Frei Lesen: Isegrimm

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Kapitelübersicht

Die Schwedenschanze | Die Blutsteine. | Der Quilitzer Knecht. | Die Querbelitzer Schenke. | Schemelbeine. | Isegrimms Haus. | Isegrimm. | Eine Rückfahrt. | Alte Geschichten. | Die erste Nacht in Haus Ilitz. | Eine Erscheinung im Walde. | Der Ball muß sein. | Zwei Anstands-Visiten. | Malchen. | Ein Wetterstrahl im Ratskeller. | Zum Ball oder nicht zum Ball? | Die Ouverture zur Ballmusik. | Die Ballnacht. | Vorm Scheunentor. | Im Schnee. | Jede Schlacht fordert Präparationen. | Schulze und Edelmann. | Die Einquartierung. | d'Espignac. | Der kleine Krieg. | Der Versucher im Hause. | Scheiden. | Ritter und Reiter. | Wendisch oder germanisch. | Das Schwert des Cid. | Der Beichtvater. | Chaotische Besuche. | Der unbegreifliche Brief. | Das Vaterland und bürgerlichen Offiziere. | Die Brücke in die Zukunft. | Eine deutsche Konversation. | Nachtgespenster. | Der Krieg ist nicht Zeit zu Hochzeiten. | Das Ahnenbild stürzt. | Ein verhängnisvoller Brief. | Die Katastrophe. | Ein Doppelgänger. | Eine dunkle Tat. | Ein politisches Geheimnis. | Ihr von Ilitz, Ihr von Ilitz, Solltet nimmermehr nach Quilitz! | Ein Gewitterschlag. | Ein ernstes Zwiegespräch. | Friede und Resignation. | Nach sechs Jahren. | Von Hochgezieten. | Gräfin Heilsberg. | Querl. | Schluß. |

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Willibald Alexis

Isegrimm

Die Ballnacht.

eingestellt: 25.7.2007

Achtzehntes Kapitel

Die Ballnacht.



Die ältesten Leute in Nauwalk entsannen sich keines solchen Ballfestes, selbst nicht zur Zeit des dicken Königs. Als ein Teil der Stadt abgebrannt und durch die Vorschußgelder aus der Schatulle wieder aufgebaut war, hatte man nämlich eines zu Ehren des Königlichen Gnadenspenders veranstaltet. Die Noblesse aber hatte sich nicht so zahlreich eingefunden als heut. So reichlich war auch niemals Punsch und Bier auf der Galerie der Musikanten geflossen: der Magistrat wollte sich ebenfalls nicht lumpen lassen. Sie bliesen, strichen, pausten aus Leibeskräften. Nur die Talglichter, so viel ihrer auch an die Wände gesteckt waren, wollten in der dicken Atmosphäre nicht hell brennen.

Und so schöne Einigkeit herrschte. Drei Stunden war schon getanzt und noch keiner hinausgeworfen. Alles bunt durcheinander, Militär und Zivil, Franzosen und Inländer, Adlige und Bürgerliche. Wenn einmal auf den Fuß getreten, eine Borte abgerissen, ein Tänzer gefallen, zwei wegen einer Dame aneinander geraten waren, es war immer wieder in Güte geschlichtet worden. Der Magistrat hätte das nicht vermocht; es mußten so seine Männer wie der Hofmarschall und der Herr von Wahrnim-Stintenfang sich der Sache annehmen, wie sie taten – von ganzer Seele. Trotz ihrer Jahre, und der Stintenfänger war noch um ein Dutzend älter als der Quilitzer, beschämten sie die Jüngsten. Sie waren überall, vermittelnd, aufmunternd, scherzend. Unter den Bürgermädchen und Frauen war nur eine Stimme: nein, so liebenswürdig hatten sie sich den Hofmarschall nicht gedacht! Mit der Bürgermeisterin hatte er die Polonaise angefangen, jeder etwas Angenehmes gesagt, und in einer Pause seine Gemahlin herumgeführt.

Er hatte sie dieser und jener vorgestellt, er »erlaube« sich das! hatte er gesagt. Da könnten sich ihre städtischen jungen »Lümmel« ein Muster dran nehmen; aber bei denen sei Hopfen und Malz verloren. Und auch die lange Rike war freundlich gewesen. Drei Bürgerfrauen hatte sie embrassiert, bei einem jungen Dinge sich erkundigt, wo sie ihre Schärpe gekauft, bei einer anderen, wer ihr das Kleid zugeschnitten. Sie hatte es nicht glauben wollen, daß sie es sich selbst gemacht, und um Erlaubnis gebeten, es sich einmal holen zu lassen, um sich ein Muster davon zu nehmen. Da sah man doch, wie schändlich die lange Rike verleumdet war; was tun aber nicht böse Zungen! Sie war nicht hochmütig, meinten alle, und auch nicht so häßlich, einige; nur die Nase wäre etwas spitz und rötlich. Wenn man den leibhaftigen Hochmut sehen wolle, da wäre das Fräulein von Quarbitz. Die gehe nicht umher, sie dünke sich wohl zu schön und zu vornehm, wie alle Ilitzer. Die hielten wohl den Ball für sich zu ordinär, und darum wären sie gar nicht gekommen.

