Willibald Alexis
Geschichten aus dem Neuen Pitaval - 3
Das letzte Bekenntnis des Mörders John Lechler
eingestellt: 7.8.2007
In der Nacht vom 1. zum 2. April 1822 wurde in der Stadt Lancaster in Pennsylvanien ein zweifacher Mord verübt. John Lechler erwürgte seine Ehefrau, schlich sich dann in das Haagsche Haus und schoß vier Kugeln durch die Tür der Schlafstube, von denen eine der Frau Haag die Brust durchbohrte und sie auf der Stelle tötete. Der Mörder ergriff die Flucht, wurde aber nach kurzer Zeit festgenommen, in Lancaster vor das Schwurgericht gestellt und von den Geschworenen des
Mordes für schuldig erklärt. Der Vorsitzende Richter sprach das Todesurteil über ihn aus, und am 25. Oktober 1822 wurde er mit dem Strange hingerichtet. Einige Tage zuvor legte er vor dem Bürgermeister der Stadt ein ausführliches Bekenntnis ab, das zum Besten seiner Kinder gedruckt und in Lancaster und Umgegend verkauft wurde. Dieses Bekenntnis lautete so:
Ich wurde geboren in der Stadt Lancaster am 4. April 1784. In meiner frühen Jugend betrug ich mich, wie Buben zu tun pflegen. Ich
liebte jugendliche Vergnügungen, war aber allezeit von einer etwas jähzornigen Gemütsart. Meine Hantierung war die eines Rohrflechters. Ich verheiratete mich mit Polly Pigeon, der Tochter eines angesehenen Mannes. Meine Frau war sehr jung und hübsch, ich liebte sie leidenschaftlich. Es war meine größte Freude, ihr zu gefallen, und wenn ich ihr auch manchmal böse war, so dauerte das doch nie lange, und es tat mir nachher auch immer sehr leid. Meine Frau kannte meine Gemütsart sehr gut und
verstand es, mich schnell zu besänftigen. Ich tat ihr zuliebe, was ich ihr an den Augen absehen konnte, und suchte ihr jeden Wunsch zu erfüllen. Gott weiß, daß ich sie rein und treu geliebt habe. Ich hielt mich für einen glücklichen Mann und war auch wirklich glücklich. Meine Frau gebar mir acht Kinder, von denen sechs noch am Leben sind. Die armen Kinder werden Zeugen sein von dem schimpflichen Tode ihres Vaters. Mein ältester Sohn ist sechzehn Jahre, mein jüngstes Kind über ein Jahr alt.
Im Jahre 1815 wurde ich zum Gerichtsdiener der Stadt Lancaster gewählt. Ich tat meine Pflicht mit großer Strenge und verursachte den Leuten unnötigerweise viel Drangsal. Mein Amt verhärtete mein Herz so sehr, daß ich gegen jede Regung von Mitleid völlig unempfindlich wurde. Ich fühlte nichts, auch wenn das Elend noch so entsetzlich war. Ich beging so viele unbarmherzige Handlungen, daß ich noch schaudere, wenn sie mir in das Gedächtnis kommen. O daß ich mein Leben noch einmal leben
könnte, wie sorgfältig wollte ich meine Leidenschaften beherrschen! Wie wollte ich mich bessern! Aber ach, es ist jetzt vorbei! Ich habe nichts vor mir als den Tod und die Ewigkeit! Wie eifrig sollten doch die Menschen darauf achten, so zu leben, daß ihre Todesstunde nicht durch Gewissensbisse beunruhigt würde!
