Frei Lesen: Isegrimm

Kostenlose Bücher und freie Werke

Kapitelübersicht

Die Schwedenschanze | Die Blutsteine. | Der Quilitzer Knecht. | Die Querbelitzer Schenke. | Schemelbeine. | Isegrimms Haus. | Isegrimm. | Eine Rückfahrt. | Alte Geschichten. | Die erste Nacht in Haus Ilitz. | Eine Erscheinung im Walde. | Der Ball muß sein. | Zwei Anstands-Visiten. | Malchen. | Ein Wetterstrahl im Ratskeller. | Zum Ball oder nicht zum Ball? | Die Ouverture zur Ballmusik. | Die Ballnacht. | Vorm Scheunentor. | Im Schnee. | Jede Schlacht fordert Präparationen. | Schulze und Edelmann. | Die Einquartierung. | d'Espignac. | Der kleine Krieg. | Der Versucher im Hause. | Scheiden. | Ritter und Reiter. | Wendisch oder germanisch. | Das Schwert des Cid. | Der Beichtvater. | Chaotische Besuche. | Der unbegreifliche Brief. | Das Vaterland und bürgerlichen Offiziere. | Die Brücke in die Zukunft. | Eine deutsche Konversation. | Nachtgespenster. | Der Krieg ist nicht Zeit zu Hochzeiten. | Das Ahnenbild stürzt. | Ein verhängnisvoller Brief. | Die Katastrophe. | Ein Doppelgänger. | Eine dunkle Tat. | Ein politisches Geheimnis. | Ihr von Ilitz, Ihr von Ilitz, Solltet nimmermehr nach Quilitz! | Ein Gewitterschlag. | Ein ernstes Zwiegespräch. | Friede und Resignation. | Nach sechs Jahren. | Von Hochgezieten. | Gräfin Heilsberg. | Querl. | Schluß. |

Weitere Werke von Willibald Alexis

Der neue Pitaval - Neue Serie, Band 4 | Geschichten aus dem Neuen Pitaval - 3 | Der Werwolf | Der neue Pitaval - Band 15 | Walladmor |

Alle Werke von Willibald Alexis
Diese Seite bookmarken bei ...
del.icio.us Digg Furl Blinklist Technorati Yahoo My Web Google Bookmarks Spurl Mr.Wong Yigg


Dieses Werk (Isegrimm) ausdrucken 'Isegrimm' als PDF herunterladen

Willibald Alexis

Isegrimm

Jede Schlacht fordert Präparationen.

eingestellt: 25.7.2007

Einundzwanzigstes Kapitel.

Jede Schlacht fordert Präparationen.



Im Kruge zu Querbelitz saß in der Nacht eine kuriose Gesellschaft. Wer hätte den Kutscher Lamprecht in dem Kotneste wiederzufinden erwartet. Wenn die Pfeife ausging, rief er nach Kohle, und wenn die Marte sie brachte, kniff er ihr in den Arm, und Gottlieb und Peter sahens ruhig an. Es hatte aber seine Bewandtnis.

Der große Kienspan flackerte am Ofen, und Marte ließ ihn nicht ausgehen, aber auf den beiden Tischen brannte auch auf jedem ein dünnes Talglicht, das war auch etwas Außerordentliches. Die Marte putzte sie zuweilen. An dem einen Tische saß Lamprecht, und neben ihm zwei Quilitzer, dralle Bursche, denen das Blut ins Gesicht sprang, und an den Ellenbogen waren ihre Kamisole geplatzt.

Gegenüber am anderen Tische saßen Gottlieb und Peter und noch ein Querbelitzer, ein stämmiger Kerl, unter dem die Bank knackte, wenn er sich rührte. Sie rauchten und tranken Bier und sahen sich ins Gesicht, als wollten sie sich was absehen. Vielleicht ihre Mützen; der trug ein Tangerreis dran, der gar eine Habichtfeder. Keiner hatte geschimpft und geflucht, der Marte war aber doch bang; man sahs ihr an. Da meinte sie, es sei doch nun Schlafenszeit, ob sie nicht auf den Heuboden kriechen wollten. Wenn sie was miteinander zu sprechen und abzutun hätten, sei morgen auch ein Tag.

»Da hat die Marte schon recht,« sagte Lamprecht, »aber es diskuriert sich schon so besser, und zum Schlafengehen, da wird mancher morgen noch Zeit genug haben.«

Draußen in der Küche traf die junge Frau den Schulzen. Er schnitzelte an einem neuen Deichselbaum zum Schlitten.

»Was sagt Er nu dazu, Schulze? s ist richtig so.«

Der Vater summte etwas zwischen den Zähnen und schnitzelte weiter. Es war noch nicht vorgekommen, daß die Marte ihn um etwas befragt hatte. Sie taten beide immer, was sie für gut hielten, und es hatte noch immer gestimmt.