Gut, daß die guten Frauen nicht hörten, was der Quilitzer seiner ins Ohr flüsterte, als er sie auf ihren Stuhl zurückgeführt. »Nun hast Du in den sauren Apfel gebissen, und Du siehst, es ging. Es geht alles, wenn mans nur nicht zu schwer sich vorstellt. Man glaubt nicht, Friederike, wie wohlfeil man fortkommt, wenn man zu rechnen und sich zu menagieren weiß. – Cousinchen sieht aber bös aus. Du mußt sie ein bißchen encouragieren.«

»Quimporte!« entgegnete die lange Rike. »Laß sie doch aussehen, wie ihr der Schnabel gewachsen ist. Est-ce que cest une folie wenn ich sie als Folie brauche? Mein galanter Mann will doch nicht, daß ich die Folie ihrer Schönheit sein soll!«

»Méchante!« entfernte sich hold lächelnd der galante Ehemann.

Herr von Wahrnim-Stintenfang überbot an seiner Sitte noch den Quilitzer. Er war nur vielleicht zu fein für viele, und weil er zu lang, gerade und mager, und sein zu spitzes, längliches Gesicht einen nicht wegzuwischenden, aristokratischen Ausdruck hatte, ward seine Höflichkeit von den bürgerlichen Frauen nicht ganz verstanden oder goutiert. Desto zuvorkommender war er gegen die Männer, und wenn er nicht bei der Komteß beschäftigt war, unterhielt er sich auf das verbindlichste mit den französischen Offizieren und Zivilisten. Dem Intendanten und dem Payeur-General sah man an, sie waren aus grobem Stein gehauen, aber im Gespräch mit ihm überkam sie unwillkürlich etwas von seiner Politur. Er sprach ihre Sprache fließend mit einem Pariser Accent; er gab der Unterhaltung einen Elan, der sie selbst mithob. Er sprach philosophisch. Von den Ideen von 1789 mit einem Seufzer: ja, wenn alles das Wahrheit geworden wäre! Und es waren schöne, schöne Ideen darunter. Auch die Klügsten und Edelsten können sich täuschen! Das sei die Unvollkommenheit der menschlichen Natur. Rasch übergehend sprach er von einem Genius, der nur alle Jahrhunderte, und kaum das, geboren wird; den man gewissermaßen als ein Geschenk des ciel protecteur du genre humain betrachten könne. Dann seufzte er noch tiefer: die Wege der Vorsehung seien unerforschlich; und daß so viele Herzen, Glück und Ruhe von Millionen, bluten müßten und zertreten würden auf den Wegen, die sie ihre Herren zu gehen zwingen! Aber – aber – und dabei drückte er verstohlen die Hand – eines bleibe doch das schöne Resultat: daß die Völker sich kennen lernten, sich in der Kultur näherten, edle Gesinnungen austauschten, aus Haß allmählich Neigung, Liebe entspringe, und endlich, wenn alle inne wurden, daß alle eigentlich dasselbe wollten, Glück, Ruhe, Friede mit ihren Nebenmenschen, dann werde aus den blutgetränkten Schlachten und dem herzzerreißenden Kanonendonner das schöne Band der Humanität sich losspinnen, das alle Menschen zu Brüdern macht – zu einem Weltreich, wo wir alle Bürger sind, gleich die höchsten, gleich die niedrigsten.

Alsdann bat er um die Erlaubnis, den Bürgermeister und den Syndikus der Komteß vorstellen zu dürfen. Der Intendant und der andere hatten nun eigentlich mit dieser Erlaubnis nichts zu tun, es war der Komteß Sache allein, aber die Bitte schmeichelte. Die Komteß dAiguillon empfing mit leutseliger Güte die städtischen Herren; sie erkundigte sich nach ihren Familien und versuchte ihre schwer klingenden deutschen Namen nachzusprechen, wobei natürlich einige possierliche Fehler unterliefen, die sie selbst lächelnd bemerkte. Man müsse schon damit vorlieb nehmen; das sei der Fehler der Pariser Erziehung. Warum stelle man ihnen die Länder du Nord als Länder der Barbaren vor. Der Krieg lehre die Unwahrheit dieser Vorstellung, und wenn sie nach Paris zurückkehre, würde sie die Pariser wissen lassen, daß sie nirgends liebenswürdiger empfangen, angenehmere Gesellschaft gefunden und sich besser amüsiert habe, als in diesem aimable pays de Nauwalk.

Nauwalk sei nur eine kleine Provinzialstadt, konnte sich der Bürgermeister nicht enthalten zu bemerken, die im Kriege schwer gelitten habe.

»Oh! cest bien dommage! Das ist ganz gegen des Kaisers Willen. Ich versichere Sie, er will nur Gutes; niemand soll Schaden leiden. Gewiß sind es nur Mißverständnisse, Überschreitungen. O pfui, pfui! Wenn der Kaiser das erfährt, wird er sehr zornig sein. Er ist die Güte selbst. Nicht wahr, meine Herren – sie nannte die Namen der Zivilbeamten – Sie kennen ihn, wenn auch nicht persönlich. O, seine Maximen sind erhaben. Notieren Sie die Beschwerden des guten Bürgermeisters. Ich werde sie mitnehmen, ich werde sie Seiner Majestät mitteilen, und seien Sie versichert, es wird Abhilfe kommen. Meine Herren! Ich kann es meinem Freunde, Herrn von Wahrnim, nicht genug danken, daß er mir das Vergnügen Ihrer Bekanntschaft verschafft hat.«

Sie waren entlassen.

Der Syndikus war vergnügt. »Wenn es nur was hilft!« Des Bürgermeisters Gesicht schien zu antworten: »Du gute, unschuldige Seele!«

Der Quilitzer war anderer Meinung, aber in einer anderen Sache. »Alles geht charmant, wir sind schon rum. Die Pferdelieferung ist so gut wie in den Rauch geschrieben.« So sprach er, sich an das Seitentischchen setzend, wo der Majoratsherr von Wahrnim aus Kautzenburg mit dem Majoratserben von Quiritz schon bei einer Flasche Wein saßen.

