durchgegangen, nachdem die Ehe vollzogen worden; es sei ferner durchgegangen, ohne daß seine Clientin darum gewußt oder beigestimmt, und sie sei deshalb durch dasselbe in keiner Art gebunden. Auch sei der Wortlaut jenes Statutes der Königin Victoria nicht der Art, daß
es seine Clientin aller Rechte beraube, welche sie als Fremde vor der Heirath gehabt. Nach den alten Statuten sei aber Jemand, der in der That kein Fremder sei (if a person was not in fact an alien), aber vor Gericht sich darauf berufe, daß er ein solcher wäre, berechtigt, auf eine Jury de medietate linguae anzutragen. Die Motive wurden auseinandergesetzt; sie liegen zu Tage.
Der Kronanwalt widerlegte die Gründe des Appellanten: Wenn eine Frau einen englischen Unterthan heirathe, so
mache sie sich dadurch von selbst zur Unterthanin des Reiches, sie könne sich davon nicht losmachen. Und wenn sie das nicht könne, wie, frage er, könne sie die doppelte und sich widersprechende Stellung behaupten, zu gleicher Zeit eine Fremde und eine Eingeborene zu sein? Uebrigens, wenn in diesem Falle die Ehefrau durch eine Jury de medietate linguae gerichtet werden müsse, so müsse ihr ein von ihrem Mitangeklagten getrenntes Gericht bestellt werden, indem natürlich der Andere nicht auch
dasselbe Recht fordern dürfe, noch von einer Jury gerichtet werden könne, die zum Theil aus Ausländern besteht.
Das Gericht entschied sich kurz: die Frage sei einfach die, ob die Gefangene eine Fremde oder naturalisirt sei? Wenn naturalisirt, habe sie jenes Privilegium nicht. Sie war zur Zeit des Gerichts die Ehefrau eines geborenen englischen Unterthanen, also naturalisirt, also nicht mehr eine Ausländerin. Die Appellation ward einstimmig verworfen.
Am 9. empfing Manning
seinen Sachwalter Brie in seinem Gefängnisse. Er schien wieder gefaßt und schüttelte dem Besuche herzlich die Hand, indem er ihm für seine Güte, die er ihm erwiesen, dankte. Er versicherte jetzt auf den Tod ganz vorbereitet zu sein, und wolle ganz zufrieden sterben, wenn nur seine Frau die Wahrheit bekennen wolle.
Er bekannte: einige Eisenbahnactien auf seiner Flucht mit sich genommen zu haben; aber aus Furcht vor der Entdeckung habe er sie in Jersey verbrannt. Das Brecheisen wollte
er auf einer gewissen Eisenbahnstation, die er nannte, zurückgelassen haben. Brie solle seine Schulden bezahlen und was übrig bleibe(?) seinem Bruder Edmund ausantworten.
Auch übergab er Brie folgende zwei Briefe, deren Inhalt bereits erwähnt ist und die schon am folgenden Tage in den Zeitungen publicirt wurden. Der erste war der, welchen er an seine Frau geschrieben:
»29. October, geschrieben in der Zelle der Verdammten, Horsemangergebest,
»Ich schreibe an dich, als an eine Mitsünderin und eine Mitdulderin, nicht als an mein Weib, indem unser Ehecontract doch als zerrissen muß betrachtet werden, weil er nur bis zum Tode dauert, nicht darüber. Und wie wir Beide schon am Rande der Ewigkeit stehen, mögen wir uns auch schon als von dieser Welt abgetrennt betrachten. Das Bewußtsein dieser Wahrheit hält mich indessen nicht ab, dir meine
ernste Sorge und Betrübniß, wegen des Heils deiner und meiner Seele auszudrücken. Um deswillen bitte und beschwöre ich dich, wahr in Allem zu sein, was du äußerst, und dich nicht versuchen zu lassen durch die Lockungen des bösen Feindes, daß du einen Augenblick nur dem Zweifel Raum als würden wir nicht in kurzem vor unserm Gott und seinem Gericht erscheinen; daß sein Auge auf uns niedersieht; daß die Zeit sehr nahe ist, wo wir in die Ewigkeit geschnellt werden, ja daß sie gewiß schon sehr
nahe ist. Und nun bitte ich dich ernstlich bei all den freundlichen Gefühlen, die wir jemals Einer gegen den Andern gehabt, du mögest zu Gott blicken nach der Gnade, die dir noth thut, ach, die auch mir so sehr noth thut. Glaube mir, bei den Verdiensten unseres gekreuzigten Erlösers, ich bin überzeugt, daß alle seine Verzeihung und Vermittelung uns nichts hilft, wenn wir nicht bereuen und Proben dieser Reue abgeben. Glaube mir, ich will dich nicht reizen, sondern vertraue, daß auch du versichert
bist, daß ich Jedermann vergebe, wie ich bitte und hoffe, daß mir Gott vergebe. Und nun schließe ich, denn meine Gefühle sind zu sehr aufgeregt, um mehr schreiben zu können. Möge der Herr gnädig sein und in seinen Verheißungen ausharren. Laß uns aber treu und aufrichtig sein in Allem, was wir sagen und thun. Dies ist der letzte Brief, den du von mir empfangen wirst. Nun bitte ich dich, gewähre mir, wo möglich heute, eine Zusammenkunft. Ich wünsche das so sehr, ehe ich von dieser Welt
scheide.
F. G. Manning.«
Der andere Brief ist Maria Mannings Antwort.
»30. October 1849.
»Ich schreibe an dich, als an meinen Ehemann. – Ich bin weit fort von meinem glücklichen Geburtslande. Daran schuld ist der Ehecontract und dies Land, welches du für mich zu einem Gefängniß gemacht hast. Der Friede und die Annehmlichkeit (wellbeing) der Gesellschaft, die Gesetze der Wahrheit, die du gebrochen hast, haben meine Verbannung
aus dem Lande nöthig gemacht, welches mir das Leben schenkte. (?) Aber ich gehe darum nicht von Gott fort. Er ist überall gegenwärtig und jederzeit gnädig Denen, welche seine Gnade und seine Gunst suchen. Was hat mich nur zu dieser ewigen Folgerung gebracht. (?) Wenn du lebst und stirbst, ohne Gottes Verzeihung, daß diese Sünden durch die Gesetze der Menschen gestraft werden, aber sie sind auch eingeschrieben alle in die Tafeln des einigen Gottes. (??) Alles, was ich zu sagen habe, ist dies:
– ich habe nie ein Bekenntniß irgend einer Art gemacht, um dich in dieser Angelegenheit zu kränken oder zu verdammen. Das weißt du sehr wohl, von Anfang zu Ende. – Ich bin hier verurtheilt nur auf deine Angabe. Wäre es dir von Nutzen gewesen, so würde ich zufrieden sein. Mit Allem, was du gethan, und allem Aufwand von Gelehrsamkeit deiner Rathgeber, hast du nichts durchgesetzt für dich; du hast mich nur unbarmherzig mit dir zugleich in dies schreckliche Loos hinein gestürzt.
»Um was ich dich nur noch bitte, ist die Thatsachen zu bekräftigen, da du wohl weißt, daß ich nicht im Hause war, als OConnor seinen Tod fand. Sondern ich war ausgegangen, um ihn zu suchen, und während dessen, daß ich abwesend war, kam er, und wurde von dem jungen Mann aus Guernsey erschossen, der mit dir in der Hinterstube rauchte. Daß ich nicht das Geringste davon erfuhr bis zum Sonnabend, und daß Alles in der Küche abgethan war. Ich war der Hoffnung, du würdest den jungen Mann
vor Gericht gestellt haben, aber das thatest du nicht, du thatest nichts als mich blosstellen, und das hast du vom ersten Tage an gethan. Aber, mein Theurer, da du weißt, daß dich dies selbst nicht retten kann, beschwöre ich dich, die Thatsachen, die wahr sind, anzugeben, und zu versuchen dein Weib zu retten. Indem du so handelst, wird es deinem Herzen und deiner Seele zur Rechtfertigung gereichen, zu wissen, daß du gegen mich gerecht und gut gehandelt, ehe du aus dieser Welt scheidest.
Unser Herr Gott wird dir vergeben und dich trösten. Glaube mir, ich will dich nicht reizen, sondern vertraue, daß auch du versichert bist, daß ich dir und Jedermann vergebe, wie ich bitte und hoffe, daß mir Gott vergebe. (NB. das sind dieselben Worte, abgeschrieben aus dem Briefe ihres Mannes,) Wenn du mit mir einverstanden bist in dieser wahrhaften Angabe, will ich dich gern noch einmal sehen. Meine Hoffnung und mein Leben ruhen in deinen Händen. Wenn du willst, kannst du
mich retten. Erinnere dich, du kannst nicht Rede stehen für unsere Sünden und Uebertretungen, wenn alle unsere geheimen Sünden vor Seinem Lichte zu Tage kommen, und wenn der Elende, der in den Tag hinein lebte und jämmerlich starb ohne die Furcht und Gnade Gottes ohne Zweifel in alle Ewigkeit verdammt ist. O wie wird an dem Tage das schwache Herz unter der Last des Gewissens schlottern, und ein zorniger Richter wird durchbohrend auf den Elenden blicken.
»Demüthig blicke ich zu Dir, o
Herr! Du hast als Buße für die Erlösung von den Sünden, die hinter uns liegen, durch Deine Vermittlung – doch, ich kann nicht mehr schreiben. Gott segne dich, und sei gnädig uns Beiden.
M. Manning.«
Einen Commentar bedarf der Brief dieses merkwürdigen Weibes nicht, trotz der stilistischen Dunkelheiten des Anfangs. Ihre Absicht ist klar genug.
Am 10. wußten die Zeitungen bereits Umständlicheres über die Enthüllungen, welche Manning gegen seine
Verwandten gemacht.
Einen Monat vor der Ausführung des Verbrechens sprach seine Frau zu ihm von ihrer Absicht, OConnor zu ermorden, um sich in Besitz der großen Summe Geldes zu setzen, von der sie wußte, daß er sie bei sich hatte. Er versuchte, sie von dem Gedanken abzubringen, und sagte ihr, sie würde dafür gehängt werden. Sie aber sagte, sie sei einmal entschlossen, ihn zu erschießen, und er müsse ihr helfen, ihn in der Küche zu begraben. Um diese Zeit kaufte sie ein Dutzend
Flaschen Branntwein, und obschon sie gerade damals nicht bei Casse waren, um solche Ausgabe zu machen, so that sie es dennoch und schenkte ihrem Manne so reichlich ein, »daß er während der ganzen Zeit niemals recht bei Sinnen war«. Anfangs wollte er die Sache bei der Polizei angeben; aber er fürchtete seine Frau, sie hatte große Gewalt über ihn. Dann dachte er auch wol, sie wird es nicht ausführen. Aber mehrmals sagte er zu ihr: er wolle mit der Sache nichts zu schaffen haben.
