Frei Lesen: Isegrimm

Kostenlose Bücher und freie Werke

Kapitelübersicht

Die Schwedenschanze | Die Blutsteine. | Der Quilitzer Knecht. | Die Querbelitzer Schenke. | Schemelbeine. | Isegrimms Haus. | Isegrimm. | Eine Rückfahrt. | Alte Geschichten. | Die erste Nacht in Haus Ilitz. | Eine Erscheinung im Walde. | Der Ball muß sein. | Zwei Anstands-Visiten. | Malchen. | Ein Wetterstrahl im Ratskeller. | Zum Ball oder nicht zum Ball? | Die Ouverture zur Ballmusik. | Die Ballnacht. | Vorm Scheunentor. | Im Schnee. | Jede Schlacht fordert Präparationen. | Schulze und Edelmann. | Die Einquartierung. | d'Espignac. | Der kleine Krieg. | Der Versucher im Hause. | Scheiden. | Ritter und Reiter. | Wendisch oder germanisch. | Das Schwert des Cid. | Der Beichtvater. | Chaotische Besuche. | Der unbegreifliche Brief. | Das Vaterland und bürgerlichen Offiziere. | Die Brücke in die Zukunft. | Eine deutsche Konversation. | Nachtgespenster. | Der Krieg ist nicht Zeit zu Hochzeiten. | Das Ahnenbild stürzt. | Ein verhängnisvoller Brief. | Die Katastrophe. | Ein Doppelgänger. | Eine dunkle Tat. | Ein politisches Geheimnis. | Ihr von Ilitz, Ihr von Ilitz, Solltet nimmermehr nach Quilitz! | Ein Gewitterschlag. | Ein ernstes Zwiegespräch. | Friede und Resignation. | Nach sechs Jahren. | Von Hochgezieten. | Gräfin Heilsberg. | Querl. | Schluß. |

Weitere Werke von Willibald Alexis

Der Werwolf | Der neue Pitaval - Neue Serie, Band 4 | Der falsche Woldemar | Walladmor | Der neue Pitaval - Neue Serie, Band 9 |

Alle Werke von Willibald Alexis
Diese Seite bookmarken bei ...
del.icio.us Digg Furl Blinklist Technorati Yahoo My Web Google Bookmarks Spurl Mr.Wong Yigg


Dieses Werk (Isegrimm) ausdrucken 'Isegrimm' als PDF herunterladen

Willibald Alexis

Isegrimm

Ritter und Reiter.

eingestellt: 25.7.2007

Achtundzwanzigstes Kapitel.

Ritter und Reiter.



Wären alle Wunden so leicht zu heilen gewesen als die des Colonel! Die im Hause Ilitz gingen tiefer. Auf den Gesichtern seiner Bewohner aber merkte man sie nicht. dEspignacs Befürwortung mußte man es verdanken, daß der Troß der eingelagerten Gäste sich bald verzogen, ja, der Obrist hatte, in Berücksichtigung, daß Dorf Ilitz so viel gelitten, dahin gewirkt, daß es in nächster Zeit von aller Einquartierung verschont blieb.

Als er das Bett verlassen konnte, hatte er in einem verbindlichen Billet den Major ersucht, ihn in seiner Kutsche nach Nauwalk fahren zu lassen; er fühle, wie schmerzlich die Anwesenheit eines Mannes sei, an den für die Familie so traurige Erinnerungen sich knüpften. Der Major hatte darauf freiwillig einen Besuch in des Colonels Stube gemacht, wo beide sich bald verständigt. Wäre es auch dem Hausherrn nicht bekannt geworden, daß der Obrist einen Schritt getan, um Theodor zu retten, so hatte er ja keine Schuld und keinen Teil an dem – was der Krieg und seine Gesetze mit sich bringen. Der Militär hatte mit dem Militär freiwillig Hände geschüttelt. Ja noch mehr, er fand jetzt zum erstenmal, daß die alte verräucherte Stube für einen Offizier seines Ranges unpassend sei; er bot ihm einen Tausch mit einer geräumigeren im Hauptgebäude an, der – freieren Aussicht wegen. dEspignac hatte freundlich gedankt: er liebe gerade solche alten Zimmer. Mit einem Seufzer setzte er hinzu:

»Ich ward auch in einem geboren wie dieses, und vielleicht noch etwas älter; leider ist es zerstört. Es blieb kein Stein davon.«

Er ging leicht darüber hinweg, zu einem anderen Gegenstand. Der Wirt fragte, ob es in seiner Macht stünde, zu seiner Erheiterung und Unterhaltung etwas zu beschaffen. »Sie gaben mir schon viel,« war die Antwort, indem er auf die Bücher an der Wand wies. Einige lagen aufgeschlagen auf dem Tische. Die theologischen Disputationen aus dem siebzehnten Jahrhundert, Streitschriften zwischen Reformierten und Lutheranern konnten ihn unmöglich interessiert haben, es mußten daher wohl die heraldischen sein, welche seine Aufmerksamkeit so beansprucht, daß er den Major versicherte, er finde für sich sehr viel Belehrendes darin.

Als er der Familie, den Arm in der leichten Binde, seinen ersten Besuch abgestattet, und die Hausfrau ihr Bedauern ausgedrückt, daß er in der weiten Fremde die Sorgfalt und Pflege lieber Verwandten werde entbehrt haben, die durch nichts zu ersetzen wäre, hatte er mit seinem Lächeln erwidert: »Ei, gnädige Frau, ich war unter Verwandten.«

Die gnädige Frau war erstaunt, aber die Familie und auch der Major gingen darüber hinweg wie über eine leichte Plaisanterie, als er erwähnte, daß zur Zeit der Bluthochzeit die Witwe eines ermordeten du Rozieres mit ihren Kindern bei den Latour dEspignacs ein Asyl gesucht, und daß man die eine der lieblichen Waisen nicht wieder hinausgelassen. Sie hatte einen Sohn aus der Familie geheiratet. »Freilich, war doch Adam unser aller Vater,« hatte er scherzend das Gespräch geschlossen.