»Sie wollen nicht von sprechen im Dorf; aber wissen tuns alle.«

Er schüttelte den Kopf: »s tut auch so besser.«

»Aber was soll draus werden? Wenn sie den Gottlieb zerschlagen reintragen – und den Peter auch. – Der Lamprecht ist auch kein schlechter Kerl nicht; nur so borstig wie die Quilitzer alle. Sonst läßt sich schon mit ihm reden.«

»s ist tiefer Schnee,« war die einzige Entgegnung des Schulzen.

»Da fällt sichs weich, das ist schon gut, aber ihre Fäuste sind nicht weich. Wo der Quilitzer Jürgen hinschlägt, wächst kein Gras, und der lahme Hufschmied, unserer, der führt auch ne Hand, und hat ne Malice speziell gegen den Lamprecht.«

»Sie hat wohl keine Malice nicht gegen den Lamprecht?« sagte Gottlieb Köpke mit einem besonderen Blick.

»Ach was, wir sind doch alle Christenmenschen, und zu was Besserem da, als uns die Knochen zu zerschlagen!«

»Wer weiß! zuguterletzt werden sie uns alle zerschlagen.«

Die Marte dachte: wie er nur so sprechen kann.

»Er ist doch Schulze nun. Und der Schulz ist die Obrigkeit, und was die Obrigkeit sagt, das muß geschehen. Es könnte doch drein fahren!«

Der Schulze hatte die Deichselstange fertig. Er stützte sich drauf:

»Das ist schon richtig. Wenns nur was hülfe!«

»Na nu, Schulze?«

»Wenn ich nun jetzt drunterführe und ihnen die Schwerenot auf den Pelz jagte, da würden sie mit nem Katzenbuckel abziehen und knurren. Das Knurren täte es nicht, aber das böse Blut. Blut läßt sich besprechen, wers versteht, das ist schon richtig, und Geschwüre auch; aber einmal brichts doch wieder raus, was raus soll, und niemand sagt wo und wann, und obs dann nicht schlimmer ist. Drum ists besser, man läßts gehen, wies nun mal ist. Was los soll, muß doch los; besser, daß mans hinter sich hat, als vor sich.«

»Schulze, wie Er nur so reden kann!«

»s ist mit dem jungen Volk nicht anders, als wie mit den großen Herren und Potentaten. Die tollen Hörner müssen sie sich abstoßen. Krieg ist was Schlimmes, sehr was Schlimmes, manchesmal aber doch auch was Gutes, daß es rauskommt, was drinnen steckt. Wenns nicht rauskommt, und drinnen rumort es, so wird der Mensch krank, und ein kranker Mensch, das ist ein halber Mensch, und ein halber Mensch ist gar kein Mensch, denn er ist unnütz, weil er nicht arbeiten kann. Das sag ich Ihr nur, Marte; Sie muß es keinem wiedersagen.«

So hatte Gottlieb Köpke nie zur Marte gesprochen; es war ein Zeichen, daß nicht alles richtig war, wenn er sich auf Gründe einließ, und gegen eine Frauensperson.

»Und den Kopf werden sie sich auch nicht einschlagen,« setzte er hinzu. »Und wer weiß denn, ob was Ernstes dahinter ist.«

Da brach es aus Martens Augen; auch etwas so Ungewöhnliches als Gottliebs Gründe. Sie wußte, es sollte Ernst werden. Die Bursche hattens verschworen, es sollte, das so lange verschoben, nun auch losgehen, bis der Schnee rot würde und einer liegen täte. Und wenns so arg würde, daß das Kriminal mitsprechen müßte, dann wollten die andern sich nicht einstecken lassen, sondern sich auf und davon machen, ja wohin? – Gerad zu den Schillschen.

Der Schulz mußte auch darum wissen. Er fuhr nicht auf, er sann nur ein bißchen nach: »Marte, Sie ist eine verständige Person. Für die Jungen wäre das auch nicht das Dümmste. Vor die Kugel müssen sie doch einmal. Kommt der König retour, werden sie enrolliert; bleiben wir französisch, werden sie konskribiert. Wenn Gottlieb Köpkes Söhne gegen des Königs Rock fechten müßten, Marte, das möchte ich doch nicht.«

Dagegen hatte sie keine Gründe, es ging über ihren Horizont.