Der Kautzenburger, ein wohlbeleibter Herr mit einem Kahlkopf und verständigem Gesichte, schüttelte ihn. »Mir gefällt eigentlich die Geschichte nicht. Die Pferde, die wir nicht liefern, werden anderen Kreisen abgezwackt.«

»Sollen wir für sie auch klug sein?«

»Unpatriotisch bleibt es.«

»Daß wir die besten Pferde in der Provinz vor dem Dienst gegen unsere Landsleute retten? Fragen Sie den Herrn von Quiritz.«

»Ich weiß selbst sehr gut, was meine Zucht wert ist, und was die Pferde in der Provinz,« nahm der Kautzenburger das Wort. »Könnte ich sie über die See, durch die Luft dem Könige nach Preußen schicken, gut, aber in den Ställen helfen sie uns nichts; denn wenn wir auch noch so viele Augen mit Geld zudrücken, es bleiben ihrer immer noch zehnmal soviel wach. Wenn jetzt nicht, so nehmen sie sie uns ein andermal, und wenn es uns gelänge, ich setze den besten Fall, daß wir sie unter der Hand verkauften und hinüberschafften nach Mecklenburg oder über die Elbe, so geraten sie dem Feinde dort in die Hände. Kaufen muß er sie da, allerdings teurer vielleicht, aber mit unserem Gelde. Je weniger wir liefern, um so größer die Kontribution. Der gerade Weg ist auch gegen den Feind oft der richtigste. Uebrigens besorge ich, daß wir auf unserem krummen noch gar nicht am Ziele sind. Diese Canaille von Intendanten, der man den alten Sansculotten ansieht, angestrichen mit ein bißchen Direktorialverschmitztheit und überfirnißt mit einem bonapartistischen Air, ist gewiß ein Filou, der auf Abschlag alles, was man ihm freiwillig gibt, in die Tasche steckt, nachher aber –«

»Unfreiwillig alles noch mal fordert,« fiel der Johanniter ein. »Ich traute dem Kerl auch nicht, aber er hat sich vom Payeur-General unter die Decke sehen lassen. Jeder weiß vom anderen, daß er bestochen ist, da muß er vor ihm auf der Hut sein.«

»Da ist auch noch der Colonel von den Kürassieren,« sagte der Kautzenburger. »Der sieht mir sehr danach aus, als ob er beiden einen Strich durch die Rechnung machen könnte.«

»Wer nicht noch!« sprach der Quiritzer. »Durch die sicherste Rechnung kann eine Hand aus den Wolken einen Strich machen. Wer darauf warten wollte, müßte nie einen Abschluß machen.«

»Wo ist denn der Colonel?« Der Quiritzer war etwas unruhig aufgestanden.

Dieselbe Frage hatte der Stintenfänger eben an den Intendanten getan und die Antwort erhalten: »Der Herr Colonel von Espignac sind einer von den Hochnäsigen, denen Fortunas Rappen nicht schnell genug gelaufen. Weil er immer nur nach dem Marschallshute blickt, sieht er nicht auf den Weg; aber wenn er mal fällt, werden nicht alle Trauer anlegen. Ich versichere Sie, mein Herr, es kommt eine verfluchte Aristokratie in der Armee auf, um keinen Pfifferling besser als die alte, die wir rasiert haben. Das baronisiert, graft und fürstet sich! – Das hätte Anno 92 passieren sollen!«

»Ist der Colonel von Adel?«

»Ich kann Ihnen nicht dienen, mein Herr. Er stand bei der italienischen Armee und ist schnell avanciert, wie alle diese Glückspilze. Wir sind ihm zu ordinär. Fortbleiben wird er nicht, aber je später er erscheint, um so größer ist die Aufmerksamkeit. Wahrscheinlich macht er noch seine Toilette und wartet den Moment ab, wo er mit Eclat unter die Erstaunten einbricht.«

Der Intendant mußte ein guter Menschenbeobachter sein. Es war ein allgemeiner Aufstand, die Musik schwieg, als der Colonel erschien. Wirklich eine glänzende Erscheinung, ohne daß man sich sogleich Rechenschaft hätte geben können, worin sie bestand; ob in der Toilette, dem kriegerischen Anstand, den edlen Zügen seines Gesichts oder der vornehmen Ruhe, mit der er sich umschaute. Man gruppierte sich um ihn, man ließ sich ihm vorstellen. Seine Antworten waren höflich, aber gemessen und würdig, wie seine Bewegungen. Niemand schien bevorzugt, er selbst zu niemand hingezogen.

»Erlauben Sie mir, den Damen mein Kompliment zu machen.« Man glaubte, ihn zuerst zu seiner schönen Landsmännin führen zu müssen. »Ah! ma belle comtesse,« rief er ohne sonderliches Erstaunen. »Pardon, daß ich Ihnen noch nicht meine Aufwartung gemacht. Ich hoffe, die Strapazen der Reise haben Sie nicht angegriffen. Aber ich bitte Sie, mich der femme du maire vorzustellen.«

Vor Schreck konnte die Frau Bürgermeisterin kein Wort vorbringen; sonst so geläufiger Zunge! Aber man merkte es nicht; er legte auch ihre stummen Gedanken aus. Unter den Damen vom Lande war nur eine Meinung: erst unter ihnen hatte er sich wie zu Hause bewegt, mit richtigem Takt herausgefühlt, wo Komplimente angebracht waren, wo ein eindringenderes Gespräch: »Wie gütig von Ihnen und wie glücklich, daß Sie das Fräulein von Quarbitz bemuttern müssen,« hatte er zur langen Rike vertraulich gesagt. Auf ihr: »Pourquoi, monsieur le colonel?« war seine Antwort: »Es ist nicht gut, wenn Damen von Familie sich zu lange vom Hofe zurückziehen. Man ist da – verländlicht, ehe man es merkt. Das soll keinen Bezug auf die Damen von Ilitz haben; aber die treffliche Mutter scheint durch den langen Aufenthalt auf ihrem Gute etwas schüchtern geworden, zu schüchtern, um ein solches Juwel von Tochter in der Gesellschaft zu bewachen.« – »Es ist nicht alles Gold, was glänzt,« hatte die lange Rike erwidert.