Der Colonel genas, er konnte wieder reiten. Wir sehen ihn eines Tages an der Seite seines Wirtes durch die Heide streifen. Er teilte diesem mit, daß er vorhin einen unerwarteten Spezialauftrag erhalten, der, unter andern Verhältnissen ihm schmerzlich, jetzt angenehm käme, ihm daher erlaube, noch länger bei seinen edlen Gastfreunden zu verweilen. »Ich soll nicht zur Armee. Gute Freunde gönnen mir nicht die Aussicht auf Ruhm, indem sie mir hier einen Polizeidienst zugewiesen haben. Ich soll die Strömungen in dieser Provinz beobachten, und da es mir gelungen, die verlorenen Parteigänger zu unterdrücken, hoffe man, daß es mir ebenso gelingen wird, die inneren Bewegungen und Lebenszeichen der Patrioten zu überwachen. Eigentlich ein Spionendienst, aber was ist denn der Ruhm in der Armee! Genug, ich gehorche und hoffe, daß man mir einen leichten ausgesucht hat. Ich behalte mein Quartier in Ihrem Hause, Herr Major, weil ich da am sichersten bin, daß ich nichts zu rapportieren haben werde. Nicht wahr?«

Der Herr von Ilitz schlug in die leicht dargereichte Hand. »Sie kennen meine Grundsätze. Sie wissen, wie ich den Schmerz empfunden, aber auch glaube, überwunden zu haben, den unüberlegter Jugendmut meinem Hause bereitet hat.«

Sie ritten eine Weile schweigend nebeneinander, der Colonel schien erheitert, er ließ sein Pferd courbettieren; der Major war ernster, fast bewegt gestimmt.

»Mein Herr dEspignac,« hub er nach einer Pause an, »ich liebe nicht, wenn die Empfindungen auf der Zunge schwimmen, aber Sie nötigten mich, aus der Regel zu fallen. Ihr Vertrauen, es ist ein sehr großes, Ihr Benehmen gegen meine Familie beschämt mich, vergessen Sie, daß ich nicht ebenso Ihnen entgegenkam, daß ich vergaß, daß auch in einem Bonaparteschen Offizier der Kavalier nicht untergegangen zu sein braucht, wenn er vorher ein wahrer Edelmann war. Mein Herr, ich bereue selten etwas, diesmal empfinde ich Reue.«

Mußte dem Pferde des Colonels etwas in den Weg gekommen sein, oder zwang ein unwillkürlicher Schenkeldruck des Reiters es zu der seltsamen Bewegung, die es in die Lüfte machte, um doch gleich wieder, von seiner kräftigen Hand gelenkt, sich schmiegsam neben dem des Majors zu halten? Aber ein Beobachter, der nicht da war, hätte zugleich einen ganz eigentümlichen, leuchtenden Zug um Mund und Augen des lebhaften Südländers bemerkt, den er sich bei dieser Gelegenheit ebensowenig erklärt haben würde als das Aufschnalzen mit der Zunge. War es Lust, Zorn bei einer aufsteigenden Erinnerung? Jedenfalls war es nur eine momentane Wallung; wie Pferd und Reiter in ihre vorige Haltung, so war auch bald das Gesicht des letzteren in den vorigen melancholischen Ernst gesunken. Vielleicht findet man eine Erklärung für das auffallende Benehmen des Fremden in dem Folgenden, was er mit offenbar bewegter Stimme sprach.

»Bereuen Sie nichts, ich verdiente es; nicht jetzt, aber ich habe es verdient. O, mein Herr, Vertrauen gegen Vertrauen! Wenn Reue zur Pflicht gegen uns selbst wird, ist sie an mir; und doch bin ich oft mit mir uneinig, ob wir denn für unsere Handlungen, die wir, vom Zeitstrome fortgerissen, begehen, einstehen müssen, ob da nicht eine unsichtbare Macht über uns waltete, die unser Advokat sein muß vor uns selbst. Was ich bin, ist vor Ihnen kein Geheimnis, obwohl ich es vor meinen Kameraden, Oberen, Soldaten, wenn nicht gerade verberge, doch nicht zu Tage legen darf. Es ist vielleicht auch das unrecht; doch davon ist hier nicht die Rede. Das aber war ich, durch Geburt, das heilige Recht des Blutes, und was ich dazwischen geworden, wer löscht die Erinnerung aus!« – Nach einer Pause, in der er Worte zu sammeln schien, fuhr er mit trockener Kürze fort:

»Ich war ein Jakobiner, mein Herr von Ilitz, ein so hitzköpfiger, toller, wie nur einer, auf meinem Kopfe leuchtete die rote Mütze, in den Klubs hielt ich Reden, von Gleichheit, Freiheit, Blut, Priester- und Königshaß sprudelten sie, ich habe die Carmagnole getanzt, die Göttin der Vernunft adoriert. – Nun, Sie haben die Geschichte unseres Wahnsinnes gelesen; der Tropfen hat nur die Farbe des Meeres. Hatten Sie das erwartet, Herr von Ilitz? Ich frage mich oft, wie war das möglich, und habe keine Antwort.«

Der Major hatte ihn ruhig, ohne Zeichen der Verwunderung und des Affektes, angehört.

»Die Antwort schickten Sie ja voraus. Es gehören festere Grundsätze dazu, als die Pädagogik unseres philosophischen Jahrhunderts der Jugend einimpft, um dem giftigen Strom der revolutionären Grundsätze zu widerstehen; es sind andere, größere, höhere als Sie, Herr Marquis, der Ansteckung erlegen, und gerade diese waren es, welche das Verderben über die Völker gebracht. Sie werden es zu verantworten haben, daß sie das Götzenbild Staat aus dem Altertum in unsere germanische Welt zitierten, wodurch mit den Worten die natürlichen Begriffe verschwanden. Sind wir, ist der Bürger, Bauer, der Tagelöhner, der von der Hand in den Mund lebt, glücklicher, weil man ihnen die hohlen Begriffe Menschenwürde, Gleichheit, Freiheit, Staatsbürgertum und Gott weiß was, eingeimpft hat, statt –«

Der Obrist wehrte mit der Hand. »Was diese Schmerzen neu wecken, wo der alte Irrtum noch wie das geile Unkraut wuchert! Wir brauchen uns doch darüber nicht zu verständigen.«

»Trösten Sie sich,« fuhr der Major fort, »auch unsere jungen Offiziere sangen Freiheitslieder vor der Rheinkampagne. Ich selbst, ich schäme mich nicht, es einzugestehen, ich pfiff einmal bei einem Weingelage mit! Nur einigen Oesterreichern zum Possen. Ich bereue es wie Sie, wir sind dafür gestraft. Aber ich versichere Sie, von allen unsern Offizieren, welche damals ihre Kehle anstrengten, heute singt keiner mehr das ça ira. Gründlich kuriert wie Sie, Herr Marquis. Denn Sie stürzten sich um deshalb in die Kriegskarriere; das taten viele französische Edelleute, wenn sie nicht emigrierten. Ich vergebe Ihnen sogar Ihren Enthusiasmus für den Kaiser. Wer im Ertrinken ist, fragt nicht, wozu das Brett oder der Strick vorher gedient, er greift zu.«

