Frei Lesen: Isegrimm

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Willibald Alexis

Isegrimm

Die Brücke in die Zukunft.

eingestellt: 25.7.2007

Fünfunddreißigstes Kapitel.

Die Brücke in die Zukunft.



Es war die Stunde vor der Abreise. Man wollte nur einen heftigen Schlackenregen vorübergehen lassen, den der Sturm heranpeitschte. Der Minister saß, im Pelz gehüllt; die Vertrauten zum letzten Gespräch um ihn. Nur der Major war nicht zugegen. Hatte man ihn entfernt? Graf Waltron sagte: »Es ist, wir können es uns nicht leugnen, eine traurige Tatsache, daß die eifrigsten Freunde der alten Mißbräuche auch die kräftigsten Stützen der fremden Herrschaft, ja die niedrigsten Schmeichler des Mannes wurden, der allenthalben Gewalt für Recht geltend macht.«

»Wundert Sie das?« entgegnete der Fremde. »Die servilen Seelen, die nur unter einer Gewaltherrschaft frei atmen, sind ja als Unkraut zu allen Zeiten und in allen Ländern ausgestreut, aber ein Uebel, das wir kennen, läßt sich überwinden.«

»Wenn aber nicht mehr!« fuhr der Minister aus seinem Sinnen auf. »Wenn das Unkraut die Saat schon überwuchert hätte.«

»Dann freilich ist es um ein Volk geschehen. An der Ausgelassenheit in der Freiheit sind einige, am Servilismus die meisten untergegangen. Wenn jener ein blutiger, schmerzlicher, ist er doch ein rascher Tod nach einer akuten Krankheit; dieser ist eine schleichende, wir merken unsere Auflösung nicht. Aber vergessen wir das nicht, nicht der Despotismus, nur der Servilismus hat die Nationen gemordet. Wie oft ward ein Despot wider Willen der Retter der Freiheit, wie oft erschien er als Gottgesandter, als seine Geißel, um die Verdumpfenden zum Gefühl ihres Menschenwertes aufzupeitschen. Erst wenn ihr Sinn so stumpf, ihre Haut so schwielig ward, daß sie die Schläge nicht mehr empfinden, wenn sie, niedergestreckt zu seinen Füßen kein größer Glück kennen, als diese Schläge auf andere abgleiten zu lassen, wenn sie aus heilloser Angst zu Angebern werden und gar in diesem Gehorsam noch Tugend sehen, dann ist ein Volk verloren.«

»So wird der Deutsche nicht verloren gehen!« brach es von den Lippen des Kandidaten.

»Meinen Sie?« stand in den Blicken des Ministers und des Grafen, während der Fremde die Augen sinken ließ.

»Es gibt, Wehe uns und Schmach ihnen! auch gewisse Priester des Herrn, die sich zu Schergen der Gewalt hergeben. Aber nur Asiens Religionen machten den Knechtssinn zur Tugend; darum verlor das große Asien die Herrschaft und das kleine Europa ward Herrin der Welt. Denn das Christentum, das den Menschen frei will, fühlte sich nie wohl dort, wo es geboren, es wanderte aus in den frischen Weltteil, zu den frischen Völkern, und das Gotteslicht, das schon unseren Vätern durch ihre dunklen Urwälder geleuchtet, ward durch Christus nicht schwächer. Nein, heller, gewaltiger bricht es trotz seiner unkundigen und böswilligen Ausleger durch die Dünste und wird die Nebel verscheuchen!«

Das »Amen«, das der Minister auf die Rede des Kandidaten setzte, schien aus einer beklommenen Brust zu kommen.

