Frei Lesen: Isegrimm

Kostenlose Bücher und freie Werke

Kapitelübersicht

Die Schwedenschanze | Die Blutsteine. | Der Quilitzer Knecht. | Die Querbelitzer Schenke. | Schemelbeine. | Isegrimms Haus. | Isegrimm. | Eine Rückfahrt. | Alte Geschichten. | Die erste Nacht in Haus Ilitz. | Eine Erscheinung im Walde. | Der Ball muß sein. | Zwei Anstands-Visiten. | Malchen. | Ein Wetterstrahl im Ratskeller. | Zum Ball oder nicht zum Ball? | Die Ouverture zur Ballmusik. | Die Ballnacht. | Vorm Scheunentor. | Im Schnee. | Jede Schlacht fordert Präparationen. | Schulze und Edelmann. | Die Einquartierung. | d'Espignac. | Der kleine Krieg. | Der Versucher im Hause. | Scheiden. | Ritter und Reiter. | Wendisch oder germanisch. | Das Schwert des Cid. | Der Beichtvater. | Chaotische Besuche. | Der unbegreifliche Brief. | Das Vaterland und bürgerlichen Offiziere. | Die Brücke in die Zukunft. | Eine deutsche Konversation. | Nachtgespenster. | Der Krieg ist nicht Zeit zu Hochzeiten. | Das Ahnenbild stürzt. | Ein verhängnisvoller Brief. | Die Katastrophe. | Ein Doppelgänger. | Eine dunkle Tat. | Ein politisches Geheimnis. | Ihr von Ilitz, Ihr von Ilitz, Solltet nimmermehr nach Quilitz! | Ein Gewitterschlag. | Ein ernstes Zwiegespräch. | Friede und Resignation. | Nach sechs Jahren. | Von Hochgezieten. | Gräfin Heilsberg. | Querl. | Schluß. |

Weitere Werke von Willibald Alexis

Geschichten aus dem Neuen Pitaval - 3 | Der neue Pitaval - Neue Serie, Band 9 | Walladmor | Der falsche Woldemar | Der neue Pitaval - Band 15 |

Alle Werke von Willibald Alexis
Diese Seite bookmarken bei ...
del.icio.us Digg Furl Blinklist Technorati Yahoo My Web Google Bookmarks Spurl Mr.Wong Yigg


Dieses Werk (Isegrimm) ausdrucken 'Isegrimm' als PDF herunterladen

Willibald Alexis

Isegrimm

Ein Wetterstrahl im Ratskeller.

eingestellt: 25.7.2007

Fünfzehntes Kapitel.

Ein Wetterstrahl im Ratskeller.



In der Kellerstube des Rathauses, die wir aus der Beschreibung der Ilitzer Botenfrau kennen, finden wir heute zwei Besucher. Es war noch heller Tag, und das Sonnenlicht drang durch die kleinen Fenster in das Gewölbe, daß man noch nicht nötig gefunden, die Hängelampe anzuzünden. Darum sah es aber weder hell noch gemütlich aus.

Auf dem Lederkanapee an der Wand lag der Leutnant Wolfskehl von Ritzengnitz, das blasse Gesicht, wie von einer durchschwärmten Nacht im Arme stützend. Am Tische saß ein Kavalier mit kotbespritzten Stiefeln und stärkte sich von der Erschöpfung eines langen Rittes im schlechten Wetter bei einer Flasche Madeira. Trotz des Johanniterkreuzes, das unter dem Oberrock zum Vorschein kam, war es keine ritterliche Gestalt; sie näherte sich mehr dem Pygmäengeschlecht, das blonde Haar dem brennenden Rot, aber das durch Blatternarben nicht verschönerte Gesicht hatte doch den gewissen vornehmen Ausdruck, der, wenn man ihn verkennen wollte, sich nicht verkennen ließe. Es war der Majoratserbe, Herr von Quiritz.

»Sie müssen verteufelt geritten sein, Herr Bruder,« sagte der Liegende.