»Aber vieles Gold glänzt auch nicht,« der Colonel repliziert, indem er sein Auge im Saale umschweifen ließ.

Dann hatte es sich so gemacht, daß er neben dem Fräulein von Quarbitz einen Stuhl leer fand. Es war ein lebhaftes Gespräch; die Komplimente und Gemeinplätze, mit denen die Unterhaltung unter sich fremd Stehender, der Natur der Dinge nach, anfängt, waren wie Ballast schon in den ersten Minuten über Bord geworfen, er schien in ihrer Familie, sie in seinen Gedankenkreis eingeführt.

Wie richtig hatte er aus einigen Worten und Mienen, und bei einem flüchtigen Besuche auf den Charakter ihrer Schwestern geschlossen: »Man muß sich vor einem so scharfen Beobachter fürchten.«

»Doch nur, wenn man etwas zu verbergen hat. Das ist der Vorzug Ihres Geschlechtes.«

»Man wirft uns doch sonst vor, daß wir gern anders scheinen, als wir sind.«

»Reden Sie von meinen Landsmänninnen! Sie wissen nicht, welchen Zauber auf uns das blaue Auge, der offene Blick der deutschen Frauen übt. Sahen Sie schon in einen klaren Bergsee der Alpen? Man sieht den Kiesel auf dem Grund, die Forellen spielen wie Gedanken, die in der stillen Tiefe der Brust noch unentwickelt nach einem Ausdruck suchen.«

»Ich bin nie gereist,« fiel sie errötend ein.

»Das ist schade. Freilich eine schöne Pflicht der älteren Schwester, die jüngeren Geschwister zu bilden, zu sich heranzuziehen. Aber zu früh die Mutter spielen zu wollen, das kann zum Morde werden an unseren schönsten Jugendgefühlen. – Ach, man ist nur einmal jung, und keine Reflexion bringt uns in das Feenland zurück.«

Karoline wollte erwidern, daß sie mit der Erziehung ihrer Geschwister nichts zu tun habe, daß der Vater dazu einen Informator genommen, aber sie fühlte, daß das nicht hergehörte. Sie fragte ihn, ob er weite Reisen gemacht? Er mußte, seinen vorigen Gedanken nachhangend, die Frage überhört haben.

»Wir dachten uns die deutschen Frauen mit tiefen, dunklen Augen, eine mystische Erscheinung, wie die Dichter sie geschildert, Seherinnen, die uns in die Zukunft schauen lassen, aber wir vergessen nur zu oft Zukunft und Vergangenheit und uns selbst, wenn wir ihnen zu lange ins Auge sehen.

»Sie täuschen sich. Waren Sie in Rom? – Ach, ich bin zerstreut, mein Fräulein. – O, Sie müßten nach Italien. Gerade Sie. Sie würden heute noch dieselbe Bewunderung finden für das blonde Haar, die blauen Augen und die klare Seele, die sich darin spiegelt. Die schönen Italienerinnen selbst erkennen die Vorzüge der Töchter des Nordens willig an. Daher heiraten so viele aus dem hohen italienischen Adel Engländerinnen. Die wilde, kochende Leidenschaft verlangt nach dem Adel wahrer Weiblichkeit, nach dem Frieden der Seele. Ach! – wie wir alle, die das Schicksal unter Stürmen geboren und groß werden ließ!« –

»Wie? Ein Soldat, der nach dem Frieden verlangt?«

»Wofür kämpfen wir sonst?«

»Für den Ruhm.«

»Das ist eine Fata Morgana in der Wüste. Je näher wir uns dünken, um so entfernter sind wir. Ein Lottospiel der Hölle; wer die meiste Anwartschaft hat, zieht immer Nieten. Eine gräßliche Lotterie, denn je größer der Gewinn, um so größer die Zahl der Verlierenden. – Nein, mein Fräulein, wer in den Krieg zieht, ohne jedes Ziel im Auge, der stürzt sich in den Strom, nicht um das jenseitige Ufer zu gewinnen, er sucht die Vergessenheit im Grunde, er sucht Rettung vor sich selbst.«

Die Geigen, die schon lange präludiert, fielen hier mit schmetternder Lustigkeit zum Walzer ein. Der Colonel sprang auf. »Mein Gott, wohin verirrte ich? Mit meinen trüben Phantasien hielt ich Fräulein von besserer, heiterer Unterhaltung ab.«

»Zum Walzer, Herr Colonel,« sprach der Quilitzer hinter ihm. »Sie werden doch einen deutschen Tanz nicht verschmähen. Wählen Sie eine Tänzerin.«

Der Herr von Wahrnim-Stintenfang, der zum Walzer nicht mehr accomodiert war, hatte die Komteß in die Nähe der Gruppe geführt. Es schien eine chose convenue, daß der vornehmste Franzose die vornehmste Französin zum Tanz führen müsse.