»Gottes Licht in Ehren,« fiel der Reichsgraf ein, »zunächst hoffe ich auf die Einquartierung. Das ist die beste Geißel Gottes, das adstringierendste Zehrfieber, das kräftigste Vomitiv, um unsere guten Bürger wachzurütteln.«

»Daß es noch ein größeres Uebel gibt!« seufzte der Fremde, »größer als die Trägheit der Seele, größer als die ins Blut geimpfte Furcht, größer als das gemeine Interesse und die Feigheit zum Denken und zum Handeln! Und dies Uebel lernte ich kennen. Ueberall, auch unter den Besseren, fand ich den Glauben an Bestechung. Entsetzlicher Zustand, wo nur die Annahme von Verbrechen uns die eigene Schlechtigkeit und Erbärmlichkeit erklären kann! Und so ist es, wo ich anklopfte, statt sich an die eigene Brust zu schlagen und den sündigen Fleck zu suchen, klaubten sie am Tun und Nichttun anderer, warfen den Reinen mit dem Befleckten, die Leichtsinnigen, freilich die unermeßlich Leichtsinnigen, mit den Sündern zusammen. Nichts blieb unbesprochen, unangetastet, unbezweifelt, was bis da der Gegenstand scheuer Verehrung gewesen. O dieser Wirrwarr der Verzweifelnden, der nach Spänen Haschenden im allgemeinen Schiffbruch! Als wäre das Publikum aus einer Zauberoper plötzlich hinter die Koulissen geführt und sähe nun mit einem Mal in den Wasserfällen, Sonnenaufgängen, Donnerwettern, die es entzückt, die Kolophoniumröhren, Stricke, Bretter, Leinwandfetzen, und wütend über die Täuschung, möchte es alles kurz und klein schlagen. Warum ließet Ihr Euch täuschen, warum hattet ihr nicht die Augen auf! möchte man ihnen zurufen, wenn – wenn es nicht etwas anderes war, als ein Theaterspuk.« –

»Sie reden von Berlin,« unterbrach ihn der Minister. »Sie schulden mir noch den näheren Bericht über die Stimmung der Massen dort. Es ist noch Zeit; das Wetter will sich noch nicht klären.«

»Ich war doch auch in Wien,« fuhr der Fremde fort. »Auch da alles zerbrochen, aber so doch nicht, nicht die blaßgraue Apathie, welche keinen Sonnenstrahl der Freude, nicht einmal eines recht ordentlichen Hasses, durchdringen läßt. Man tadelt die, welche die trostlose Stimmung aufgedeckt, die jenes trostlose Wort: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht, hervorrief. Ich versichere Sie, es war in Wirklichkeit noch schlimmer. Freilich riefen nicht alle Bürger, als Napoleon einzog: Vive lEmpereur! aber einige stießen den Schrei aus. Wäre es aus Begeisterung gewesen – immerhin. Wäre es aus Angst gewesen – auch das will ich entschuldigen Aber es war aus einer Dröhnung, zusammengesetzt aus Gedankenlosigkeit, Furcht, Gewohnheit, Höflichkeit, bei einem Spektakel doch etwas zu schreien, was es auch sei, Aus der innersten Verdumpfung eines politischen Daseins konnte solcher Ruf nur hervorgehen, nur aus solcher Nichtigkeit des geistigen Lebens. Ich werfe darum keinen Stein auf die preußische Nation: nein, das konnte eben nur in Berlin geschehen. Und auch dort gewiß brannte der Schrei wie glühendes Eisen, gebohrt in edle Herzen; aber einige konnten so schreien, und ich fragte mich: warum? Weil im Körper das Bewußtsein nicht war, das auch in die letzten Glieder dringen sollte. Warum ists im englischen, im französischen Volke; warum selbst bei den Russen? Man erzählte mir Unglaubliches von der Verwirrung und Angst, als man die angesehenen Bürger zusammenrief, um nur die ersten Anordnungen wegen der Einquartierung und Kontribution zu treffen. Man forderte keinen politischen Akt, nur was in jeder bürgerlichen Gemeinschaft nötig ist, eine billige Verteilung der Leistungen und Lasten. Sie sollten sie selbst unter sich vornehmen; zu ihrem nächsten, eigenen Besten geschah es. Die kreideweißen Gesichter konnten nur Worte stammeln, einige duckten sich unter die Bänke und flohen in einem unbewachten Augenblick, ihre Hütte im Stich lassend.«

»Das wundert Sie, Lieber?« sagte Stein. »Man hat sie nur gelehrt, gute Untertanen sein. Wie sollten sie gelernt haben, gute Bürger sein?«