Ich muß versichern, und ich nehme Gott zum Zeugen für die Wahrheit meiner Aussage, daß ich außer meiner Frau und der Frau Haag keinen Menschen ermordet habe. Man hat allgemein
gesagt, ich hätte meine Mutter umgebracht oder sei doch schuld an ihrem Tode gewesen. Das ist nicht wahr. Ich habe meiner Mutter niemals die geringste Gewalttätigkeit zugefügt. Es ist mir ferner die Ermordung meines Bruders zur Last gelegt worden. Ich weiß jedoch nicht, wie er gestorben ist. Endlich ist ein Gerücht im Umlauf, daß ich eines Tages meine Frau ausgescholten und einen Streich nach ihr geführt haben soll. Dieser Streich soll nicht sie, sondern das Kind auf ihrem Arme getroffen und
es getötet haben. Ich erkläre dies mit meinem letzten Atemzuge für unwahr – nichts von alledem hat sich jemals zugetragen.
Ich komme jetzt auf die Begebenheiten in der Nacht vom 25. zum 26. September 1821 zu sprechen. Vor diesem Tage hatte ich meine Frau niemals in Verdacht einer Untreue, und niemals hätte ich geglaubt, daß Bernhard Haag sich würde eines Verbrechens schuldig machen können, das meinen Frieden auf immer würde zerstören können. Die Freundschaft zwischen mir und
Haag war so groß, daß ich mein Leben für ihn eingesetzt hätte, wenn es hätte sein müssen. In den letzten Jahren brachte ich jeden freien Augenblick in seinem Hause zu, und wenn jemand von seiner Familie krank war, wachte ich die ganze Nacht am Bett des Kranken und pflegte ihn – Haag war mein Busenfreund, ich war mit seiner Familie vertraut wie mit der meinigen, aber nie, nie habe ich daran gedacht, ihn zu beleidigen oder gar den Frieden seines Hauses zu untergraben.
Am 25.
September 1821 ging ich des Morgens von Hause weg und fuhr in meiner Landkutsche mit meinem Vetter David Lechler nach Elisabethstädtel, wo ich als Konstabel zu tun hatte. Meine Frau half mir das Pferd anschirren. Ich sagte zu ihr, ich würde die nächste Nacht nicht nach Hause kommen, darauf gab ich ihr einen Kuß, küßte das Kind, das sie auf dem Arme trug, und fuhr fort. Wir kamen früher in Elisabethstädtel an, als ich erwartet hatte, meine Geschäfte waren bald erledigt, und wir beschlossen
daher, nach Maystadt zu fahren und dort zu übernachten. Ich litt an Fieber, deshalb redete mir David Lechler zu, lieber nach Hause zurückzukehren. Ich willigte ein, und wir machten uns auf den Heimweg. Als wir in Lancaster ankamen, sprang ich aus dem Wagen, nahm die Flinte und die Jagdtasche, die wir bei uns hatten, und klopfte an die Hintertür meines Hauses. Kaum hatte ich geklopst, so hörte ich, daß erst die Gangtür und dann die Kellertür leise geöffnet wurde. Das fiel mir auf, ich wußte
nicht, was ich davon denken sollte. Gleich darauf öffnete sich die Hintertür, meine Frau trat mit einem Lichte in der Hand heraus und sagte: »O John, was um des Himmels willen führt dich um diese Zeit wieder ins Haus?« Ich fragte: »Meine Liebe, ist jemand bei dir gewesen?« Dann nahm ich ihr, da sie meine Frage verneinte, das Licht aus der Hand und ging in den Keller. Hier traf ich Bernhard Haag. Er stand da im bloßen Hemd und hielt seine Kleider über dem Arme. »Haag, du bist bei meiner Frau
gewesen, o Gott, was hast du getan!« rief ich ihm zu. Er erwiderte: »Lieber Lechler, sag nichts, sonst werden unsere beiden Familien zugrunde gerichtet.« Wir stiegen die Treppe hinauf, und oben legte ich, vom Zorne übermannt, meine Flinte auf ihn an und drohte, ihn zu erschießen. Er bat: »O Lechler, Lechler, schieß nicht!« »Du hast mit meiner Frau zu tun gehabt«, schrie ich ihm zu. »Ja, es ist wahr,« antwortete er, »aber schieß nur nicht und mach keinen Lärm, ich will dich zufriedenstellen.«