»Das wird ein schönes Paar!« flüsterte man; aber Espignac neigte sich zu Karolinen: »Darf ich um die Seligkeit einer kurzen Minute bitten?« Ihre Hand fiel mit einem leisen Zittern in die seine, während ihre Wimpern die Augen bedeckten.

Das war der Augenblick, wo die zwei gespornten Reiter vor dem Rathause abgesessen. Der eine war die Treppe heraufgestürmt, und die Anwesenheit des Kavalleristen mit klirrendem Säbel, den Tschako auf dem Kopf, ließ die leichte Tänzerwelt zurückfahren und die Instrumente verstummen.

»Was soll das hier?« rief der Colonel ärgerlich, der Ordonnanz entgegentretend. »Ich hoffe, daß man nicht um Bagatellen das Fest dieser guten Bürger stören wird.«

»Mein Colonel, man hörte vor einer Stunde verdächtiges Geräusch in der Heide. Der Wachthabende am Tor schickte sofort eine Patrouille in die Büsche. Sie ist noch nicht zurück. Er fragt, was unter den Umständen zu tun?«

»Und das Geräusch?«

»Ist verstummt.«

»Von der Hauptwache eine Verstärkung nach der Torwache! – Eine doppelte Patrouille zu Pferd in den Wald. – Ortskundige Führer mitgenommen, Laternen. – Das Gesindel, die Marodeure, die man aufgreift, in die Turmwache. – Bis man die verirrte Patrouille auffindet, keine Meldung, keine Störung! Marsch!«

Der Tanz begann. Es war bald kein allgemeiner mehr. Die anderen Paare traten zurück; es war die Bewunderung oder Beschämung vor dem einen – »Wie schön er ist!« – »Elle est ravissante!« – »Bravo! – Bravo!« – »Wie zu einander geschaffen.« – »Sie tanzen nicht, sie schweben.« – »Sie macht uns Ehre,« sagte die Hofmarschallin zu ihrem Manne. »Wer hätte das gedacht!« – »Der Tänzer, ma chère, macht die Tänzerin, wie der Offizier die Soldaten.« – »Das kann man nur in Berlin lernen,« sagten einige; andere: »Das lernt sich nicht, das ist geboren.«

Sie waren nicht ermattet, nicht erschöpft; nur wie alles Schöne sein Maß in sich selbst findet, verschwebte ihr Wirbeltanz in langsamen Weisen, aber mit derselben Anmut. Ein Sturm des Beifalls, ein lautes Klatschen und Bravo! als der Tänzer die Tänzerin auf ihren Platz führte. Da sprang die Komteß von ihrem Stuhle auf und schwebte, den künstlichen Veilchenkranz von ihrem Haarputz nehmend, wie eine Hebe oder Viktoria durch den geöffneten Raum. Sie ließ sich auf ein Knie vor Karolinen, um dann, auf einem Fuß sich hebend, den Kranz ihr auf den Scheitel zu setzen:

»Honneur et hommage à la déesse du jour!«

Auch diese Huldigung der Schönheit durch die Schönheit würde von allen beklatscht sein, wäre nicht schon ein großer Teil der Anwesenden an die Fenster gestürzt gewesen, die nach dem Markt hinausgingen. Die Musik, oder vielmehr das disharmonische Toben der angetrunkenen Künstler ließ noch den Lärm nicht hören.

»Attention! attention! quest ce que cest que ça!« Mehrere Franzosen geboten Stille.

Da schallte vom Markte eine durchdringende Stimme:

»Sonnez la trompette, les Prussiens sont là!«

Im Augenblick hatte der Colonel das Fenster aufgestoßen, zerbrochene Scheiben klirrten.

»Des brigands! aux armes!«

Das Knittern und Knattern von Pistolenschüssen, Pulverblitze, galoppierende Reiter, klirrende Säbel antworteten: »Wir sind überfallen« – »zu den Waffen!« – drinnen; draußen: »Hurra, die Preußen sind da!« – »der König von Preußen vivat hoch!« – »Schill! Schill!« – »Lichter an die Fenster!« brüllten andere, »daß wir sehen, wo die Canaillen sitzen!«

Die Stadt war überfallen. Es war ein gelungener und, wie es schien, mit Geschick vorbereiteter Ueberfall eines Streifkorps. Die Anführer mußten vollständige Kunde haben, wie es im Orte stand, während sie durch das Auffangen der Landleute, Boten und ausgeschickten Patrouillen den unvorbereiteten Feind in vollkommener Unkenntnis erhalten hatten. Die Torwache war überwältigt, niedergehauen oder gefangen; die Husaren, uniformierte Zuzügler, die in allerhand Kleidung, schlecht bewaffnet, hier Munition und Waffen zu gewinnen hofften, sprengten über den Markt und die anliegenden Gassen. Durch das Scheunentor waren andere gedrungen; die Hauptwache hatte sich schon fliehend und verteidigend nach dem Pritzgarder Tore zurückgezogen. Das Rathaus war abgeschnitten, in der Hand der Sieger.

»Ergeben Sie sich, meine Herren!« rief ein jüngerer Offizier den Franzosen zu, welche, näher an der Tür, auf den ersten Lärm hinabgestürzt, mit ihren Degen an der Seite aber wenig geeignet waren, den geschwungenen Säbeln der Kavalleristen Widerstand zu leisten. »Ergeben Sie sich. Widerstand leisten ist unnützes Blutvergießen. Das Blatt hat sich gewandt. Der Kommandierende jenseit der Oder, Schill, ist mit zehntausend Mann über den Fluß gegangen. Die Provinz, entblößt von den französischen Truppen, ist schon unser. Die Stadt umzingelt, die Torwache genommen, Flucht unmöglich; Sie sind unsere Kriegsgefangenen.«

Die Verwirrung im Rathaus war groß. Weil jeder dahin rannte, wohin er nicht wollte und sollte, war jeder Ausweg versperrt. »Nous sommes perdus!« rief der Payeur-General, der von einer Tarockpartie mit der Generalin sich zu spät erhoben. Nous sommes trahis!« antwortete der Colonel, welcher seinen Säbel suchte. Vielleicht hatte er sich nur im Ort versehen, wohin er ihn gestellt.

