Frei Lesen: Isegrimm

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Kapitelübersicht

Die Schwedenschanze | Die Blutsteine. | Der Quilitzer Knecht. | Die Querbelitzer Schenke. | Schemelbeine. | Isegrimms Haus. | Isegrimm. | Eine Rückfahrt. | Alte Geschichten. | Die erste Nacht in Haus Ilitz. | Eine Erscheinung im Walde. | Der Ball muß sein. | Zwei Anstands-Visiten. | Malchen. | Ein Wetterstrahl im Ratskeller. | Zum Ball oder nicht zum Ball? | Die Ouverture zur Ballmusik. | Die Ballnacht. | Vorm Scheunentor. | Im Schnee. | Jede Schlacht fordert Präparationen. | Schulze und Edelmann. | Die Einquartierung. | d'Espignac. | Der kleine Krieg. | Der Versucher im Hause. | Scheiden. | Ritter und Reiter. | Wendisch oder germanisch. | Das Schwert des Cid. | Der Beichtvater. | Chaotische Besuche. | Der unbegreifliche Brief. | Das Vaterland und bürgerlichen Offiziere. | Die Brücke in die Zukunft. | Eine deutsche Konversation. | Nachtgespenster. | Der Krieg ist nicht Zeit zu Hochzeiten. | Das Ahnenbild stürzt. | Ein verhängnisvoller Brief. | Die Katastrophe. | Ein Doppelgänger. | Eine dunkle Tat. | Ein politisches Geheimnis. | Ihr von Ilitz, Ihr von Ilitz, Solltet nimmermehr nach Quilitz! | Ein Gewitterschlag. | Ein ernstes Zwiegespräch. | Friede und Resignation. | Nach sechs Jahren. | Von Hochgezieten. | Gräfin Heilsberg. | Querl. | Schluß. |

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Willibald Alexis

Isegrimm

Die erste Nacht in Haus Ilitz.

eingestellt: 25.7.2007

Zehntes Kapitel.

Die erste Nacht in Haus Ilitz.



Währenddessen war ein trüber Abend in Haus Ilitz. Sie hätten sich doch freuen sollen; das Engagement des Hauslehrers war ja ein von dem weiblichen Teil der Familie sehnlich gewünschtes Ereignis. Aber auf dem Hausherrn lastete etwas. Am frugalen Abendtisch sprach er kaum mehr als einige zurechtweisende Worte gegen den Kandidaten, wie er das Tischgebet künftig zu verrichten hätte. Verdrießlichkeit ist ansteckend. Auch Herr Mauritz blieb stumm; er hatte ja keine Anforderung zum Reden. Als er das eine der beiden Lichter putzen wollte, welche die Dunkelheit im großen Saale nur noch mehr zeigten, griff er mit der Schere zu tief, es ging aus.

»Wenn man in einem guten Hause ist, sollte man doch die Manieren lernen, die dahin gehören,« sagte der Hausherr. Minchen, die sich tüchtig hatte rühren müssen, um die Stube des Informators in der Eile einzurichten, antwortete statt seiner:

»Wie soll denn das Herr Mauritz in Quilitz gelernt haben; da brennen sie ja Wachslichte. Ich will Ihnen aber zeigen, wie man, was schlimm ausging, wieder gut anfängt. Sehen Sie, so.«

Sie hatte rasch die ausgelöschte Kerze an der brennenden angezündet. Auch das wirkte nicht, der Major verfiel wieder in sein Hinstarren. Als der Käse umhergereicht werden sollte, warf er sein Tuch hin und stand mit einem »Gesegnete Mahlzeit!« auf.

Er hatte selbst das Tischgebet vergessen. Das war in letzter Zeit nur einmal passiert, als die Nachricht von der verlorenen Schlacht gekommen. Der Kandidat glaubte einen günstigen Augenblick, als der Hausherr sich an den Ofen stellte, ergreifen zu müssen und befragte ihn, wie er die Lehrstunden eingerichtet wünsche, indem er einige Vorschläge machte. »Das ist meine Sache, und morgen ist auch noch Zeit,« war die Antwort. »Sie werden jetzt müde sein. Schlafen Sie gut aus, Herr Kandidat!«

»Die erste Nacht müssen Sie schon vorlieb nehmen, wie Sie es finden,« sagte Minchen. »Wir waren nicht darauf vorbereitet. Aber morgen wollen wir schon Rat schaffen. Wenn die Stube noch nicht warm ist, habe ich Ihnen Vaters Pelz hinlegen lassen.«

Der junge Bursch, der erst kürzlich in die ihm nicht passende Livree gesteckt schien, hatte einen Lichtstumpf vom Schanktisch genommen und winkte dem Kandidaten, ihm zu folgen.

»Was will Er?« schallte des Gutsherrn Stimme.

»Dem Kandidaten rauf zeigen, gnädiger Herr!«

Ein »Lümmel!« dröhnte ihm ins Ohr, während die schwere Hand des Herrn ihm den Drahtleuchter aus seiner schlug: »Aufgelangt! – Wenn Er den Herrn Kandidaten in sein Zimmer führt, steckt Er zwei Kerzen an und trägt sie ihm vor. An der Tür fragt Er, was der Herr Kandidat zu befehlen hat! Mein Hauslehrer ist Sein Herr, merke Er sich das, oder ich schicke ihn wieder in die Häckselkammer.«

»Was ihm nur wieder ist!«

Die Frauen hatten mit dem Ausspruch dieser wichtigen Frage gewartet, bis nicht allein die Tritte des Kandidaten, sondern auch die des Majors verklungen waren. Ich sage, mit dem Ausspruch; in ihren Mienen stand sie längst geschrieben. Aber man verstummte. Seine Tritte hallten wieder durch die Decke; eine monotone Musik, die wohl eine Viertelstunde dauerte. –

»Und Hans tut den Mund nicht auf; es muß schlimm stehen.«

»Gott sei Dank, er zieht die Stiefel aus,« rief die Mutter endlich, wie erlöst. »Ich hatte rechte Angst, daß es noch einmal losbrechen würde. – Es ist gewiß Theodor; er hat davon erfahren.«

Die älteste Tochter und die jüngste Tochter teilten die Besorgnis der Mutter.