Hierauf öffnete ich die Vordertür und stieß ihn hinaus. Er war noch immer im bloßen Hemd. Meine Frau lief ihm nach und flehte: »Haag, Haag! nimm mich mit, Lechler bringt mich sonst um.« Er eilte aber mit den Worten: »Nein, nein« über die Straße in sein Haus. Nach kurzer Zeit kam er wie gewöhnlich angezogen zurück und bat um Einlaß, weil er mit mir sprechen wolle. Ich öffnete ihm, legte mich aber dann, weil ich ganz erschöpft war, auf das Bett und fiel in Ohnmacht. Meine Frau saß bei mir und
weinte, Haag versprach mir alles mögliche, um mich zu besänftigen. Er wollte mir eine Quittung über zweihundert Taler geben, die ich ihm schuldig war, und außerdem noch einen Wechsel über vierhundert Taler. Er blieb die ganze Nacht da und bemühte sich, mich zu beruhigen. Am anderen Morgen überbrachte er mir eine Quittung über die zweihundert Taler, die er von mir zu fordern hatte, und einige Tage später erhielt ich von ihm einen Wechsel über vierhundert Taler, zahlbar am 1.April 1822. Dieses
Geld sollte die Vergütung für die mir angetane Schmach sein.
Die Verführung meiner Frau quälte mich indes furchtbar. Ich kann nicht beschreiben, was ich bei dem Gedanken empfand, daß sie von Haag entehrt worden war. Ich liebte sie zu sehr, als daß ich es hätte über mich gewinnen können, sie fortzuschicken, und ich haßte sie zu sehr, um wie früher mit ihr zu leben. Ich behandelte sie schlecht, sie verließ mich, kam nach kurzem wieder und sagte zu mir, sie wolle sich in der Nähe ihrer
Mutter einmieten und gänzlich von mir trennen. Ich vermutete, daß sie nur eine Gelegenheit suchte, mit Haag zusammenzutreffen. Dieser Gedanke machte mich fast wahnsinnig, und meine Wut kannte keine Grenzen, als ich erfuhr, daß Haag auch nach dem 25. September mit meiner Frau noch einmal im Stalle zusammen gewesen sei.
Ich verlangte von Haag einen Wechsel über fünfhundert Taler. Er aber warf mir vor, ich hätte mein Wort gebrochen und Lärm gemacht, nun würde er mir auch den Wechsel über
vierhundert Taler nicht bezahlen und mir überhaupt keine Genugtuung geben. Er schimpfte mich einen Lügner und behauptete keck, es sei zwischen ihm und meiner Frau nichts Unrechtes vorgefallen. Ich geriet über diese Frechheit außer mir und faßte den Entschluß, ihn zu erschießen. Mehrere Male ging ich auf meinen Speicher, der seinem Hof gegenüber liegt, um mein Vorhaben auszuführen. Er kam mir jedoch nicht zu Gesicht.
Meine Frau bedrohte ich ebenfalls mit dem Tode, wenn sie ihren
Umgang mit Haag nicht gestände. Sie entgegnete mir ruhig: »Schieß zu, ich bin unschuldig.« Da sie hartnäckig leugnete, hielt ich es mitunter wirklich für möglich, daß sie mir treu geblieben war. Wenn ich aber genauer darüber nachdachte und mir alle Einzelheiten jener verhängnisvollen Nacht vergegenwärtigte, war ich doch wieder überzeugt von ihrer Schuld. Ich war todunglücklich. Sooft ich meine Frau ansah, und sooft ich ihren Verführer erblickte, der mir gegenüber wohnte, fing die Wunde von neuem
an zu brennen.
Eines Tages im Monat Februar 1822 gestand mir meine Frau endlich, daß sie schon seit achtzehn Monaten verbotenen Verkehr mit Haag geflogen habe. Sie schloß mit den Worten: »John, das wird mein Tod sein.« Von nun an behandelte ich sie sehr hart. Sie sagte öfters zu mir: »O John, du wirst mich noch umbringen.« Ich antwortete ihr nicht, dachte aber bei mir: »Ja, da hast du ganz recht, ich will dich umbringen und den Haag auch.« Sie schlug mir vor, wir sollten uns trennen.