Graf Waltron meinte, und dann sei die große Bevölkerung der Hauptstadt doch nur ein Spülicht und Kehricht aus allen Provinzen und Ländern, und sogar aus Franzosen, Polen, Salzburgern, Juden, Italienern. »Ehe so etwas sich setzt, das kostet Zeit. Wird das doch schon in einer Armee schwer, was mehr in einer Populace, die von der Disziplin nichts weiß.«

»Und doch ist eine da, Erlaucht, die entsetzliche Disziplin der Schafherden, der Leithammel vorn und der Hund hinten.«

»Die Berliner Leithammel kennt man,« lächelte der Reichsgraf, »wer ist denn aber der Hund?«

»Die Angst, hinter den andern zurückzubleiben, nicht zeitig genug zu tun, was die Masse vornimmt.«

»Wenn die Herde nur folgt, Leithämmel kann man ihr stellen.«

»Wenn aber die Masse in ihren Ueberzeugungen umschlägt, je wie ihre Wortführer den Takt angeben! Wo ist da Verlaß! Doch nein, ich habe unrecht, von Ueberzeugung kann da nicht die Rede sein, wo gar kein Glaube ist. In ihrer heillosesten Angst um ihre dürftige Existenz klammern sich diese Kleinbürger an die nächste Autorität, die ihnen verspricht, daß sie Seife sieden, backen, verkaufen, Wechsel schreiben, schlafen können wie vorher. Sie waren gute Patrioten, als der König einer war, heut klammern sie sich an Napoleons Füße und seiner Gewalthaber, weil sie keine Straßenaufläufe dulden, die Diebe hängen lassen, einige Lieferungen mit gestohlenem Gelde bezahlen und einige Einquartierungsexzesse bestrafen. Sie würden sich an jeden klammern, auch den Bel zu Babel anbeten, wenn er ihnen nur Ruhe verspricht, auf Wochen, Tage, Stunden! Daß sie es tun, auch das wollte ich ihnen vergeben, sie können nicht für ihre Schwäche; aber sie wissen nicht ihre Sünde, sie halten sich noch für gute Patrioten, sie meinen allen Ernstes, ihr König müsse sie dereinst noch belohnen und beloben, daß sie sich um nichts bekümmert, was draußen vorgeht und ebenso gedankenlos als dem Herrn, den Gott eingesetzt, dem gehorcht, den der Teufel ans Ruder eskamotierte. Da stehen wir mutlos beim Gedanken, an ein solches Volk zu appellieren. Mit welchen entsetzten Augen sah man mich an, wo ich von dem Recht des Bürgerstandes, von einer Bürgerpflicht sprach, auch ohne Befehl zu handeln. Viele hielten mich für den leibhaften Verführer, der umschleicht, um ihre Söhne ins Verderben zu locken. Was verdiene ein solcher Kerl, der ruhige Bürger der Gefahr aussetzt, vors Kriegsgericht gestellt und erschossen zu werden? Sie schlugen ein Kreuz vor mir. Einmal war ein tugendhafter Bürger drauf und dran, mich den französischen Behörden anzugeben.«

Ein tiefer Seufzer des Ministers unterbrach den Redner, aber er schwieg.

»Wo ich diesen Sinn erblickte, Exzellenz, da kam mir das andere, was man Berlins Bürgern schon laut vorwirft, wie Bagatell vor. Wenn ein Weib sich in eine hübsche Einquartierung verliebt, das sind Sünden des Bluts, wenn die jungen reichen Kaufleute sich zu der Elite drängen, die Adjutantendienste beim Gouverneur verrichtet, wenn sie in ihren neuen, flimmernden Uniformen in seiner Antichambre sich spreizen und stutzerhaft hinter ihm durch die Straßen reiten, wenn jetzt auch der Posamentier und Haarkräusler in die langschößige Nationalgarden-Uniform kriecht und mit Zufriedenheit vorm Spiegel sieht, was Napoleons Kommandowort aus einem Berliner Spießbürger machen konnte, das mag ich belächeln. Was sind diese Sünden der allgemeinen menschlichen Eitelkeit gegen den Wurmfraß, welcher allen Sinn für die heiligsten Güter der Menschheit aufgezehrt hat, die Geister unempfänglich gemacht für das, was mehr ist als Brot und Fleisch.«

Ein Schweigen folgte dem trüben Berichte. Der Geist des Ministers schien einer andern Gedankenfolge nachgegeben zu haben.