»Wenn man den guten Jungen nur fortschaffen könnte, wo anders hin!« Malchen meinte, der Vetter aus Quilitz sei heut so freundlich gewesen – was sie weiter dachte, verschluckte das Kind.

»Der nur gar nicht!« rief Minchen. »Es war auch nicht um Theodor; denn wenn der Vater etwas gemerkt hätte, wäre das Donnerwetter gleich losgegangen. Der Vetter ist allein schuld. Es muß da etwas geschehen sein; denn Vater war wie ausgetauscht. Er widersprach dem Vetter nicht mehr, aber er verbiß etwas. Sonst wäre er auch höflicher gegen Herrn Mauritz gewesen. So ist der Vater nur, wenn er mit sich selbst nicht zufrieden ist.«

Das kluge Mädchen sprach es mit so klarem Blicke, daß die Mutter wenigstens beruhigt ward. Aber in dem Augenblicke klopfte es leise, und durch die nur halb aufgemachte Tür drückte sich, barfuß schleichend, die Botenfrau ins Zimmer. Die Alte war durchnäßt, aber sie wollte nicht frieren oder müde sein. Die warme Biersuppe und selbst den Schnaps schlug sie aus, »denn wenn es auch grausam düster gewesen und die Wasser erschrecklich über die Steine gelaufen wären, daß man oft nicht gewußt, wo den Fuß hinsetzen, und der Schnee hätte ihr um die Nase gestiebt, und der Wind die Röcke aufgehoben,« so erschien sie doch in einer eigentümlich freudigen Aufregung und Redseligkeit. Auf die Frage, was ihr denn in der Stadt passiert, löste sich ihre Zunge:

»Ach, gnädigste, gestrenge Frau und gnädige Frölen, wer das nicht gesehen hat, der glaubt es nicht. Nein, das muß doch auch jeder sagen, das Nauwalk ist wie das Paradies. Gar nicht wiederzuerkennen! Der Bäcker sagte auch, wenn das so fortginge, da möchten die Herrschaften auf dem Lande sehen, wo sie Semmeln kriegten. So dick stehts vor dem Laden, und bei den Schlächtern auch, und auf der Post ranzen sie einen an, wenn man nach Briefen fragt. Sie wissen nicht, wo ihnen der Kopf steht. Und gar nicht grausam sind die Herren Franzosen. Gott bewahre! Sie gehn so propper und blank durch die Straßen, einer faßt den anderen untern Arm, und lachen und sprechen mit den Bürgermädchen, ganz wie ordinäre Menschen. Einige Bürger sagen auch: Die Offiziere sind gar nicht wie unsere, sie tun höflich mit dem gemeinsten Soldaten, und die Säbel lassen sie nicht so klirren. Die Einquartierung frißt auch, sagen sie, das ist schon wahr, und flucht, und manche prügeln, aber s ist doch alles mit Manier, nicht wie auf dem Lande; und mancher tut auch s kleine Kind von der Wirtin wiegen, und mit den Töchtern tanzen sie im Wirtshaus.«

Man zäumte durch bestimmte Fragen die Sprechlust der Alten und erfuhr nun, daß das Städtchen weniger durch einquartiertes Militär, als voll sei von dem Fuhrwesen, der Bagage und allem dem, was zu einem großen Heere gehörte, aber ihm nur in gemessener Entfernung nachzieht. Durch die furchtbar aufgewühlten Wege war eine Stockung eingetreten.

»Und Herrschaften sind da, so vornehme, die Leute in Nauwalk sagen, sie hätten eher geglaubt, daß der Himmel einfallen könnte, als solche Equipagen und Pferde und Herren mit gestickten Röcken und Troddeln. Und alle Tage ist auf dem Markte Musik, Schlag zwölf Uhr; die spielen auf, keinen Groschen brauchen die Nauwalker zu bezahlen. Das haben sie nie gehört und werdens ihr Lebtag nicht vergessen. Eine schrecklich vornehme Frau Generalin ist auch da, eine seelensgute Frau, aus Amerika oder Batavia, oder wie sie sagten, die reist ihrem liebsten Herrn Gemahl nach, mit einer wunderschönen Tochter, die reiten kann, und zu Pferde, und die ganze Stadt ist immer auf den Beinen, wenn sie ausreitet. Sie wohnen bei Bürgermeisters, und die Töchter haben schon mal die Ehre gehabt, zum Tee eingeladen zu werden. Na, die dünken sich was! Denn die Frau Generalin spricht auch Deutsch. Sie ist in Deutschland geboren und sagt: pfui, wer sich seiner Muttersprache schämen wollte, und wir Menschen sind alle Brüder. Und einen großen Ball werden sie geben, im Rathaussaale, zur allgemeinen Versöhnung, sagen sie. Dazu wird der Roland weiß angestrichen werden, und er soll die Laterne halten, wo sie rein gehen. Wer ihn ausrichten wird, das weiß man noch nicht; einige sagen die Stadt, andere sagen die Herren Franzosen, andere noch anders; darüber ist noch viel Gerede. Die Wirtin vom Deutschen Haus und der von der Goldenen Gans, die zanken sich, wers Traktement geben soll, aber sie werden sich schon vertragen. Denn s ist ja um die Einigkeit und den Frieden willen, sagen sie.«

»Aber was bringt Sie von meinem Neveu, dem Kornett?« brachte endlich die Mutter die bange Frage heraus.