Ich lehnte aber diesen Vorschlag ab, weil ich dachte, dann würde sie in den Armen eines anderen sein, und dieser Gedanke war schrecklich für mich. Ach wäre ich doch in jener Nacht am 25. September weggeblieben, wie ich im Sinne hatte, dann hätte ich ihre Untreue nicht erfahren und wäre glücklich geblieben.
Haag weigerte sich, die mir ausgestellten Wechsel einzulösen, er nannte mich sogar einen Schelm und einen Schurken. Er allein war die Ursache meiner Schande und meines Elends,
nun verhöhnte er mich auch noch. Ich dürstete nach Rache und machte mich immer vertrauter damit, daß mir nichts anderes übrigbleibe, als meine Frau und Haag zu ermorden. Im Februar und März 1822 traf ich meine Anstalten. Ich kaufte mir einen Grauschimmel und gab ihm Futter im Überfluß, damit er kräftig genug würde, einen harten Ritt auszuhalten. Ich schaffte einen neuen Sattel und einen neuen Zaum, ein paar Felleisen, einen Rock und andere Kleidungsstücke an, um mit allem versehen zu sein, wenn
ich nach vollbrachter Tat die Flucht ergreifen würde. Meine Pistolen ließ ich von John Teppert ausbessern. Ich trieb alles Geld ein, das ich nur bekommen konnte, und wechselte dafür Banknoten ein. Meine Frau mußte mir meine Strümpfe und andere Wäschestücke ausbessern. Das arme Weib wußte nicht, welch ein Schicksal sie erwartete, und doch hat sie es vielleicht geahnt, denn sie war sehr betrübt, und ich fand sie häufig in Tränen. In die Pistolen tat ich doppelte Ladungen, damit die Wirkung um so
stärker sein sollte. Auch neue Feuersteine kaufte ich, damit der Schuß nicht etwa versagte. Endlich besorgte ich mir einen dauerhaften Strick, um meine Frau aufzuhängen, und versteckte ihn einstweilen in meinen Feuereimer.
Am Morgen des 1. April 1822 ließ ich Haag auffordern, mir die versprochenen vierhundert Taler zu bezahlen. Er weigerte sich, und nun stand es bei mir fest, daß ich ihn in der folgenden Nacht erschießen und meine Frau erwürgen wollte. Ich verrichtete den Tag über
meinen Dienst; am Abend nahm ich starke Getränke zu mir, die mich sehr erhitzten und mich in meinem Entschlusse noch mehr bestärkten. Hatte mir Haag die vierhundert Taler gegeben, ich glaube, ich hätte den Mord nicht begangen. aber Gott allein weiß, was ich getan haben würde. Ich war ein zugrunde gerichteter Mensch. Meine Frau betete, ehe sie sich zu Bett legte, sehr inbrünstig mit allen Kindern. Ich dachte dabei in der Bosheit meines Herzens: »Ja, bete nur, ich will dich schon beten lehren.«
Wir gingen ins Bett, es war halb zwölf Uhr. Ich lag neben ihr und fing an, sie über Einzelheiten ihres Verkehrs mit Haag zu befragen. Sie gab mir keine Antwort, sondern zog die Decke über den Kopf und weinte. Ich packte sie mit beiden Händen am Halse und schnürte ihr die Kehle zu. Sie schnappte nach Luft und brachte mit Mühe die Worte heraus: »John Lechler, John Lechler, ich will dirs sagen.« Ich aber schleifte sie aus dem Bett heraus auf den Boden und hielt sie dabei immer an der Gurgel fest.
Da fing ein Kind an zu schreien und rief: »Mama, Mama!« Ich wiegte es eine Weile, und es war still. Meine Frau war zwar bewußtlos, würde aber gewiß wieder zu sich gekommen sein, wenn ich sie nicht mit dem Fuße auf den Hals getreten hätte, bis sie tot war.