Um jene
Zeit(?) hatte OConnor von einigen Freunden eine Einladung nach Boulogne erhalten, und Maria Manning sollte auch dahin. (?) Sie meinte, wenn sich in ihrer Wohnung in Miniver-Place die Gelegenheit nicht fände, würde es schon in Boulogne sein, und es würde niemals herauskommen. In der Absicht kaufte sie ein Paar kleine Pistolen im Laden des Büchsenmacher Blanch, der, auf ihre Bitte, sie unterrichtete, wie man sie laden müsse. Um besser vorbereitet zu sein, wie man den Körper verschwinden mache und
alle Spuren der Schuld vertilge, mußte er in ihrem Auftrage das Brecheisen und den Kalk bestellen. Sie selbst aber grub mit der Schaufel 14 Tage vor dem Morde das Grab und trug die Erde schürzenweise hinaus in den Müllkasten, oder mischte sie mit der Asche. Im Juni fand mit Massay das Gespräch statt, wie man es anfange, Jemanden eine 500 Pfundnote aus der Hand zu nehmen. OConnor galt für einen Teatotaller, und Massay sagte zu Manning, wenn er ihm Morphin, das wie ein weißes Pulver aussehe, in
den Thee schütte, würde er so betäubt werden, daß man Alles mit ihm vornehmen könne. Man habe das aber nie versucht.
Manning befand sich damals in sehr gedrückten Verhältnissen. Man erinnerte ihn an den Abend vor der Mordthat, wo OConnor die Eheleute besucht, unwohl geworden und mit Eau de Cologne gerieben wurde. Man fragte ihn, ob er ihn da vielleicht schon einschläfern wollen? Manning bestritt es; OConnors Unwohlsein wäre die Folge des Branntweins gewesen, von dem er aus Furcht vor
der Cholera zu viel zu sich genommen.
Nun die Enthüllung des Mordabends.
OConnor kam (wahrscheinlich vor 5) in ihre Wohnung, wechselte dort einige Worte mit der Manning und ging dann fort. In einer halben Stunde kam er zurück; sein Benehmen zeigte Unentschlossenheit, ob er bleiben oder gehen solle. Daher erklärt sich, daß man ihn gegen 5 Uhr auf der London Brücke sah, nach der Stadt zu gehen. Er hatte sich aber anders entschlossen und ging wieder nach dem Miniver-Place.
Die Manning ersuchte ihn zu bleiben, und er trat in die Wohnstube und setzte sich nieder. Bald darauf sagte sie zu ihm: »Kommen Sie herunter und waschen sich die Hände vor Mittag.« OConnor erwiderte: »Ach was, heut kümmere ich mich nicht darum.« – »Ei«, entgegnete die Manning, » es wäre doch gut, wenn Sie es thäten, denn Miß Massay kommt auch und Sie wissen, das ist eine sehr eigene Dame, und Sie sollten sich ihr in vortheilhaftem Lichte zeigen.« Die Manning wußte, daß die
Massay damals gar nicht in der Stadt war.
Manning beschwört, daß er in jenem Moment nicht daran gedacht, daß seine Frau jetzt mit dem argen Vorsatz umginge.
OConnor stieg die Treppe hinab nach der Hinterküche, während Mistreß Manning ihm dicht folgte. Er blieb oben im Vorderzimmer und zog sich an.
Nach einigen Minuten kam seine Frau herauf und rief: »Ich habs gethan – der steht nicht wieder auf.« Manning war todtenbleich. Er konnte ihr nur sagen: »sie wäre
ein geliefert Weib und würde wegen des Mordes an den Galgen kommen.«
Sie geriethen Beide in Affect. Sic sagte ihm, er wäre ein »verfluchter Feigling«, sie legte das Pistol auf ihn an, welches geladen war, und schrie mit entsetzlicher Stimme: »Wenn du nicht runter kommst und ihn ansiehst, so mache ichs mit dir ebenso.« Er fragte sie, wie sie es gethan, und was OConnor gesagt? Sie schluckte ein Glas reinen Branntweins herunter, ehe sie antwortete: Wie OConnor die Treppe
hinuntergegangen, habe er ausgerufen: »Was, seid Ihr mit der Gosse noch nicht fertig?« Statt Antwort drückte sie die Mündung der Pistole ihm dicht an den Hinterkopf und schoß ihn todt. – Man meinte, dies sei der Grund, daß weder Manning noch Jemand in der Nachbarschaft etwas von dem Geräusch gehört habe!
Nach einigem Zaudern, aber von ihren Drohungen überwältigt, ging er hinunter. Es war ein entsetzlicher Anblick. OConnor lag auf seinem Gesicht, zusammengekauert,
der Kopf hing schon in das Grab, welches ihm bereitet worden, die Hände zu beiden Seiten des Kopfes. Um diese Stellung zu erklären, fiel Manning selbst auf die Knie, in Gegenwart seines Bruders und seiner Schwester, des Gefängnißdirectors und des Kaplans, und bildete sie ihnen nach.
Es war etwa eine Viertelstunde nach der Mordthat selbst. Die Frau drehte den Körper um, und schlug ihn drei bis vier Mal auf den Hinterkopf mit der Brechstange, indem sie dabei ausrief: »Du verdammter,
alter Schuft, du wirst mich und keinen sonst mehr betrügen.«
Manning stürzte voll Entsetzen die Treppe hinauf. Sie folgte ihm bald darauf und zeigte ihm die Schlüssel, welche sie aus den Taschen des Ermordeten genommen. Sie zog ihr Keid aus, das mit Blut befleckt war, dasselbe, welches bei der Gerichtsverhandlung vorgezeigt worden, und wusch sich die Hände, die ganz mit Blut besudelt waren. Dann ging sie aus und sagte, sie würde bald zurück sein.
Ihn, Manning, schauerte im
Hause allein zu bleiben. Darum ging er in den Garten, setzte sich auf die Mauer, rauchte und plauderte mit der Nachbarin. Er wollte überhaupt aus dem Hause fort, aber sie überredete ihn zu bleiben.
Maria kam zurück. Sie war in OConnors Wohnung gewesen. Sie brachte mehre Scripturen u. s. w. mit, von denen sie einige sofort verbrannte, weil sie für sie werthlos waren; die übrigen verwahrte sie. Auch die Kleider wurden verbrannt. Manning muthmaßte, daß seine Frau das Brecheisen mit sich
genommen und auf einer der Eisenbahnstationen zurückgelassen habe.
Am nächsten Tage versetzte sie zwei goldene Uhren aus OConnors Erbschaft. Am Montag erzählte sie ihrem Manne, daß zwei fremde Herren bei ihr gewesen und nach OConnor gefragt hätten. Sie fürchtete, es wären verkleidete Polizeibeamte und zitterte am ganzen Leibe. Er sagte ihr zu ihrem Trost: sie sei gewiß entdeckt und werde gehängt werden. Sie fiel darauf in Ohnmacht, aber einige Schluck Branntwein, die Manning ihr
eingab, brachten sie wieder zu Kräften.
Jetzt erklärte auch sie, es nicht länger hier aushalten zu wollen. Sie wollte nach Amerika; aber, setzte sie hinzu, wenn es herauskäme, würde sie aushalten bis auf allerletzt. Nach einiger Ueberlegung sagte sie: »Nu, Fritzel (Freddy), geh zu Bainbridges und suche, daß du unsere Möbel verkaufst. Aber nicht zu hastig. Besinne dich ein bischen und rauch deine Pfeife. Ich will auch da sein in ein paar Stunden.«
Er that, wie sie gesagt.
Aber sie kam nicht zu Bainbridges. Er schickte und er ging selbst hin. Das Haus war leer, sie fort. Da er fast ohne alles Geld war, versetzte er die Pistolen bei einem Pfandleiher, verkaufte dann alles Geräthe und machte sich auf den Weg nach Jersey. Alles Geld, welches er in der Bank aufgenommen, hatte sein Weib ihm abgenommen.
Diese Erzählung Mannings, wie die Zeitungen sie am 10. brachten, ist zwar nicht beglaubigt wie die von ihm zu Protocoll gegebene und nach seinem Tode
publicirte, sie enthält aber an sich selbst weit mehr Glaubwürdigkeit durch die warmblütigen Züge der That, die schwerlich erfunden worden, und welche die Geistlichen, die jenes Protocoll niederschrieben, wahrscheinlich für ungeeignet zur Aufnahme in die Bekenntnisse eines Sterbenden hielten.
Es ist schon Erwähnung gethan, daß der oder die Verurtheilte sich anderer Räubereien selbst bezüchtigt, um einen Aufschub ihrer Strafe zu erlangen. Auf der Great-Western-Eisenbahn war ein
solcher Raub vorgefallen. Manning erklärte aber gegen seinen Bruder, daß er davon nichts wisse. Ein gewisser Poole und Andere möchten wol darin verflochten sein. Wahrscheinlich wisse seine Frau darum, die mit Poole vertraut sei.
Der Unglückliche hatte noch eine Bitte an seine Aufseher: daß man nicht erlauben möge, einen Abdruck von seinem Kopfe nach seinem Tode zu machen, damit er nicht in die verfluchte Wachsbude der Madame Tussaud gesperrt werde. Er bitte das inständigst, um seiner
Familie willen. Man versprach ihm, wenn möglich, es zu hindern. Er schien davon erleichtert, und betheuerte nun noch ein Mal: wenn er hingerichtet werde, so würde einem Unschuldigen das Leben genommen. Zum Schluß bat er alle Anwesende mit ihm niederzuknien und zu beten.