»O, der ist mal fidel! – Kreuzfidel waren der Herr Kornett.«

»Suse, mein Neveu Theodor! Wo hat Sie ihn gesehen?«

»Im Ratskeller! Ach, es bleibt doch ein charmanter junger Herr! Ich mußte lange fragen, bis ich ihn fand. Aber da war er auch gleich – ganz anders wie die anderen. Ein bißchen auch – Nu, was schadet das? Junges Blut muß leben.«

»Suse, was spricht Sie! Wo war er? Wer waren die anderen?«

»Unten in dem Stübchen an der Ecke, sie brannten schon die Lampe, denn da wirds früh dunkel. Und die Röcke hatten sie ausgezogen. Und es rauchte vom Tische. Ich dummes Ding dachte erst, es brannte; aber es war ein großer Napf, und Flaschen standen rum. Und sie gossen immer ein und rührten – ich weiß ja, das ist Punsch. Aber sie taten auch Eier drein, und dann gossen sie Flaschen zu, die an die Decke knallten. Anfangs schämte ich mich und wollte fortrennen, aber da riefen sie: Halt die Hexe, und zogen mich am Rock zurück. Es hat mir auch nicht leid getan, denn da half kein Sperren. Ein ganzes Bierglas schenkten sie mir, sehen Sie, gnädiges Fräulein, bis so weit voll, und waren so gut gegen mich. Und wie freuten sie sich, und lachten sich scheckig, daß es mir schmeckte. Es war Ihnen aber auch so süß – Sirup ist gar nichts gegen – und auf der Zunge kritzelt es, und in den Ohren, na, da wars doch, als wenn die Vögel im Frühjahr singen. Aus der Stadt kam ich, als wenn ich tanzte, und darum war mir Schnee und Regen gar nichts, und das Wasser auch nicht, das über die Füße planschte. Mir wars immer, als möcht ich singen, und meine alten Knochen – so schnell bin ich nie über den Buttertrab gelaufen.«

»Wer waren die anderen – Suse, mit wem war Theodor?«

»Ach, alles charmante junge Leute – wie der Herr Kornett.«

»Ranzonierte Offiziere?«

»I freilich so was. – Wenn sie sich schlagen, warum sollen sie sich nicht vertragen, sagten sie. Der junge Herr Leutnant von Wolfskehl läßt die gnädigen Fräuleins auch recht schönstens grüßen! – Ach, mein alter, alter Kopf! hätt ich das beinah vergessen. Da muß das Geld mal wieder recht dick sitzen. Auf Ritzengnitz gibt er nächster Tags ein Sautreiben, wenn nur der Ball erst vorbei ist. Die französischen Offiziere, die freuen sich mal drauf.«

»Der Herr von Ritzengnitz!« Da war durch einen Namen für die Damen wenigstens ein Rätsel gelöst. Wo der reiche liederliche junge Mensch, waren auch die Mittel zum wüsten Leben.

»Die Herren aus dem Ratskeller werden wohl auch beim Balle sein?« fragte Karoline.

»Freilich. Der Krieg ist doch aus, sagen sie, und nun wollen sie sehen, wer besser tanzt, und einer faßte den andern um den Leib. Hurrje, was hopste s da.«

»Und Theodor?«

»Gott bewahre! Der nicht. Der saß auf dem Schemel, die Beine vor, und lachte so recht still vergnügt.«

»Unsere Bestellungen –«

»Alles ausgerichtet. Anfangs getraute ichs mir nicht; aber nachher kriegte ich Courage.«

»Und Theodor –«

»Die Strümpfe zog er sich über die Hände und küßte sie. Und dann hielt er die Arme so gegen die Decke, und ich sollte sagen, er wäre sehr schön warm. – Und dann –«

»Nun, was denn noch?«

»Ich schäme mich. Er sprang auf und fiel mir um den Hals – nämlich mit den Strümpfen, und all die Küsse, sagten Sie, solle ich seinen herzallerliebsten Cousinen wiedergeben, und immer eins mehr. Nachher, da kams mir vor, als weinten sie auf dem Stuhle, aber wie ich meine Kiepe wieder auf den Rücken tat, da schnarchten sie. Denn man muß wissen, sagte mir der Ratswirt, sie hatten von frühmorgens an getrunken.«

Die Botenfrau war fort; auch die ältesten Töchter waren in die Schlafstube vorausgegangen. Da entlud sich Amaliens stilles Weinen in ein lautes Schluchzen. Die Mutter streichelte ihre seidenen Haare: »s ist manches nicht so schlimm, wies aussieht, liebes Kind. Frage Du einen Menschen, der was Ordentliches geworden ist, ob er nicht einmal betrunken gewesen ist? Ja, Dein Onkel, der Obrist, der in Kyritz stand, sagte, dem Offizier traue er nicht, der nicht wenigstens ein paarmal nicht gewußt, wie er zu Bette gekommen. Soldaten müssen schon trinken. Dein Vater sagte auch: wenn ein Kerl nur nicht immer besoffen ist. – Immer betrunken wird Theodor nicht sein. Er ist nur verführt von dem Ritzengnitzer. Wenn das so fortgeht, wird sein schönes Vermögen auch mal zu Ende gehn.«

Malchen schüttelte den Kopf. »Es ist nicht das, Mutter –«

»Was denn noch, Kind?«

»Er tuts aus Verzweiflung. – Wenn einer gar keine Aussicht mehr hat, o, mein Gott, das muß schrecklich sein! Der Vater hat ihm das Herz gebrochen.«

Die Mutter verschluckte, was sie erwidern wollte.