Kaum hatte ich diese fürchterliche Tat vollendet, als mich bittere Reue erfaßte. Es kam mir vor, als flöge eine Gestalt in die Stube, die bis an die Decke reichte und mir vorwarf, was ich begangen hatte. Ich trug den Leichnam meiner
Frau, die nur noch etliche Male tief gestöhnt hatte, die Treppe hinauf auf den Boden des Speichers. Dort schlang ich einen Strick um ihren Hals und hing sie an einem Balken auf. Ich eilte wieder hinunter und machte mich reisefertig. O Gott, was ich empfand in jenen Augenblicken! Meine Frau hatte ich gemordet, sie hing tot auf dem Speicher. Meine armen Kinder mußte ich verlassen; sie hatten beide Eltern verloren und waren hilflose Waisen. Jetzt hätte ich die Welt darum gegeben, wenn es mir
möglich gewesen wäre, meine Frau wieder ins Leben zurückzurufen. Ich wollte den Glauben erwecken, daß meine Frau sich selbst entleibt habe, deshalb schrieb ich folgenden Brief an Heinrich Lechler, den ich auf dem Tische offen liegen ließ: »Es ist mein Wunsch, daß Heinrich Lechler alle meine Angelegenheiten ordnen soll. Meine Frau hat sich erhängt, ich fürchtete, die Leute möchten denken, daß ich schuld an ihrem Tode bin, deshalb kann ich nicht bleiben und bevollmächtige hiermit Heinrich
Lechler als meinen Sachwalter. John Lechler.«
Dann ging ich in den Stall, sattelte und zäumte mein Pferd, legte zwei mit Kleidern angefüllte Felleisen darauf und ritt etwa eine halbe Meile weit fort. Hier band ich das Pferd an einen Baum, steckte zwei doppelt geladene Pistolen zu mir und lief zurück nach Lancaster in der Absicht, Haag totzuschießen. Ich stieg über den Zaun seines Hauses, kletterte auf den Heuboden und gelangte von dort in die Küche, die an die Schlafstube stößt. Die
Tür der letzteren war verschlossen. Ich warf nun das Küchengeschirr durcheinander, weil ich hoffte, Haag würde dadurch aufwachen und herauskommen. Es näherte sich auch wirklich jemand der Tür, und ich hörte Haag rufen: »Wer ist draußen? Das bist du, Lechler, du Lump!« Ich trat dicht an die Tür und drückte meine beiden Pistolen ungefähr in Brusthöhe ab. Die Kugeln schlugen durch die Tür hindurch. Ich rannte, so schnell ich konnte, an den Platz, wo mein Pferd stand, und ritt in vollem Galopp auf
der Straße nach Mannheim und Libanon zu. Ich hielt mich für vollkommen sicher und dachte gar nicht daran, daß ich verfolgt werden könnte. In den Bergen von Libanon verlor ich den Weg und mußte schließlich in dem nur vierzig Meilen von Lancaster entfernten Wirtshause von Hamacher über Nacht bleiben. Als ich nach meinem Namen gefragt wurde, nannte ich mich John Kuhns. Ich mußte den Leuten im Wirtshaus bis Mitternacht Geige vorspielen und legte mich dann zu Bett. Als ich am nächsten Morgen
aufgestanden war, bat ich einen gewissen Jakob Lancey, mir den Weg zu zeigen. Er erfüllte meine Bitte, und wir traten nach dem Frühstück die Wanderung an. Ich teilte Lancey mit, daß ich John Lechler hieße, sagte ihm aber nicht, daß ich meine Frau ermordet hatte. Er begleitete mich bis Gratzstadt, von dort zog ich meine Straße allein und kam unangefochten in das Haus meiner Schwester in Cambria. Bei meinem Anblick wurde sie ohnmächtig – sie hatte mich siebzehn Jahre lang nicht gesehen. Ihr
Mann und ich konnten sie nur mit Mühe wieder zurechtbringen. Sie umarmte mich und nannte mich ihren lieben, lieben Bruder. Nach Verlauf einiger Zeit erzählte ich ihnen die ganze Geschichte. Mein Schwager riet mir, ich sollte mich etliche Wochen im Walde verborgen halten, aber ich war von jeher viel zu halsstarrig, um den Rat eines anderen zu befolgen. Ich weigerte mich also und war entschlossen, nach Kanada zu gehen.