»Es war kaum durchzukommen, auf Ehre, sage ich Ihnen. Am Moltzen waren die Knüppel vom Damm geschwemmt, ich mußte unten am Karutz an der hohen Binde vorbei, und mein Brauner versank bis ans Knie. Aber an der Jungfernheide steht der Sand.«

»Vorher waren Sie in Berlin? Von drüben – von der Armee wissen sie nichts, – die Herren von der Regierung meine ich?«

»Dürfen nichts wissen, nicht korrespondieren, haben ja den Franzosen eine Art Eid ableisten müssen. Sage Ihnen, die grünen Tische sind in Desperation. An wen sollen sie berichten? Die Franzosen werfen ihre Wische unter den Tisch. – Den alten Isegrimm hätten Sie hören sollen. – Gewissermaßen hat er recht.«

»Was denn?«

»Daß der König ihnen die Kammern und die ganze Schwerenot zurückließ. Die Administrationsmaschine geht wie am Schnürchen, brauchen nur hineinzupusten. Der Ilitzer nennt es bald Hochverrat, bald Dummheit, und die Schafsköpfe fliegen herum.«

»Hätten sie etwa noch die grünen Tische aufpacken sollen auf die paar Bagagewagen! Unrat ist genug nach Preußen mitgenommen.«

»Sehr gut! Uebrigens, Herr von Ritzengnitz, hat die Sache zwei Seiten. Schaffen müßten wir, auch wenn keine Kriegs-, Kammer- und Domänenräte geblieben wären.«

»Aber sie müßten sichs holen und suchen; jetzt müssen wirs bringen.«

»Ich weiß nicht, ob wir besser daran wären. Ein Glücksrad; denn was sie bei dem einen nicht fänden, suchten sie beim anderen doppelt.«

»Meinethalben,« gähnte der Leutnant, ohne die Hand vor den Mund zu halten, und reckte sich auf der Bank. »Bisweilen meine ich, wenn der Schnack zu End wäre, und man könnte ausschlafen.«

»Pardon, Herr Nachbar, das denken Sie wohl nur, wenn die Juden Sie kneifen und auf die künftige Ernte nicht mehr Vorschüsse geben wollen.«

»Was sagte denn aber der Ilitzer zu Ihrer Nachricht, Quiritz? – Sans conséquence, ich kanns noch nicht recht glauben.«

»Ich habe es von sicheren Leuten. Es ist eine Streifschar von dem Freikorps, das der Leutnant Schill kommandiert, über die Oder gesetzt, wo, weiß man nicht, und wohin es sich gewandt, auch nicht. Alle Kommunikation rein abgeschnitten, und die Wege überall wie hier.«

»Wetter noch mal!« rief der Leutnant und schwenkte seine Beine auf die Erde, indem seine Hände in die Haare fuhren. Der Puder und die Frisur waren längst mit der Uniform verschwunden. »Wenn sie unsereins hier beträfen, was soll man da tun. – Und was sagte der Ilitzer?«

»Er paffte dicke Wolken in die Luft. Kann die Freischaren nicht leiden. Durch ein paar Husaren und Gesindel dürfe das Land nicht in Unordnung gebracht werden. Im Rücken der großen Armee ists leer, für ein Streifkorps, das wie der Wind hier und dort ist, gerade Platz.«

»Und Sie, was sollen wir tun, Quiritz?«

Der Angeredete schlürfte nachdenkend an seinem frisch gefüllten Glase.

»Das, was die anderen tun, meinte ich. Wir bleiben in der Stadt, unter ihren Augen. Wenn was auf unseren Gütern passiert, sind wir nicht dabei und haben nicht Rechenschaft dafür zu geben. Der Quilitzer ist auch hier. Was der tut, kann man ohne Gefahr nachtun.«

Der Leutnant gähnte wieder. »Alles ist eitel auf der Welt. Sagt das nicht König Salomo?«

»Es muß mit dem ehemaligen Kornett Wolfskehl von Ritzengnitz weit gekommen sein, wenn er Salomo zitiert. In Berlin wußte man nur, daß er mit der Majestät in Berührung kam, wenn er sich Pillen aus seiner Apotheke holen ließ.«