War es aus Courtoisie, oder um seinen Fehler gutzumachen, daß der Herr von Ilitz sich in einer Art Apologie für Napoleon, freilich immer bedingt, erging: »Das bleibt ihm, er hat die andere Canaille totgeschlagen, und er ist von Familie – gegen den Adel der Bonapartes ist nichts einzuwenden.«

»Schlagen Sie den so hoch an?« entgegnete der Colonel nach einigem Nachdenken. »Mir erscheint der Adel dieser korsischen Familien nur wie ein Clanadel, weder getragen durch einen historischen Ursprung, noch besiegelt durch Anerkennung.«

Der Herr von Ilitz sah ihn etwas verwundert an. »Aber, Marquis, das ist ja der älteste Adel, der, auf ureigener Scholle wurzelnd, sich in die Nebel der Vergangenheit verliert. Was braucht er Briefe, Pergamente, Titel und Abzeichen, wenn jeder ihn kennt. So ist auch der englische Adel –«

»Aber nicht der ganze. In meinem Sinn ist der echte Adel, ich meine den, dem wir angehören, ein Kind des Krieges, der glücklichen Eroberer, welche aus ihren Urwäldern und Klippenküsten mit Jugendkraft die abgestorbene Welt zerschlugen und unter sich teilten. Verzeihen Sie, mein normannisches Blut sprudelt zuweilen auf; ich kann es mir nicht anders vorstellen. Jene erobernde Ritterkaste, ihren Herzögen folgend, war die jugendliche Blüte des Volkes. Statt des alten Daseins in der dürftigen Heimat, schufen sie sich da, wo die Sonne heller scheint, eine neue Welt mit dem Zauberstabe Schwert; sie gaben ihre Gesetze, die Gesetze, denen die Welt bis zu der unglückseligen Revolution untertan war. Alles in schöner Gliederung der Stände, wie ein wohlgefügter Harnisch, der als Ganzes eins ist, in seinen Teilen aber dem natürlichen Körperwuchs angepaßt; die Beinschiene paßt nicht auf den Arm, der Helm nicht auf das Knie. Um den Kriegsfürsten scharten sich seine Paladine, in Tapferkeit und edler Sitte stets in edlem Wettkampf. Sie lernten und lehrten das Leben genießen, in steter Abenteuerlust. Es gewinnt erst seinen Wert, wenn wir es wie eine Fahne über die Schanze schleudern, und stürmen, um es wieder zu erobern. Die kühnen Söhne zogen aus, die Väter und alten Gevattern blieben daheim sitzen bei ihrem Hafer und Kohl in alter Gleichheit und Trägheit, bei tausendmal erzählten Sagen und Angewöhnungen. Das junge Geschlecht macht sich seine Sagen selbst durch die Taten; nichts von Trägheit, nichts von Gleichheit; es schuf sich Genüsse, von denen jene Seßhaften nichts wußten, Genüsse für sich, die auch für andere wurden; so wurden sie in ihren Ritterspielen, Minne- und Ritter-Höfen zugleich die Beglücker, Wohltäter des Menschengeschlechts, die Förderer der neuen Kunst und Kultur. Das ist mein Rittertum, mein Adel; ohne einen Kriegsfürsten kein Adel, denn die Glieder sind nichts ohne das Haupt, und wenn Sie meine Ansicht billigen, entschuldigen Sie auch wohl, daß faute de mieux mancher gute Edelmann Napoleons Stern mit einer Art Fanatismus folgt. Ich, wie gesagt, habe es so weit noch nicht gebracht.«

Mochte der Major die Ansicht des französischen Edelmannes nicht ganz billigen, und merkte dieser es? Er schien einzulenken.

»Soviel ich Ihre Verhältnisse verstehe, müßten Sie mir beistimmen. Was waren die adligen Geschlechter dieses Landes anders als das Heergefolge der deutschen Kaiser und ihrer Markgrafen, ihrer Ritter und Vasallen, die mit ihnen auszogen zur Eroberung der Slavenländer. Die Markgrafen setzten sie auf dem eroberten Boden ein, um ihn zu schützen und zu kultivieren!«

»Nicht alle, mein Herr.«

»Ich weiß, es blieben auch wendische Familien auf ihrem Eigenen sitzen, die sich zu guter Zeit unterwarfen und mit den Siegern vertrugen; das sind doch aber nicht die wahrhaften, echten Adelsgeschlechter.«

»Es ist einer der schwierigsten Punkte, auszumachen –«

»Welche Familie deutscher, welche wendischer Abkunft ist,« unterbrach der Franzose. »Ich weiß es. Aber die Ihre ist doch echt germanischen Ursprungs, wenn nämlich die Angaben in jenem Quartanten –«

War es dem Colonel darum zu tun gewesen, seinen Wirt auf ein Feld zu locken, wo seine Zunge mit seinen Gedanken und Empfindungen durchging, so hatte er seinen Zweck erreicht. Er fiel dem Gast ins Wort, um von vornherein jeden Verdacht gegen den Verfasser des Quartanten abzuschneiden.

»Wenn die Kritiker nur etwas zerstören können, was fest steht! Was ist denn fester als die Tradition, die durch Jahrhunderte geglaubt wird! Ist ein Blatt beschrieben Papier ein besserer Beweis! Ich muß gestehen, daß ich jetzt vor allen Chroniken und Historienbüchern eine Art Mißtrauen bekomme, wenn ich an die Windbeutel denke, die über die Dinge von heut schreiben, ohne eine Sterbenssilbe davon zu verstehen. Jener Skribent aus dem Ende des vorigen Jahrhunderts ist allerdings eine ehrliche Haut, er schrieb, was die feinen Herren heut nennen würden, ohne Kritik; das heißt, er brachte zu Papier, was er hörte und was damals geglaubt wurde. Mehr hat ein Historiker nicht zu tun; was er von seinem Glauben und Guthaben hinzutut, schenke ich ihm, denn jeder Leser ist im Grunde genommen doch wieder selbst Kritiker und glaubt entweder oder verwirft, was er liest; wozu also der Kohl und Schaum vorher, den man erst fortwerfen muß, um zum Fleisch zu gelangen!«