Schmach und Schande genug in der That und was ihr folgte. Diese ruht auf den Schultern eines verwilderten, ruchlosen Weibes und des halb stumpfsinnigen Schwächlings, ihres Ehemanns. Aber damit ist das Maß der Schande
dieses Prozesses nicht gefüllt, den nachfolgenden Theil trägt leider das Volk »mit der Erbweisheit« von Jahrhunderten. Alle diese Erbweisheit und das tiefe religiöse Fundament, auf welches sein Staatsleben begründet ist, hat die cannibalische Wahrheit nicht zu entfernen vermocht, welche erst dann grauenhaft erscheint, wenn sie mit der Blasirtheit und Frivolität der Bildung und Verfeinerung der Zeit sich mischt. Hören wir Engländer selbst darüber sprechen. Nach der Hinrichtung hat bekanntlich
Boz (Dickens) seine Stimme dagegen erhoben; über die Vorbereitungen sagt aber bereits ein Schriftsteller:
Die krankhafte Neugier des Publicums, bei der Execution großer Verbrecher gegenwärtig zu sein, ist für uns schon lange ein Vorwurf und eine Schande; aber wer es nicht sieht, der hätte das nicht geglaubt, was man seit zwei Tagen vor dem Kerker von Horsemanger-Lane erblickt und hört. Von früh Sonnabend Morgens bis spät in die Nacht ertönen die Hammer der Zimmerleute. Kein Moment
Ruhe dazwischen. Viele Hundert Handwerker zimmern möglichst bequeme Sitze für die Zuschauer des Schauspiels, welches wahrscheinlich künftigen Dienstag dort stattfinden wird. Die Häuser, dem Gefängniß gegenüber, sind unansehnliche Gebäude, jedes hat zur Seite Gärten, die sich 30–40 Fuß in der Fronte erstrecken. Diese Gärten werden nun mit Galerien von drei Rängen überbaut für Zuschauer; in den Häusern erhält jedes Fenster seine Sperrsitze; sie werden angebracht auf den Dächern, an den
Schornsteinen. Alles ist ernstes Geschäft, Contracte vor dem Notar werden abgeschlossen. Es werden Einlaßbillete gedruckt des Inhalts:
» Hinrichtung Mannings und seiner Frau.«
»Einlaß für den Inhaber dieses zum Sitzplatz Nr. – im Hause, Numero – Horsemanger-Lane.«
In zweien dieser Häuser haben die Vertreter der Presse Plätze erhalten, da nach einer neuen Verordnung am Tage der Execution Niemand im Gefängniß selbst Zutritt erhält bis auf die Polizei- und Gerichtspersonen. – Im Winkel vor dem Hause in der Swanein hölzernes Gebäude mit amphitheatralischen Sitzen errichtet, so kunstgerecht gebaut, daß Jeder sehen kann, was vorgeht. Zwei ähnliche (da und dort), dazu eine Plateform, welche beide Arenen verbindet. »So wird denn gar kein Mangel an Bequemlichkeit für Alle sein, welche die Ceremonie mit ihrer Gegenwart zu beehren wünschen.« – Höchst ehrenwerthe Gesellschaften bemühten sich mit einem unerschöpflichen Eifer bis Sonnabends um Plätze. Für Stehplätze in ziemlicher Entfernung ward eine Guinee gezahlt. »Auch heißt es, daß bereits mehre Mitglieder der Aristokratie sich ihre Plätze gesichert haben, und in einem Hause, dem Gefängniß gegenüber, macht der Wirth kein Hehl daraus, daß seine Gäste ihn um ein Champagner-Frühstück a discretion ersucht haben. Ein anderer alter Herr, der das Gedränge am Morgen fürchtet, hat sich ein Bette für die Nacht bedungen, um, wenn er die Augen öffnet, die Fallklappe schon im Morgenlicht zu sehen.« Das Schaffot wird erst am Tage vorher errichtet werden. Zu dieser Hauptsache beim Schauspiel braucht man nur wenige Stunden.
Während des Sonnabends ward auch eine Zahl Arbeitsleute damit beschäftigt, die losen Pflastersteine vor dem Gefängniß fortzuschaffen; eine nothwendige Vorsicht, um dem Pöbel die Waffen zu entziehen, entweder zum Kampf unter sich, oder um sie gegen die Verurtheilten zu schleudern. Die Gegend umher glich einem Markte, so ward um die Billette gehandelt. Ja – unerhört für England – dies Geschäft dauerte noch am Sonntag fort.
Constabler wurden in der Zahl von 400–500 gefordert. Aber damit begnügt man sich nicht, man führt an allen Zugängen Barrieren auf, um den gefürchteten Zudrang zu verhindern, da möglicherweise die Quetschungen allein viel Menschenleben kosten dürften.
Vor dem Polizeigerichtshofe kam eine seltsame Klage vor. Ein Miether beschwerte sich über seinen Wirth. In einem der Häuser in Horsemanger-Lane wohnhaft, gegen hundert Schritt vom Gefängniß, war ihm von seinem Wirth ein Gerüst dermaßen hoch vor die Nase gebaut, daß das Licht nicht mehr in sein Zimmer drang. Der Miether behauptete, der Wirth habe nicht das Recht, ihm das Licht zu entziehen, und trug darauf an, daß das Gebäude niedergerissen werde. Sofort verordnete der Richter die Beweisaufnahme, und ein Polizeiofficiant, der an Ort und Stelle beordert ward, brachte schon in 10 Minuten den vollständigen Beweis mit, daß es sich so verhalte, wie der Miether angegeben. Der Wirth replicirte, daß der Miether kein Recht habe, sich zu beklagen, denn seine Miethzeit sei mit dieser Nacht verstrichen, indem er ihm vorigen Sonnabend nach Wochenfrist gekündigt. Der Miether bestritt ihm das Recht. Der Polizeirichter erklärte, daß er mit dieser Civilangelegenheit nichts zu thun habe; weil aber der Wirth sein Thurmgebaude über den öffentlichen Weg gebaut, müsse es auf der Stelle wieder eingerissen werden. Eine Anzahl Constabler ward auf der Stelle hingeschickt, um für die Ausführung des Befehls zu sorgen.
Vor demselben Polizeigerichtshofe erscheint auch der Geistliche des Horsemanger-Lane-Gefängnisses, Master Roe: der Zustand um das Gefängniß sei ein höchst betrübender. Fast alle Einwohner des Bezirks hätten vor ihren Häuserfronten hohe Stangen aufgerichtet; an diese kleine Querstangen befestigt und darüber Planken gebunden, Sperr- und Luftsitze für die Neugierigen zu dem gräßlichen Schauspiel am Dienstag Morgen. Alles dies sei so leicht aufgeführt, man werde so viele Personen auf die Stangenbretter setzen, daß Unglücksfälle gar nicht zu vermeiden wären. Sein Antrag daher: die Obrigkeit möge diese Ständer sammt und sonders niederreißen lassen. – Der Polizeirichter fragt: ob sie auf öffentlichem Grund und Boden errichtet wären? – Antwort: Nein. – Dann kann auch die Obrigkeit nicht helfen. Der Polizeirichter bedauerte nur zu hören, daß auch verständige Leute in so das Gefühl empörender Weise handeln könnten. Er hoffe, das Publicum, werde Achtung vor der Moral haben und solche Leute nicht begünstigen. – Wenn nun aber Unglücksfälle einträten, würden die Eigenthümer und Gerüstebauer nicht zur Verantwortung gezogen und wegen Todtschlags belangt werden müssen? – Zweifelsohne, entgegnet der Polizeirichter; er hoffe aber, das Publicum werde nicht sein Leben dran setzen um des Vergnügens halber, zuzusehen, wie man zweien ihrer Mitmenschen das ihre nehme.
Polizei, Moral und Religion intervenirten umsonst; man hämmerte, baute, schichtete und schacherte – um Billets.
Noch am Freitag (9. November) hatte Manning einen Brief an den Geistlichen Roe geschrieben, in welchem er ihn dringend ersuchte, seine Frau zu einer Zusammenkunft mit ihm zu bewegen, damit sie Beide in Frieden von dieser Welt schieden, um in Frieden vor Gott zu erscheinen. – Roes Vermittelung war ohne Erfolg. Die Manning beharrte bei ihrem Entschluß, ihren Mann nur unter der Bedingung wiederzusehen, daß er sich zu den Erklärungen verstände, welche sie ihm dictirt. Manning hatte noch immer auf eine Verwandlung seines Urtheils gehofft; als sein Advocat ihm die Nachricht brachte, daß alle Anstrengungen deshalb fruchtlos gewesen, sank er wieder in große Muthlosigkeit.
So am Freitag. Als ihn sein Bruder Edmund am Sonnabend Nachmittag besuchte, erklärte er sich ganz zufrieden gestellt und in sein Schicksal ergeben. Er richtete Bestellungen an alle seine Verwandte, namentlich an seine Schwester, auch an einen frühern Prinzipal, einen Wagenfabrikanten in Taunton, dem er danken ließ für alle Freundlichkeit, welche dieser ihm bei Lebzeiten erwiesen. Zugleich holte er eine von ihm entworfene Skizze hervor, die Hinterküche darstellend, mit der Situation, in welcher er OConnors Leiche gefunden, und war bemüht zu beweisen, wie es gar nicht möglich sei, daß er bei dem Morde betheiligt gewesen. Auf die Frage des Bruders, ob er ihn noch ein Mal vor der Execution besuchen solle, lehnte er es ab; es sei wol besser, daß dies das letzte Mal wäre: er scheide ja nur auf kurze Zeit von ihm, und bald, hoffe er, würden sie sich in einer besseren Welt wiedersehen. Auf sein Verlangen knieten abermals alle Anwesenden mit ihm nieder und der Kaplan mußte ein Gebet sprechen.
Auch ein katholischer Prälat besuchte aus eigenem Antriebe beide Verurtheilte, die er früher gekannt. Sie blieb starr und rauh, wie gegen Alle. Manning empfing ihn dankbar für den Besuch, aber ließ es nicht zu religiösen Gesprächen kommen, aus Furcht, daß er ihn in seinem reinen protestantischen Glauben irre machen könne.
Die Manning hatte einen Brief an die Königin gerichtet, mit der Bitte, sie vor dem Schaffot zu bewahren, mit der Betheuerung, sie sei am Morde unschuldig. Der Brief, eingeschlossen in einen andern an die Herzogin von Sutherland, schon am vorigen Montag auf die Post gegeben, war aber nicht im Sutherlandschen Hotel angenommen worden, weil – er unfrankirt war. Er ward erst am Sonnabend eröffnet. Unzweifelhaft hätte er, auch wenn der Zwischenfall nicht eintrat, keine Wirkung gehabt.
Am Sonntag, 11., wohnten beide Verurtheilte dem Gottesdienst in der Gefängnißkapelle bei; es schien, als habe jeder das Verlangen den andern zu sehen. Die Einrichtung ist aber so getroffen, daß dies unmöglich wird. Manning sah sehr blaß aus; seine Frau war sorgfältig gekleidet. Die ergreifende Rede des Geistlichen bezog sich, wie zu erwarten, auf ihr Verbrechen und Schicksal, und Beide weinten bitterlich. Ja, man gab sich der Hoffnung hin, daß sie endlich auch das Weib zum Bekenntniß stimmen werde.
Nach einer Stunde besuchte der Kaplan die letztere. Seine Mittheilung hatte nichts Tröstliches. Er brachte ihr jene auf der Post eröffneten Briefe zurück. Desgleichen die abschlägliche Antwort der Königin auf ein Gesuch, welches »ein Gentleman, der mit der Regierung Louis Philipps in Verbindung gestanden und den sie ihren Vormund nannte«, zu ihren Gunsten eingelegt. Wir erfahren, daß dieser Gentleman sie in ihrem Gefängniß mit einigem Gelde unterstützt hatte.