»Nicht durch uns,« sagte der Bürgermeister, ohne einer Antwort gewürdigt zu werden.

»Cest un malheur,« rief der Quilitzer. »Un désastre imprévu!« accompagnierte der Stintenfänger. »Mais quon vengera!« knirschte der Colonel jetzt wieder am Fenster, zu dem die Aufforderung zur Übergabe heraufdrang.

Er verstand nicht den leisen Händedruck des Herrn von Wahrnim-Stintenfang, auch nicht seine zugeflüsterten Worte:

»Vous vous trahissez vous-même, mon colonel, tout sarrangera si vous voulez vous cacher!«

Den Arm zum Fenster hinaus, schrie er: »Zu den Waffen, Kameraden, es ist Verrat, Betrug – kein Korps – eine kleine Streifschar – Schande, wer sich ergibt! Wir sind stark genug, sie aus der Stadt zu treiben.«

Der Colonel, an der Spitze der waffenfähigen Mannschaft, wäre vielleicht stark genug gewesen; aber er war allein im Saal. Die Franzosen am Torweg hatten ihre Degen gezogen, aber was wollten die wenigen ohne Feuerwaffen und – ein Feind von zwei Seiten! Zwar konnten die heftiger werdenden Flintenschüsse am anderen Stadtende ihnen Aussicht auf einen besseren Ausgang eröffnen – am Pritzgarder Tor hatten sich die versprengten, aus den Häusern geretteten Franzosen gesetzt – aber die Hilfe, die von daher kommen konnte, war entfernt, und hinter ihnen waren aus den Kellerräumen des Rathauses Männer herausgestürzt, in deren erhitzten Gesichtern man alles andere lesen konnte, als die Lust und den Willen, ihnen beizustehen. Es waren entlassene Offiziere, krampfhaft würgend zwischen Lust, Entschluß und Pflicht. Der jüngere Husarenoffizier, der gut französisch sprach, wollte noch parlamentieren, als ein älterer mit sonnverbranntem dickem Schnurrbartgesicht mit einem Satz vom Pferde war: »I, dicke durch! Warum nicht gar. Erste Rotte abgesessen, die Karabiner vor! Angelegt . . . .« Den blanken Säbel schwingend, rief er, des Zauderns müde: »Nun nicht länger. Die Degen fort. Ich zähle zwölf, dann kommandiere ich Feuer!«

»Meine Herren, das wäre Wahnsinn, aber nicht mehr Mut,« rief ein älterer Offizier unter den entlassenen Preußen. »Ihr Tod, und ohne allen Nutzen für Ihre Sache, ist gewiß. Sie retten sich Ihrem Kaiser, und ein Austausch und Ranzionierung ist leicht.«

Es gab freilich noch einen dritten Ausweg, in den Hof und die inneren Räume des Rathauses zurückzuspringen, von wo die Flucht wenigstens einigen gelungen, allen die Möglichkeit eines Widerstandes blieb. Diesen Ausweg aber versperrten eben die erhitzten Gesichter, Dienstleute, Bürger, Frauen.

Der preußische Anführer hätte auch wohl deshalb Anstand genommen, seine Drohung auszuführen, die Karabinerkugeln unterscheiden in solchem Falle nicht zwischen Freund und Feind; aber Drohungen muß man nicht auf die Goldwage legen: sie stehen außer der Kritik, wenn sie gewirkt haben. Der wohlbeleibte Kamerad stürmte nun mit einem Dutzend Leute die Treppe hinauf:

»Nu oben säubern und uns den Nachtvogel holen, der so lustig aus dem Fenster krähte.«

Das war in vieler Beziehung zu spät. Die Gesellschaft hatte sich schon selbst gesäubert; wer entfliehen konnte, war entflohen; mancher wurde indes nachher aus seinem Versteck, vom Boden, unter der Treppe, wieder hervorgeholt. Der Schrecken hatte Gruppen und Bilder hingezaubert, für die es schade, daß kein niederländischer Pinsel zugegen war. Den Frauen und Damen von, in und um Nauwalk muß man aber zu ihrem Ruhme nachsagen, daß keine in Ohnmacht gefallen ist, obgleich sie fast umgerannt wurden. Vielleicht verhinderte gerade die Anstrengung, sich gegen äußere Gewalt aufrecht zu erhalten, den verführerischen Schwindel, sich selbst fallen zu lassen. Den beiden Edelleuten, welche die Hauptpatrone des Festes, war es endlich gelungen, den Colonel aus dem Saale zu reißen. Draußen, im halb erhellten Korridor, hatte er sich aber von der unerbetenen Führerschaft wieder losgemacht, oder im Gewirre machte sich das von selbst. Er suchte einen Ausweg. Er glaubte, eine Hintertreppe erreicht zu haben, die ihn in den Hof führe, aber sie ging in den Keller, und alle Türen waren verschlossen.

Hier einen dunklen Versteck zu suchen, war nicht in seiner Absicht; das Schießen am Tore, immer stärker werdend, trieb ihm das Blut durch die Adern; er wäre aus dem Fenster gesprungen, um zu den Braven zu eilen, wenn er eines hätte öffnen können. Er mußte wieder die Treppe hinauf – vielleicht im Korridor.