»Er war gar nicht so. Ihr habt ihn nicht gekannt. Er konnte auch sanft sein, wie eine Taube. Der Lerche hörte er stundenlang zu, und mit einem Veilchen konnte er sich unterhalten, als wärs ein Mensch. s ist nur die böse Gesellschaft. Wenn andere ihm was vortaten, da mußte er bei sein, und wollte sich vortun.«

»Komm zu Bett, Malchen, und verschlaf den Kummer.«

Sie drückte ihr weinendes Gesicht in die Brust der Mutter. »Ich muß ihn einmal sehen, Mutter! Ich muß, ich muß – ganz gewiß, wir müssen nach der Stadt; sonst ist er verloren.«

Die Mutter wußte keinen Rat; es wird ja schon alles mal besser werden. Malchen schlief in ihrer Stube; beide hatten unruhige Träume. Einmal schrie das Kind auf: »Da rollt der Totenkopf!«

Davon erwachte die Mutter. Aber Malchen schlief wieder fest und atmete so ruhig. Da legte sich die Mutter, die aufgesprungen war, auch wieder in ihr Bett, und als sie zu hören glaubte, daß ihr Mann im Nebenzimmer sich die Stiefel anzog, glaubte sie, es sei auch ein Traum, und drehte sich auf die andere Seite. Darüber hörte sie nicht den Lärm, der bald im Dorfe laut ward und auch im Schlosse einiges Türklappen und Unruhe verursachte.

Es war auch kein Traum gewesen, daß der Major die Stiefel anzog. Er war hinuntergegangen ins Dorf, es war viel Leben, sie hatten davon gesprochen, die Sturmglocke zu rühren, denn der rote Schein flammte wie Nordlicht. Es waren dann andere Nachrichten gekommen, weit ernsterer Art; aber die Sturmglocke rührten sie nicht, sondern die rüstigsten Männer aus dem Dorf bewaffneten sich, obgleich ein Querbelitzer, der herübergekommen, ihnen sagte: nun habe es für diesmal keine Not mehr, denn die verfluchte Schwefelbande sei eingegangen.

»Wenn wir nur ordentliche Einquartierung hätten,« war es einem Bauer entfahren, »dann wären wir doch davor sicher.« Es war so tiefe Trauer und Entsetzen, daß der Major, der selbst bei der Erzählung geschaudert, den Mann nicht schalt. Er ging stumm ins Schloß zurück.

Ein Glück für viele, die ruhig schlafen konnten; am Morgen hörte das Geschehene sich ruhiger an. Unter diesen Glücklichen war auch der Kandidat. Man hatte ihn aus dem alten Seitenflügel in ein entferntes Gemach gebettet, dessen Holzgeruch verriet, daß es lange nicht benutzt worden. Die hochaufgeschichteten Aepfelhaufen verbreiteten aber einen gefälligen Duft, die kleinen runden, in Blei gefaßten Fensterscheiben, die tiefen Nischen, der ungeheure schwarze Kachelofen, in dem die Holzkloben knisterten und prasselten, hatten für den Gast etwas Heimliches. Er bedurfte nicht des Pelzes; der Ofen oder sein Jugendfeuer strömten so viel Wärme aus, daß er sich im leichten Rock auf den alten Ledersessel warf und, den Arm auf den Tisch gelehnt, seinen Gedanken Audienz gab.

Wie gewaltigen Schwunges, wie weit ins Endlose schweifen die Gedanken eines Jünglings, der noch des süßen Wahnes ist, daß die Angeln und Haken, die Bleigewichte der Gewöhnlichkeit, die uns alle verstricken und niederdrücken, auf seinen freien Geist ohne Einfluß bleiben! Dieser hatte ihr Gewicht schon empfunden, der Silberglanz seiner Jugendträume war vor der Witterung verblichen; der Geist suchte wie der Bergmann die edlen Adern im Innern; da war er Herr, da frei von den Verhältnissen. Aber ein wenig drückten sie ihn doch. Der Empfang, die Szene am Wagen, seine Aufnahme, der erste häusliche Abend, das war ihm freilich alles nichts Unerwartetes – er kannte diese Menschen – aber es drückte doch seine Stimmung, während er sich Mühe gab, durch ein Lächeln Heiterkeit vor sich selbst zu lügen. Endlich schien er zum Resultat gekommen.

»Meines Bleibens hier wird nicht länger sein, als es muß. Ein gesunderer Stamm zwar als dort, aber die Wurzeln und die Aeste treiben ins Wilde, Maßlose des Eigendünkels, weil sie kein Korrektiv anerkennen. Mit jenem bin ich eigentlich nicht aneinander geraten, weil seine Formen elastisch waren, und wir hätten uns doch nie verständigt. Mit diesem muß ich es einmal, wenn das Ausweichen zur Sünde wird; er wird mich verstehen, aber eisern bleiben. Dann könnte es Funken setzen, wenn Stahl an Stahl schlägt. – Ebenso mit den Frauen! Auch da unverdorbene Natur; aber diese heimliche Konspiration zwischen Mutter und Töchtern gegen den Vater, ihr zuwinken, ihre Augensprache, ich darf es weder als Lehrer noch als Geistlicher dulden – es ist absolute Unsitte, es frißt in das Heiligtum des Familienfriedens, in die Autorität, die unangetastet bleiben muß, des Vaterrechtes – und –«