Dieser kirchlichen Sonntagsfeier war aber, wie man später erfuhr, ein anderes Ereigniß vorangegangen, das wenig mit der Sonntagsstimmung harmonirte. – Man hatte sich schon längere Zeit auf den Versuch vorgesehen, den die Manning machen könne, sich selbst ums Leben zu bringen. Nicht allein alle gefährlichen Gegenstände hatte man, wie es Ordnung ist, von ihr entfernt, sondern man that dies auch mit ihren Kleidungsstücken, wenn sie beim Zubettegehen sich ausgezogen, aus Besorgniß, daß sie einen Strangulationsversuch damit machen könne. Die Länge ihrer Nägel, die sie sich wachsen ließ, waren Einigen schon aufgefallen. Auf Fragen deshalb gab sie eine scherzhafte Antwort; Andere hatten bemerkt, daß sie die Hand im Gespräch, wie spielerisch mit einem Tuch umwickelte. – Am Sonntag Morgen waren ihre Wächterinnen, von Müdigkeit überwältigt, eingenickt. Gegen 4 Uhr weckte sie ein convulsivisches Röcheln. Sie stürzten nach dem Bett und sahen die Gefangene ganz schwarz im Gesicht. Sie hatte, ihre Nägel in die Kehle drückend, sich zu erdrosseln versucht. Sobald die Unglückliche sich beobachtet sah, fuhr sie mit dem Kopf unter die Decke.
Und einige Stunden darauf sah man sie in sorgfältiger Toilette und mit anscheinender Andacht dem Gottesdienst beiwohnen!
Der Sonntag, der Tag geweiht in England der Andacht des Müßiggangs, hatte von früh ab um Horsemanger-Lane eine Menschenmasse versammelt, wie man sie nie dort gesehen. Schon jetzt, berichten die Zeitungen, waren die Gespräche empörend, welche man über das muthmaßliche Benehmen der Todescandidaten führen hörte. Um 1 Uhr wurden die Wirthshäuser und Läden geöffnet. Alles stürzte hinein, die Wirthe hatten kaum Hände genug zum Bedienen. Noch immer wuchs die Menge, unter der sich aber auch viel anständig Gekleidete befanden, nach den Giebeln des Gefängnisses und nach den Gerüsten ihre Blicke wendend. Es konnte, in der sonst öden Gegend, buchstäblich kaum ein Apfel zur Erde, und die Cabriolets und Wagen, die hindurch wollten, waren entweder selbst in Gefahr oder brachten sie Anderen. Es schien dem Berichterstatter etwas Auffälliges, daß außer einigen niedergeworfenen und getretenen Menschen kein Unglück an diesem Sonntage entstand.
Aber was auch nur entfernt auf den Prozeß Bezug hatte, interessirte London dermaßen, daß es einen vollen Platz in den Zeitungen erhielt. So ward auch ein Prozeß, welcher vor dem oben erwähnten Polizeirichter am Sonnabend stattfand, vollständig mitgetheilt, als hätten auch dort Stenographen gesessen und Alles aufnotirt. Der Pfandleiher Adam forderte die Pistolen zurück, die ihm abgenommen waren, weil mit einer derselben angeblich der Mord vollbracht worden. Der Richter weigerte sich, sie herauszugeben, weil alle Werkzeuge, mit welchen ein Mord verübt, ein der Krone verfallenes Gut wären. Der Pfandleiher wandte ein: er habe diese Pistole in unverdächtiger Weise für eine dargeliehene Geldsumme von einem unverdächtigen Manne als Pfand angenommen. Es constatire nicht, daß dieser Mann sie gestohlen, vielmehr daß die Pistolen in rechtlicher Weise erworben, also der Mann vollkommen befugt gewesen, darüber zu disponiren, wie ihm gefiele. Die Pistolen seien ganz neu gewesen, und nur an der einen habe er bemerkt, daß ein Mal daraus geschossen worden. Ferner habe er, der Pfandleiher, auch nicht einmal in Manning den Mann wiedererkennen mögen, welcher die Pistolen bei ihm versetzte, da Letzterer ihm von anderer Statur erschienen. Für ihn sei demnach auch gar nicht der Beweis geführt, daß seine Pfandpistolen das Mordwerkzeug gewesen, denn daß die Kugel im Schädel des Ermordeten auch in eine seiner Pistolen gepaßt, sei kein bündiger Beweis; er habe also ein volles Recht auf sein Pfandeigenthum, und mache Richter und Krone verantwortlich für allen Schaden, der ihm daraus entspringe. Der Polizeirichter blieb indessen bei seiner Verweigerung: dadurch, daß Manning selbst in den Pistolen die Mordwerkzeuge anerkannt, sei der Beweis dafür genügend geführt; um deshalb seien und bleiben sie der Krone verfallen und der Pfandleiher erhielt den Rath, sich mit seinen Ansprüchen an den Lordkämmerer des Schatzes zu wenden. Adam dankte und verhieß dem Rath zu folgen. Welchen Erfolg seine Klage gegen die Krone, angeschuldigt, sich mit seinem Verlust bereichern zu wollen, gehabt oder haben wird, ist uns nicht bekannt.
Dienstag, am 13. Nov., Morgens um 9 fand die Hinrichtung beider Eheleute statt.
Vom Montag Nachmittag an ward der Platz um Horsemanger-Lane von Menschen keinen Augenblick leer. Sie blieben auch durch die ganze Nacht. Nur um Mitternacht schienen die Massen sich etwas zu lichten, aber mit jeder folgenden Stunde preßte und stopfte es sich, und bei Tagesanbruch war ein Gesumme von der noch stillen Menge, daß die ältesten Leute sich dessen nicht entsannen. – Es war ein schöner Morgen; der Anblick der beiden in der Front des Gefängnisses auf dem Dache aufgerichteten Galgen desto widerwärtiger. Dicht gedrängt, Kopf an Kopf, schien darunter die ganze zerlumpte Bevölkerung der Weltstadt versammelt. Es war kein Gesumme mehr, sondern ein verworrenes Stimmenmeer. Die trefflichen Maßregeln der Polizei verhinderten das Hin- und Herschwanken der Massen, welches so leicht zu Aufständen führt, denn überall waren Barrieren errichtet, um den Ungestüm zu brechen. Ringsum an den Fenstern, Dächern, Gerüsten, Amphitheatern war kein Platz unbesetzt geblieben. Die Preise waren noch in der letzten Stunde ins Enorme gestiegen. Die von der Polizei verbotenen oder niedergerissenen Plateformen waren über Nacht wieder auferstanden. Was kümmerten sich die Eigenthümer um die Geldstrafen, denen sie verfielen, da ihr Gewinn weit größer war! Der Pöbel, sagt ein Berichterstatter des Globe, war nicht roher als sonst; einige Faustkämpfe und Taschengriffe gehören zur Tagesordnung. Die Polizei hatte mehr zu thun mit Denen, die ohnmächtig wurden; sie fortzuschaffen, war die schwierigste Arbeit. Das Weiber- und Kindergeschrei war dem Ohr empfindlicher als die rohen Flüche.
Um 9 Uhr ging die kleine Thür auf und die Prozession trat heraus. Manning kam zuerst, von zwei Männern geführt. Der Kaplan las ihm aus der Liturgie vor. Seine Glieder zitterten, als er die Stufen nach der Fallklappe hinaufstieg. Er schien einen Augenblick kaum mehr die Kraft zu haben, sich zu bewegen; aber oben kehrte die Kraft zurück. Sein Kopf ward mit der weißen Nachtmütze bedeckt, der verhängnißvolle Strick befestigt. – Einige Secunden nach ihm trat seine Frau heraus. Sie ward in ähnlicher Weise begleitet. Schwarz angezogen, bedeckte ein Schleier derselben Farbe Kopf und Gesicht. Auch sie stieg mit sichtlicher Schwierigkeit die Stufen hinan; oben aber stand sie fest, ohne Wanken und Zittern.
Man sah, daß ihr unglückseliger Mann zwei Mal mit ihr die Hand schüttelte. Es wurden noch Worte gewechselt (wir geben hier den ersten Bericht eines Zeitungsreporters), sichtlich Worte gegenseitigen Vergebens. Ehe der Kaplan sich zurückzog, flüsterte er einige Worte der Frau ins Ohr.
Nun war Alles fertig. Die Gerichteten wandten das Gesicht nach dem Volke unten zu. In dem Augenblick sank das Fallbrett unter ihren Füßen. – Mann und Weib waren in einem Augenblick, es schien ohne Todeskampf, in die Ewigkeit geschleudert. – Um 10 Uhr wurden die Leichname abgeschnitten, um im Umkreise des Gefängnisses verscharrt zu werden.
So nach der Schilderung eines Augenzeugen, der die Tragödie aus einem gegenüberstehenden Hause, also von außen, betrachtete. Wir haben aber noch eine andere ergreifendere Schilderung, deren Verfasser die letzten Momente der beiden Verurtheilten im Innern des Hauses, wir möchten sagen, auch im Innern des Herzens belauscht hat. Sie würde in der Ausdehnung, wie englische Zeitungen sie mittheilen, den Raum eines Bogens in unserem Werke füllen, wir geben sie daher nur im Auszuge, obgleich Alles darin von psychologischem Interesse ist, den Schluß der Tragödie.
Montag 12. Abends gegen 8 besuchte der Kaplan Rowe die weibliche Gefangene und blieb über zwei Stunden bei ihr. Auf seine Ermahnungen, Frieden mit ihrem Gott zu schließen, und daß dies nur geschehen könne, wenn sie ihr Gewissen durch ein vollständiges Bekenntniß erleichtere, entgegnete sie, übrigens in der verbindlichsten Weise, daß sie sich gar keiner Schuld bewußt sei, der Mord sei von einem jungen Manne aus Guernsey begangen, den ihr Mann kenne, und sie selbst sei gänzlich unbekannt mit den näheren Umständen. Ueber den Besitz der Schlüssel des Ermordeten gab sie leere Ausflüchte. Als die Ermahnungen des Geistlichen ohne allen Eindruck blieben, suchte er sie wenigstens für den Wunsch ihres Ehemannes empfänglich zu machen, sie noch ein Mal vor dem Tode zu sehen. Auch hierauf erwiderte sie sehr verbindlich, sie wolle den Wunsch gern erfüllen, nur müsse er auch ihrer Bitte nachkommen und die Beschuldigungen, die er gegen sie vorgebracht, zurücknehmen. Uebrigens vergebe sie ihm Alles, was er ihr gethan. Als der Geistliche ging, warf sie sich unentkleidet auf ihr Bette, schlief aber wenig. Mehrmals stand sie auf, und klagte über Unwohlsein.
