Frei Lesen: Isegrimm

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Kapitelübersicht

Die Schwedenschanze | Die Blutsteine. | Der Quilitzer Knecht. | Die Querbelitzer Schenke. | Schemelbeine. | Isegrimms Haus. | Isegrimm. | Eine Rückfahrt. | Alte Geschichten. | Die erste Nacht in Haus Ilitz. | Eine Erscheinung im Walde. | Der Ball muß sein. | Zwei Anstands-Visiten. | Malchen. | Ein Wetterstrahl im Ratskeller. | Zum Ball oder nicht zum Ball? | Die Ouverture zur Ballmusik. | Die Ballnacht. | Vorm Scheunentor. | Im Schnee. | Jede Schlacht fordert Präparationen. | Schulze und Edelmann. | Die Einquartierung. | d'Espignac. | Der kleine Krieg. | Der Versucher im Hause. | Scheiden. | Ritter und Reiter. | Wendisch oder germanisch. | Das Schwert des Cid. | Der Beichtvater. | Chaotische Besuche. | Der unbegreifliche Brief. | Das Vaterland und bürgerlichen Offiziere. | Die Brücke in die Zukunft. | Eine deutsche Konversation. | Nachtgespenster. | Der Krieg ist nicht Zeit zu Hochzeiten. | Das Ahnenbild stürzt. | Ein verhängnisvoller Brief. | Die Katastrophe. | Ein Doppelgänger. | Eine dunkle Tat. | Ein politisches Geheimnis. | Ihr von Ilitz, Ihr von Ilitz, Solltet nimmermehr nach Quilitz! | Ein Gewitterschlag. | Ein ernstes Zwiegespräch. | Friede und Resignation. | Nach sechs Jahren. | Von Hochgezieten. | Gräfin Heilsberg. | Querl. | Schluß. |

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Willibald Alexis

Isegrimm

Schulze und Edelmann.

eingestellt: 25.7.2007

Zweiundzwanzigstes Kapitel.

Schulze und Edelmann.



»Papa hat gut reden. Was ist denn draußen noch, wie es war? Warum solls denn bei uns sein, wie es gewesen ist? Alles ist anders geworden. Sonst schien die Sonne, und jetzt ists finster. Einmal wars heiß, und jetzt ists kalt. Sollen wir nicht heizen, weil wirs im August nicht vor Hitze aushalten konnten? Sonst, wenn Einquartierung kam, freuten wir uns, und jetzt brummen wir. Sonst wars in der Scheune bis ans Dach gepfropft, und jetzt können die Katzen drin herumjagen. Sonst – sonst – sonst – es hat manches in Haus Ilitz sonst anders ausgesehen wie jetzt.«

Mit einem leichten Seufzer schloß Wilhelmine die Rede, welche sie, bei einer Plättarbeit beschäftigt, ihren Geschwistern zu halten schien; die elegische Stimmung mußte aber nicht tief sein, denn der Seufzer ging in eine gefällige Melodie über, die sie zwischen den Zähnen murmelte.

Karoline warf über ihre Lektüre einen halb strafenden Blick auf die Schwester: »Wenigstens ist eins noch wie sonst; Mine ist dieselbe geblieben. Vater hats auch gar nicht so gemeint. Wir sollen uns nur die vorige Gemütsruhe bewahren –«

»Aber, Gott sei Dank, Sonntags nicht mehr im Flur essen, und das ist das einzig Gute,« unterbrach die vorige Rednerin.

»Wie man nur so sein kann! Der Ernst der Zeit sollte uns doch alle berührt haben.«

»Soll ich darum auch lamentieren? Das wäre eine schöne Geschichte. Malchen sitzt wie eine Wachspuppe, die ins Wasser fiel, und die Farbe ist ihr abgegangen, Line schießt Blicke in den Himmel, als wären wir ihr alle zu ordinär, Vater spricht kein Wort, und Herr Mauritz ist auch wie aufs Maul geschlagen; nun brauchten wir noch den tauben Pastor ins Haus zu laden, dann wäre die Litanei fertig.«

Die Mutter, im sonntäglichen schwarzen Seidenkleide, ließ das Predigtbuch sinken und nahm die Brille ab: »Laßt doch das sein. Ich muß Karolinen darin recht geben. Und paßt solch ein Gezänk am heiligen Sonntag und während der Kirche?«

»In die wir nicht gehen dürfen« – fiel Minchen ein.

Das war ein Riß in die Saiten, der alle berührte. Der Vater hatte ihnen den Kirchgang verboten. Nicht weil Truppen im Dorfe lagen, nicht weil es kalt und stürmisch war, es hatte einen andern Grund. Jeder wußte ihn; sie senkten die Köpfe.