»Pillen und Kugeln, geht beides durch die Gedärme, aber was bleibt? Was ist der Champagner, wenn er im Rinnstein schwimmt? Was Küsse, wenn die Lippen müde sind? Was ist Ehre, was ist preußische Kavallerie, was Friedrichs Taktik, was Vaterland? Was blau, rot, grün, schwarz wenn wir wissen, dahinter wird alles grau?«

»Was Teufel, kommt das vom jungen Schwarzrock? Sie sind mir noch Red und Antwort schuldig. Als ich heut früh bei Ihnen vorritt, sagte Ihr Kerl, Sie hätten sich mit dem Informator schon eine Stunde eingeschlossen. Es ist noch der, der beim Quilitzer war, und jetzt ist er beim Ilitzer?«

»Derselbe.«

»Ließen ihn sich kommen, um Ihnen Buße zu predigen?«

»Nein, er kam von selbst. Variatio delectat, das weiß ich noch von meinem Präzeptor. Nach einer tollen Nacht, wo mans bis auf die Hefe ausgetrunken, warum da nicht eine moralische Lektion als Rekreation! Es erfrischt, macht den Geist klar.«

»Possen! Ist er vielleicht auch Arzt?«

»Nein, er will mich zu einem machen. Wir wollen beide eine Erziehungsanstalt anlegen für verlorene Söhne. Durch moralische Vorhaltungen und andere Pferdekuren wollen wir sie auf den Weg der Tugend zurückführen, zur Sittlichkeit, zur Selbstbeherrschung, zur Vaterlandsliebe. s ist ne tolle Geschichte, buchstäblich wahr, en passant ein Spaß, sonst ein verteufelter Ernst, und es tut mir nur leid, daß ich Sie nicht ins secret ziehen darf, denn es muß ein tiefes Geheimnis bleiben.«

»Noch habe ich Lust, in Ihrer Posse mitzuspielen, wo die Tragödie vor der Tür stehen kann,« sagte der Johanniter und war aufgestanden – »Was ich Ihnen von den Schillschen mitteilte, bleibt auch secret entre nous. – Ihre Parole drauf, Ritzengnitz.«

Der Leutnant reichte ihm gleichgültig den Finger mit einem »pourquoi?«

»Weil ich nicht weiß, ob sie uns hier nicht zur Pflicht machen könnten, davon Anzeige zu tun. Wenn sie die Husaren für Brigands erklären, und damit ist Napoleon sehr bereit, so sind alle für sie Conspirateurs, die um ihren Aufenthalt wußten, besonders die, beachten Sie das, Wolfskehl, wo man Exekution hinschicken kann.«

Ein junger Mensch rannte den Johanniterritter auf der Kellertreppe beinahe um. Der aus dem Dunkeln kam, erkannte den aus dem Lichte Kommenden. »Kornett Hurlebusch!« sprach er, ihm nachsehend. »Was will der hier? Weiß er etwas? Das wäre einer von denen, die alles verderben können.« Aber der Hofmarschall, der über den Markt ging, war dem Herrn von Quiritz jetzt eine wichtigere Person; er eilte ihm nach.

Der junge Mensch war in das Eckzimmer gestürzt. »Gut, da bist Du!« rief er beim Anblick des Leutnants, und machte eine Bewegung mit den Armen, als wollte er die Luft an seine offene Brust drücken. Der Sonnenstrahl, der schräg durch das Gewölbe auf sein Gesicht fiel, zeigte einen Ausdruck von Wonne, der sich nicht beschreiben läßt. Die blauen Augen, die Lippen schienen die Sonnenstäubchen wie von den Lüften getragene Ambrosia einschlürfen zu wollen. Dann stürzte er auf den anderen zu, schlang die Arme stürmisch um ihn, preßte die Stirn an seine Brust, um gleich darauf los zu lassen. Er warf sich an den Tisch, das Gesicht auf die Hände, er weinte.