Rowe ging in Mannings Zelle. Dieser zeigte noch immer dieselbe Ergebung, zugleich aber auch den lebhaftesten Wunsch, daß seine Frau bekennen möchte. Ja, er drängte mit einigem Ungestüm den Prediger, es ihn wissen zu lassen. Dieser machte ihn darauf aufmerksam, daß in seiner Lage ihm nichts darauf ankommen könne, was seine Frau oder irgend ein Anderer thue und denke, daß er vielmehr nur für sich zu sorgen habe, mit seinem Gott Frieden zu machen. Auch hier blieb Rowe zwei Stunden. Manning hoffte beim Scheiden ihn Morgen um 5 Uhr wiederzusehen. Er blieb in einem traurigen Zustande zurück, er wollte sich weder zu Bett legen, noch auf einen Stuhl setzen. Zuweilen griff er nach der Bibel und las Psalmen, dann ergriff er die Feder und schrieb kurze Memoranda, die er als Geschenke für seine Gefangenwärter zurücklassen wollte, indem er ihnen für ihre Freundlichkeit dankte. Eines lautete:
»Frederick George Manning, geboren zu Taunton, in der Grafschaft Somersetshire, im Jahr 1821, April 16. Gestorben, Horsemanger-Lane-Gefängniß, am Dienstag, Nov. 13, 1849. Möge der Herr gnädig sein seiner armen Seele! Amen. Mit Frederick George Mannings Grüßen an Mr. Moore.«
Zwei oder drei Mal warf sich der Unglückliche auf das Bett, aber seine Wächter glauben, daß er auch keinen Augenblick die Augen geschlossen habe. Sehr oft fragte er, ob Der viel zu leiden habe, der so zu sterben verurtheilt sei, wie er. Der Gedanke schien ihn fortwährend zu peinigen.
Nach 6 am Morgen erschien Rowe wieder, bald gefolgt von den Magistratspersonen, welche bei der Hinrichtung fungiren sollten. Manning schien über seinen Anblick erfreut und entschuldigte sich wegen seines gestrigen Ungestüms. Nachdem sie miteinander gebetet, verließ ihn Rowe, um noch einmal die unbußfertige Frau aufzusuchen. Manning frühstückte etwas Thee und Butterbrot und hörte jetzt das Geräusch der Volksmasse draußen. Es schien ihm unheimlich zu werden, und er verlangte, so schnell als möglich in die Kapelle gebracht zu werden.
Maria Manning fand der Geistliche körperlich und geistig niedergedrückt. »Sie haben kaum noch eine Stunde zu leben, in so kurzer Zeit stehen Sie vor Gott, wo keine Falschheit hilft und die Meinungen der Menschen nichts gelten; haben Sie nun noch etwas zu bekennen, zu widerrufen oder Aufträge, so eilen Sie Ihr Herz zu erleichtern.« Die Unglückliche erwiderte, sie habe nichts Dem hinzuzusetzen, was sie gestern gesagt, Alles sei so wahr und richtig, und sie ersuchte nur den Geistlichen an zwei vornehme Damen zu schreiben und denselben ihren Dank für die Freundlichkeit abzustatten, welche sie ihr während ihrer Gefangenschaft erwiesen.
Manning hatte inzwischen in der Kapelle sein heißes Verlangen ausgedrückt, seine Frau noch ein Mal zu sehen. Etwa 20 Minuten nach 8 Uhr kam sie und setzte sich auf dieselbe Bank, ein Schließer und eine Schließerin zwischen ihnen. Sie sahen sich freundlich an. Manning konnte seine Gefühle nicht mehr beherrschen, er lehnte sich nach vorn gegen seine Frau und sprach mit dem rührendsten Ton der Stimme: »Ich hoffe, Du gehst nicht aus diesem Leben mit Gefühlen des Grolls gegen mich.« – Das war auch für das Weib mit dem Felsenherzen zu viel. Sie bog sich ebenfalls vor und sagte: »Ich hege keinen Groll gegen Dich.« – »Willst Du mich nicht küssen?« sagte er. »Ja«, erwiderte sie. Beide standen auf, schüttelten sich die Hände und küßten sich mehre Mal.
Jetzt trat der Geistliche ein und reichte Beiden das Abendmahl. Der Ritus dauerte etwa eine halbe Stunde, dann ließ man Beide wieder zu einander. Manning umarmte seine Frau mit großer Innigkeit: »Gott segne Dich, ich hoffe, wir finden uns im Himmel wieder.« Sie erwiderte die Umarmung, hörbar schluchzend.
Die Gefangnißglocken läuteten feierlich durch mehre Minuten. Der Gefängnißmeister mußte Manning erinnern, daß seine Zeit gekommen sei. Nach einem letzten Scheidekuß ward er in ein anstoßendes Zimmer geführt, um dort gebunden zu werden. Manning übergab sich dem Manne, welcher ihm als der Henker Calcraft genannt ward. Während des Bindens fragte er ihn, ob er viel leiden werde? Calcraft erwiderte, wenn er sich ganz still verhalte, werde er ganz und gar nicht leiden. Diese Versicherung schien ihn zu beruhigen.
Als Calcraft in das Zimmer trat, wohin man die Verurtheilte gebracht und diese ihn zu Gesicht bekam, sank sie zusammen und war einer Ohnmacht nahe. Man mußte ihr Branntwein einflößen, um sie wieder zu sich zu bringen. Als sie sich erholte, zog sie aus der Tasche ein klein schwarzseiden Tuch und bat, man möge es ihr fest ums Gesicht binden, ehe sie das Zimmer verlasse. Der Wundarzt des Gefängnisses erfüllte den Wunsch, desgleichen zog er ihr einen schwarzen Florschleier über das Gesicht und den ganzen Kopf, wie sie es angab und befestigte ihn unter dem Kinn. Nun schnürte sie Calcraft; Maria Manning ertrug die empfindliche Operation mit Stärke. Der Henker wollte auch, sie solle einen Mantel über den ganzen Körper sich hängen lassen, damit die Stricke versteckt blieben; dagegen sträubte sie sich und es unterblieb. Eine der Schließerinnen, von den Schrecken des Auftrittes selbst ergriffen, weinte laut auf. Die Manning sagte mit großer Ruhe: »Schluchze nicht, bete lieber für mich.«
Man führte sie nun in den Kirchhof des Gefängnisses, wo ihr Mann bereits wartete. Die Prozession ordnete sich. Er mit seinen Begleitern ging voran, sie folgte. Maria wankte, als sie an der Mauer des Gefängnisses vorüberging, mehrmals mußte sie gestützt werden. Weil sie nichts sehen konnte, ging sie ängstlich und bat den Wundarzt neben ihr, sie zu leiten. Auch klagte sie, die Stricke um ihre Handgelenke wären zu fest gebunden, es schmerze sie. Ihr Weg, als sie den Kreuzgang der Kapelle streiften, führte über die Gräber, welche schon für sie gegraben waren. Man hatte ungelöschten Kalk hineingeworfen, als eine buchstäbliche Wiedervergeltung für Das, was sie an OConnor begangen.
Eine enge Treppe führte aufs Dach des Gefängnisses, wo die Galgen errichtet waren. Sie hier hinaufzuschaffen, schien sehr schwierig, aber es ging leichter, als man erwartet. Oben hielt man einen Augenblick still, um Luft zu schöpfen. Der Henker nahm das Tuch ab, womit Mannings Augen verbunden waren. Das bleiche, abgemagerte Gesicht des Mannes starrte gespensterhaft den 50,000 und mehr Gesichtern entgegen, deren Blicke nur auf seines gerichtet waren. 50,000 Menschen, londoner Pöbel, und in dem Augenblick war es so still, daß man einen Athemzug hören konnte.
Zuerst ward Manning unter den Balken gestellt. Calcraft zog ihm die Nachtmütze über das Gesicht und schlang den Strick um den Hals. Demnächst folgte Maria. Man hatte erwartet, daß bei ihrem Anblick Aeußerungen der Wuth und des Unwillens sich Luft machen würden. Aber es blieb auch jetzt still. »War es doch ein Anblick, der Herzen von Diamant hätte erweichen können.«
Als Manning, der nicht mehr sehen konnte, inne ward, daß auch seine Frau auf dem Schaffot stand, bog er sich zu ihr hin, so weit der Strick um seinen Hals es zuließ. Er flüsterte ihr etwas zu und streckte seine gebundene Hand nach ihr zum letzten Händedruck. Einer der Schließer brachte mitleidig die Hand des Mannes mit der Hand der Frau in Verbindung. Das Todespaar nahm den letzten Abschied.
Calcraft hatte einige Schwierigkeit mit der Frau, die enge Mütze ihr über den Kopf zu ziehen, und über Tuch und Schleier zugleich. Während der ganzen Zeit verlas der Kaplan das Ritual, wie er vom Augenblick an gethan, wo die Prozession die Kapelle verlassen.
Als Alles bereit war, trat Master Rowe noch einmal an das Weib und fragte: ob sie noch etwas zu sagen habe? Am Rande von Vernichtung und Ewigkeit, vom Stricke berührt, der in der nächsten Secunde ihr die Lebensluft nehmen sollte, antwortete sie mit Festigkeit: »Nichts, außer meinen Dank für Ihre Güte.«
Im nächsten Augenblick fiel die Klappe. Beide schienen ohne Convulsionen zu sterben. Wenigstens bemerkte man weit weniger musculöse Bewegungen als gewöhnlich.
Manning trug den schwarzen Anzug, in welchem er vor Gericht erschienen war, Maria ein schönes schwarzes Atlaskleid.
Nach einer Stunde wurden die Leichen abgenommen, und nachdem man Abdrücke von ihren Köpfen genommen, wurden sie am Nachmittag im Kreuzgang der Kapelle begraben.
Wie aufrichtig die Vergebung gemeint war, welche Maria gegen ihren ungücklichen Mann aussprach, mag man aus dem Umstand entnehmen, daß sie noch in der letzten Nacht einen Brief an ihren Kerkermeister richtete, in welchem sie, wiederholt ihre Unschuld betheuernd, ausspricht: sie sei von ihrem Manne ermordet worden und er habe bei Gott ihr Blut zu verantworten!
Von der Roheit und den Excessen, welche während und nach der Execution vorfielen, machen die Zeitungen schreckenerregende Schilderungen. Manche Plätze sahen, als die Volksmenge fortgetrieben war, Schlachtfeldern ähnlich. Gequetschte, getretene Menschen lagen umher, mehre ohne Besinnung, mit gebrochenen Beinen, Hüte, Mützen, Stöcke, Fetzen von Kleidern umhergestreut. Die ohnmächtig gewordenen Frauen hatten die Constabler mit Stricken aus dem gequetschten Haufen ziehen müssen. Die Spitäler Londons wurden mit den Verunglückten gefüllt.