Sie waren auf eine kleine Anhöhe gekommen, nördlich vom Gute, von wo man nach Mittag eine ziemliche Uebersicht der von uns oft beschriebenen Oertlichkeiten hatte. Wenigstens sah man deutlich die grauen Mauern des Hauses Ilitz, von den hohen braunen Rüstern wie von einem Netzwerk umstrickt. Auch ragte der Spitzturm von Querbelitz aus den Höhenzügen vor, welcher das dahinter liegende Moor halb verdeckte, während seine Anfänge und die Hügel, welche die Quierlitz teils durchbrach, teils umwässerte, nach links zum Vorschein kamen. Dorthin mochte man über Moor und Felder am Horizont, wenn ein Sonnenblick darauf fiel, ein großes, leuchtendes Haus entdecken, es war das neue, jetzt aber schon wieder sehr veraltete Herrenhaus von Quilitz.

Der Major, der zur Erörterung eines ihm ans Herz gewachsenen Themas nur Luft schöpfen wollte, strengte doch das Auge an, als beschäftige ihn etwas beim Anblick eines Hauses, das sein Fuß nie betreten. Er glaubte eine Bewegung daselbst zu sehen, die er sich nicht erklären konnte, es mußte wohl eine Täuschung sein, als er ruhig anhub:

»Sie wurden in der kurzen Zeit bewanderter in unsern Verhältnissen, als es, Gott seis geklagt, viele unserer Gutsbesitzer sind. Dieser Sandboden war unserer, soweit der Lehnsverband Eigentum gewährt. Was haben wir noch davon! Unsere Lehnsherren wechselten, wir nicht, das hat die Verhältnisse verrückt. Man spöttelt jetzt darüber, daß unsere Väter bei jeder Huldigung ihre Gerechtsame und Privilegien sich gewährleisten ließen, weil man meint, was recht sei, das bleibe es auch gegen jeden Erbfolger. An der Geschichte unserer Adelsgeschlechter könnten die weisen Herren das Gegenteil studieren, wenn diese Theoretiker überhaupt einen Begriff von Recht hätten. Ich rede nicht von dem, was die ersten Hohenzollern uns antaten. Sie kamen als Eroberer, und darüber ist Gras gewachsen. Ich will es nicht ausreißen. Aber was ist seitdem geschehen, wie hat man an unserm Fleisch und Blut gesogen und gezwickt, als wäre der Rittergutsbesitzer nur da, um Fourage für den Unsinn zu liefern, der an den grünen Tischen ausgeheckt wird. Und das wird immer toller. Was nahm man uns unter dem Soldatenkönige Friedrich Wilhelm I. Der große Friedrich regierte, als ob wir nicht da wären, und unser gegenwärtiger, gnädiger, guter Herr, dem Gott wieder Glück und langes Leben schenke, möge er es dazu anwenden, wieder gutzumachen, was seine schlechten Räte schlecht gemacht haben. Aber auch dazu ist keine Aussicht. Was haben wir denn noch, möchte man fragen, nachdem sie uns alles genommen? Unter dem Kurfürsten das Recht, mitzusprechen in den Dingen, die uns angehen. Die Stände, die sich unterstanden, zu meinen, daß Gott ihnen einen Mund gab, um zu reden, und jeder ein Recht, für sein verbrieftes Recht sein Advokat zu sein, schmiß man in das Cachot, man holte sie mit Stricken und Zangen aus der Fremde, um sie aufs Schafott zu schleppen. Ich will aber auch darüber das Gras wuchern lassen, der neuere Begriff Majestät verblendete die Geister, es war eine Wahnkrankheit wie die, welche Ihnen, Herr Marquis, die rote Mütze auf die Stirn drückte. Was soll Kalksteins verspritztes Blut meines in Wallung bringen, wenn seine Söhne und Enkel nicht anstanden, demütigst um Verzeihung zu bitten, daß ihrem Vater ein Unrecht geschehen. Wer zum Dienen und Apportieren Lust hat, was habe ich alter Tor ein Rechte ihn zu hindern, daß er ein Pudel wird! Ach, mein Herr Marquis, man möchte oft an der Menschheit verzweifeln, und die Edelleute sind leider auch nur Menschen. Aber – aber was sind wir, wo nicht einmal ein bissiger Hund sich aufrichtete, als man uns eine Steuerfreiheit nach der andern nahm. Mit meinen Arm und meinem Blut, auf meinem Roß, und mit so und so viel Mannen hatten die Quarbitz auf Ilitz die Verpflichtung, zu ihrem Lehnsherrn zu stehen, wenn er in den Krieg rief, und ich meine, die Verpflichtung war auch ein Recht. Meine Väter nahmens wenigstens so. Wer gab nun dem Könige, der eigensinnig seine Souveränität auf einem rocher de bronce stabilieren wollte, statt auf den Herzen seiner Vasallen, ein Recht, ohne uns zu fragen, dies Verhältnis zu changieren, und statt unserer Dienste das Ritterpferdegeld zu fordern? Wenn ich nun die achtundvierzig Taler nicht zahlen will, wenn ich mein Blut dafür geben will! Kann ein Monarch mehr fordern? Aber es ist auch damit noch nicht getan, wir werdens erleben, und man wird uns auch das letzte nehmen, wodurch wir dem Könige und dem Vaterlande noch nützen können – unsere Bauern. Immerhin, man mag uns auch unsere Söhne, Töchter, Frauen, uns selbst nehmen. Das wäre am gescheitesten und der kürzeste Prozeß.«

Die Galle war dem Herrn von Ilitz durchgegangen. Das kam wohl vor; aber es war vor einem Fremden, einem Feinde! Mochte dieser zuerst den Verstoß fühlen, der seinem Gastfreund, wenn der Impuls vorüber, ein Schamgefühl zu Gesicht treiben mußte? – Er lenkte schnell vom Gegenstande ab. Ob das preußische Land allein von diesen Uebeln gelitten, ob der zerstörende Druck von oben auf die bestehenden Verhältnisse nicht durch das ganze Volk gehe? Was die Regierung der preußischen Könige dem Adel angetan, hätten sie gewissermaßen in ihrer Eigenschaft als Kriegsfürsten wieder gutgemacht. Als berühmte Feldherren und Helden gäben sie dem Adel, den sie in seinen ständischen Rechten niedergedrückt, wieder eine Bevorzugung, die ihn an seine alte Bestimmung erinnert. Es können doch nur Edelleute Offiziere werden?