»Mich soll nur wundern,« hub Minchen nach einer Pause an, »ob er nicht Herrn Mauritz mal selbst den Stuhl vor die Tür setzt.«

Die Mutter meinte, es sei nur eine Aufwallung gewesen, er werde sich schon wieder eines andern besinnen. Ihr ward entgegnet, daß der Vater schon seit vierzehn Tagen kein Wort mit dem Kandidaten gewechselt.

»Nehmt mirs nicht übel, Kinder, denn Ihr nehmt jetzt alle für Herrn Mauritz Partei, aber es war auch nicht recht von ihm, daß er noch immer zu Herrn Faßbinder gehen muß; er weiß doch, wie Vater mit ihm steht. Und wie hat er ihm geantwortet, als Quarbitz ihm seine Meinung sagte! Schon aus Delikatesse hätte er die Dehors beobachten müssen.«

Die Töchter schienen nachzusinnen, ob er das tun müsse. Karolinen hatte gerade seine Antwort gefallen: Wenn die Rationalisten und Neologen zur ewigen Verdammnis führen, hatte er gesagt, wäre es doppelte Christenpflicht, sich ihrer anzunehmen, und, selbst wenn man sie nicht retten könne, mit ihnen in Liebe und Eintracht den kurzen Weg bis an die Pforten der Ewigkeit zu wandeln.

Die Mutter meinte, wenn er nur nicht das hinzugesetzt von den vielen Wegen, die zum Himmelreich führen. Dabei hätte er so ausgesehen, als wenn seiner doch der beste wäre, das könne nun der Vater als alter Militär durchaus nicht vertragen, denn beim Kommando müsse man nicht nach rechts und links sehen, wie man Lust hat, sondern wies befohlen ist. Und wenn man schon seinem Korporal und Hauptmann folgen müsse, aufs Wort und ohne Mucksen, was mehr seinem Könige, und noch mehr dem lieben Gott. Das wäre Quarbitz Meinung. »Und darin hat er doch eigentlich recht,« schloß die gute Frau von Ilitz.

Die Töchter mochten eine jede ihre eigene Meinung haben. Karoline sagte: »Er gnergelt, wo er kann, und wenn Herr Mauritz etwas sagt, so tut er, als wenn es gar nicht gesprochen wäre; das kann gar nicht länger so gehen, es muß was platzen.«

Malchen, die bei einer Näharbeit am Fenster bis da geschwiegen, schüttelte den Kopf: »Er läßt ihn nicht fort. Er tut nur so.«

»Und damit Ihrs wißt,« sagte Minchen, die das letzte geplättete Stück auf die übrigen legte und mit den Händen glatt schlug, »es ist auch gar nicht Herr Mauritz, was ihm im Kopf umgeht. Nur weil der ihm gerade in den Weg lief, hat ers ausbaden müssen; aber nicht darum. Habt Ihr denn nicht bemerkt, daß es Vatern gereut, daß er uns nach der Stadt geschickt? Er tats, weil der Vetter aus Quilitz in ihn drang, und das schon wurmte ihn. Dann mußte ja aber in Nauwalk alles das kommen, warum er uns hier fortgeschickt, und hier bliebs mäuschenstill; es ist nichts vorgefallen. Wir hätten ruhig sitzen bleiben können, und es wäre, wenn auch nicht besser, doch nicht so schlimm geworden. Das verdrießt Vatern. Er gestehts freilich nicht ein, aber er müßte ja nicht er sein, wenn er sich nicht Vorwürfe machte; und unzufrieden ist er nicht mit Herrn Mauritz, sondern mit sich.«

Die Familie hatte die schweren Tritte im Flure überhört. Die Tür ging auf, aber der Major, der eintrat, hatte glücklicherweise auch nichts gehört. Er ging, in Gedanken, auf und ab; aber Mutter und Töchter, die immer bei seinem Erscheinen, ich will nicht sagen, schulterten, aber auf dem qui vive-Fuß standen, blinzelten sich eine angenehme Wahrnehmung zu. Die Runzeln auf seiner Stirn waren geglättet, die Sonne arbeitete sich durch Wolken, und er kam aus der Kirche und hatte den Kandidaten gehört. Als er sich von Malchen die Pfeife reichen ließ, streichelte er ihre Stirn, und als sie den Fidibus an den Meerschaumkopf hielt, sagte er, es sei schade, daß sie nicht in der Kirche gewesen. Was sollte das heißen? Vielleicht erwartete er eine Frage, aber es wagte niemand zu fragen. Er hatte die Pfeife noch lange nicht ausgeraucht, als er aufstand und ans Fenster trat: »Wo nur Herr Mauritz bleibt!«

»Wo hast Du ihn gesehen, Wolf?« fragte die Mutter, die in den Stürmen, welche den Hausfrieden nicht störten, aber unterbrachen, von der diplomatischen Kunst auch etwas abbekommen, so viel, als gerade für den Hausbedarf nötig war.