Das Weitere blieb unausgesprochen in der Brust; sein Gesicht schien sich eher zu erheitern. Die roten Backen der Aepfel glühten so schön im Anhauch der Flammen, auch die vielen staubbedeckten schweinsledernen Quartanten in dem großen wurmstichigen Bücherschrank wurden etwas von der Glut belebt. Dann konnte er wieder sein Auge vom Feuer nicht abwenden. Woher fiel sein Gedanke auf die drei Männer im feurigen Ofen: »Ehe dieser Glaubensmut unser Volk nicht durchdringt, wird es nicht frei werden!«

Bald lag er, oder er versank vielmehr in den vielen dicken, vollgestopften Federkissen, welche Wilhelminens Sorgfalt übereinander getürmt, und ein noch dickeres Deckbett senkte sich elastisch auf seine müden Glieder. Bald hörte er auch nicht mehr das Knistern des Strohes unter sich, noch das Rascheln der Mäuse, der klugen Tierchen, die immer merken, wenn der Wächter des Zimmers eingeschlafen ist. Auch das Feuerrufen draußen traf sein Ohr nicht; das Feuer im Ofen prasselte nicht mehr, nur der goldene Kohlenschein glühte noch Decke und Wände an, wenn der Einschlummernde die Wimpern zum letzten Male öffnete.

Es war lange nach Mitternacht, als ein starkes Klopfen an der Tür ihn aus einem Traum, es mußte kein unangenehmer gewesen sein, aufschreckte. Auf sein ebenso lautes: Herein! noch halb im Schlafe, ward die Tür ausgestoßen, und der Major trat mit einem Lichte ein. Er ging rasch auf den Tisch zu, um die beiden Kerzen anzuzünden, indem er sagte: »Es ist mir lieb, daß Sie Ihre Tür nicht verschließen. Das zeugt von Mut. – Führen Sie Waffen bei sich?«

»Mein ruhiges Gewissen und das Gefühl, daß ich nichts habe, was einem Räuber von Wert sein könnte.«

Die Antwort schien dem Major zu gefallen, er sagte nichts darauf. »Stehen Sie jetzt auf, Herr Mauritz, werfen Sie sich Kleidungsstücke über. Hier ist der Pelz. Was wir miteinander zu sprechen haben, muß Mann gegen Mann sein.«

Während der Kandidat verwundert dem Geheiß folgte, hatte sich der Hausherr, ihm den Rücken kehrend, auf einen Stuhl gesetzt, entweder mit geistigen Schmerzen oder mit körperlichen kämpfend. Unterdrückte Töne, indem er mit der Hand über das Bein strich, schienen wenigstens auf die letzteren zu deuten.

»Ich will Ihnen etwas anvertrauen,« hub er an, nachdem der andere auf seinen Wink ihm gegenüber Platz genommen – »Ihnen, weil ich Ihnen vertraue. Es kommt das selten aus meinem Munde, aber ich glaube, daß die Worte, die Sie von der Kanzel sprechen, auch aus Ihrem Herzen kommen. Es ist eine Art Beichte dabei. Mein Vetter aus Quilitz kam, um mir einen Rat zu geben. Ich wies ihn zurück, weil ich keines Rates zu bedürfen glaubte, weil ich keinen Rat annehme von Menschen, die – genug, ich wies den Rat zurück, aber er war gut. Habe ich daran recht, habe ich unrecht getan? Das will ich von Ihnen wissen.«

»Herr Major, ein Dichter hat gesagt: Wer in Rätseln beichtet, wird in Rätseln losgesprochen.«

»Soll man einen Rat von denen annehmen, deren Erbärmlichkeit man durchschaut? Das meinte ich. Oder nein: wenn man ihn zurückwies, verträgt es sich mit der Pflicht, ich meine mit dem Gewissen, der Ehre, sich nachher doch anders zu besinnen? Ich meine, das zu tun, was man gesagt hat, man werde es nicht tun. Was sagen Sie als Geistlicher dazu?«

»Der Geistliche hat nichts mit der Frage zu tun; es ist eine rein weltliche.«

»Die Geistlichen sind aber da, in Gewissenszweifeln uns zu antworten. Sie sind kein Rationalist. Sie lesen die Bibel, wie sie geschrieben ist. Als bibelfester Christ will ich Ihre Antwort: Tu ich recht oder unrecht?«

»Als Diener des geistlichen Wortes halte ich es für sündhaft, beim Konflikt rein weltlicher Pflichten es zu zitieren. Sie kamen auch nicht um deshalb, Herr Major.«

»Nun, warum denn, Herr – Kandidat?«

»Darf ich das aussprechen?«

»Ja, – dreimal ja.«

»Sie sind hier, um sich von etwas absolvieren zu lassen, was Sie bereits getan haben.«

»Ich habe noch nichts getan.«

»Aber beschlossen. Sie sind jetzt willens, dem Rat des Hofmarschalls zu folgen, den Sie doch von sich gewiesen. Sie wollen gerade das ausführen, worauf Sie einen Trumpf gesetzt, daß Sie es nicht tun würden. Das beunruhigt Sie nun, nicht eben so, daß Sie es wieder unterlassen würden, wenn auch Ich Ihnen abriete, sondern Sie verlangen meinen Rat nur zur Beschwichtigung dieser Ihrer Unruhe.«

»Das ist sehr keck gesprochen, beinahe als wären Sie ein katholischer Priester.«

»Und wäre ich das, Herr Major, hielte ich es doch nicht meines Amtes, eine Salbe auf Skrupel zu drücken, die damit nichts zu tun haben.«

»Bei wem soll ich mir denn Rat oder Beschwichtigung, wie Sies nennen, holen?«

»Bei sich selbst, Herr Major. In solchen Konflikten weltlicher Ehrenpflichten mögen und sollen wir uns selbst Rat sein. Dazu gab Gott uns Vernunft, Verstand – Geist. Uebrigens bin ich zu jung und unerfahren.«

Der Edelmann schwieg eine Weile.