»Aber, was meint Er, daß die Leute sagen werden, wenn Ers zuläßt, ich meine nicht das, sondern das; und unter Seinen Augen, und Er ist die Obrigkeit!«

Gottlieb Köpke hob den Deichselbaum über die Schulter. »Dummes Geschnatter! Merkt Sie nicht, daß ich mit Ihr gespaßt, als ich tat, ich glaube Ihr, was Sie sich hat aufbinden lassen. Ich fahre nach Nauwalk, wenn der Hahn kräht, der Landrat hat die Schulzen konvoziert, es soll aufgeschrieben werden, wieviel Heuvorrat noch in der Provinz ist.«

Sie schüttelte den Kopf. Ihr klarer Blick sagte: Schulze, ich versteh Ihn heut nicht. Da legte er im Hinausgehen die Hand ihr auf die Schulter:

»Sie brauchts auch nicht zu verstehen. Alle Obrigkeit ist von Gott; und Gott kann alles, aber die Obrigkeit kann nicht alles, und manches Mal, wenn sie Uebel nicht hindern kann, tut sie am besten, sie kehrt den Rücken und siehts nicht. Denn wenn die Obrigkeit dem Uebel zusieht und nichts tut, so heißt es, sie billigts, und dadurch wirds ärger, oder sie ist zu schwach, und dann verliert sie den Respekt. Es gibt noch ganz andere Obrigkeiten als uns Schulzen, dies Auge zudrücken müssen. Der liebe Gott mag wissen, warums so ist, abers ist so. Davon wird Sie aber zu niemand ein Wort sprechen. Versteht Sie mich, Marte?«

Warum mußte denn der Schulze ein Auge zudrücken? In Querbelitz und Quilitz, und auch in Ilitz, wußte es jeder. Seit die Schemel damals in der Schenke geflogen, war wieder das alte Wesen los zwischen ihnen. Wer hatte es denken sollen, wo alle eine große schwere Not und ein böser Feind drückte, daß sie noch Zeit hatten, sich untereinander Possen zu spielen. Aber die Menschheit ist nun mal nicht anders; wo sie der Hafer sticht und wo sie nach Knochen suchen. Da brauste es in Quilitz, als sie hörten, wie der Lamprecht drüben traktiert war. Wäre nicht die Einquartierung gewesen, so wären die Quilitzer schon am nächsten Sonntag zu Dutzenden nach Querbelitz gekommen, zu – Biere? Wie wollten sie es schlecht finden, wie sollte es aus der Diele fließen – und mehr! Das ging nun nicht. Aber der Uebermut der Querbelitzer war ja nicht mehr zum Ausstehen. Wart Ihr auch bei Dames Mühle? Nein, die lagen im Bette: es sind ja Quilitzer! Das mußten sie hören, wo sie zusammen trafen. Sonderbar, wo sich ein Quilitzer und ein Querbelitzer Wagen auf der Straße begegneten, da verfuhren sie sich, und es gab einen Spektakel, bis sie loskamen. Auf dem Lande nimmt mans nicht so genau; wenn die Wege ausgefahren sind und Morast, treibt man über den Acker daneben. Ein Unglück ist es nicht; aber wenn ein Querbelitzer nur mit einer Radspur über einen Quilitzer Acker fuhr, so waren gleich zehn Bursche da, die ihn pfändeten und die Tiere in den Pfandstall trieben. Die Querbelitzer gabens ihnen redlich wieder. Und auf dem Markt in Nauwalk ließen sie sich kein gutes Haar, der Magistrat mußte verordnen, daß die einem an dem, und die andern am andern Tore saßen. Weil im Bebbiner Krug ein Quilitzer Weib und ihre Schwester zu viel getrunken, und nicht fort konnten, ritten ein paar Querbelitzer Bursche, dies gesehen, nach Quilitz, und in der Dorfstraße schrieen sie vor jedem Haus: He, Gevatter, raus, spannt an, nach Bebbin, da liegt Euer Weib voll und toll unter dem Tisch. Hieß es nun: mein Weib ist ja zu Haus, so war die Antwort: Dann ists Eure Schwester oder Eure Tochter!

Das gab einen heillosen Lärm und noch mehr Nachreden, spitz wie Kiennadeln: »Der trinkt wie ein Quilitzer Bauernweib,« oder: »Warum kriegen die Quilitzer keine Einquartierung?« »Weil die Weiber den Franzosen die Schnapsflaschen austrinken.«

Uebel wäre es einmal des Schulzen Schwiegertochter aus Querbelitz ergangen, als sie nach Nauwalk zu Markt wollte und, weil der Weg draußen zu schlecht, durch Quilitz fuhr. Der Knecht, der die Pferde lenkte, hätte wohl den Uebermut lassen sollen, aber er ließ es nicht und fragte ein Weib, das einen großen Wasserkrug am Brunnen spülte: »Hast Du mehr solche Schnapsflaschen?«

Da hagelte es Schimpfworte, es hagelte auch Steine. Von einem fiel der Knecht vom Wagen und mußte nachher ins Stroh gelegt werden. Sie waren drauf und dran, die Marte und ihre Eier und Butter vom Wagen zu reißen, wenn nicht der Lamprecht zugekommen wäre. Er sagte, sie wäre noch nicht die schlimmste von den Querbelitzer Hexen, und alle auf eine los, das schicke sich nur für Querbelitzer, nicht für Quilitzer. Da nahm er selbst die Zügel, er war ein resoluter Mensch, und kutschierte sie aus dem Dorf raus. Sie mußte es ihm wohl danken, unterwegs haben sie sich aber noch tüchtig geschimpft.