»Werden ihn schon finden!« rief die rauhe Bramarbasstimme vom anderen Ende des Ganges, und die Tür ward aufgestoßen. Im selben Augenblick war aber auch eine Seitentür aufgegangen, einen Schritt von dEspignac, und sie verbarg ihn noch vor den Augen der Verfolger. Das Fräulein von Quilitz war es, das die Klinke in der Hand hielt. Im nächsten Moment war er hinein. Hatte sie ihm zugeflüstert, gewinkt, hatte er darum gebeten? Das wußten beide nicht. Die Sekunden waren zu kostbar, selbst nur um sich umzublicken; es war ein Gemach, wo jedem Herrn der Eintritt verboten war, das weibliche Ankleidezimmer. Man hörte die Türen der auf den Korridor ausgehenden Stuben eine nach der andern aufschlagen.

»Ist eine Seitentür?« fragte der Colonel.

»Ich weiß es nicht,« antwortete sie, »aber niemand soll hier eindringen.«

Er drückte ihre Finger an seine Lippen: »Ihr Gefangener und Sklave.«

Sie hatte die Tür aufgerissen und war hinaus. »Halt!« rief des Bramarbas Stimme, als sie die Tür wieder zuwarf und den Schlüssel umdrehte. »Die Kammer ist noch nicht durchsucht.«

»Die Garderobe der Damen!«

»Wischiwaschi!« Vielleicht wäre der Bramarbas imstande gewesen, einer Dame den Schlüssel aus der Hand zu winden, wäre nicht der jüngere Offizier im Augenblick herbeigesprungen.

»Was tun Sie, Kamerad, das Fräulein von der Quarbitz, die Tochter unseres besten Patrioten, wird keinen Feind des Königs versteckt haben.«

»Keinen Feind unseres Königs,« erwiderte sie betonend.

Hätten sie nicht mit Jubel und Hallo in dem Augenblicke von der Bodentreppe einen andern Gefangenen geschleppt, den etwas ungeschlacht gebauten Payeur-General, so hätte Karolinens Beteuerung vielleicht so wenig geholfen, als die Einsprache des zweiten Offiziers. Der früher so gefürchtete war aber eine zu lächerliche Gestalt geworden, um über die Lustigkeit nicht anderes zu vergessen. Man hatte ihn nämlich zwischen Mehlsäcken vorgezogen. Er war indes auch ein wichtiger Fang, denn in seiner Todesangst machte er Angaben, denen die Sieger der Nacht die hochbepackten Wagen und Pferde mit französischem Gute verdankten, welche sie am grauenden Morgen mitnahmen.

Darüber vergaß man den verschwundenen Colonel, vielleicht auch den Angriff auf das Pritzgarder Tor mit dem nötigen Eifer fortzuführen. Man weiß wenigstens, daß es den dort Gesammelten von der Besatzung später gelang, sich durch das Tor zurückzuziehen, ohne daß sie ernstlich verfolgt wurden, was auch wohl außer der Absicht der Angreifenden lag. Der Colonel führte den Rückzug an; man erzählte sich, ohne es beweisen zu können, daß er in einer Verkleidung sich aus dem Rathause nach dem Tor gerettet.

Die Siegeslust des kleinen Trupps braver Soldaten war für die Patrioten in der Stadt mit peinlichen Gefühlen gemischt. Wie manchem pochte vor stürmischer Freude das Herz bei den ersten Schüssen, wie jauchzte es auf, als er die Franzosen vor den ersten blinkenden Säbeln in die Nebengassen stürzen, über Zäune sich schwingen sah. Lachten nicht viele schadenfroh auf, wenn sie sahen, wie die geängsteten Feinde mit zitternden Armen auf die keck vorübersprengenden Husaren zielten und schossen! Wie manchen jungen Mann hätte es gepackt, er hätte die Flinte ergriffen, wenn eine Werbetrommel gerührt worden, des Königs Fahne auf dem Markt aufgepflanzt wäre, wenn Worte des Trostes, der Hoffnung aus beredtem Munde an die Bürger erklungen. Man schleppte nur Wagen, Karren, Pferde herbei, packte, schnallte, zäumte. Sie sahen nur die Präparationen zur Flucht.

Und der Ball sollte noch nicht zu Ende sein! Der Quilitzer hatte zu seiner Gattin geflüstert: »Sie lassen noch niemand raus,« als der Herr von Wahrnim-Stintenfang mit einer neuen Hiobspost kam: betrunkene Husaren hätten den Payeur-General mit flachen Klingen gefuchtelt, unter dem rohen Witz, sie wollten ihm nur den Mehlstaub ausklopfen.

Der Kautzenburger, der sehr ernst geworden, seufzte für sich: »Das kann uns mehr als die Pferde kosten!«

Der Herr von Quiritz zog ihn beiseite: »Er ist nicht abzubringen, er nimmt keine Vernunft an.«

»Helfen Sie uns, Herr von Wahrnim,« rief der hinzukommende Baron von Eppenstein. »Der Kornett Hurlebusch zieht mit. Er hat schon ein Beutepferd gesattelt. Für seinen Handschlag und sein Ehrenwort hatte er eine Ausrede; er habe es nur gegeben, nicht mehr in die Linie zu treten, dies sei ein Freikorps. Die Raserei macht erfinderisch, – aber was sagen, wenn auch der Ritzengnitzer den Säbel umgeschnallt hat und mitreitet! Er möchte mit dem Tode Billard spielen, wie ers mit dem Leben tat.«

»So laßt sie,« sagte der Kautzenburger. »In Momenten, wo alles unter uns wankt, versinken auch oft die festesten Wegweiser, und wo einmal das Blut stärker spricht als alle Gesetze, was haben die der Ehre voraus! Sie wissen, was sie tun, laßt sie sich selbst Richter sein.«

Darüber hatten die Herren einen der seltsamsten Auftritte übersehen.