»Wenn man uns das noch läßt! O, es ist deshalb Geschrei. Als ob die Bürgerlichen nicht genug hätten, daß man sie unter Husaren läßt. Die Artillerie steckt ja ohnedem ganz voll.«

Dem Franzosen entfuhr ein leichter Seufzer, indem er das Wort Artillerie wiederholte.

»Man könnte meinen, diese eine Waffe habe mehr und zerstörender eingewirkt auf die bestehenden Rechtsverhältnisse als Rousseaus, Voltaires und Paynes revolutionäre Ideen. Das Rittertum ging an ihr unter, jüngst auch das Königtum. Auch die Schlösser des märkischen Adels wurden ja wohl durch eines dieser furchtbaren Instrumente niedergelegt, gegen welche Manneskraft nicht ausreicht?«

»Es wäre auch ohnedem geschehen. Ihre Kraft war zu stark, nachhaltig. Dazu war das eiserne Geschlecht klug, sie hatten durch Versprechungen die Städte auf ihre Seite zu bringen gewußt, und das Krämervolk half dann redlich schon damals mit auf uns losschlagen. Merkten so wenig als jetzt in ihrer gemeinen, heimtückischen Freude, daß sie mit den Schlägen gegen den Adel sich selbst in den Nacken schlügen. Von welcher ehemaligen Macht sprechen die Mauern, Türme, Rathäuser dieser kleinen Provinzialstädte, und was steckt jetzt dahinter? Kehricht und Armut. Das haben sie davon geerntet, daß sie vom Adel sich lossagten, denn sobald die Hohenzollern mit uns fertig waren, ließen sies die Bürgerherren entgelten, daß sie einmal in die Notwendigkeit versetzt gewesen, mit Schneidern und Schustern Alliance zu schließen.«

»Das geschah auch wohl sonst in der Welt, Herr Baron. Um ihr Mütchen an den Edelleuten zu kühlen, ließen und lassen sie sich von den Fürsten das Netz bis über die Ohren ziehen, und die Schneider und Schuster wurden niemals klug. Scheinen doch andererseits die Städte überhaupt, mit oder ohne Gelehrte, mit destruktiven oder ohne Ideen, zu unseren unversöhnlichsten und schädlichsten Feinden destiniert.«

»Die unversöhnlichsten mag sein, die schädlichsten, das wurden wir selbst. Wo hält noch die Ritterschaft zusammen? Wo blieben jene Einigungen aus dem Mittelalter, durch die wir uns stark erhielten? Nicht, weil man uns einigemal gesprengt, auf den Kopf geschlagen, sondern weil uns der Mut darauf verging, darum sind wir unterlegen, Nur, weil wir nachgaben, freiwillig unser geheiligtes Recht fallen ließen, schwoll die Fürstenmacht zu der unnatürlichen Stärke an, die endlich alles Lebendige des ständischen Lebens erdrückte oder mit sich fortriß. Wenn einmal einer wagte, seine Stimme zu erheben, wie gafften sie ihn erschrocken an, sie freuten sich wohl innerlich, daß er den Mut hatte, aber sie selbst hatten ihn nicht, blieben mäuschenstill. Sie warteten ab, ob es gelingen würde, und damit ging alles verloren. Dies Abwarten, Marquis, ist der Rost, der unseren Stahl zerfressen hat. Sie möchten wohl, sie reden schön und frei, aber wenns zum Handeln kommt, wollen sie erst sehen, wohin sich die Wage neigt. O, diese herzliche Maxime: einer kann doch nicht gegen den Strom schwimmen, man muß nicht aufsässig sein, wenn man sieht, daß alle sich unterwerfen, man verschwendet seine Kräfte ohne Not und schadet seiner Sache, statt ihr zu helfen – – das hat unseren Stand untergraben und verdorben.«

»Unseren allein?« lächelte der Obrist. »Wenn der rauschende Strom alles mit sich fortreißt, gehört eine heroische Freiheit dazu, sich gegen ihn zu stemmen. Fordern Sie die von den Menschen?«

»Nein, aber vom Ritterstande; ich setze sie beim wahren Ritter voraus, als sein Patrimonium. Er soll sich nicht in den Wirbel stürzen wie der tolle Curtius, so wenig als mit den Windmühlenflügeln kämpfen, wie Don Quichote, allein er soll seiner Ritterpflicht eingedenk sein gegen oben wie gegen unten. Ich stand einmal so gegen meinen König. Es hat mir eine Woche Festung eingetragen, und ich quittierte den Dienst. Hätten nur fünfzig, nur zehn Gutsbesitzer, die über die Verordnung damals lauter schrien als ich, nämlich in ihren vier Wänden, zu mir gestanden, es wäre anders gekommen. Zeter schrien sie freilich, brauchten Ausdrücke gegen die Majestät die ich nicht wiederholen will, schworen alle, mit mir nach Berlin zu ziehen, um am Thron ein Wort zu sprechen, das im Lande widerklingen solle, aber als ich Anstalt machte, kamen nur zwei mit. Die besannen sich aber auch unterwegs, daß einer doch nur das Wort führen und einer so gut als drei sprechen könne.«

»Hat man Ihnen nicht auch eingewandt, daß eine solche Protestation in Masse wie eine Konspiration ausgelegt werden könne?«