»Er hat ja gepredigt.«

»Ach ja, so! Das hätte ich bald vergessen. Es mag wieder so hoch gewesen sein, daß unsereins es nicht versteht.«

»Alle konntens verstehen!« war die kurze Antwort.

»Doch nicht Fritz und Anton. Es ist schon gut, daß Du die Jungen an die Kirche gewöhnst, aber nimm mirs nicht übel, wenn Du es den Mädchen verbietest, weil seine Predigten gefährlich sind, da werden die Junker ja gerade zu verdorben.«

Etwas wie ein leiser Fluch flog über des Majors Lippen, der sich aber in die Worte löste:

»Wer redet von gefährlich? Das war zur Seele gesprochen, das mußte jedes Herz erschüttern. Man hätte mögen aufspringen –«

Die erfreute Mutter war im Begriff, auch aufzuspringen, wenigstens ihre Zunge wollte das Herz nicht verraten, was alle Kunst ihrer Diplomatie wieder verdorben hätte, als Minchen rasch einfiel:

»Den Jungen schadet es auch nichts, Mutter, die geben doch nicht acht.«

»Sie sollen acht geben, darum geht man in die Kirche,« kappte der Vater. »Das hätte jeder heut hören sollen. Es war, es war« – er stellte die Pfeife wieder fort und schritt im Zimmer auf und ab.

»Man muß nur nie verzagen,« flüsterte Minchen der Mutter zu. Der Vater – hatte er es gehört? Nein, es war so leise gesprochen, daß ohne die diplomatische Augensprache der Familie auch die Mutter es nicht verstanden hätte.

»Man soll nie verzagen!« repetierte der Vater im Umhergehen. »Das war es. – Ob wir denn immer auf große Zeichen warten müssen, ob uns die kleinen nicht genügen? – Sind wir denn ein Volk Gottes, daß er aus dem feurigen Busche zu uns reden wird! – Wir sind abgefallen in Eitelkeit, Stolz und Hoffahrt. Auch jenes Judenvolk war seiner noch nicht würdig, nur Moses sah ihn in seiner Herrlichkeit; sie mußten auch durch die Wüste geführt werden – vierzig Jahre! Wir – wir wären vielleicht noch keines Moses wert – das war etwas stark gesagt, mein Herr Kandidat! – aber schadet nichts. – Er redet auch zu uns, täglich, stündlich – das war der eigentlich schönste Teil der Rede – er offenbart sich uns durch tausend Zeichen, wenn wir nur Augen dafür haben und Ohren. Auf diese kleinen Zeichen hätten wir zu achten, das seien die Samenkörner, die er ausstreue, um wieder ein Volk sich zu zeugen, in Stahl gerüstet und in Gottesfurcht brennend. Und vorsichtig, sehr geschickt war das auch gesprochen. – Wir wollen heut mittag wieder ein Glas Wein trinken.«

Der Kandidat mußte Wunder gesprochen haben. Seit des Bürgermeisters von Nauwalk Tode hatte der Major kein Glas an seine Lippen gebracht. Die Freude strahlte auf den Gesichtern der Familie. »Wo er aber nur bleibt!« wiederholte der Major am Fenster, als der alte Diener eintrat.

»Der Herr Kandidat lassen sich entschuldigen, wenn Sie heut nicht zu Tische kommen, der Herr Prediger haben Sie zu Mittag eingeladen.«

Die frohen Gesichter wurden lang. Der Major sog auch einen langen Zug aus seiner Pfeife und sagte: »Auch gut.« Es sollte eben heute nicht mehr viel Gutes sein; es kamen Klagen, Nachrichten von allen Seiten, was anders als schlimme, und dazu auch Einquartierung. Man war in Ilitz schon auf alles gefaßt, und darum ließ sich der Major auch seine Pfeife anscheinend wohl schmecken, rückte sich weder vom Stuhl, als die Meldung kam, daß die Sappeurs in Quilitz es arg getrieben, daß sein Vetter aufs Vorwerk geflüchtet, noch als die Einquartierung ihrer Anmeldung auf dem Fuße folgte, wie man aus dem Trompetengeschmetter im Dorfe hörte. Sogar hätte man ein Lächeln auf seinen Lippen bemerken können, als der Bote von dem unangenehmen Gedränge erzählte, in welches der Hofmarschall mit dem bärtigen Bärenmützer geraten sein sollte. Aber als ein Bauernwagen vorfuhr und der Schulze von Querbelitz gemeldet ward, stellte er die Pfeife sogleich weg und wollte in sein Zimmer. Er hatte unter dem Türklappen die Aufregung, welche sich des weiblichen Teils der Familie bemächtigt, nicht bemerkt, so wenig er die Kürassiere eines Blickes würdigte, welche jetzt auf das Herrenhaus zugeritten kamen.