Der Husarenoffizier, den wir als Bramarbas eingeführt, um einen Namen zu sparen, oder nicht zu verunglimpfen, schien seine Tat mehr als einen glücklichen Spaß zu betrachten. Er antwortete dem Bürgermeister, der fragte, ob und welche Sicherheitsmaßregel genommen, damit der Coup der treuen Stadt des Königs nicht zum Schaden gereiche: die treue Stadt solle lieber dafür sorgen, daß die treuen Diener des Königs zu essen und zu trinken bekämen. Dafür war indessen schon von selbst gesorgt, denn die Tische wurden gerade für die vorigen Gäste gedeckt, als der Wirbelwind losging, der sie in alle Winkel verscheuchte.

Auf sie hatte der Rittmeister auch so wenig acht, als es ihn zu kümmern schien, wer der Wirt beim unterbrochenen Feste sei. Er sah vielmehr auf die Tische, die eben wieder in Ordnung gebracht wurden, und blinzelte dann unter seinen blonden Augenbrauen, eine schlechte Folie zu dem rot aufgedunsenen Gesichte, zu seinem Adjutanten: »Kleist, wie wärs? Nach dem Tanze noch ein Tänzchen!«

»Aufgespielt!« schrie er dann zur Galerie, als der junge Offizier erklärte, daß man vor zwei Stunden nicht fort könne, und blickte sich nach einer Tänzerin um.

Unter den Damen suchend, fiel sein Auge auf die Komteß, die, in ihrer Angst unter die Bürgerfrauen sich mischend, durch ihre Eleganz um so mehr auffiel: »Gehört die auch hierher?«

Als jemand ihm Auskunft gab, klatschte er in die Hände. »»Hurra! dann ist sie ja auch unsere Beute. So was laß ich mir gefallen!«

Aber als er auf sie zuschritt, vermutlich um sie zum Walzer aufzufordern, prallte er zurück. Die kleinen graublauen Augen in dem roten Gesicht wurden nicht schöner von dem Ausdruck des Erstaunens:

»Blitz und Hagel, hol mich der und jener, oder das ist – das ist die Jenny!«

Ob die kleinen graublauen Augen einen Stich bekommen aus dem wirbelnden Raketenfeuer, das sich auch plötzlich in dem schwarzen Auge der Komteß entzündet! – Ob sie ihn auch sogleich erkannt? Es wäre fast zu viel Erinnerungsvermögen in der jungen Dame vorausgesetzt. Zehn – zwölf Jahre lagen rückwärts, und was lag dazwischen! Aber das Brennglas mußte seinen Strahl gerade auf einen sehr bunten, lustigen Punkt der Vergangenheit geworfen haben. Es hatte gezündet, wenige Worte genügten, um ein Bild der Tage, die gewesen, in so flimmerndem Lichte ins Leben zu rufen, daß das Bild, das war, mit seinen hundert Talglichtern verschwand. Immer heller hatte ihr Auge geglänzt, immer schelmischer sich ihre Lippen verzogen, bis unter schallendem Gelächter die feine Gestalt um Kopfeshöhe sich erhob, und auf einer Zehe, zum Erstaunen aller, minutenlang um sich selbst wirbelte. »Eine Tänzerin!« murmelte es. »Sie ist eine Operntänzerin!« Wie viele hatten es längst gedacht; schade nur, keiner hatte es ausgesprochen.

Die beiden sprachen sich aus, scharfe Blitzesworte, keinem blieb es dem andern schuldig. Was herausblitzte? Wer hat jetzt Zeit, das zu erzählen! Von einem Rendezvous war die Rede, das gestört worden. Es war vielleicht Verabredung, daß es gestört werden sollte! Der Offizier hatte in einen Schrank wandern müssen – viel zu lange für sein Glück. Er hatte warten müssen – er wartete noch. Im süßesten Tone flüsterte die Zauberin:

»Es tat mir wirklich recht leid, und war ein reines Mißverständnis –«

»Bloß eine Verwechselung der Personen; das passiert wohl.«

»Sie müssen sich schrecklich gelangweilt haben.«

»Werde mich in Kolberg zu revanchieren suchen.«

»Und daß ich aus Vergessenheit den Schlüssel einstecken mußte.«

»Sie nahmen ihn bis Leipzig mit.«

»Und in Paris dachte ich daran.«

»Und in Paris sind Sie zur Gräfin avanciert? Was erfreut mehr, als wenn man hört, daß die Tugend nach Verdienst belohnt wird.«

»Mit gleichem Vergnügen hörte ich, daß der König Sie aus Berlin in die Provinz versetzt, von der Garde du Corps zu den Husaren. Ja wohl wegen eines kleinen Rouge et Noir, bei dem ein junger Russe nackt gerupft ward?«

»Was die Zeitungsschreiber lügen! Wenn ich daran glauben wollte, wären Sie mir in den zwölf Jahren einigemal untreu geworden. – Alte Liebe rostet nicht, und aufgeschoben ist noch nicht ausgehoben. Ihr Kerle oben, losgestrichen, was das Zeug hält, die Melodie:

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< Die Ouverture zur Ballmusik.
Vorm Scheunentor. >



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