»Nein, das nicht, aber mein Vetter, der Quilitzer, reiste mir nach und beschwor mich, es nicht selbst vorzubringen, sondern unser Anliegen einer Hofdame, oder wars einer Kammerfrau der Königin, zu übergeben. Wenn die es zu gelegener Stunde vorbrächte, könnten wir des Erfolges gewiß sein. Gewiß hatte mein Vetter recht, es ist ja ein kluger Mann; durch seine Kammerkatzen hätte er es durchgesetzt, und ich setzte es nicht durch, sondern kam auf die Festung und um meinen Dienst. Aber wenn heute der Fall wieder wäre, ich würde auch heut keine Kammerfrau und keine Hofdame inkommodieren, sondern mir selbst den Bescheid holen. Wenn alle Edelleute dieses Sinnes wären, Herr Marquis, dann gäbe es heut noch einen Adel. Wir selbst haben uns aufgegeben. Nicht die Schwachherzigen, die sich durch Kammerherrenschlüssel, Pensionen, Bänder, Aemter, Rücksichten abziehen lassen, nicht die Abtrünnigen und Verräter sind der schadhafte Fleck, – den stößt man ab, wo der Körper gesund ist, – aber unser Korpus ist es, der an der Mattherzigkeit siecht, am Unglauben an uns selbst. – Was verspielt ist, dem sollen wir nicht mehr nachlaufen, eine Einigung wie vor dem Kremmer Damm ist nicht mehr möglich, und auch die Sprache des alten Burgsdorf gegen den Kurfürsten wäre nur eine antiquirierte, aber es gäbe noch immer Positionen, wo wir uns halten könnten und einen Teil unserer alten Stellung wiedergewinnen. Das hat keiner auch nur mal versucht. Unter dem vorigen Könige, statt von dem Schand- und Schlammhaufen am Hofe sich zurückzuziehen, in grollender Würde auf ihren Gütern, wenn sie keinen lauten wagten, einen stummen Protest einzulegen, intrigierten sie lieber, um durch eine Maitresse die andere zu verdrängen. Die neue adlige sollte gut tun, was die bürgerliche uns schlimm getan. Welche Hebel wurden da nicht in Bewegung gesetzt, und was war das Resultat? Wind um Wind! Ich dankte dafür. Was haben wir getan, als die Clique Aug und Ohr des jungen Königs immer enger umstrickte? Sie schwänzelten und girrten um die Lombards, Haugwitz, Lucchesini, wie sie um die Riez und Schulzky, und wie die Menschen hießen, geschwänzelt hatten. Nun, nicht alle, aber schlimm genug, daß es einige taten, und schlimm, daß die anderen zu scheu waren, sie auszustoßen. Was ist eine Kette, kann jedes Glied tun, was es Lust hat, ohne die anderen zu beflecken? Wenn Glieder mit der Canaille Hand schütteln, schweißt der Schmutz durch die anderen. Wir sahen die Früchte, und was taten sie neulich, was tun sie jetzt? 1805, als der Degen uns halb aus der Scheide fuhr, da wärs an der Ritterschaft gewesen, ihn ganz rauszureißen. Das durften auch Vasallen, wo sie sahen, daß ihr Lehnsherr eines Vormundes bedarf: das war nicht Felonie, es ist in guter alter Zeit oft geschehen. Da dachten sie an ihre gesegneten Felder, an den lieben Frieden – das ist der Weg zum ewigen Friedhof für die Nationen. Und auch diesmal, was haben wir denn eigentlich getan, um dem Könige Mut einzublasen? Hofkabalen bei dieser und jener Prinzessin, Lieder, Toaste, gewetzte Degen an Türschwellen; hie und da opferte ein Edelmann so und so viel Malter Korn und Stroh auf dem Altar des Vaterlandes. Und das Elend, daß so viele, sonst brave, tüchtige Männer nicht lieber sterben wollten, als im Elend fortleben! O, das hat uns eine Wunde versetzt, die lange, wenn nicht ewig, in Preußen bluten wird. Und was tun wir jetzt?«

»Sie fügen sich, wie die anderen Stände, in das Unvermeidliche,« fiel der Obrist ein.

»Den anderen Ständen überlaß ich diese Raison, mein Herr Colonel. Ihr Interesse ist ihr Götze. Wir sollen nicht vom Roß unter unseren Lenden uns fortreißen lassen, sondern es gegen seinen Willen dahin treiben, wo unsere Pflicht ruft, denn umsonst ist nicht das Symbol unseres Standes, der Sporn

Damit schien das Gespräch zu Ende, denn der Herr von Ilitz hatte unvermerkt die Sporen seinem Tier in die Weichen gedrückt. Der Colonel sah ihm befremdet nach, er schlug gerade die Richtung auf Quilitz ein. Erst gestern hatte dEspignac, vor dem der Major kein Geheimnis mehr zu haben schien, von dem Verhältnis der Lehnsvettern zu einander gehört. – Unten auf der Landstraße fuhren zwei vollbepackte Equipagen vorüber. Vor ihnen sah man drei Leiterwagen, noch höher mit Gerät und Möbelwagen beladen, eben in den Kieferwald einbiegen. In der Kutsche saß die Quilitzer Familie; die lange Rike, die zum Fenster hinaussah, mochte den Vetter auf der Höhe erkennen, sie winkte ihm mit dem Tuche; um miteinander zu sprechen, war die Entfernung zu groß. Der Major hatte stillgehalten und salutierte. Der Colonel dachte an eine Flucht oder Auswanderung, der Major aber sagte: »Sie fahren nach den Klostergütern. Aber mit Sack und Pack, was soll das heißen?«

Da kam ein Reiter über das Feld gekreuzt, es war der Baron Eppenstein. Er hatte die Worte gehört.

»Wissen Sies noch nicht? Der Hofmarschall läßt sein Schloß einreißen; darum zieht er mit Kind und Kegel nach Schwanebeck und Schmachtenhagen.«

»Plaisanterie, mein Herr Baron, die finde ich hier nicht angebracht!«

»Da sehen Sie die Staubwirbel! Wenn es still wird, können Sie die Aexte klingen und die Steine rollen hören.«

»Ist er toll geworden?«

»Ei, Herr Major, ein so kluger Mann wie Ihr Vetter! Das Haus hat Risse, weiter nichts als Risse, baufällig; der italienische Baumeister hat bekanntlich seinen Eltervater betrogen. Ueber Nacht hat der Hofmarschall einen Knall gehört oder geträumt – da ist ihm die Angst gekommen, es könne ihm über den Kopf einstürzen. Rascher Entschluß, er läßt es bis auf die Sohle abbrechen und verauktionieren.«

Das stille Lächeln auf der Lippe des jungen Mannes ward durch ein bitteres auf der des Majors beantwortet. Da wirbelte eine Staubwolke auf, wenige Sekunden darauf krachte es durch die stille Luft.

»Wetter noch mal, sind die Blitzkerls ungeschickt!« rief der Baron. »Excüs, Herr von Quarbitz. Die Versteigerung geht auf der Stelle vor sich. Köstliche Pirnaer Sandsteine, für ein Heidengeld damals hergeschafft. Jetzt könnte man sie für ein Spottgeld erstehen, wenn die Tölpel sie nicht ruinieren.«

»Der junge Mann ist wohl nicht von Geburt?« bemerkte der Colonel, als der Baron querfeldein nach Quilitz sprengte.