Dazumal wäre es wohl schon zu einem Ernst geworden, wenn die Schillschen nicht drüber gekommen und die Geschichte in Nauwalk und was drauf und drum; denn den Quilitzern muß mans lassen, sie hatten so gutes preußisches Blut wie die Querbelitzer. Gegen die Franzosen redete einer den andern aus, aber wenn sie fort waren, fing der alte Schabernack wieder an. Da meinten auch die vernünftigen Leute, so ginge es nicht mehr, und es wäre schon zum besten, wenns mal zu ner rechtschaffenen Prügelei käme unter dem tollen jungen Blut, damits ausgetragen würde und man zur Ruhe käme.

Als der Schulz in die Stube zurücktrat, hielt er es doch für anständig, in seiner Art den Burschen das zu sagen, was Frau Marte vorhin in ihrer gesagt, nämlich daß es nachtschlafende Zeit sei, und was das für Wirtschaft wäre, sie sollten sich auf den Heuboden scheren, oder das Donnerwetter solle drein schlagen. Er tats nicht, damit sies täten. Mancher glaubt poltern zu müssen, nur weil er meint, daß es sich für ihn so schickt. Wenn er zur Tür und mit dem Schlitten zum Hoftor hinaus, war ja das Tun und Lassen an ihnen, er sah es nicht.

Aber als er zur Tür hinaus wollte, trat ihm jemand entgegen, der Schnee und Wetter von Pelz und Stiefeln abstampfte. Auf des Schulzen verwundertes »Na nu?« antwortete der Viehhändler, den wir schon kennen, auch mit einem: »Na nu, wie stehts?« und reichte ihm die Hand, in die Gottlieb Köpke doch nicht anders als einschlagen konnte, denn er war der Wirt und jener der Gast, er im Warmen, und der triefte vor Nässe und Kälte. Aber trotz des Handschlages schaute er ihn noch immer verwundert an, denn er hatte ihn nie gesehen.

»Das ist ein Hundewetter!« hatte der Viehhändler gesagt, und der Schulz brummte etwas, daß man das in Querbelitz auch schon wisse. Zu Worte ließ ers aber nicht kommen, denn der andere gevatterte ihn mit allerhand Fragen und solchen vertraulichen Reden, wie es sich schickt, wenn einer in eine Schenke tritt. Wer da mürrisch tun will und sich vornehm in die Ecke setzt, als wäre der Krugvater kein Mensch und keine Respektsperson, der darf sich nicht wundern, wenn er die Neige aus dem Fasse bekommt.

»Na, nu seh ich schon, daß Er weit her ist,« sagte Gottlieb Köpke beruhigter, als der Fremde ihn gebeten, ihm aus dem schäumenden Glase zuzutrinken, welches Frau Marte ihm vorgesetzt, auch wohl, weil sein scharfes Auge einen prüfenden Blick auf die Lederkatze geworfen, die nicht unwuchtig dem Händler um dem Leib saß.

»Aber wer kommt denn so zu nachtschlafender Zeit ins Haus? Und wie traut sich einer so spät auf die Landstraße – der was zu verlieren hat?«

»Wer nicht wagt, gewinnt nicht,« sagte der Schweinetreiber und warf sich auf die Bank zu den Quilitzern, den Ellenbogen auf dem Tisch.

»Als mich bedünken will, kommt Ihr mir aber noch nicht bekannt vor,« entgegnete der Schulze, nachdem der Fremde ihm ungefähr das erzählt, was er zum Bürger von Nauwalk gesagt; worauf der Gast erwiderte: das sei wohl möglich, denn ehedem habe er immer über die Altmark getrieben.

»Nun will er unsere Schweine aufkaufen!« sagte der Schulze zu den anderen gewendet. »Habt Ihr welche übrig in Quilitz? Wir haben unsere liefern müssen; haben dafür gekriegt, was die Herren Franzosen Bons nennen. Das heißt nach ihrer Sprache gut, wir aber nennens schlecht. Die Scheine können wir ihm verkaufen, Schweine nicht.«

Der Treiber meinte, alles Vieh werden die Franzosen doch nicht gefressen haben, es sammle sich schon was mit der Zeit; ein Tropfen, wenns regnet, mache noch nicht naß, aber aus vielen werde eine Rinne, aus den Rinnen Bächlein, und so weiter. Und dann fing er an, sich nach den Dorfschaften umher zu erkundigen und den Herrschaften, wo noch etwas sitze, daß der Schulz die Ohren spitzte.