»So gebt ihnen zu essen und zu trinken wie den anderen,« antwortete er auf eine nur halb gehörte Bemerkung seiner Frau, wobei unsererseits nur zu bemerken ist, daß er in der Regel, wenn von beiden Verrichtungen bei der Einquartierung die Rede war, sich stärkerer Ausdrücke bediente. »Schmeckts ihnen, so mögs ihnen bekommen, wie sies verdienen; schmeißen sies zum Fenster raus, so ists für die anderen Hunde.«

»Aber Wolf, lieber Wolf,« sagte die gnädige Frau, »Du hast mich nicht gehört, es ist ja der Herr Colonel selbst – Herr Gott, da ist er schon ins Tor! – Wie ist doch gleich sein Name?«

»Das fehlte auch noch, daß man sich auch um die Namen der Kerle bekümmerte. Das hat ja keinen, nur Regimentsnummern, und ist auch genug.«

Auf der Türschwelle mußte er fast mit dem Ellenbogen an den Obersten gestoßen sein, der eintrat; gesehen hatte er ihn aber nicht, denn er gab später dem Colonel sein Wort, und sein Wort war dem Herrn von Ilitz heilig.

Oben sehen wir ihn bald darauf auf dem alten, schwarzleinenen Kanapee sitzen, das die gute Frau von Ilitz vor dem Kriege, ach schon vor der Rheincampagne, so gern ihrem Manne abgeschwatzt hätte: so eingesessen war es, halb glänzend und zerrissen der Ueberzug. Aber er wollte nicht; sein Vater hatte drauf gesessen, wenn er die Verwalter und Schulzen empfing. Heute stand der Schulze Gottlieb Köpke ehrerbietig dem Sofa zu Füßen und horchte auf die Worte des gnädigen Herrn. Aber wie gebückt er auch stand, die Mütze vor sich zwischen den Fingern, und der Herr Major fast mit ausgestreckten Beinen, den einen Arm über der Lehne, mit der anderen Hand dann und wann auf seine Knie schlagend, es hatte doch nicht die Art von sonst. Der Major warf häufiger unter seinen weißen Brauen einen fragenden Blick auf den Bauern, als dieser nach den Runzeln auf dem Gesicht seines Herrn.

»Gnädiger Herr, es ginge schon, da haben Sie recht, s geht man nur nicht.«

»Was muß Er nicht zurückgelegt haben, Köpke! Seit die Marte bei ihm wirtschaftet, es kanns Ihm jeder nachrechnen. Was hat Er allein noch bei der Lieferung im September für Mastochsen und Schweine in den Säckel gesteckt!«

»Lieber Gott! das Leben kostet auch was. Die vielen Bälger! Die Marte muß ich doch wieder verheiraten! Und dann die Advokaten, Herr Obristwachtmeister! Man soll sie nicht mehr schmieren, hat der alte Fritz gesagt. Und so stehts auch in den Büchern, das ist richtig; aber s ist nicht alles richtig, was gedruckt steht. Wie soll man denn mit nem Wagen fahren, den man nicht schmiert? Die Herren an dem grünen Tisch, ja, die sind klug, die wissen alles; aber wo dem Landmann der Schuh drückt, das wissen Sie nicht, und wenn sie es wissen täten, so wollen sie es nicht wissen. Wenn die Kammern und die Regierung uns doch nur ließen, wie wir sind. Besser machen werden sies nicht. Mit unseren Herren, da verstehen wir uns schon. Und wenn einer mal schlimm ist, i, einer, der weiß, wies bei uns aussieht, ist immer besser als zehn Herren, die uns nicht kennen. Sag ich doch immer, unsere Väter haben sich gut dabei gestanden, warum sollen wirs anders wünschen.«

Zu anderer Zeit war das eine Melodie, die man nur anzuschlagen brauchte, und der Major fiel von selbst ein. Heute glaubte er zu merken, daß der Schulz damit nur auf etwas anderes ablenken wollte, und indem er ihn scharf ansah, sprach er mit dem Ton eines Mannes, der zu einem Entschluß gekommen, welcher seiner Sinnesart entgegen ist, aber es gibt Momente, wo auch ein starker Mann seine Ueberzeugung bezwingen muß.