»Es gibt Edelleute, die noch besser spekulieren,« brummte der Herr von Ilitz, als schon ein anderer Reiter sich zu ihnen fand. Der Johanniter von Quiritz kam von Quilitz. Es ward ein lebhaftes, ungezwungenes Gespräch, nachdem der Major seinem Nachbar die Versicherung gegeben, der Colonel sei ein Kavalier, vor dem man nicht hinterm Berge zu halten brauche. Was war auch da zu verbergen, wo die Sträuche und Kiefernadeln schon von der Nachricht schwitzten: der Herr von Quilitz läßt sein Schloß abbrechen, weil er die Einquartierung nicht mehr aushalten kann.

Einige Male hatte der Herr von Ilitz aufgelacht, aber es war eben nur ein Isegrimmlachen, wo die Lippen nur die Zähne verbargen.

»Es ist ja kein Stammschloß, Herr von Quarbitz,« sagte der Johanniter beim Abschiede. »Betrachten Sies als eine Art Nemesis, daß ein Quilitzer selbst Hand anlegen muß, um das Palais zu vernichten, das Ihnen, ich meine Ihren Vätern, so viel Anstoß erregte, als die Quilitzer Ihrer schloßgesessenen Familie über den Kopf bauen wollten. Nebenbei kann ich mir denken, daß doch auch eine Art Genugtuung für Sie darin liegen muß, wenn nun das fatale Lied: Ihr, von Ilitz, sollt nimmermehr nach Quilitz! von selbst aufhört; Possen freilich, aber wer hört sich gern verspotten.«

Der Major und seine Einquartierung ritten eine geraume Weile stumm nebeneinander. Ob der Colonel auch diesmal dem stillen Gedankenwege seines Wirtes folgte? Wars die innere Empörung über die Handlungsweise des Lehns-Retters, was seine Stirn kraus zog? Ja, er empfand einen Augenblick die Befriedigung, welche der Herr von Quiritz ausgesprochen. Aber daß dieser Mann es auszusprechen wagte, daß er es mit einer Art Bedauern getan, hinter der die Schadenfreude aufblitzte!

Wie unedel, unritterlich, ja wie unpatriotisch, dachte der Major, in solcher Zeit auf diese Privatangelegenheit und mit der Rancune zu sticheln! Alsdann machte er sich freilich selbst den Vorwurf: kannst du jetzt noch Gefühl haben für solche Mückenstiche! Aber wir sind Menschen; wenn wir für die Mückenstiche das Gefühl abhärten, empfinden wir am Ende auch nicht die Spitze eines giftigen Pfeiles, und sagt nicht Alexanders Geschichtsschreiber: ein edel Roß wird schon durch den Scharten der Rute, ein unedles nicht einmal durch den Sporen regiert!

»Dieser rote Knirps und meine herrliche Karoline!« knirschte er, noch einmal dem Johanniter nachblickend, dessen kleine Gestalt von seinem hohen Gaul beim Traben etwas zu weit in die Luft geschleudert ward. Dann blickte er zufällig auf seinen Begleiter und fand, daß der schöne Reiter unverzeihlich nachlässig auf dem schönen Pferde mehr hing als saß. Es war ein schleppender Gang. Neben seinem Franzosenhaß im allgemeinen hatte der Major eine spezifische Abneigung gegen die französische Kavallerie; er meinte, sie ritten ebenso unverantwortlich schlecht, als sie ihre Pferde unverantwortlich nachlässig behandelten. Hatte er doch selbst einmal im Stall einem einquartierten Dragoner die Striegelbürste aus der Hand gerissen, um ihm zu zeigen, wie man ein edles Tier behandle.

Der Major hielt sich für den besten Reiter, und jetzt war er übler Laune. Ein Gespräch über das Reiten ging unmerklich in eine Lehrstunde über. Wolf von der Quarbitz war ein strenger Exerziermeister gewesen; bei der Pferdebehandlung machte er zwischen Junkern und Kerlen kaum einen Unterschied, er nannte, wer schlecht ritt, einen französischen Krippenreiter.

Wie weit er diesmal ging oder in Eifer und Laune sich verging, wissen wir nicht, aber er hatte in dem Colonel, wie es schien, einen eifrigen und den gelehrigsten Zuhörer. Der folgte wie instinktartig paragraphenweis dem Vortrage, als versuche er, ob es sich exekutieren lasse, jetzt in der Haltung des Steigbügels, der Trense, er hob sich im Sattel, er ließ die Vorderbeine und Hinterbeine des Tieres agieren. Mit einem Worte, er machte die Schule zur steigenden Zufriedenheit des Lehrmeisters durch, wie zu seiner großen Verwunderung.

»Den Teufel auch, wenn Sie wollen, können Sie ja alles.«

»Alles doch wohl nicht,« antwortete lächelnd der Colonel, als sich sein Pferd vor der Brücke über einen Wassergraben zu fürchten schien und bäumte.

»Ich will voran,« rief der Major, »dann wird es folgen.« Aber drüben sah er zum Erstaunen, daß der so treffliche Reiter seines Pferdes nicht mehr Herr war. Er hatte den Zaum verloren, er klammerte sich an die Mähne, er umfaßte den Hals.

»Donnerwetter! was ist das?« Das Pferd fuhr mit dem hängenden Reiter, der auch den Steigbügel verloren, jetzt rechts, jetzt links, in weiten Kreisen umher; doch wurden sie allmählich immer kleiner, bis er plötzlich am Rande des Grabens ankam. Der Major hörte ein leises Schnalzen, vermutlich ein Zeichen des Reiters für sein Lieblingspferd, und wollte ihm eben zurufen: »Dort ist die Brücke, benutzen Sie den Augenblick!« als das Tier einen Ansatz nahm. »Herr Colonel, die Distance ist zu breit, zu breit ohne Anlauf. Reißen Sie es herum!« Zu spät, das Tier schwebte über den Graben, selbst wie ein weit gespannter Brückenbogen, und seinen Reiter nur wie eine Last, dessen es sich entledigen wollte, tragend. Während er sich der Länge lang liegend auf dem emanzipierten Ungetüm anklammerte, stand es am anderen Ufer. Aber im anderen Augenblick saß auch wieder der Reiter stolz und leicht im Sattel; nur ein Schenkeldruck, und das Roß kehrte, nach seinem Herrn aufwiehernd, zum vorigen Gehorsam zurück. Der Obrist näherte sich seinem Wirt und berührte lächelnd den Hut.