»Sieh mal einer, Er ist ja bekannt, als wär Er hier geboren, oder – als hätte Ers vom Papier abgelesen.«

»Das hab ich auch,« sagte der Fremde ruhig. »Wißt Ihr nicht, daß die Herren Kommissare und Generäle Listen führen, wo alles verzeichnet steht, was im Lande ist von Vieh, Menschen, Vorräten. Die haben Augen und sehen alles. Und wenn einer denkt, ihnen ein x für ein u zu machen, der ist auf Holzwegen.«

Sie blinzelten sich an, und der Quilitzer Lamprecht rückte mit dem Ellenbogen vom Fremden ab. Der Treiber tat, als wenn er nichts vermerkt, auch nicht den Blick, den der Schulze mit einem leisen Kopfschütteln ihnen zuwarf. Wenns ein französischer Aushorcher war, so tats nicht gut, ihm drohende Mienen zu weisen.

»Ist mir nur lieb,« fuhr der Fremde fort, als er das zweite Glas aus Martens Händen nahm, »daß ich das Nest hier nicht leer fand. Drüben in Wusterhausen meinten sie, ich würde lange nach einem Menschengesicht suchen müssen.«

Sie glotzten ihn von beiden Tischen an, auch der Schulze und Frau Marte machten große Augen.

»Die Leute schwatzen freilich viel dumm Zeug. Aber Ihr Bursche von Querbelitz seid verschrien, von wegen damals und denn manches sonst. Ihr steckts auch den Parteigängern zu. Das wissen sie.«

Der Schulze wollte einreden, der Fremde ließ ihn nicht zu Worte kommen.

»Ihr würdets nicht dulden als Schulze, das weiß ich schon, und die jungen Bursche werden ja auch nicht so toll sein; wer rennt denn wie ein Ochs in sein Verderben! Aber leid täte es mir auch um Euch, wenn sie Euch unter die Muskete steckten, alle wie Ihr da seid. Denn wenns mal sein muß, warum nicht lieber den Schießprügel für die Preußen? Nicht wahr? Ja, ja, es muß schon jeder sein Bündel tragen, einer so, der andere so, und Ihr seid noch am besten dran, Ihr gemeinen Leute, Euch schießen sie nicht tot, wie den Bürgermeister von Nauwalk, ohne Not nämlich, und Euch werden sie auch nicht über Nacht aus dem Bett reißen und auf den Schub geben, daß Ihr aufwacht, Gott weiß wo, auf ner Festung, was weiß ich, wo der Pfeffer wächst. Na, Gott befohlen!«

Der Händler wollte seinen Quersack über die Schultern werfen.

»Na nu, wohin denn?«

»Nach Quilitz – oder nach Schmachtenhagen.«

»Da findet Er erst gar kein Schwein mehr.«

»Weiß schon, der gnädige Herr hats mal verstanden! Kein Stück für sich behalten; alles, was nur Beine hatte, zu Schinken und Würsten gemacht, von wegen der Pferde und dem Ball, und alles in die Magazine. Bei den Herren Kommissarien hat er auch einen Stein im Brett. Und hat doch noch dabei sein Schnittchen gemacht; denn solche Bons, der Schulz hat schon recht, Euch Bauerleuten taugen sie nicht viel, aber in den Händen von so vornehmen Herren, die wissen, was sie damit machen sollen. Und solchem Kommissarius kommts auch nicht darauf an, ob er ein paar Schnitzel einem guten Freunde mehr abschneidet oder weniger.«

Der Schulze meinte, von der warmen Wurstsuppe werde der Treiber weder in Quilitz, noch auf den Klostergütern etwas zu löffeln bekommen.

»Wer weiß!« rief der Mann mit einem schlauen Blick, den Sack über der Schulter. »Heute wenigstens brauche ich Eure Suppe nicht auszuessen, die Euch morgen oder heute schon eingerührt wird.«

Wenn er meinte, mit den Dreiern, die er auf den Tisch warf, die Zeche bezahlt zu haben, war er falsch. Die Marte ließ die Kupferstücke liegen, aber mit unterstemmten Armen vertrat sie ihm an der Schwelle den Weg:

»Na nu, was ists? Hier seift man keinen ein und schickt ihn über die Gasse zum Barbier. Bange machen gilt nicht, und vexieren lassen wir uns auch nicht. Raus mit der Sprache, oder die Bursche verstehen hier eine, daß auch ein Tauber s hört.«

»So ists recht,« rief Lamprecht.

Köpkes Söhne zeigten Lust, auf der Stelle die Sprache zu reden, aber er zwinkerte ihnen zu, noch wärs nicht nötig. Es war auch nicht nötig.