Dickens (Boz) schrieb darüber jenen Brief an die Times, der so großes Aufsehen erregte und in allen Zeitungen besprochen ward. Wir geben ihn als Document zu diesem Prozeß und zugleich auch um des berühmten Autors willen. Fast ein Jahrhundert vor ihm hatte auch Fielding sich gegen die Oeffentlichkeit der Hinrichtungen ausgesprochen.
»Sir – ich war Zeuge der Execution an diesem Morgen. Ich ging hin, um die versammelte Menge zu beobachten, und ich hatte vortreffliche Gelegenheit dazu; ich beobachtete sie in der Nacht und vom frühen Morgen bis zum Ende des Schauspiels.
»Ich richte diesen Brief nicht an Sie mit der Absicht, die abstracte Frage über die Todesstrafe noch ein Mal durchzusprechen, noch mich mit den Argumenten ihrer Vertheidiger und ihrer Gegner zu befassen. Ich wünschte nur meine gräßliche Erfahrung zu etwas allgemein Gutem zu verwenden, indem ich durch dieses Mittel der Oeffentlichkeit dazu beitragen möchte, daß die Regierung endlich bewogen werde, einen Antrag (von Sir G. Grey im Parlament vorgebracht) zu unterstützen, der zum Zweck hat, daß alle Hinrichtungen künftig innerhalb des Gefängnisses mit angemessener, aber privater Feierlichkeit (natürlich unter Zuziehung so vieler unverdächtigen Zeugen, daß das Publicum von der strengen und unerbittlichen Vollstreckung der Gesetze überzeugt wird) vorgenommen werden, und indem ich noch ein Mal mit allem Ernst Sir G. Grey beschwöre, es sich zur heiligen Pflicht gegen die Gesellschaft zu machen, ja zur Verantwortlichkeit, die er nicht mehr von sich weisen kann, selbst und aus eigenen Kräften diese legislative Maßregel zu bewirken.
»Ich glaube, daß der Anblick und Eindruck, der mir heut von dem Leichtsinn und der Verworfenheit der ungeheuern Pöbelmasse geblieben, so furchtbar und unaussprechlich gräßlich ist, daß Niemand ihn sich denken kann. In keinem heidnischen Lande unter der Sonne könnte Aehnliches vorkommen. Der Schrecken des Galgens und des Verbrechens, welches die unglücklichen Mörder an denselben brachte, traten vor meinen Sinnen ganz in den Hintergrund vor den Scheußlichkeiten, die ich sah, vor diesem Benehmen, diesen Blicken, dieser Sprache der versammelten Zuschauer. Als ich um Mitternacht ankam, machte schon das schrillende Geschrei und Geheul von Knaben und Mädchen, die an den besten Plätzen versammelt waren, mein Blut erstarren. Im Verlauf der Nacht wuchs dies Geheul, Kreischen und Gelächter. Man parodirte bekannte Negermelodien, nur substituirte man für die »Susanna« »Mistreß Manning«. Als der Tag graute, streiften mit beleidigendem, unverschämtem Benehmen bekannte Diebe, Dirnen der schlechtesten Art, Raufbolde, Säufer und Vagabunden jeder Art umher. Faustkämpfe, Ohnmachten, Gepfeif, Imitationen des Punch, brutale Späße, ein Aufkreischen der Lust mit obscönen Gesten, wenn ohnmächtige Frauen von der Polizei fortgezogen wurden und ihre Kleider dabei in Unordnung geriethen, gaben willkommene Intermezzos der allgemeinen Unterhaltung. Als die Sonne herrlich aufstieg – und das that sie – vergoldete sie Tausende und Tausende von aufwärts gewandten Gesichtern, die so unaussprechlich viehisch und cannibalisch glotzten, daß ein Mensch fast Scham fühlen mußte vor seiner eigenen Gestalt, die Teufeln ähnlicher sei als dem Ebenbilde Gottes.
»Als die beiden elenden Geschöpfe, welche den Gespensterblick der Masse auf sich zogen, in der Luft zitterten, da war doch nicht mehr Rührung, nicht mehr Mitgefühl, nicht mehr Gedanke daran, daß zwei unsterbliche Seelen zu Gericht gegangen seien, nicht mehr Zurückhaltung vor den vorigen Obscönitaten, als wäre der Name Christus nie in dieser Welt gehört worden und als gebe es unter allen diesen Menschen keine andere Vorstellung, als daß auch sie sterben würden wie die Thiere.
Ich habe doch in meinem Leben so manche der Quellen und Wiegen kennen gelernt und studirt, wo in diesem Lande die Befleckung und Corruption eingeimpft wird, und ich meine, es gibt nicht viele Phasen des londoner Lebens, die mir neu wären. Ich bin aber fest und feierlich davon überzeugt, daß Nichts von Allem, was man nur aussinnen könnte, so mächtig zum Ruin der Moralität wirkt als eine öffentliche Hinrichtung, und ich stand erblaßt und niedergeschmettert von der Schlechtigkeit, die sie hervorruft.
»Ich kann nicht glauben, daß irgend ein Gemeinwesen gedeihen könne, wo solche Scenen des Schreckens und der Demoralisation, wie heut Morgen vor dem Horsemanger-Lane-Gefängniß, sich vor den Thoren guter Bürger ereignen können, und man übergeht sie mit Schweigen oder vergißt ihrer. Und wenn wir in unsern Gebeten und Dankgebeten für die Ernte demüthigst vor Gott unsern Wunsch ausdrücken, daß er die moralischen Uebel des Landes von uns nehme, dann möchte ich Ihre Leser fragen, ob sie nicht auch dieses eine Uebel für wichtig genug achten, um ernst daran zu denken und es auszurotten.
Mein Herr, Ihr ergebenster Diener
Charles Dickens.
Devonshirean hat Dickens Darstellung nicht widersprochen, aber sie ergänzt. Wenn er den Pöbel denuncire, dessen cannibalisch glotzende Gesichter ihn zweifeln machten an seiner Menschenwürde, warum habe er denn nicht auch den feinen Pöbel der Aristokratie denuncirt, der in gewissen Häusern mit derselben Lust hinter Jalousien dem entsetzlichen Schauspiel zugeblickt. Wie Herren und Damen daselbst bei
Champagner und Austerfrühstück mit Opernguckern und Glacéhandschuhen die interessante und pikante Neuigkeit betrachtet, die letzten Todeszuckungen am Seil einer Gehenkten in Atlaskleidern!
Am folgenden Tage, 14. November, brachten alle londoner Zeitungen die letzten wahrhaften Bekenntnisse George Frederick Mannings, wie er dieselben an zwei aufeinander folgenden Tagen vor dem Geistlichen Master Rowe abgelegt. Sie sind roh, d. h. ohne psychologische Einblicke, wie man sie von dem
unglückseligen Menschen erwarten durfte, über dessen Geisteskräfte schon nach dem actenmäßig Ermittelten keiner unserer Leser im Zweifel sein wird. Wir theilen die Bekenntnisse nur im Auszuge mit, über Das, was uns schon bekannt, kürzer hinwegeilend.
Die Manningschen Eheleute scheinen sich durch verschiedenartige Wirthshausunternehmungen haben forthelfen zu wollen, zugleich aber dadurch ruinirt zu haben. Ob und welche zweideutige Rolle Maria Manning dabei gespielt, geht aus des
Ehemanns Bekenntniß nicht klar hervor.
Manning war im März nach der Insel Guernsey gereist. Warum, sagt er nicht. Als er nach drei Wochen, am 3. April, zurückkehrte, hatte seine Frau das Haus auf Miniver-Place gemiethet.
In der Nacht auf den ersten Sonntag, wo seine Frau das Haus bezogen, schlief OConnor dort, und versprach die nächste Nacht wieder zu kommen, aber er hielt nicht Wort. Am nächsten Donnerstag kam er und sagte ihr, er hätte seinen Sinn geändert. Grund: er
fürchte, er und Manning würden sich nicht lange vertragen, wenn Letzterer betrunken nach Hause komme und mit ihm Händel anfange.
Maria Manning erklärte ihrem Manne: OConnor sei kein Mann, nicht werth des Namens; und das wäre nicht das erste Mal, dass er sie so getäuscht. Er habe sie schon letzthin allein verleitet, das Wirthshaus King Johnshead zu übernehmen, und sie habe dabei 100 Pfund verloren. Dann noch ein anderes Mal, als sie ein Haus in Milend mieten wollen. Aber sie wäre, wie
ihre Väter waren, die einen Mann verachtet, auf dessen Wort man nicht bauen könne, und eher als einen solchen möchte sie einen Teufel bei sich einziehen lassen.
Nach dem 25. März stellte Mistreß Manning eine Rechnung aus für drei Wochen Quartier, als wie lange OConnor versprochen bei ihr zu wohnen, und zitierte ihn deshalb vor Gericht. Am Tage vor dem Termin kam OConnor und zahlte 30 Schilling für die Wohnung. Er entschuldigte sich und hoffte, dass darum zwischen ihnen keine
Feindschaft sein werde. Manning war damals schon zurückgekehrt und erwiderte ihm, das habe nun nichts mehr auf sich, da er ja nun gezahlt habe. Aber OConnor habe unehrerbietig von ihm gesprochen, und wenn er dessen gewiss wäre, würde er ihn injuriarum belangen.
Darüber vergoß OConnor Thränen, leugnete Alles, schüttelte Manning die Hand und bat ihn, mit ihm ein Glas Porter zu trinken und eine Pfeife zu rauchen. – Manning erwiderte: OConnor, ich trage Euch nicht die geringste
Feindschaft, noch that ich es je. – OConnor drang nun in ihn Den zu nennen, der gegen ihn ausgesagt, aber er that es nicht. Denn sein Weib hatte ihm gesagt, es OConnor nicht zu sagen.
Da schieden sie denn als gute Freunde. »Als er fort war, sagte mein Weib zu mir: ›Dieser alte Schuft ist die Ursache, daß ich viel Geld verloren habe, und ich bin entschlossen, so wahr ich lebe, mich an ihm zu rächen.‹ Und sie setzte hinzu, ›sie wolle ihn erschießen und wenn sie
auch darum gehängt würde‹. Ich stellte sie zur Rede, aber sie sagte, ›dabei wäre nichts Schlimmeres, als wie wenn ich einen Hund schösse, und daß er ein vollkommen Vieh wäre‹. Ich sagte: verbanne Du in Gottes Namen solche Gedanken aus Deinem Sinn; worauf sie sagte: ›Ich werde Dich schon über den Plan in Kenntniß setzen, nach dem ich handeln werde. Ich werde ihn häufig hier fragen und auch recht oft in sein Haus gehen, um mich über die Geldsummen zu vergewissern, die er
baar bei sich hat, und auch über die Zahl der Eisenbahnactien, die er besitzt, denn ich bin gewiß, er hat in fremden Actien mehr als für 4000 Pfund, über die ich dann frei verfügen kann, da sie auf den Inhaber lauten‹.