»Köpke! Er hat neulich wieder meine Kühe pfänden lassen, als sie über den Unterschlag traten. Das hätte Er bleiben lassen können, es schickte sich nicht, es gibt andere Mittel, wie ein Bauer gegen seinen Herrn sein Recht sucht. Aber ich habe es ihm vergeben. Er fühlt nun auch, was es heißt, mit den Rechtsverdrehern zu tun zu haben. Köpke, wir wollen die Sache ruhen lassen, versteht Er mich? Er soll nicht mehr nötig haben, die Advokaten zu schmieren, Er soll Sein Geld zu besseren Dingen anwenden. Wir teilen den Strich, wie Sein Advokat damals vorschlug im Termin. Ich gebe nach. Hat Er mich verstanden?«

»Das wäre ja ausverschämt, gnädiger Herr. So soll mich doch der liebe Gott strafen, wenn ich davon Vorteil ziehen wollte, wo es meinem gnädigen Herrn Obristwachtmeister mal schlimm geht.«

»Kein Wort davon!« herrschte der Major ihn an. »Hat Er sonst Bedenken?«

Der Schulze hatte noch Bedenken, denn er schwieg.

»Gnädiger Herr, mit Verlaub,« hob er wieder an, »das war damals. Seitdem das zweite Erkenntnis raus ist, meine ich aber, das paßt nicht mehr, denn von meiner Part ist seitdem mehr bewiesen, der Unterschlag ist gar nicht die Grenze, es ist von alters her der Heidendamm, wie meine Zeugen ausgesagt. Gnädiger Herr, Sie sind ein strenger und gerechter Herr. Sie werden am wenigsten wollen, daß ich gegen mein Recht zu kurz komme.«

Das wollte der Major nicht, er wollte etwas ganz anderes, und eine flüchtige Röte des Unmutes zog über sein gefurchtes Gesicht. Er war ja vom geraden Wege abgesprungen.

»So mag der liebe Gott dem Jungen helfen!« rief er aufstehend.

»Wer weiß, ob es auch hülfe, wenn der Herr Obristwachtmeister ihm das Geld schickten,« hub der Schulze nach einer Weile an. »Was denken die beim Freikorps daran, daß es um ihren Kopf geht, wenn die Franzosen sie mal attrappieren. Wenn nicht zu Pferd, sitzen sie ums Totenkopf- und Kanonenspiel. Sie sagen, der Krieg ist ein Würfeln um Köpfe. Die Verführung ist grausam. Da redet einer den anderen auf. Schickten ihm nun der Herr Major die fünfhundert Taler, und, ich setze, das Geld kommt an, was soll der Herr von Hurlebusch zu seinen Kameraden sagen? Das Geld hab ich von meinem Onkel gekriegt, damit ich mich salvieren soll nach England oder Schweden? Und uns läßt Du in der Brühe zurück, sagen dann die andern. Will er besser sein als wir? Hat der Schwarzrock ihm zu Gewissen geredet? Denn es sind viele drunter, die auch ihr Ehrenwort gegeben haben, und sie denken nicht dran, daß es ihnen den Hals zuschnüren könnte. Mit Verlaub, gnädiger Herr, Sie schmissen da das schöne Geld fort, und wer weiß, wie es Ihnen angerechnet würde, so die Franzosen es erfahren täten.«

Wenn vorhin der Major, so hatte sich jetzt der Schulze dahin reißen lassen, wo er nicht auf seinem Platze war. Einen Willen ehrte der Gutsherr, auch Trotz ließ er in gewissen Fällen gelten, aber Gründe und Belehrung duldete er von keinem Untergebenen. Er brauchte nur des aristokratischen Blickes, den er auf den Schulzen warf, um diesen wissen zu lassen, daß und worin er sich vergangen. Gottlieb Köpke wollte eine Entschuldigung stammeln, ein zweiter Blick gebot ihm Schweigen, ein Wink mit der Hand, daß die Audienz zu Ende sei. Der Schulze blieb dennoch auf der Schwelle stehen.

»Sprach Er darum in Ilitz an?«

Der Schulze wischte mit der Hand etwas übers Auge. »Es war nicht darum, gnädiger Herr. – Aber jeder ist sich doch der Nächste, und wenn ich dem gnädigen Herrn die fünfhundert Taler gäbe, was bliebe mir für meine Söhne?«

»Für Seine Söhne?« fragte der Major und sah mit Verwunderung, daß es wirklich etwas Nasses war, was der Schulz aus dem Auge gewischt. »Wenn Er noch für Seine Marte sagte, aber Seine Söhne –«

»s ist keiner so dämlich, daß es ihm nicht doch mal geschossen kommt. Sie sind weg.«

»Wohin?«

»Zum Schill.«

Der Major war wirklich überrascht; er hätte es von jedem seiner Untertanen eher erwartet, als von Gottlieb Köpkes Söhnen.