»So! – so schilt mich nur kindisch. – Nun habe ich Mut. – Ich sehe Dir gerade ins Aug. Will nicht zusammenzucken, was Du auch antwortest.«

»Da bin ich doch neugierig auf die Frage vorher.«

»Liebst Du sie?«

»Possen! Ich habe kein Geheimnis vor Dir.«

»Hast Du ernste Absichten?«

Der Ritzengnitzer sah ihn nur seitwärts an, er war mit dem Stahl und Feuerstein beschäftigt, um die Pfeife auzuzünden. »Hältst Du mich für nen Narren?«

»Ich danke Dir, Bruder,« sagte der Kornett, die Hand in die Luft ihm entgegenhaltend. – »Brauche Worte, wie Du Lust hast. Schilt, railliere mich, heut ist alles vergeben. Alles ist Musik für mich, das Knarren der Wagenräder, das Schnattern der Marktweiber, das Krähen der Wetterfahnen, alles, Konzert, Harmonie! O, daß nur ein Mensch das fühlen soll! Ich möchte alle Welt umarmen, daß alle Welt es mit mir fühlt.«

»Tausend noch mal, da muß ja was Besonderes passiert sein!«

»O, ich war ein leichtsinniger Mensch, schlecht, schlecht, das fühle ich jetzt – aber das wird nun anders. – Sie kennt mich, sie weiß alles – sie fragte mich sogar, ob ich es vor Cousine Malchen verantworten könne? – Das habt Ihr geplaudert, ich verzeihe es Euch – ich sei ein Flattergeist, dem man nicht trauen dürfe, sie wolle mir aber doch trauen auf mein blaues Auge –«

»Das ist viel von ihr.«

»Sie kann es. Ich ward ein anderer, ich fühle mich wie neugeboren. Julius, Julius, meine Brust möchte springen, mein Hirn auch. Ihr braucht nicht zu erschrecken, lauter lustige Figuren tanzten heraus, Blumen und Sterne, Raketen und Engel mit Flügeln im Sonnenschein. Friede nun mit allen Menschen, jeder soll mein Glück kennen, jeder mich ganz wie ich bin. Auch zu Cousine Malchen, auch sie soll alles wissen, bekennen will ich, verzeihen soll sie, das unschuldige Kind, das noch nichts davon weiß, nicht einmal davon geträumt hat, was Seligkeit ist.«

»Ich würde Dir doch raten, noch ein bißchen zu warten, bis Du zur Cousine gehst. – Hat sie denn – ich meine, die wir meinen, es Dir erlaubt?«

»Alles – o, sie ist ein Engel – zu ihren Füßen mußte ich beichten.«

»Das hat sie auch gefordert?«

»Nein, es trieb mich, ich mußte, mußte. Ihre weichen Finger spielten in meinen Haaren.«

»Sieh mal einer!«

»Das war Balsam, so neckisch, so himmlisch gut säuselten ihre Trostworte, wie der Abendwind über ein Nelkenbeet.«

»Die Wetterhexe! – Wie ists denn mit ihrer Amour oder Verlobung – ein Herzog ja wohl, oder Marschall?«

»Es war nur der Ehrgeiz ihrer Tante. Sie will nichts mehr von ihm wissen.«

»Da tut sie sehr klug dran.«

»Sie ist nur aus List ihrer Tante gefolgt. Sie ist enorm reich. Zwei große Herrschaften hat sie an der spanischen Grenze.«

»Und in Spanien drüben vermutlich noch mehr Schlösser.«

»Wenn sie majorenn wird, ist sie unbeschränkte Gebieterin. Sie kann heiraten, wen sie will. Jetzt läßt sie sich von der Tante, die nur ihre eigennützigen Zwecke hat –«

»Das traue ich der Alten zu.«

»Zur Armee führen. Sie will Napoleon zu Füßen fallen, daß er sie für volljährig erklärt!«

»Theodor! was gilt die Wette! Die ist schon majorenn. Die alte Generalin hat sie betrogen, wahrscheinlich ein Testament untergeschoben. Und das unschuldige Kind, die Komteß, glaubt noch immer der alten Hexe –«

»Nein, Julius, die Generalin ist auch ein edles Weib. Sie lebt nur für ihre Nichte –«