»OConnor kam jetzt häufig und sie besuchte ihn in seiner Wohnung regelmäßig etwa zwei Mal die Woche bis zu seiner Ermordung. Einmal hat sie OConnor betrunken gefunden; sie kam nach Haus und sagte es mir gleich, indem er Branntwein getrunken, als Präservativ gegen
die Cholera. Da hat sie ihn nach Hause geführt, und in dem Zustande hat er sie in die Schlafstube geführt und ihr alle seine Verschreibungen und Bons vorgezeigt, und ihr gesagt, daß er seinen letzten Willen schon gemacht und ihr 1300 Pfund ausgesetzt, und er hätte ihn so gemacht, daß ich, wenn sie stürbe, nichts damit zu thun haben solle. Sie aber sagte, »sie glaube dem alten Schufte nicht. Alles, was er sage, sei eine Lüge und er würde ihr keinen Schilling hinterlassen«. Sie war ganz
zufrieden, als sie nun endlich den vollen Betrag seines Vermögens kannte, und sagte: »Nun müßte ich mir doch bald Schüssel und Pfanne anschaffen, um seine Gans zu kochen«.
»Das geschah so um den 21. Juli. Dann ward Manning eine Stelle als Reisender für ein Handlungshaus angeboten, zwei Pfund wöchentlich und Procente vom Absatz. Da sagte er zu seiner Frau: »Jag die bösen Gedanken fort, was OConnor betrifft; denn das ist ja eine herrliche Stellung, und ich kann ein hübsches Stück Geld
zurücklegen«. Sie sagte: »Du Narr, Du, Du wirst nie im Stande sein so viel zu erwerben, als ich, wenn ich diesen OConnor umbringe. Und wenn Du die Condition annimmst, wirst Du von Thür zu Thür klopfen und auf den Straßen Dich umtreiben müssen wie die erbärmlichen Mädchen in London und auf dem Lande«. Wenn er die Stellung annähme, würde sie ihm überall nachlaufen. Lieber solle er ihr erlauben ihren Plan auszuführen, da sie entschlossen wäre, sich an dem alten Vagabunden zu rächen. Als er doch zu
den Kaufleuten gehen wollte, verschloß sie ihm Rock und Hut und sagte ihm: »Er solle sich lieber anschicken das Grab zu graben«.
»Da ging sie und kaufte die Schaufel in Tooleystreet und begann am nächsten Tage das Grab zu graben, und in 14 Tagen war es fertig und drei Wochen vor der Ermordung. OConnor war in der Küche gewesen drei oder vier Mal, nachdem das Grab schon fertig war, und indem er darüber wegging, machte er Bemerkungen, was hier wol geschehen sei, und sie sagte ihm,
der Wirth, Herr Coleman, wolle die Wasserröhre ändern, und er sagte, das währe ja lange, und sie sagte, es wäre viel daran zu thun, und die Arbeiter wären nicht hinterher. In die Küche aber ging er, um sich die Hände zu waschen.«
Am 26. Juli ließ seine Frau durch den Studenten Massay einen Brief an OConnor schreiben:
»Lieber OConnor, ich würde sehr glücklich sein, wenn Sie heut mit mir und meiner Schwester zu Mittag speisen wollten, indem sie von Derbyshire in die Stadt
gekommen ist, um einige Wochen hier zu bleiben, und sie wird sich sehr freuen Ihnen vorgestellt zu werden. Das Mittagbrod wird fertig sein um 5½. Sind Sie schon engagirt, so lassen Sie es mich durch eine Zeile wissen. In der Hoffnung, daß Sie ganz wohl sind – theuerster Freund, Ihr treu ergebener
William Massay.«
Welche Rolle der Student Massay bei dieser Komödie gespielt, wird aus dem Bekenntnisse nicht klar.
»OConnor kam, Donnerstag am 26.,
zur bestimmten Stunde. Als er ins Haus trat, fragte er nach Miß Massay und ihrem Bruder, und meine Frau sagte ihm, sie wären eben ausgegangen, und sie würden baldigst zu Mittag zurückkehren. Ich saß im Wohnzimmer mit OConnor und erzählte ihm von meiner Absicht, eine Klage anzustellen gegen zwei Leute in Taunton, die mich verleumdet hätten. Währenddem rief mich meine Frau hinaus und fragte mich, warum ich nicht fortginge, denn sie wollte ihn in die Küche haben ›um seine Gans zu
kochen‹. Worauf ich sagte, sie solle mir damit vom Halse bleiben. Während dieser Unterhaltung mit meiner Frau stand OConnor auf, nahm seinen Hut und ging. Sie rannte nun die Treppe hinauf, setzte ihren Hut auf und holte OConnor ein, etwa 300 Schritt vom Hause, und sagte ihm, sie selbst wäre es, die mir gesagt, daß ich von ihm, OConnor, verleumdet worden wäre, und sie sagte zu ihm: »Patrick, was lauft Ihr so ohne Weiteres fort?«
»Er antwortete ihr: Meine Bemerkung gefalle ihm
nicht, daß ich Klage anstellen wolle gegen die beiden Leute, und daß ich ihn auf dieselbe Weise fangen wollte, und deshalb wollte er nicht umkehren. Sie setzte ihm nun sehr zu, daß er es doch thäte, aber er that es nicht. Nun kam sie ins Haus zurück, sehr aufgebracht und ließ mich an: »Du kuhblütiger Schuft, Du hast mich gehindert, meinen Plan auszuführen«, und dann schrie sie bitterlich und sagte noch: »Du wirst mir dafür einstehen, denn nun wird sichs nie mehr so machen. Ich bin nun gewiß, er
kommt nie wieder her«.
»Ich fragte sie nun: was denn aus ihrer Seele werden solle, wenn sie eine Mordthat beginge? Da antwortete sie: »Ich habe keine Seele. – Wenn wir todt sind, sind wir ein Stück Koth und Erde und nichts bleibt von uns übrig; und ich habe nachher nichts mehr dafür zu leiden, daß ich den Mann umbrachte«.
»Am nächsten Morgen, Freitags, sagte sie zu Massay: ›OConnor war vorigen Abend hier, und ich sagte ihm, Sie wären mit Ihrer Schwester
ausgegangen. Ich wünschte, Sie schrieben noch ein Mal an OConnor.‹ Massay entgegnete: »Sehr gern, aber Sie müssen es dictiren«. Da setzte sich Massay nieder und sagte: ›Nun, Mistreß Manning, lassen Sie mich wissen, was Sie zu sagen wünschen‹, worauf er schrieb, wie folgt:
»Lieber OConnor, als ich gestern Abend spät nach Hause kam, erfuhr ich, daß Sie hier gewesen; ich bin sehr betrübt darüber, daß es mir und meiner Schwester nicht möglich ward, zum Mittagessen
nach Hause zu kommen. Wir mußten zu unserm Onkel am Nachmittage, und während wir dort waren, wurde er plötzlich sehr, und bedenklich, unpaß, und meine Schwester war sogar genöthigt die ganze Nacht bei ihm zu bleiben; aber wir würden sehr glücklich sein, wenn wir Sie wenigstens nächste Woche eines Tages unter uns sehen könnten. In der Hoffnung, daß Sie ganz wohl sind, lieber OConnor, Ihr treu ergebener
William Massay.«
Massays Rolle oder Charakter scheint danach nur noch räthselhafter. Möglich, daß man ihm die Sache im Lichte eines Scherzes vorgestellt. Aber wenn dies, wie konnte die Manning den Todesanschlag gegen OConnor am Ende Juli wagen, wo Massay noch im Hause wohnte, und nachdem sie sich seiner bedient hatte, um das Opfer ins Haus zu locken, während sie Anfang August Alles anstrengte, ihn aus dem Hause fortzuschaffen, um ungestört und unverdächtigt an ihr
Mordgeschäft zu gehen?
»Meine Frau schrieb an ihn, daß er doch zu Mittag kommen möchte. Aber er kam nicht, nur am Mittwoch kam er dann, aber zu spät, da er den Brief nicht erhalten, und als er kam, war er ganz betrunken. Welsh war mit ihm, und er schien der Ohnmacht nahe.
»Am nächsten Tage, Donnerstags, um 9 Uhr Vormittags, schrieb sie einen Zettel an OConnor, und trug ihn selbst auf das Postamt, und sagte mir, nun sei es gewiß, daß er ihn erhalten würde. Der Zettel
lautete:
»Lieber OConnor, ich würde sehr froh sein, wenn Sie heute um 5½ mit uns speisen wollten. Ich hoffe, Sie sind ganz wohl. Ihre treu ergebene
Maria Manning.«
»Er kam auch am Donnerstag, 10 Minuten nach 5 Uhr, am 9. August. Vorher hatte sie den Tisch gedeckt für fünf Personen, mit Couverts und Alles sonst, aber sie hatte auch gar nichts zugekocht. Als er ins Haus trat, fragte er, wo ist Master und Miß Massay? Meine Frau antwortete:
Oben; sie ziehen sich an zu Mittag. Er fragte dann, wie lange sie schon oben wären? – Meine Frau erwiderte: »Sie sind eben erst hinaufgegangen. Sie haben Sie ins Haus treten sehen«. – Massay war aber gar nicht im Hause, noch war seine Schwester in London, und ich glaube bis heute, daß sie nie in ihrem Leben London gesehen hat.
»Meine Frau forderte nun OConnor auf, in die Küche hinunterzugehen. Er wollte nicht. Da sagte sie zu ihm: »Patrick, Miß Massay ist eine sehr feine
junge Dame (er war etwa 10 Minuten im Hause), kommen Sie nur herunter, Patrick, und waschen Sie sich die Hände«.
»Ich hörte ihn noch die Treppe hinuntergehen, indem ich in meiner Schlafstube war und mich wusch. Ich hörte auch den Knall der Pistole, etwa eine Minute nachdem sie hinuntergegangen waren, dann kam sie zu mir herauf und sagte: »Gott sei Dank, ich habe ihn endlich zurecht gekriegt – es wird nie raus kommen. Da wir auf so gutem Fuß mit nander stehen, wird Niemand den
geringsten Verdacht schöpfen, daß ich ihn gemordet hätte«.