»Umstände verändern die Sache. Der Meinung sind Sie doch auch?«

»Wir hängen alle von Umständen ab, wir sind Spreu im Winde vor ihm, der die Stürme los ließ. Was wir feststehen heißen, ist oft nur der Trotz der Kreatur, die Weisheit der Milbe, die den Lauf der Gestirne nach den Pulsen ihres Lymphenblutes berechnen will. Aber er gab auch dem Sklaven die hohe Freiheit vor ihm, zu beschließen und zu tun, was er für Recht hält.«

Der Edelmann schien im Nachsinnen nur halb darauf gehört zu haben.

»Mein Vetter wollte es mir zur Pflicht machen, die Frauen nach der Stadt zu schaffen. Damals, ich meine gestern, war ich der Meinung, und ich bin der Meinung auch noch, daß der Gutsherr, wenn der König ihn nicht ruft, auf seinem Gute bleiben muß. Er ist der von Gott eingesetzte Herr, um für seine Untertanen, seine Familie zu sorgen, sie zu schützen. Gott hat ihm dazu Kraft gegeben, wenn es ein rechter Herr und Edelmann ist. Wo sind Kinder, Frauen besser geschützt, als unter den Augen des Vaters? Darum, wie – gesagt – aber wer kann für alles stehen! Und diese Nacht –«

»Was ist geschehen, gnädiger Herr?«

»Dames Mühle ist abgebrannt.«

»Das ist ein großer Verlust für die Leute! Uebermütiges Volk, diese Müller, hartherzig, geizig, aber fleißig; sie hatten viel geschafft und waren stolz auf ihren Mammon.«

»Ihren Mammon nimmt ihnen niemand mehr. Sie sind tot.«

»Mann, Weib und Töchter?«

»Nur der Müllerbursch, der sich versteckt gehalten, entsprang.«

»Ein Anfall –«

»Von niederträchtigem Gesindel, Ausreißern, Trainknechten. Der Brand war nicht beabsichtigt, aber sie hatten die Frauen auf den Tod mißhandelt, den Müller geknebelt, verwundet. Damit es nicht herauskäme, steckten sie die Mühle an. Ein paar von der Bande, toll betrunken, sind mit verbrannt. Die anderen glauben die Querbelitzer gefangen zu haben.«

»Die Querbelitzer? –«

»Der Müllerbursche lief querfeldein dahin. Sie waren noch alert wegen der erwarteten Einquartierung. Die Fouriere redeten ihnen zu, das wäre nur Gesindel. Sie zogen aus, umzingelten die Mühle. Die Kerle waren alle betrunken. Die unter ihren Prügeln nicht auf dem Platz blieben und ins Feuer geworfen wurden, haben sie gebunden und jetzt schon nach Nauwalk geführt. Wenn der Kommandant ihnen nicht etwa den Strick der Ehrenlegion gibt, wird er sie wohl erschießen lassen. Das ist ziemlich ein und dasselbe. Aber das ist eine Bande, wer steht für die anderen?«

Der Kandidat wußte jetzt, was geschehen, auch was geschehen sollte. Es kam nur darauf an, welche Rolle ihm dabei zuerteilt war. Er glaubte im ersten Augenblick, daß, während die Familie nach der Stadt, er bestimmt sei, nach dem Hauswesen zu sehen, und erklärte sich zu allem, was in seinen Kräften, bereit.

Der Major schüttelte den Kopf.

»Ich darf Ilitz nicht verlassen. Auch sind mir Erkältung und Aufregung wieder ins Bein gefahren. Ich könnte nicht. Sagen Sie aber den Frauen nichts davon; sonst gibts ein Lamento, und sie kommen nicht fort. Es muß schnell geschehen, wenns heller Tag ist. Ueberdem passe ich nicht dahin. Ich würde es nur verderben. Sie sind kein Edelmann, Sie können sich also mit der Canaille besser befassen und mit den Sansculotten, den Königsmördern, höflicher umgehen. Verstehen Sie mich, höflich! Die Umstände sind nun einmal so, man muß ihnen mit Höflichkeit und Anstand begegnen, um die Frauen vor ihrer Unartigkeit zu bewahren. – Ich binde es Ihnen auf die Seele, Herr Mauritz, seien Sie aufmerksam, gefällig, gesprächig zu den Schuften. Meinethalben lügen Sie ihnen vor, schimpfen Sie auf den alten Isegrimm, daß er sich nicht in die Zeit schicken will, kaum dahin zu bringen war, seinen Kindern das Vergnügen so liebenswürdiger Gesellschaft zu gewähren. Meine Töchter sind mein Augapfel, Herr Mauritz. – Nun rüsten Sie sich, bei der Frau Rothenmeier im Deutschen Hause werden Sie Quartier finden. Gott stehe uns allen bei; es wird ja nicht immer so bleiben.«

Also war der Kandidat dazu bestimmt, die Damen des Hauses nach Nauwalk zu begleiten und als ihr Chaperon daselbst zu bleiben. Es war ein ehrenvoller Auftrag, gegen den nichts einzuwenden war; zum sonntäglichen Gottesdienst mochte er leicht nach Ilitz hinaus. Aber wie war es mit dem Unterricht der Kinder?