»Nun, guter Mann, sage Er uns, was ist das für ne Suppe,« fuhr die Marte fort. »Denn wer sie anrichtet, muß sie mitessen; so ists Sitte in Querbelitz.«

Der Treiber ließ sich auch nicht lange nötigen: »Als ob Ihrs nicht auch schon wissen tätet! Seid doch nicht kurios, Ihr Leute. Die Provinz ist ihnen schon längst ein Dorn im Auge. Wundert Ihr Euch nun, daß sie Hetzjagd anstellen wollen? Haben sies vergessen, daß Ihr sie bei der Pferdelieferung über den Löffel barbieren wolltet?«

»Wir nicht,« sagte der Schulze.

»Na nu, das wissen wir ja, auf Euch gehts auch nicht gerade los, obgleich Ihr von wegen Dames Mühle auch kein Brett bei ihnen im Sacke habt. Und ich meine auch, was gehts die Bauern an, wenn sie die Edelleute wegschleppen.«

»Die Edelleute!«

»Ueberhaupt ist das eine weitläufige Geschichte, wenn unsereins sich mengen will, wos ihm nicht an die Haut geht. Totschießen werden sie auch nicht alle gleich, wie den Herrn Schulzen in Nauwalk, denn das knallte zu sehr; aber über Nacht reiten die Gendarmen auf deinen Hof, und anderen Tags auf einen anderen, und wenn der Hahn kräht, trottiert der Strohwagen oder die Kalesche schon lustig nach Magdeburg oder Torgau. Ob sie mal wiederkommen, danach habt Ihr doch nicht zu fragen! Wozu überhaupt viel Fragen! Gescheiter wird keiner davon. Den Kragen in die Höh, und die Mütze über die Ohren, vielleicht sehen sie Euch nicht, und wollen Euch nicht sehen, wenn Ihr mucksstill seid. Nehmt Euch nur in acht, fangt keinen Streit an, man weiß nicht – ich sage Euch, man weiß nicht –«

Unter den Burschen ging ein Murmeln, wie wenn ein warmer Mittagwind das Eis anhaucht, und es bröckelt und sinkt: »Das ist kein Spion nicht!«

»Welche Edelleute, guter Mann, wollen sie denn wegschleppen?« fragte die Marte.

»Nu natürlich, die ihnen nicht gefallen tun. Was weiß ich – den Kautzenburger, den Quiritzer, den Ilitzer –«

»Unseren gnädigen Herrn?«

Der Schulze sah ihm scharf ins Gesicht: »Ihr wißt sehr viel, Landsmann, aber hierzulande fragt man: hast Du Beweise?«

»Der Bonaparte fragt das nicht, wenn er einen totschießen läßt. Wißt Ihr, wies drüben in Schwedisch-Pommern aussieht? Da rüsten sie. In Schlesingen stürmt der Fürst von Pleß. Ueber die Weichsel munkelts von ner Bataille, wo die Russen und die Preußen den Franzosen die Zähne gewiesen haben, daß sie sich verwundert. Wenn er nun hört, der Kaiser, meine ich, daß hier ein paar Husarenschwadronen durchs Land preschen, wegnehmen, wo sie was kriegen, Offiziere und Kuriere wegfangen, junge Leute verführen, wenn die Edelleute dazu schweigen und die Bursche in Querbelitz tolle Lieder singen und Federn an den Hut stecken, meint Ihr, daß der Bonaparte sagen wird: Schafft mir Beweise dafür? Wetter noch mal, wofür wär er der Bonaparte? Er schlägt drein; und er hat recht, wer wartet, bis er verlieren kann, hat schon verloren. Fordert nichts als ne Liste, eine Feder – dick durch – die Namen und die – und dann Adjö! – Aber, ich sage ja, Euch brauchts nicht zu kümmern. Der General, der ihm die Liste bringt, wo alles vornotiert ist, wer weggeschleppt werden soll, kommt hier durch. Muß hier sein mit dem Hahnenschrei; er will Pferde haben und einen Schlitten. Gebt ihm, was er fordert, seid artig und höflich, dann geschieht Euch nichts. Möchte Euch aber doch geraten haben, laßts nicht merken, was ich Euch gesagt habe, nämlich daß Ihr es wissen tut. Sintemalen, wenn die Husaren mal wieder kämen, dann könnten sies Euch gedenken, und meinen, warum habt Ihr die Hundsvötter nicht in den Sack gesteckt und uns einen Wink gegeben; wir hätten den Sack schon geholt. Nun, Frau Marte, noch einen über die Lippen! Das ist meine Suppe. Angerichtet hab ich sie, das ist wahr, aber wer sagt denn, daß Ihr Euch die Lippen dran verbrennen sollt. Laßt sie kalt werden, dann kann sie essen, wer Lust hat.«

Bald darauf war ein eigen Treiben im Schulzenhofe. Sie steckten die Köpfe zusammen, zischelten in den Ecken und striegelten die Pferde in den Ställen. Der Viehhändler war schon auf dem Weg nach Schmachtenhagen, als Frau Marte, an die Pfoste gelehnt, dem Schulzen zusah, wie er die Deichsel an den Schlitten hämmerte. Ihre Finger »polkten« gedankenlos an dem morschen Holze, eine Handlung, wofür sie doch sonst ihrem Kleinen manchen Nackenschlag versetzt.