»Alle beide?«

»Beide! Es war schon bislang kein Auskommen mehr. Eigentlich wars doch um die Marte. Sie schimpften sich und prügelten sich, das ist schon wahr; aber sie mochten sie doch alle, und keiner gönnte sie dem andern nicht. Da ists nun vielleicht so am besten. Länger gings nicht, nun haben sie was, da können sie drauf losschlagen, alle drei.«

»Drei?«

»Den Quilitzer, ja, den meine ich, gnädiger Herr, der Tunichtgut, der Lamprecht, der ist mit meinen Jungen durchgegangen. Der ist auch an allem schuld; wo was rappelt, da hat er die Nase drin, ein gottloses Maul, und stiftet alles an – damit will ich ihn nicht verreden, denn, was wahr ist, ist wahr, er ist sonst ein Kerl, der was versteht; gesagt haben sies auch nicht, indes man merkt doch auch was, um die Marte wars auch da – und, wie gesagt, derowegen ist es schon so am besten; sie hätten sich sonst untereinander tot geschlagen.«

Der Major blieb vor dem Schulzen stehen und sah ihn durchdringend an.

»Dahinter steckt mehr, Köpke. Wo kommt Er her? Was ist vorgefallen?«

Der Schulze mußte erzählen.

Man weiß heute noch nicht genau, wie es hergegangen, daß General Victor von brandenburgischen Bauern eingefangen, wie können wir Treue und Genauigkeit von der Erzählung des Schulzen Gottlieb Köpke erwarten.

»Der vornehme Herr General trat, das ist schon richtig, mit seiner Suite bei uns ein, als es in Querbelitz nicht Art ist, und einer, der mit knapper Not davonkam, daß er nicht im Schnee versoff, mein ich, hätte auch sanfter sprechen können. Sackermentieren verschlägt bei unseren Burschen nichts, denn fluchen können sie auch. Und warum brachte der General auch den verfluchten Juden, den Moses Landsberger, mit. Den kennen wir ja von den Jahrmärkten her; er hat auch mal gesessen. Und wenn so einer so flunkern und kommandieren will, das vertragen die Bursche nun partout nicht. Der Kaffee wäre angebrannt gewesen, hat der Halunke geschrien. Das glaube ich nun nicht, gnädiger Herr; wenn die Marte den Kaffee macht, dann ist er gut, und die Pferde konnten doch nicht gleich zur Hand sein, ich hatte ja die besten vor den Schlitten gespannt nach Nauwalk.«

»Das hat Er hoffentlich nicht zum Kommandierenden in Nauwalk gesagt.«

»Und so muß es denn wohl gekommen sein, gnädiger Herr. Dem vornehmen General brannten die Dielen unterm Fuße, er stampfte auf, daß er fort wollte, und der Jude wollte auch stampfen, und da war noch einer, ein pockennarbiger Offizier, von kleiner Statur, und schrie immer: fix! fix! Es läßt sich auch nicht alles fixen. Als der Adjutant nun die Marte am Arm faßte, daß sie sich nicht darum zu kümmern hätte, es war falsch, denn die Marte wollte nur zur Ordnung sehen, daß es nicht zum Schlimmsten käme; der Adjutant aber meinte, sie wollte mit drauf los, und das ist grundfalsch, ich habe es ihr ausdrücklich gesagt, daß sie das nicht sollte, und sie ist ein verständig Weib.«

»Er hat Anweisungen gegeben, wie sie die französischen Offiziere traktieren sollten?«

»Gott bewahre, gnädiger Herr! Wie sollte ich, der Schulze, ihnen gesagt haben, daß sie so einen vornehmen General anpackten; ich glaube gar, über den einen haben sie einen Sack geworfen, und den Juden schmissen sie in den Schlitten über sie, als wärs ein Kalb. Wenn der Adjutant nun nicht blank gezogen hätte –«

»Und sie haben –«

»Quer über die Schneefelder gings nach der Bobbiner Mühle. Da standen im Versteck Vorposten von den Husaren. Das wußte der niederträchtige Kerl, der Lamprecht. O, jetzt sind sie schon auf dem Wege nach Kolberg.«

»Und die Franzosen –«

»Die haben das Nachsehen.«

»Nirgend Alarm geschlagen?«

»Das ist noch ein Glück – denn wie ich höre, ists ein General, auf den ihr Kaiser viel gibt, er sollte bald Marschall werden.«

»Ein Glück! – Köpke! – Weiß Er, was Ihr angerichtet? Der Ueberfall im November, das war ein Possenspiel und kostete dem armen Bürgermeister doch den Kopf. Sie müssen – sie werden – Gott weiß, was – unglückseliger Mensch, Sein Haus, Seine Wirtschaft, Sein Kopf – es geht uns allen an den Hals. – Wie Gott will! –«

»Wie Gott will, Amen!« wiederholte der Schulze.