»Die Jungen bleiben bei mir. Meinen Sie, daß Sie allein erziehen können? Für die Zeit, die kommt, Herr Mauritz, sage ich Ihnen, braucht es nicht viel Vokabeln und Grammatik, nicht Ihre Regeln, die, so neu sie sind, schon wieder fadenscheinig werden. Mit Eurer Humanitätspädagogik zum Henker, die das Unterste zu oberst kehrt, die Menschen schlaff und weichherzig macht; sie ist an all dem Unglück schuld. Wir brauchen wieder Männer, keine Maulhelden, keine Theoretiker, Männer, die auf dem Flecke sind, nicht Schulmeister.«

Der junge Mann stand auf. »Dann bin ich gewiß hier nicht auf meinem Fleck.«

»Nur nicht empfindlich! – Sie haben mir vorhin etwas ins Gesicht gesagt; da waren Sie auf Ihrem Fleck. Ich ästimiere es. Wir werden uns vertragen, wenn wir uns verstehen lernen. Jetzt bringen Sie die Damen nach Nauwalk. Es ist dabei ein Stück Erziehungsgeschäft. Ich wünschte, Sie wären auch da recht auf Ihrem Flecke.«

Es lagerten sich wieder Runzeln auf dem Gesichte des Edelmannes, aber nicht des Zornes, bis er anhub: »Da vegetiert im Städtchen noch der unglückliche Neffe meiner Frau, der Kornett Hurlebusch. Sie haben davon gehört. Es sind viele, die mich darum tadeln. Aber warum sagts mir keiner ins Gesicht? Die Anklage, die nur hinterm Rücken flüstert, hat die Feigheit zur Mutter, und die Feigheit ist noch im Recht. Hätten alle Väter ihre Söhne, die so zurückkommen, ausgewiesen, alle Häuser sich ihnen verschlossen, dann – wir ständen schon jetzt anders. Daß wir für das Schlechte nicht Zorn, daß wir nur weichherziges Mitleid haben, das ist der zweite giftige Wurm, nächst Eurer Pädagogik. Die Römer ließen ihre Deserteure mit Weinreben totpeitschen; daher hatten sie Römerheere. Wir – genug, freilich, er war nicht schlimmer als andere. Aber in mein Haus soll er nicht mehr, nie, nimmermehr, unter keiner Bedingung.«

»Herr Major haben vermutlich einen Auftrag an ihn?«

»Ich habe nichts mit ihm zu schaffen. Sie, aus sich selbst, suchen Sie ihn auf – reden Sie wie ein Mann, gießen Sie glühende Worte in die Seele dieses bodenlos eitlen, leichtsinnigen –«

»Ich? Kraft welches Berufes? Der junge Gardeoffizier würde die Vorstellung eines Theologen –«

»Sie haben recht,« unterbrach ihn der Major, der sichtlich das, was er sagen wollte, noch umging, wie man oft unangenehme Dinge umschreibt, in der Hoffnung, daß der Angeredete das Wort selbst finden werde, das wir auszusprechen scheuen. Aber wenn der Kreis immer enger wird, platzt es endlich heraus, aber unangenehmer und selbst verletzender, als wir wollten. – »Sie sind in ihn vernarrt, die Weiber, Sie wissens ja. Das schadet noch nichts. Worin sind Weiber nicht vernarrt? Immer in Tand und Nichtiges. Hinter meinem Rücken wird das Spiel getrieben. Sie stecken ihm zu, was sie können, und ich muß die Augen zudrücken, eben weil – weil ich mußte, – weil der Mensch leben muß. Das geht nicht länger, durchaus nicht, und ich wills doch nicht zum Eclat bringen. Darum, sage ich Ihnen, gehen Sie schonend zu Werke.«

Der Kandidat verstand ihn wirklich nicht.

»Sie sagen, es war nur Kinderspiel, aber es ist mehr. – Die Mutter, auch die Schwestern, verstehen sie nicht. In dem Kinde ist etwas Besonderes. Sie scheint noch mit Puppen zu spielen, aber es geht nichts an ihr vorüber, was ihre Seele nicht auffaßt, und mit einer Lebhaftigkeit, einer Innigkeit, die mich erfreut und erschreckt. Ich fürchte nicht etwa, mein Herr, daß sie sich zu einer Torheit hinreißen läßt. Sie ist die Tochter ihres Vaters, die Enkelin ihrer Ahnen, aber schon das schmerzte mich, wenn sie ernsthafter von einer Empfindung berührt würde, die ihrer unwürdig. Sie ist mein Stolz, sage ich Ihnen, hier im Vertrauen. In diesem kindlichen Gemüte, in diesem tändelnden Wesen lebt ein Adel – genug, darum, Herr Mauritz, gehen Sie mit Schonung zu Werke. Ich will ihre Gefühle so wenig zerrissen, als auf die Straße geschleppt sehen. Handeln Sie mit Klugheit, erfüllen Sie ihren Willen, soweit es geht, aber aus ihrem Herzen muß er gerissen werden, so oder so –«

Der Auftrag war so undeutlich als außerordentlich. Der junge fremde Mann ward vom Vater in so zarte Familiengeheimnisse eingeweiht, daß dieser sich kaum auszusprechen getraute, und eine Art Vormundschaft ihm zugewiesen, die nur dem allerhöchsten Vertrauen entspringen konnte, und das, nachdem er ihn heute seine Superiorität und das Drückende seiner Stellung hatte empfinden lassen.