»Da erwiderte ich darauf: »Ich bin ganz sicher, daß Du dafür gehängt wirst«. Da sagte sie: »Du wirst wenigstens nicht darum leiden, das bin ich«. Und nachdem sie ihn erschossen, sagte sie: »Ich kümmere mich nicht mehr darum, als wenn ich eine Katze erschossen hätte, die auf der Mauer spazirt«. »Wie sie zu mir rauf kam, bestand sie darauf, daß ich augenblicklich runter käme. Und als ich in die Küche kam, fand ich ihn auf
seinem Grabe liegend. Er stöhnte noch. Ich habe ihn nie gemocht, und ich zerschlug ihm den Kopf mit einem Brecheisen.
»Sie nahm die Schlüssel aus seiner Tasche, und zehn Minuten vor 6 hatte sie schon ihren Hut aufgesetzt und Mantel umgenommen und ging nach seiner Wohnung. Ich sagte, es wäre mir unmöglich, im Hause auszuhalten, und ging in den Garten und rauchte eine Pfeife auf der Mauer mit dem Wirth (Wirthin?) vom Nachbarhause.
»Etwa 20 Minuten nach 8 Uhr war meine Frau
wieder zu Haus und sagte. Miß Arens (OConnors Wirthin) hätte sie eingelassen. Nachdem sie etwa 15 Minuten in der Wohnung gewesen, ging sie in OConnors Schlafstube, öffnete seinen Schrank und nahm alle Eisenbahnactien, die sie finden konnte, seine beiden goldenen Uhren und Ketten, auch sah sie das Bankbuch nach, wonach es schien, als hatte OConnor gegen 3000 Pfund in der Bank. Das Buch aber schien ihr unnütz und sie nahm es nicht mit. Nachdem sie nach Haus gekommen, rief sie aus: »Die fremden
Stocks habe ich nicht gekriegt, und ich weiß doch, er hat sie, zwischen 2000 und 3000 Pfund werth. Er hat sie bestimmt, denn ich sah sie, ehe ich verheirathet war«. Freitag ging sie wieder hin, aber die Stocks fand sie nicht.«
Die Erzählung, wie Manning auf Geheiß seiner Frau von den Actien versetzt, dabei aber den Namen OConnors annehmend und zeichnend, und wie er die Noten in der Bank eingewechselt, ist umständlich und klar, zu unserm Zwecke genügt das Eingeständniß, daß er es
gethan. Als er seiner Frau das eingelöste Geld, 110 Pfund brachte, verlangte sie von ihm, daß er noch andere Actien, auf OConnors Namen lautend, verwerthen sollte. Sie sagte ihm, es sei dabei keine Gefahr, da OConnor todt wäre. Als er nicht wollte, ward sie sehr aufgebracht und bestand darauf. Er setzte auch seinen Hut auf und that, als ob er zu einem Wechsler ginge. Nach zwei Stunden kehrte er zurück und sagte, er sei bei einem Wechsler gewesen; der wolle aber am Donnerstage kein Geld darauf
vorschießen. Sie fand das seltsam und meinte, er wäre gar nicht bei einem Wechsler gewesen.
Als er am Montage einige Stunden ausgegangen war, kam ihm Maria mit der Nachricht entgegen, daß zwei Herren da gewesen, die ihr gar zu sehr als verkleidete Polizeimanner vorgekommen wären. Er gab ihr die tröstliche Antwort: »Da kannst Du Dich darauf verlassen, so gewiß Du ein Weib bist, werden wir gefaßt.« – Sie antwortete: »Sprich nicht davon, mir wird unwohl.« – Nach dem
Mittagessen sagte sie: »Du solltest zu Bainbridges gehen, Alles verkaufen, und wir nahmen den Nachtzug nach Liverpool, um nach Newyork abzusegeln.«
Manning ging darauf zum Trödler Bainbridge, und das Weitere, wie er nach seiner Frau schickte, und endlich selbst ging, sie nicht fand und durch das Nebenhaus in seine Wohnung dringen mußte, ist vollständig bekannt. Sie hatte, bis auf die Möbel, Alles mitgenommen. Er saß ohne einen Heller da. Ebenso weiß man, wie er zu Bainbridges
zurückkehrte, dort sich einmiethete und endlich nach Jersey entfloh. Einen bestimmten Plan scheint er nicht gehabt zu haben. Zu erwähnen ist nur, daß wir aus Mannings Bekenntnisse gelegentlich erfahren, wie der viel besprochene Student Massay, nachdem er von Mannings fortgegangen, bei Bainbridges sich einquartirt hatte, oder vielleicht von Mannings einquartirt worden war.
Zum Schluß seiner Bekenntnisse ein wahres mixtum compositum und doch das Charakteristischste des
ganzen Berichts:
»Als mein Weib, Donnerstag 9. August, aus OConnors Wohnung etwa 20 Minuten vor 8 zurückkehrte, ging sie die Treppe hinunter mit einer großen Scheere und schnitt dem Leichnam die Kleider ab, und zündete ein Feuer an in der Vorderküche. Den Rest dieses Tages und den folgenden war sie damit beschäftigt, sie zu verbrennen. Dann nahm sie einen Strick und wir banden zusammen die Füße an die Hüften. Nachdem wir so gethan, warfen wir den Kalk auf den Leichnam und machten ihn
naß, und dann warfen wir Erde darauf und trampelten das Grab nieder bis Mitternacht, als wo das Begräbniß für den Leichnam noch nicht ganz fertig war. Wir standen nun am andern Tag zwischen 5 und 6 auf und wurden mit der Verscharrung zwischen 10 und 11 fertig. Als nun Alles geschehen war, sagte sie: »Gott sei Dank, nun ist Alles in der Richte – Niemand wird dran denken ihn hier zu suchen – in weniger als 14 Tagen hat der Kalk den Leichnam ganz zerstört«. Sie hatte auch 1½ Flasche
Vitriol sich verschafft, schon zehn Tage vorher, in einem Laden in Barmondseystraße, und dies ward auf den Leichnam gegossen, ehe wir noch den Kalk darauf thaten. Dann sagte sie, »wie glücklich sie sich fühle, daß sie einen der größesten alten Schurken in der Welt aus dem Wege geräumt habe». Sie sprach auch ihren Willen aus, noch 12 Monat in dem Hause zu bleiben, und das Geld, was sie gewonnen, in Eisenbahnactien anzulegen. Jetzt rieth sie mir selbst an, die Stelle als Reisecommis
bei den Herren Govers anzunehmen, indem sie sagte, »wenn wir jetzt das Haus verließen, würde das Argwohn erregen«. Sie setzte hinzu: »Kommt Jemand und fragt nach OConnor, dann laß mich nur antworten, denn ich habe Nerven wie ein Pferd«. Sie sagte auch, wenn der Mord jemals raus kommt, wäre ich daran Schuld, weil ich nicht fest genug wäre. »Wenn es raus kommt«, sagte sie auch, »wirst Du eben so dastehen wie ich, weil Du beim Morde mir beigestanden hast. Aber wenn Jemand mich greifen
will, erst schieß ich ihn nieder, und dann mich selbst«. – Sie sprach sehr oft von der Französischen Revolution und bedauerte, daß so viele brave, junge Leute ihr Leben dabei verloren hätten. Sie sagte, »sie wolle lieber sterben als kein Geld erwerben. Sie bedauerte aber, daß sie über den Todten keine Gebete gesprochen habe«. Ich fragte sie: »Wozu sie denn das thun gewollt?« Sie antwortete mir: »Sie hätte Gott bitten sollen, daß er ihm seine Sünden vergeben möge«.
– Sie sagte, »sie hätte ihm nicht wieder ins Gesicht sehen können«. Und von den Misses Arens (OConnors Wirthinnen) sagte sie: »Diese alten Jungfern haben einen guten Miether verloren, und da ich sie nicht leiden kann, bin ich recht froh, daß er fort ist«. »Wenn irgend Verdacht aufkäme«, sagte sie, »sie wolle die Stadt verlassen im Anzuge einer Witwe; die Locken würde sie sich fortkämmen und glattes Haar tragen«. – Früherhin hatte meine Frau mir auch gedroht, sie wolle nach Weymouth
gehen und meine Schwester todtschießen in Folge einiger Familienstreitigkeiten, die sie miteinander gehabt.«
So schloß sein Bekenntniß. Auf sein Verlangen ward darunter gesetzt:
»Ich erkläre hiermit feierlich, daß die vorangehende Erzählung, wie sie der Reverend W. S. Rowe, Kaplan, auf mein Dictat niedergeschrieben, correct und treu ist.
Frederick George Manning.
»In der Verdammten-Zelle, Horsemanger-Lane. November 9. 1849.
»Unterschrieben in Gegenwart von W. S. Rowe, G. Hallet und S. Deal.«
Unser Pitaval hat bereits ein Weib dieser furchtbaren Natur den Lesern vorgeführt, die Gattenmörderin und Schlächterin Wunsch aus Hamburg. Die halb verbrannten lückenhaften Acten des Senats lieferten uns aber Das, was wir in diesem, mit der allergrößten Ausführlichkeit und in allen Details uns mitgetheilten Falle vermissen, solche Blicke in das Vorleben der Verbrecherin, welche ihr Sein und Wesen und die That erklären. Welche wichtige Aufschlüsse über Maria Mannings Wesen sind dem Psychologen entgangen, indem die englischen Gerichte keine Zeugen über ihr früheres Leben vor die Schranken citirten. Was hätten die vornehmen Gräfinnen und Herzoginnen, in deren Dienst sie gestanden, die sie mit Gunst überhäuft zu haben scheinen, die auch noch der Gefangenen und Verurtheilten davon zuwandten, über sie aussagen können! Nicht daß man diese hohen Personen nicht bemühen oder bloßstellen wollte – vor der englischen Justiz müssen auch die aristokratischen Rücksichten verschwinden – aber es that nicht noth. Die englische Justiz hat nichts mit Tendenzen, aber auch nichts mit der innern Verbrechergeschichte zu thun, ihr genügt die That. Manning, der Ehemann, würde mit einem aufrichtigen, zur Zeit abgelegten Bekenntnisse, mit einem Vertheidiger, der nicht streng an englisches Gerichtsherkommen sich hielt, und vor anderen Gerichten vielleicht wenigstens sein elendes Leben gerettet haben. Wir sagen damit nicht, daß er unverdient starb, noch daß ein Justizmord an ihm begangen ist.
Den neuesten englischen Zeitungsnachrichten zufolge ist des ermordeten OConnor Vermögen keinesweges in dem Zustande gefunden worden, welcher die Mörder zu ihrem Verbrechen wahrscheinlich angereizt hat. Bei der Nachlaßregulirung hat sich ergeben, daß er kaum Das besessen, was ihm gestohlen worden, ein alter Mann, der zu seinen andern Eigenschaften und Lastern noch die Eitelkeit hatte, für einen reichen Mann gelten zu wollen! Schwerer konnte die Nemesis diese Schwäche nicht bestrafen, eine Nemesis, die auf die Mörder als Parodie zurückfällt.
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