»Wenn Ers hindern wollte, Er mußte es können.«

»Das ist schon richtig, aber so ichs nun hätte hindern können – ich hätte es doch nicht tun mögen.«

Der Major maß ihn wie einen, der anfängt, irre zu reden. Auch über den Vernünftigsten kann der Schuß kommen. Gottlieb Köpke sprach mit leiser Stimme, indem er sich zu ihm beugte:

»Gnädiger Herr, der General trug eine Liste mit sich. Wenn er zur großen Armee kam, wurden alle ausgehoben, die darauf standen. Und darauf sollen gestanden haben alle, die es mit dem Lande und dem Könige gut meinen. Auch des Herrn Obristwachtmeisters Name stand drauf. Auch unsern gnädigen Herrn hätten sie aufgehoben, außer Landes geschleppt, auf eine Festung gesetzt: wer weiß, was noch Schlimmeres daraus worden, wenn – wenn nicht geschehen wäre, was nun der liebe Gott mal beschlossen haben muß.«

Der Gutsherr wandte dem Schulzen den Rücken. Empfindungen, die man nicht bemeistern kann, zeigt ein Herr ungern seinen Untergebenen, am wenigsten, wenn diese Empfindungen so gemischter Natur sind, daß er sich selbst noch nicht darüber klar ist. Er freute sich des tollen Wagestückes als Patriot, und erschrak als Patriot, Mensch und Familienvater vor den Folgen. Er hatte Grund zu glauben, daß die Nachricht des Schulzen richtig war; war aber die Gefahr um deswillen beseitigt? Und mitten in diese ernsteren Gedanken spielte der widerwärtige, daß er seine Rettung dem tollen Gebaren übermütiger Knechte verdanken solle, das er unter anderen Umständen geahndet hätte. Und ein neuer Seitenweg, in den sein Sinnen verirrte: Wenn er es ihnen geheißen, würden sie gehorcht haben? Würden sie nicht zurückgewichen sein, alle die Rücksichten ihm vorgehalten haben, welche jetzt vor ihm aufstiegen? Nein, er mußte sich gestehen, diese trotzigen Querbelitzer, die das auf eigene Hand getan, um ihn zu retten, würden ihn seinem Schicksal überlassen haben, wenn er es von ihnen als Pflicht gefordert.

Von diesen Stimmungen hatte der Schulze nichts bemerk, aber vielleicht geahnt, als der Edelmann ihm wieder sein Gesicht zeigte.

»Warum war Er in Nauwalk?«

»Dem Landrat und dem Kommandierenden habe ich es rapportiert.«

»Daß Er unschuldig ist?«

»Daß wir es alle sind, gnädiger Herr! Daß ein Kerl, der schon von seinem Herrn fortgejagt war, der Quilitzer Kutscher, alles angestiftet, daß er die Bursche betrunken gemacht und verführt hat. Als ichs hörte, denn ich war schon unterwegs, kehrt ich um und wollte die Sturmglocke läuten, da wars zu spät; ich fuhr zu dem Kommando Gendarmen, die in Ritzengnitz einliegen, die hatten aber zu tief in die Keller geguckt und lachten mich aus. Da wars zu spät, als ich nach Nauwalk kam.«

»Da schenkte man Seiner Lüge nicht mehr Glauben? – Ist ein Kommando unterwegs? Weiß er von Verhaftsbefehlen? Davon uns zu avertieren, das wäre vor allem Seine Schuldigkeit gewesen.«

Der Schulze machte eine pfiffige Miene. »Gnädiger Herr, ich glaube, das Gewitter ist hinter die Berge gegangen. Hätt ich doch nicht anders erwartet, als die Herren würden über mich ausgießen, daß ich Hören und Sehen vergäße. Aber sie machten kuriose Gesichter.«