»Nun begreife ich, warum Sie unserm Major das Wort redeten, und sogar seine Schrullen entschuldigten,« sagte Waltron.

»Diesem konservativen Bürgertum gegenüber erscheint mir dies verrostete Junkertum allerdings noch wie ein lebendiges Wesen, dem ich mich in der höchsten Not an die Brust werfen konnte.«

»Sie geben uns nur ein Pasquill,« sagte der Minister. »Es wird doch eine Seele in der Stadt auch an den Staat denken. – Sie lächeln?«

Der Fremde lächelte in der Tat. Er griff unwillkürlich nach der Brusttasche, ließ aber die Hand wieder sinken. »Ich will Sie mit dem Skriptum in dieser ernsthaften Stunde nicht behelligen. Das scheint mir ein Pasquill, wenn ein Giftmischer einen Plan zur Rettung der preußischen Monarchie entwirft. Der berüchtigte Legationsrat von Wandel, der, auch im Gefängnis, alles weiß, muß von meiner Anwesenheit gehört haben; ich erhielt durch einen Vermittler das Hirngespinst seiner Kerkermuße.«

»Der Inhalt?«

»Geistvolles Geschwätz.«

»Und die Intention?«

»Sich weiß und unschuldig zu brennen. Wer nur an die Rettung des Staates denkt, wo es ihm selbst am Kopf und Kragen geht, muß sich doch unschuldig fühlen. Vielleicht auch nur eine Nebenbeschäftigung, um sich von der erschöpfenden Anstrengung seiner Verteidigung zu erholen, meinte sein Richter. Denn er verteidigt sich wie ein Leonidas gegen die Uebermacht der Beweise.«

Der Minister machte eine auffahrende Bewegung, wie wenn sonst eine Vorstellung seinen Zorn erregte: »O, mein Gott, von allen Ihren Symptomen, Walter, woran man den Krankheitszustand einer Nation erkennt, ist dies das Schlimmste, wenn nur die Schurken Energie zeigen. Wenn nur sie ihr alles einsetzen, um ihr elendes kurzes Dasein zwischen Galgen und Kerker zu fristen, und das Volk für sein edles Jahrhunderte altes Leben nichts, gar nichts einsetzen will! Man nannte diesen Wandel ein Ungeheuer, wie es auf der Welt nicht dagewesen, ich meine, er ist nur der Repräsentant – doch ich will nicht auch ein Pasquill schreiben. – Bringen Sie denn gar keine Hoffnung gerade aus Berlin? Ist denn auch kein Zunder in der Stadt?«

»Der Zunder ist da, mein edler Gönner. Wenn der Funke einschlägt, bin ich der Zuversicht, wirds der elektrische Schlag, der auch die faulen und toten Glieder weckt.«

»Da bin ich doch kurios,« sagte Graf Waltron, »wo es steckt? Nachdem Sie auch das Bürgertum so geschildert –«

»Allein in dem gebildeten Mittelstande.«

»Der macht nirgends eine Revolution.«

»Wo die Staaten im alten Organismus aus ihren ständischen Gliederungen erwuchsen. In Preußen ist es vielleicht anders, das wie Minerva geharnischt aus dem Scheitel seines Erzeugers ins Volksleben trat. Der Wille und die Idee haben uns geboren; wenn der Wille schwach ward, die Idee lebt fort. Es ist ein stiller, aber ein gewaltiger, ein unwiderstehlicher Prozeß, der von innen heraus schafft, ein Eroberer, dem nichts widersteht, der siegen muß, wenn die Zeit gekommen.«

»Wenn Sie das doch ins Prosaische übersetzen wollten, damit unsereins es auch versteht!«

Der Minister bedurfte nicht der Uebersetzung. Er beugte sich aufmerksam über, während der Fremde fortfuhr:

»Nachdem der erste Schreck vorüber, wird man erst inne, was man verloren, wie man gesündigt, daß gerade die, welche das geringste Maß der Schuld trifft, ihren Teil auf dem Gewissen am drückendsten fühlen, während die großen und schweren Sünder die Schuld so gern auf andere wälzen! Aus diesen stillen, bescheidenen Kreisen, deren Herzen jetzt bluten, die sie ausreißen möchten, um sie am Altar des Vaterlandes zu opfern, drang vorhin kaum eine Stimme unmittelbar bis zum Thron; sie schienen gewöhnt, von daher alles zu empfangen, obgleich sie nur das Gute und Schöne hinnahmen, aber in Wahrheit kam wie viel Wahres und Gutes von ihnen, und stieg, drang unbemerkt aber siegreich in die höheren Regionen! War nicht schon Friedrich in den letzten Lebensjahren gewissermaßen von seinem Volke überflügelt? Er saß fast einsam mit seinen französischen Dichtern und Philosophen unter der deutschen Poesie und Literatur, die vom Volke jubelnd in die Lüfte getragen ward. So stieg die deutsche Philosophie, aus den bescheidenen Hörsälen in Königsberg, Halle, Jena, allmählich bis in die Regionen, von denen wir die Gesetze empfangen. Was hat der Jude Mendelssohn auf unser geistiges Leben gewirkt! Kamen die sittlichen Begriffe, die, ein neuer Glorienschein, Friedrich Wilhelms und Luisens Thron umstrahlen, von oben her, oder stiegen sie vom Volke auf, aus dem sittlichen Bewußtsein der Edeln in der Nation? Diese Kreise, Exzellenz, bilden schon seit mehr als einer Generation einen Bund, dessen Glieder voneinander nichts wissen, sie befehden sich auch – das sind Schulkriege – aber sie sind einig im Ziel. Einmal irrten sie, als sie beim Ausbruch der französischen Revolution dort die Tempel der wahren Menschheit geöffnet sahen. Ihres Irrtums längst inne, daß sie einen Brandschein für das Morgenrot gehalten, wurden ihre Empfindungen, Wünsche, die Energie ihres Gedankens wieder national. Das ist die Aristokratie des Geistes, und ich sehe von ihr voraus, daß sie in Deutschland, Preußen, die nächste Zukunft beherrschen wird.«

»Also doch eine Aristokratie, Herr Theoretiker!« rief der Minister.

»Der Bessere muß den Schlechteren beherrschen. Wo die Geborenen es versäumt, fällt die Aufgabe denen anheim, die dazu aufgewachsen sind. Fichte schreibt Briefe an die deutsche Nation von wunderbarer Wärme und Kraft des Gedankens, wie des Ausdrucks. Sie müssen Eindruck machen.«

»Auf das Bürgertum, das sie uns porträtiert?«

»Auch dies muß fortgerissen werden. Der Stein, der ins Wasser fällt, schießt viele ringelnde Kreise.«

»Aber der letzte kommt sehr schwach ans Ufer.«

»Wird der Grimm zum Fanatismus, sind die Nachzügler die sichtbarsten. Der Funke hat schon gezündet, es glimmt in der Asche, aber es muß lange glimmen, es muß eine Glut werden, die das gesamte Deutschland innerlich durchwärmt, wir müssen sie hüten und anblasen, nur vorsichtig, daß sie nicht zur Flamme ausschlägt, ehe der Tag kam.«

»Spricht der Herr nicht wie ein Feldherr, der schon ein schlagfertiges Heer hinter sich hat,« sagte der Graf. »Wer sind Ihre Rekruten?«