»Entschuldigen Sie den unzeitigen Spaß, aber ich mußte Ihnen doch auch meine Schule zeigen, nachdem Sie die Güte gehabt, mir die Ihrige zu erklären.«

Der Obrist saß jetzt im Sattel, er ritt, hielt, bewegte sich, als wäre er der eingeschulteste preußische Kavallerist.

»Herr, in drei – sind Sie ein spanischer Reiter?«

»Ich bin es einmal gewesen. Wie Sie mir den Jakobiner nachgesehen, werden Sie mir auch den Kunstreiter vergeben. Wohin treibt nicht der tolle Uebermut einer reichen Jugend! Halb war es Kränkung wegen eines Verweises, den mir der Stallmeister meines Vaters gegeben, Trotz dazu, daß der Vater den Stallmeister nicht zwang, ihn zurückzunehmen, halb Folge einer Wette mit einem Engländer; ich war meinen betrübten Eltern entschwunden, doch mit Hinterlassung eines Billets, sie sollten ihren Sohn wiedersehen, aber gerechtfertigt. So sahen sie mich denn nach sechs Monaten wieder, freilich mit Entsetzen, aber mit großem Ruhm, als Matador eines cirque Olympique in Besançon. Ich war immer ein guter Reiter gewesen; der mürrische Stallmeister, der nur auf seinen veralteten Ideen ritt, war beschämt, ich wurde vom Volk auf den Händen getragen, die Zeitungen waren meines Ruhmes voll, und meine Eltern vergaben. Natürlich brillierte nur meine Kunst in der Arena und in den Zeitungen, mein wahrer Name war im Schloß meiner Eltern versiegelt zurückgeblieben!«

»Hm! hm! hm!« brummte der Herr von Ilitz. »Das sind ja eigene Pläsierlichkeiten.«

»Ströme Blutes sind darüber geschwemmt. – Ich hasse die Revolutionen,« fuhr dEspignac nach einer Pause fort, »aber ein Gutes führen sie mit sich; sie wecken die ursprüngliche Kraft in den Geschlechtern. Durch langen Frieden, Wohlstand, den Hautgout der Zivilisation sind die Nationen erschlafft, wie die Individuen und Familien. Wenn der Adel immer recht die Bedeutung einer Revolution verstanden hätte! Wie manche alte Familie, die siech und entnervt ward auf dem Lotterbette eines langen Friedens und der Gewöhnung, hätte in der Blut- und Feuertaufe sich zu neuem Leben erheben, ihre verwüsteten Kräfte stählen können. Ja, sie müßten es nur verstehen, die Zeit zu ergreifen, statt sich von ihr fortschleifen zu lassen. Waren Sie in Spanien?«

»Nein.«

»Sie sollten diese Granden sehen. Die Enkel der Cid, der Aguilar und Guzmann, sie sind oft kaum imstande, sich auf ein Pferd zu schwingen. – Die Herren von Quiritz sind wohl eine alte Familie?«

Der Major sah ihn verwundert an. Der Colonel lächelte. »Ich habe dafür einen eigenen Blick. Ihr Ursprung muß sehr alt sein und ganz reines Blut. Sie werden, um sich immer stiftsfähig zu erhalten, viel ineinander geheiratet haben, denn es hält jetzt schwer, sechzehn Ahnen aufzutreiben Das bringt dann solche Resultate hervor, die allenfalls nur durch ein Mittel paralysiert werden, eine Lebensweise, die das Blut wieder frisch durch die Adern treibt. Zum wilden Jägerleben ist hier nicht der Ort, aber ich wollte parieren, daß die Quiritz auch den Militärdienst nur gesucht haben, wo es Pflicht und Anstand nötig machte, nicht als Beruf, wie man es anderen Familien ansieht, die geborene Soldaten sind. Wie viele Generäle zählen Sie unter Ihren Vorfahren?«

»Neun Generalleutnants, außerdem –«

»Seltsam! Auch wir gerade neun, außer den drei Marschällen,« setzte der Colonel mit halb hörbarer Stimme hinzu.

Der Herr von Ilitz war wieder erwärmt. Die üblen Eindrücke von dem Schloßabbruch in Quilitz, den beißenden Bemerkungen des Johanniterritters und der Kunstreiterei waren verschwunden; vielleicht hatte der Colonel nur das bezweckt; er hörte nunmehr ohne Unterbrechungen zu, was der Major ihm von der Familie Quiritz und anderen märkischen Familien erzählte, eine Erzählung, die erst ihr Ende erreichte, als sie durch den Torweg in Haus Ilitz einritten.

Den Quiritzen gestand er ein hohes Alter zu, auch daß sie vielleicht einst reichsunmittelbar gewesen, wenigstens, daß sie erst zur Zeit, wo die Grafen Lindau zu Ruppin und die Gans Edle zu Putlitz ihre Güter dem Markgrafen Albrecht Achilles freiwillig zu Lehn übertrugen, die Reichsunmittelbarkeit eingebüßt.

»Das gäbe ihnen allerdings Ansprüche, welche einige Familien in den Marken machen, wenigstens beweisen könnten,« hatte der Colonel bemerkt.

»Allein es ist töricht, wenn man sich damit nicht genügen läßt,« sagte der Major. »Da hat irgend ein entlaufener Mönch und Rektor in Berlin zu Ende des sechzehnten Jahrhunderts eine Schrift abgefaßt, worin er ihnen einen römischen Ursprung anfabelt. Die Quiritze sind nun wohl gescheit genug, die Quiriten nicht in ihren Stammbaum aufgenommen zu haben; aber sie hören es doch recht gern, wenn Poeten in Hochzeitscarmina und dergleichen darauf anspielen. Das finde ich geradezu lächerlich, nein, mehr als das, denn wenn unser Recht festen positiven Grund in der Vorzeit hat, sollen wir nicht in ihren Nebeln noch Wurzeln dafür suchen.«

Auf die Frage des Colonels, wann die Familie Quarbitz mit den deutschen Eroberern in die Mark gekommen, mußte der Major die Antwort schuldig bleiben, denn die Reitknechte griffen schon nach den Pferden.

< Scheiden.
Wendisch oder germanisch. >



Die Inhalte dieser Seite sind Eigentum der Öffentlichkeit.
Sollten trotzdem Urheberrechte entgegen unserem Wissen verletzt worden sein, bitten wir Sie mit uns Kontakt aufzunehmen.