»Kuriose Gesichter! Was meint Er damit?«

»Ich sah wohl, wie sie die Köpfe zusammensteckten und sich ins Fäustchen lachten. Einer trat dann raus und tat, als ob er eine zornige Miene machte: ob ich ihnen einen Fastnachtsschwank aufbinden wollte? sagte er. Ein anderer: es hätte sich wohl irgend ein verlaufener Feldscher oder Barbier mit uns einen Spaß gemacht; der berühmte General Victor werde doch nicht zwei Meilen durch den Schnee stiefeln und in einem Dorf in selbst eigener Person Vorspann requirieren. Da ich nun aber darauf bestand, sie sollten mir ein Zertifikat geben, daß ich die Sache angezeigt, und daß sies zu Protokoll nehmen sollten, was ich ihnen sagen kam, da merkte ichs an ihren Mienen, daß es ihnen gar nicht gelegen kam. Nachher ging einer im dunkeln Gange an mir vorüber und sprach mir ins Ohr: ich täte besser, daß ich von der Sache schwiege, als so viel Aufhebens machte, das könne mir und andern schlimm bekommen, am besten wärs, wenn kein Hahn danach krähte; denn der Herr Marschall, oder was er ist, würde doch zum wenigsten in die Trompete stoßen, daß es der Kaiser erführe, daß er sich von Bauernlümmeln greifen lassen wie ein Bär, der sich in die Baumritze klemmte; wenn er loskäme, würde er wohlweislich schweigen und es heißen lassen, daß er von einer Streifpartie eingefangen worden; warum ich denn anders aussagen wollte? Ich täte am gescheitesten, ein Stück Geld in die Kommandantur zu schicken, dann sollte die Sache vergessen sein.«

»Canaille!« murmelte der Major.

»Nachmalen wurde es mir denn auch gestochen, wie so das war. Der Marschall oder General war unter sie gefahren wie der Besen in den Kehricht, weil nichts sei, wie der Kaiser es befohlen. Das Schreibergezücht, wie sies heißen, das jetzt wieder dort sitzt und ausschreibt für den Kaiser und einstreicht, hatte ihm Katzenbuckel gemacht, hinterher aber Männchen und alles mögliche ihm auf den Hals gewünscht. Denn es soll bei den Franzosen jetzt schon wieder so sein als wie bei uns. Was die hohen Herrschaften befehlen, tun die kleinen nur so lange, als ihnen aufgepaßt wird. Nachher tut jeder, was er Lust hat und ihm Vorteil schafft, nicht seinem Herrn. Sag ich doch just als es bei uns war, wenn der König ein Edikt gab, daß es uns besser ginge, und die Lasten uns abgenommen würden, die den Bauer drückten. Ja, wenns an die Herren kam, dies ausführen sollten, und an die Kammern und an die Landräte, und reskribiert ward hin und her, und demonstriert und redemonstriert –«

Der Schulze verstummte plötzlich, weil der Gutsherr ihn wieder mit einem Blick betrachtete, der Gottlieb Köpke die Zunge verschloß. Ein Blick wars, der sagte, daß er nichts mehr hören wollte, er lud ihn auch nicht ein, was er doch Sonntags tat, zum Mittagstisch zu bleiben. Er warf sich wie erschöpft aufs Sofa, das auch, erschöpft durch die Jahre und den Gebrauch, knackte: »Es will alles aus seinen Fugen gehen!«

Warum mußte auch zum zweiten Male dem Querbelitzer Schulzen die Zunge durchgehen!

Und war denn das Gewitter wirklich vorüber? Im Hofe war es laut geworden. Der Colonel rief aus dem Fenster seinem Adjutanten. Dieser kommandierte den aufgestellten Reitern. Ein Unteroffizier trabte mit seiner Rotte durch das Hintertor. Man hörte die Worte: Nach Querbelitz!

Die Blicke des Majors und des Schulzen hatten sich wieder getroffen. Dieser trat einen Schritt dem Edelmann näher.

»Gnädiger Herr! Dieser Colonel da hält es nicht mit der Schreiberwirtschaft.«

Sie verstanden sich. Warum war der Obrist gerade hier mit seinem Kavallerieregiment eingelegt? Warum in diesem Augenblick, wo man wußte, daß er zur Verfolgung des Streifkorps kommandiert war? Diese schwärmten um viele Meilen nördlich. Galt der militärische Besuch dem Edelmann?

Der Schulze öffnete die Lippen, aber schwieg. Dennoch verstand ihn der Gutsherr.

»Sorg Er für sich, Köpke, ich werde für mich sorgen. Es taugt nicht, wenn der Bauer für den Edelmann denken will. Merk er sich das. Es taugt überall nicht, wenn der Bauer denkt! er soll arbeiten, seine Schuldigkeit tun, gehorchen. Wir sind da, daß wir für ihn denken, so hat es Gott gefügt, und dabei wird Er sich wohl befinden. Gott mit ihm.«

< Jede Schlacht fordert Präparationen.
Die Einquartierung. >



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