Mein Verbrechen war jedoch zu groß, als daß es hätte unentdeckt
bleiben können. Ich wurde den zweiten Tag nach meiner Ankunft im Hause meiner Schwester festgenommen. Bis dahin wußte ich nichts von dem Tode der Frau Haag. Gott ist mein Zeuge, ich hatte nichts Böses gegen sie im Sinne. Ich wollte ihren Mann töten und glaubte, ihn erschossen zu haben. Statt dessen hatte meine Kugel seine Frau getroffen. Ich wurde in das Gefängnis nach Lancaster abgeführt, wo ich noch jetzt bin.
Seit meiner Gefangenschaft machte ich alle nur denkbaren Versuche, zu
fliehen, allein jedesmal wurde ich ertappt. Mehrere von den Gefangenen, die mit mir in demselben Stockwerk saßen, waren mir behilflich. Sie verschafften sich Werkzeuge und steckten sie mir zu, damit ich durch die Mauern des Gefängnisses hindurchbrechen könnte. Alle meine Bemühungen waren jedoch vergeblich. Eine höhere Macht fügte es anders.
Ich sann mir noch einen anderen Plan aus, von dem ich mir Rettung versprach. Ein alter Freund von mir, Anthony MGlinn, war, wie ich vernommen
hatte, für die Woche, in der mein Prozeß verhandelt werden sollte, als Geschworener ausgelost worden. Ich hoffte, wenn ich ihn sprechen könnte, würde es mir gelingen, ihn zu erweichen. Ich hoffte ihn dazu zu überreden, meine Freisprechung durchzusetzen. Da ich keine Gelegenheit fand, ihn zu sehen, schrieb ich einen Brief an ihn, erinnerte ihn an unsere Jugendjahre und bat ihn, daß er mein Fürsprecher sein möchte, wenn er Geschworener würde. Der Brief wurde mir indes weggenommen und ist niemals
in seine Hände gelangt. Ich denke jetzt, ich habe ihm unrecht getan, denn ich glaube, er ist viel zu ehrlich, als daß er meiner Bitte Gehör geschenkt und seine Pflicht verletzt haben sollte. Anthony MGlinn wurde übrigens gar nicht Geschworener, weil meine Ankläger Einwendungen gegen ihn erhoben.
Ich schrieb ferner einen Brief an Joseph Hitzelberger, einen Bekannten von mir in Baltimore. Ich richtete an ihn die Bitte, sogleich zu mir zu kommen, sich mit Werkzeugen zu versehen und mir
zur Flucht zu verhelfen. Ich warf den Brief zum Fenster hinaus, dort hat ihn jemand, der mir nicht wohlwollte, aufgehoben und dem Sheriff gegeben. Sogar während meines Verhörs würde ich einen Mord begangen haben, wenn mir nicht die Mittel dazu entzogen worden wären. Eines Tages hatte ich einen Ziegelstein in meiner Hemdbrust versteckt, um mit ihm meinen Ankläger totzuschlagen. Der Stein wurde aber entdeckt und mir, ehe ich mein Vorhaben ausführen konnte, weggenommen.