»Als Theologe, als Christ, als Geistlicher« – korrigierte sich der Major auf die vom Kandidaten leis angedeutete Frage, wie er dazu komme – »so sollen Sie handeln.«

Ueber das Wie? ließ der Major sich indes in Kürze deutlicher aus. Der Kornett sollte aus Nauwalk fort, auch aus der Provinz, aus den preußischen Landen. Nach Schweden, England, Oesterreich, irgend wohin, wo man Soldaten brauche. Das Korps Offiziere, mit dem er gefangen, habe nur das Wort gegeben, nicht in den preußischen und russischen Linien gegen den Kaiser der Franzosen zu dienen. – Aber wie den von allem entblößten Menschen fortschaffen? – Der Major gedachte vom Schulzen in Querbelitz eine Summe aufzunehmen. Der treue Mann werde das Geld wohl für sicherer halten in der Hand seines Edelmanns, als in einem alten Topf unter der Erde.

Allein, wenn der Kandidat dem Offizier diese Offerte machte, auch der Leichtgläubigste würde nicht zum Glauben zu bewegen sein, daß ein Kandidat der Theologie einen Offizier zum englischen Dienst equipieren könne. Eine Handschwenkung des Majors, die er mit abgewandtem Gesicht tat, war für Mauritz genügende Vollmacht und ein Zeichen mehr, daß auch ein fester Mann den Umständen nachgibt, wenn es nicht anders geht. Der Major hatte heute viel nachgegeben.

Und doch noch nicht genug. Als er den Leuchter schon in der Hand hielt, fiel sein Blick auf ein sehr verdunkeltes Oelgemälde, das rahmlos im Winkel der Tür hing. Man mußte das Auge anstrengen, um ein weibliches Porträt darin zu erkennen.

»Wissen Sie von der auch?« fragte er mit gedämpfter Stimme, darauf starrend. »Ich sah sie diese Nacht –«

Man konnte wirklich glauben, daß den Hausherrn eine Erscheinung verstört habe. Der einsilbige Mann fühlte das Bedürfnis zur Mitteilung. Er saß wieder auf dem Schemel, das Bein haltend, wie von einem neuen Schmerzanfall durchzuckt.

»Das ist ein Ahnenbild, ein Fräulein aus unserem Hause. Es heißt, sie geht um. Was halten Sie davon?«

Der Kandidat wich der Frage aus. Indem er das Licht an die Wand hielt, versicherte er, das Kostüm (ein verdunkeltes gelbes Mieder) deute nur auf die Zeit des dreißigjährigen Krieges.

»Müssen Gespenster älterer Abkunft sein? Meinethalben. – Aber Sie haben recht gesehen. Während des dreißigjährigen Krieges muß sie geboren sein. – Von meinem Ahnherrn Wolf haben Sie wohl gehört? Man nannte ihn den schwarzen Wolf. Sein Bild hängt im Korridor, es soll mir gleichen.«

Der Hauslehrer erinnerte sich. Wolf Gebhard hatte den Ruf eines furchtbaren und strengen Mannes, der ein einsames Leben geführt, ein finsterer Sonderling, dessen Begegnung man scheute. Er hatte eine eigene Passion, erzählten sich die Jäger, den Wilddieben nachzustellen. Er soll eine beträchtliche Zahl eigenhändig erschossen haben. Er kam nie in die Stadt; man sagt, der Hof wäre ihm untersagt gewesen, weil die fromme Kurfürstin Luise von Oranien ihn verabscheut. Und doch hatte er seinem Kurfürsten große Dienste geleistet. Er war es, der nach der Fehrbelliner Schlacht die Bauern in dieser Gegend aufgestürmt und angeführt, dieselben, welche am Querbelitzer Torfmoor ein Bataillon flüchtiger Schweden überfallen und niedergemacht. Die Sage nannte eine unglaubliche Zahl Schweden, die der schwarze Quarbitz mit eigener Hand umgebracht.

»Er war der Vater jener Dame. Zur Geschichte gehört aber noch ein dritter. Das war ein schwedischer Obrist vom gelben Regiment. Es ist eine Einquartierungsgeschichte, weiter nichts. Der lag einmal im Haus Ilitz. Nicht in dieser Stube; das war des Fräuleins Stube. Der schwarze Wolf aber trat eines Nachts hinein und fand, daß der Herr Obrist die Stuben verwechselt. Was sich da zugetragen, weiß man nicht. Der Halunke entfloh. Ich sage der Halunke; denn es war kein Wrangel, Torstenson und auch kein Brahe. Er war von der Sorte, wie sie zur Wallensteiner Zeit Hauptleute und Generäle machten – ein Roßtäuscher aus Mecklenburg oder ein Tafeldecker aus Frankfurt. Draußen hat man um die Zeit einen Schuß gehört. Es ward viel geschossen um die Zeit. Andern Tages war Trauer im Schloß, das Fräulein war an einem Blutsturz plötzlich verstorben. An der Kirchhofsmauer ist ihr Grab. Die alten Leute sagten sonst, es lägen zwei darin –«

»Der Obrist? –«

»Wenn die Raubvögel nicht seine Knochen verstreut haben, modern sie im Torfmoor. An den Blutsteinen, welche Sie wohl kennen – da, wo die letzten Schweden, zusammengekeilt, ihre Haut an die Bauern verkauften. Der schwarze Wolf hieb ihn selbst nieder; nachher ließ er ihm mit den Mistgabeln das Garaus geben. – s ist eine alte Geschichte, von der man nicht gern spricht. Sie würden sie doch einmal von den Leuten hören.«

Mit dem Licht war er schon an der Tür, als er sich umwandte.

»Nein, ich erzähle sie nur, damit Sie nicht erschrecken, wenns Ihnen einmal auf dem Gange begegnet. Ich erzählte sie Ihnen, damit Sie begreifen, wie es einem Vater ums Herz ist, wie er auch einmal schwach werden kann, wenn – ihm das Bild da erscheint.«

< Alte Geschichten.
Eine Erscheinung im Walde. >



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