»Schulze, s wird heut bös Wetter geben.«

»Glaube auch,« brummte er.

»Will Er doch fort?«

Er nickte.

»Mit dem Schweinetreiber wars nicht richtig,« hob sie nach einer Pause an.

»s ist nirgend richtig,« brummte er fort.

»Aber ein französischer Schnüffelhund wars nicht, den riecht man. Meint Er nicht auch, Schulze?«

»Ne, französisch war er nicht; das ist schon recht.«

Es trat wieder eine Pause ein. Der Schulz hämmerte gegen die Deichsel, Frau Martens Herz hämmerte gegen das blaue Mieder. Man hätte glauben können, es komme ihr eine Träne aus den Augen, wie sie mit den Fingern über die Wimpern strich, aber sie meinte, es war nur der Schlaf, den sie fortwischte.

»Schulze, der Quilitzer, der Lamprecht, der Kutscher, ist ein Rumtreiber, ein Taugenichts. Der stiftet noch Unglück an. Glaube Er mirs, wir können noch was erleben! Hat ein gottlos Maul, vor keiner Seele Respekt. Wie hat er dem gnädigen Herrn von Quilitz den Stuhl vor die Türe gesetzt! Er verführt Eure Söhne. Und mit der Prügelei wirds nu auch nichts. Derowegen kann Er zu Hause bleiben.«

»Na, denn ists ja gut,« sagte der Schulze mit einem halben Seufzer.

»Obs gut ist –« da waren die Schleusen, die sie so lange zurückgehalten, gebrochen. Es kostete eine Weile, bis sie unter dem Schluchzen wieder zu sich kam. »Er fährt fort, Schulze, Er läuft davon; mich läßt Er allein zurück. Was soll ich armes Weib tun, wenn der vornehme Prinz oder Graf, oder Feldmarschall kommt?«

»Auffressen wird er Sie auch nicht.«

»Wenn er Pferde fordert, Fuhrwerk und Schlitten?«

»Was da ist, muß Sie geben. Wer Gewalt hat über uns, der ist unsere Obrigkeit, steht in der Bibel.«

»Gewalt!« wiederholte sie. »Wenns nur eine einzelne Person ist, oder zwei, und mit einem Juden kommen sie, sagt der Schweinehändler. Sie sind im Schnee verirrt, und der Gottlieb und Peter können keinen Juden ausstehen, Ihr wißts ja! Wenn sie nun Händel anfangen; mit den Jungen ist ja kein Auskommen mehr.«

»Marte! Sie wird doch keine Händel anfangen!«

»Aber Er hat doch Ohren, Schulze, Er hat Augen, Er ist ein verständiger Mensch; der Peter und Gottlieb haben keinen Grips; es klunkert ihnen schon an der Seite, als hinge der Sarras dran. Der Lamprecht hat Grips, das ist wahr, nur zu viel; er ist ein rechter Ausbund von Gottlosigkeit. Mit dem Kerl, ehe er fort war, hat er da noch an der Ecke den Kopf zusammengesteckt. Der hats nicht auszubaden, der ist bald über alle Berge. Aber, Herr Jesus, der Gottlieb und der Peter sind ja Seine leibhaftigen Söhne. Hat Er denn kein Einsehens, Schulze!«

Der Schulze wiegte, wie nicht seine Art war, den Kopf. »Wenn der Bauer Söhne kriegt, die gehören nicht ihm, die gehören dem König; das ist nun mal so. Und der König steckt sie unter die Soldaten; das ist nun auch mal so. Und Soldaten sind da, damit sie totgeschossen werden. Das ist auch mal so gemacht; der liebe Gott mag wissen, warum? s ist beim einen so, und beim andern wirds auch so sein. Das ist drum nun egal, wer sie totschießt; und wenn sie in der Grube liegen, fragt keiner danach, und im Himmel werden sie wohl auch nicht danach fragen.«

Gottlieb Köpke sprachs in einem gar eigenen Ton; den Arm hob er, als wollte er mit dem Aermel an die Augen; aber das schickt sich doch nicht für einen Erb- und Lehn-Schulzen.