»Für sie oder von ihr, das ist egal.«

»Sie opfert sich für sie auf. Natürlich wünscht sie für sie eine glänzende Partie, aber –«

»Wenn einer nicht viel hat, ist sie auch mit wenigem zufrieden. Ich habe solche edlen Frauen gekannt. Zuletzt, sage ich Dir – na, was hat sie denn über Dich beschlossen?«

»Vor allem ist es ihr um meine Ehre, meinen guten Namen zu tun.«

»Das nenn ich eine schöne Seele!«

»Sie zittert, wie man mir es hier auslegen könnte, wenn ich ohne weiteres in des Kaisers Dienst träte. Nur einem Manne von unbeflecktem Rufe könnte sie ihre Hand reichen.«

»Was man nicht hat, schätzt man an anderen. Es ist Raison drin. Kann nicht ein preußischer Kornett auch Herzog von Spanien werden?«

»Nein, sie ist glühende Patriotin. Aber mit Ehren soll ich abgehen. Sie will es bei Napoleon auswirken. Der König wird mir einen ehrenvollen Abschied geben, wenn der Kaiser ihm dafür einige gefangene Generäle zurückschickt.«

»Nur nicht die Festungskommandanten! Der König machte ein schlechtes Geschäft, ohne Schmeichelei.«

»Nur keine Silbenstecherei, Julius, ich kann viel, o, ich bin imstande, alles zu ertragen. Fliegen möchte ich, wie ein Luftballon, Feueräther, aber ein Funke hinein, und er platzt.«

»Also bis dahin sollst Du warten! Das wird ja eine lange Geschichte. Gibt sie Dir nichts auf Abschlag?«

Theodor riß aus der Brust eine blaue Schleife. »Das! An ihrem Herzen hat sie es getragen.«

»Weiter nichts? Ich hätte ihr Strumpfband auch als Schleife binden können.«

Der Kornett sprang auf.

»Ich ertrage heut viel, Julius, aber – mach mich nicht rasend mit Deinen Raillerien.«

»Ich will Dich nur vernünftig machen mit der Wahrheit.«

»Kein Wort mehr.« Der Kornett ballte zitternd die Faust.

»Nur ein paar – wenns auch Donnerschläge sind, armer, verträumter Junge – sie sollen Dich wecken. Wenn sie Dir noch keine Nacht geschenkt hat, laß sie fahren. Freilich, sie verschenkt nichts, sie verkauft alles – teuer genug – fünfzig Dukaten.«

Blaß, zitternd, atemlos stand der junge Mann wie im Starrkrampf da. Er konnte die Arme nicht rühren, die Lippen nicht bewegen, nur zwei Schweißtropfen der Angst perlten auf seiner Stirn. Sein Auge stierte gläsern auf den anderen.

»Hörs nur ganz aus – fünfzig Dukaten! Die Alte wollte noch mehr schneiden. Prost Mahlzeit, sagte ich, nun wissen wirs ja. – Und auf Ehre, es war zu teuer. – Außerdem ist sie die Maitresse vom Payeur-General, ich glaube, auch vom Intendanten. Hast Du noch Intentionen auf die schöne Seele, so –«

Das Gewölbe drehte sich um Theodor, er hatte nicht die Hälfte gehört, denn Glocken, Donner, Orgeln, Marktweiber schwirrten einen betäubenden Chor um sein Ohr. Der Starrkrampf war gelöst, das erstickte Wort von vorhin brach heraus, wie das Wasser aus dem geborstenen Eise:

»Lügner – Lüg – Schurke!«

Es war ein Satz des Tigers. Er hatte ihn an die Brust gepackt, aber der Leutnant hatte den Arm wie zum Kommando gehoben. »Kornett von Hurlebusch!« Das Kommandowort übte instinktartig seine Kraft.