Als ich noch ein
Junge war, pflegte meine Mutter zu sagen, daß ich noch gehängt werden würde. Ich fragte nichts darnach und bekümmerte mich auch nicht um ihre Ermahnungen. Auf ihrem Sterbebett äußerte sie noch:
»Mein John kommt noch an den Galgen, denn er ist zu boshaft und nichtsnutzig, als daß er eines natürlichen Todes sterben sollte.« Es schaudert mich, wenn ich daran denke. An ihrem Tode bin ich aber nicht schuld, denn ich habe nicht gewaltsam Hand an sie gelegt. Zwei Tage vor ihrem Ende habe ich
sie jedoch die Treppe hinuntergeworfen, und man behauptete dann, daß dieser Fall die Ursache ihres Todes gewesen wäre. Über diese Sache wollte ich eigentlich nichts bekennen, aber es muß heraus. Es ging so zu: Meine Mutter schleppte meinem Bruder Georg Brot, Schinken und andere Gegenstände ins Haus, wenn mein Vater nicht zu Hause war. Eines Tages tat sie das wieder. Ich wollte sie daran hindern, wurde aber von ihr und Georg deshalb mißhandelt. Als ich im Bett lag, trat meine Mutter heran und
schlug mich mit einem Ochsenziemer. Ich mußte mich verteidigen und warf sie die Treppe hinunter. Meinen Bruder wollte ich erschießen, und ich hatte schon die Flinte geladen. Es bot sich indes keine Gelegenheit dar, und mein Zorn legte sich allmählich.
Mein Gemüt hat sich nun seiner Last entledigt. Die Büttelgeschäfte sind es gewesen, die mein Herz so hart gemacht haben. Ich fühlte nichts dabei, wenn ich einer armen Familie den letzten Bissen Brot nahm oder ihr die letzten
Kleidungsstücke abpfändete. Das Geschrei der Weiber und Kinder war Musik in meinen Ohren. Was gäbe ich darum, wenn ich alle, denen ich Böses getan habe, um Verzeihung bitten könnte! Ich klage mich mehr deshalb an, weil ich als Konstabel arme Menschen zugrunde gerichtet habe, als um des Verbrechens willen, das ich mit dem Tode büßen muß. Ich bin noch immer boshaft, mitunter wünsche ich mir die Freiheit bloß, um den Haag umbringen zu können. Es ist schrecklich, daß mich solche Gefühle
beherrschen, obwohl ich nur noch wenige Stunden zu leben habe. Ich habe nicht zeitig genug an den Tod gedacht. Ich erwartete nicht, daß das Gericht mich schuldig sprechen würde, denn es war kein unmittelbarer Beweis meiner Schuld vorhanden.
Als mein Todesurteil bestätigt war, ließ ich den Bernhard Haag zu mir ins Gefängnis bitten. Ich schüttelte ihm die Hand und wollte ihn küssen. Er gestattete es mir aber nicht. Ich will dennoch versuchen, ihm zu verzeihen. Ich will für ihn beten, er
war ja früher mein bester Freund.
Ich rufe Gott, vor dessen Richterstuhl ich erscheinen muß, zum Zeugen dafür an, daß ich die Wahrheit gesagt habe.
Ich bin am Ende und habe auf der Erde nichts mehr zu tun, als mich auf die Ewigkeit vorzubereiten. Das Geklirr der Ketten wird bald aufhören, und der Lärm des Volkes, das mich auf den Richtplatz begleitet, wird anfangen. Ich verdiene mein Schicksal, deshalb murre ich nicht. Was ich getan habe, wird hoffentlich vielen eine
Ermahnung sein, daß sie den bösen Leidenschaften nicht die Zügel schießen lassen und ins Verderben stürzen gleich mir. Meinen Kindern wird man hoffentlich nicht das vorhalten, was ich getan habe. Ihr Vater endigt am Galgen, aber sie sind unschuldig. Ich lasse sie unter dem Schutze einer gütigen Vorsehung, eines gnädigen Heilandes, der verheißen hat, ein Vater der Waisen zu sein. Ich verzeihe allen meinen Feinden und hoffe, sie werden dem unglücklichen Lechler ebenfalls verzeihen und ihm ihr
Mitleid schenken. Ich will mich nun zum Tode bereiten und sage der Welt ein letztes langes Lebewohl.
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