»Und wir sind alle verloren; sie massakrieren uns alle, und Ihn – und Ihn, Schulze, führen sie raus wie den Bürgermeister in Nauwalk!«

Sie hätte laut geschrien. Da hielt ihr Gottlieb Köpke die Hand, mit der er an die Augen wollte, vor den Mund:

»Still, Marte. Jetzt ists an Ihr, daß Sie verständig sein muß. Sie ist ein Weib, aber Sie hat Einsehens. Ueber wen das Unglück kommt, das ist von Gott geschickt; aber der liebe Gott will nicht, wenn wir mit dem Bein drin sitzen, daß wir auch den Kopf in die Schlinge stecken. Wenn der Kopf haußen bleibt, wer weiß, ob man auch das Bein frei kriegt. – Wenn der Strom kommt, ist nicht gegen schwimmen, aber mitschwimmen und die Augen immer überm Wasser muß man haben, um zu sehen, ob man eine Wurzel faßt. Sie weiß nichts, Sie hört nichts, Sie tut nur, was die fordern. Ein bißchen Lärm machen kann Sie, und lamentieren. Wenn sie Händel anfangen, dann ists am besten, Sie ist nicht bei; wenns lauter wird, ich meine, wenns Ernst wird, dann muß Sie bei sein, sonst heißts, Sie steckt mit drin und hat sich nur versteckt. Nein, wenn sie – nun, Sie versteht mich, so was muß man nicht aussprechen – wenns zum Aergsten käme, wenn die ungeratenen Bursche darauf los sind, dann schreit Sie, was das Zeug hält; greif Sie auch mit zu, nämlich als daß Sie helfen möchte. Ein paar Schläge und Stöße, das tut Ihr ja noch nichts. Und dann merk Sie wohl, daß es immer der Quilitzer ist, der Kutscher, der desperate Kerl, den sein Herr schon fortgejagt hat. Sie hat ganz recht, der hat das große Maul, der hat die Jungen verführt, das sind Dämelacks, die nichts aus und ein wissen. Er hat sie gezwungen. So muß Sie aussagen. Sie versteht mich doch?«

Sie hatte ihn verstanden. »Warum muß es denn?«

»Soll ich den Rohrstock nehmen und unter die Bursche fahren, daß es alle Welt hört, was die Maus nicht hören darf?«

»Ach du mein Heiland, Er steckt auch mit drein, ich merks, Vater. Warum soll denn der Bauer seine Haut zu Markte tragen, wenn sie den Edelmann in den Sack stecken wollen! Haben wir nicht genug zu fronen und sind geplagt von ihnen! Vor alters wars noch mehr.«

»Da hat Sie schon recht, Marte, aber nicht ganz recht. Es heißt schon in den alten Historien, die sie sich erzählen, der Teufel hätte die Edelleute gemacht, und der liebe Gott die Bauern, und es wäre nur in der Verwirrung so verrückt worden, und einmal werde die Zeit kommen, wo sies wieder in die Richte brächten. Das ist jetzo aber noch nicht. Daher tuts not, daß wir einträchtig sind und beisammenhalten, und der Edelmann gehört dem König wie der Bauersmann und der Bürger. Und wer eins von ihnen wegstiehlt, der stiehlts dem König, und wer zusieht und nicht hilft, der ist so schlecht wie der Hehler. Wenn die Franzosen uns erst aneinanderhetzen, dann haben sie gewonnen Spiel; wenn wir alle eins sind, dann wirds anders kommen.«

Wie es darauf im Schulzenhause zu Querbelitz hergegangen, dahinter ist man nie recht gekommen, weil jeder es anders erzählte, und keiner es recht erzählen mochte. Der Schulze hieß es, sei längst zu Schlitten fort gewesen, nach Nauwalk hin, als der General Victor, der nachdem Marschall ward, dort angekommen und Frühstück, Schlitten und Pferde gefordert und bald in argen Zwist mit den Leuten in der Schenke geraten war. Dem ist aber nicht ganz so, denn sie donnerwetterten und »fouterten« schon in der Schenkstube, als einer noch den Schulzen gesehen, wie er hinter einer Lehmmauer gestanden und durch die Spalte gelauscht. Erst als es gar arg ward, wovon man gar nicht spricht, war er sächtchen an den Hecken fortgegangen und hatte sich auf den Schlitten geworfen, der draußen hinterm Garten schon fertig stand, und war querfeldein, was die Pferde laufen konnten, nach der Kreisstadt gerutscht.

< Im Schnee.
Schulze und Edelmann. >



Die Inhalte dieser Seite sind Eigentum der Öffentlichkeit.
Sollten trotzdem Urheberrechte entgegen unserem Wissen verletzt worden sein, bitten wir Sie mit uns Kontakt aufzunehmen.