»Wenn jetzt ein Rasender, bedenken Sie wenigstens, daß Sie noch Kavalier sind. Andere werden unser Gespräch fortsetzen und wir uns an einem Orte treffen, wo Worte überflüssig sind.«

Wolfskehl hatte sich umgewendet und schlug wieder Feuer. Hätte ein Säbel an seiner Seite geklirrt, eine Pistole an den Wänden gehangen, hätte der enge Kellerraum zur Mensur ausgereicht! Mit der Degenspitze in der Brust des anderen das Blut umwühlen, wie er in seiner gewühlt! O, was ist der spitzeste, giftigste Degen gegen solche spitze, giftige Worte! Nicht noch einmal ihm zuschreien dürfen: »Du lügst doch!« An der niedrigen Tür hielt er sich, wie einer Ohnmacht zu widerstehen, mit beiden Armen preßte er die steinernen Pfosten. Die Brust mußte Luft haben.

»Es ist unmöglich!« Das Gewölbe gab einen dumpfen Schall zurück; es klang wie »möglich!«

An der Treppe begegnete ihm der Baron von Eppenstein. Gleichviel, daß es ein neuer Bekannter war, der nächste war der beste. Er riß ihn in eine Seitenkammer. »Sie müssen!« Der Baron hatte Bedenken, aber »einen Exaltierten muß man gewähren lassen,« sagte er mit einem Handschlag beim Aufstehen.

»Nimmermehr,« rief Theodor, »je eher, je kürzer, je näher, so besser. Einer von beiden!«

Nach dem etwas längeren Zwiegespräch, welches der Baron darauf mit dem Herrn von Wolfskehl hatte, schloß er: »Da bin ich in eine Affäre geraten und auf einen Posten gestellt, wo ich nicht hingehöre. Sekundanten sollen ruhiges Blut haben und bei der Sache nicht persönlich interessiert sein, ich habe aber kein ruhiges Blut und bin dabei interessiert, denn die Hexe hat es auch mir angetan.«

»Quimporte!« sagte der Herr von Wolfskehl. »Sind Sies wirklich noch nach dem, was Sie erfuhren, so dependiert es von Ihnen, so gleichgültig zu werden als ich. Zehn Dukaten eingesiegelt und der Alten geschickt, und Sie werden die Erfahrung anderer weiser Leute machen, daß nicht alles Gold ist, was glänzt.«

»Herr von Ritzengnitz sind sehr philosophisch gestimmt. – Aber auf Tod und Leben zwei junge Edelleute, und um solche Person! Wenn ich nun nach dem Experiment als Zeuge für Sie aufträte!«

»So machen Sie das Wort nicht ungesprochen. Wenn das Philosophie ist, daß man des Lebens herzlich satt wird, wenn man es vollauf gekostet, so ward ich ein Philosoph. Einer muß fallen; er hat recht. Bin ichs, so willkommen, kühle Wintererde; der Frühling, der dich wieder grün kleidet, bringt doch nur das ewige Einerlei. Fällt er, so spare ich ihm die vielen Enttäuschungen, die dem Jungen bevorstehen, bitterer als die, wo ich sein Arzt war. Ja, ich bin sein Wohltäter, er geht aus dieser Welt mitten in einem schönen Rausch. Lassen Sie ihm denselben, aber arrangieren Sie es schnell, heute, morgen.«

»Es darf nicht vor dem Ball sein.«

»Zum Teufel mit dem Ball! Was schiert uns der!«

»Uns wenig; desto mehr den Hofmarschall. Durch die – Gräfin hofft er die neue Pferdelieferung zu hintertreiben. Knallen Ihre Pistolen in der Jungfernheide zu früh, so wird die Sache ruchbar, das heißt, der Ruf der Gräfin platzt heraus, und die Geschichte ist verdorben.«

»Er kann doch die Noblesse, seine eigenen Damen nicht mit der Kreatur tanzen lassen!«

»Darüber hat er seine eigenen praktischen Ansichten. Es darf hier nichts mehr angerührt werden, was die Assiette störte, bis wir schwarz auf weiß wegen der Pferde in Sicherheit sind.«

< Malchen.
Zum Ball oder nicht zum Ball? >



Die Inhalte dieser Seite sind Eigentum der Öffentlichkeit.
Sollten trotzdem Urheberrechte entgegen unserem Wissen verletzt worden sein, bitten wir Sie mit uns Kontakt aufzunehmen.