»Es sind Schriftgelehrte, es sind Künstler, Beamte, die unter Schweiß und Aktenstaub, unter der Untertänigkeit des Dienstes einen Sinn für Gott und Menschenrecht sich bewahrten. Der Druck liegt auf der Presse, auf den Kanzeln, aber die Prediger, Schriftsteller, Zeitungsschreiber gehören dem stillen Bunde an. Wenige, die, wie jener Telegraphenschreiber, der Jude Lange, sich dem Feinde verkauften. Das ist wohl zu beachten; unter allen deutschen und preußischen Schriftstellern und Dichtern ist kaum einer, der sich durch Geld und Schmeichelei zu einem Liede, nur einem Wort für den Usurpator gewinnen ließ. Palm starb den Märtyrertod und schwieg. Und wahrhaftig, die deutschen Fürsten hatten wenig vorher getan, ihre Liebe und Verehrung sich zu erwerben. Frankreichs Ludwige hatten die ihren mit Gold und Gunst erkauft, und wurden von ihnen verraten. Deutschlands Fürsten hatten nur mit mitleidigem Lächeln auf die halbe Pariaklasse, ihre Sänger und Schriftsteller herabgesehen, kaum denen ein Almosen zugeworfen, die aus voller Brust ihr Lob anstimmten. Was treibt nun diese verstoßene, in die Dachstube verwiesene Zunft an, noch jetzt die eingeborenen Fürsten anzusingen und Lieder für ein undankbares Vaterland anzustimmen, wo der Eroberer ihnen ein anderes weist, was den Schriftsteller mit Reichtum und Ehren sättigt, überschüttet, wo er unter den ersten wandelt? Ein Jude beschimpft sein Vaterland, sagte ich, aber nur einer; unter den Juden Berlins, den angesehensten und reichsten, ist ein herrlicher Sinn für König und Vaterland. Kaufleute, fühlen sie doch, was sie diesem Lande, diesem Königshause zu verdanken haben. Halb rechtlos, stellen sie sich voran in die Reihe der ganz Verpflichteten. Die von der französischen Kolonie bereuen schon den ersten entschuldbaren Enthusiasmus für den Sieger von Marengo und den Mann, der dem reformierten Kultus in Frankreich wieder seine blutgedüngten Rechte zurückgab; sie würden heut nur einen Ruf kennen: für das Vaterland, das seit einem Jahrhundert aus Humanität für sie tat, was der Korse aus Politik und Laune an einem Tage! Dies sind meine Soldaten der Zukunft, Erlaucht. Der Militär wird über sie lächeln, die Achseln zucken, vielleicht nennt er sie eine Falstaffschar, und in der Tat sind auch Schauspieler darunter, – Komödianten, die aber an Eifer und Wahrheit die beschämen, welche nur sich selbst zu spielen haben. – Wartet die Zeit ab, wo sies zeigen werden.«

»Sie meinen Iffland,« unterbrach ihn Stein. »Er ist ein wahrer, unerschrockener Patriot. Wir erfuhren davon in Königsberg. Borowsky sagte mir auch von dem Theologen Schleiermacher, ein junger Mann, der, von strahlendem Geiste, mit Fichte die geistige Schlaffheit zu stählen suche. So wie Arndt, der hat sich schon bewährt; man sprach auch von einem phantastischen jungen Lehrer Jahn, der die Körper der Jugend wieder stark recken will. Schade, daß, als ich in Berlin, niemand mich auf sie aufmerksam gemacht und auf so manchen andern. Im Hause des berühmten Arztes Heim soll ein Kreis edler junger Männer und Frauen sich versammeln, voll Frische des Gedankens und der Zuversicht. – Auch in Königsberg lernte ich viele edle, kühne Geister kennen, o Sie werden sie auch kennen lernen. Ein ganz anderer Schlag Menschen, wenn die einst an die Spitze der Aemter treten! In Revolutionen tritt das Erz aus der Schlacke. Aber ich zweifle nicht, daß auch in den anderen Provinzen Kreise sein werden von lebendigen Menschen, denen die Ruhe nicht das Höchste ist, aber –«

»Die Masse wird vom Geist bewegt,« unterbrach der Fremde mit Lebhaftigkeit; »solange dies Naturgesetz nicht wankt, vertraue ich, daß, wenn das geistige Fluidum zum Strom geworden, auch die Käsekrämer und Galanteriehändler elektrisch durchschüttert werden. Mit seinen Massen hat er uns erdrückt; mit den Massen ihm entgegen! auf die Massen gilt es wirken! Exzellenz nehmen es als schlimmes Symbol, daß nur in die Schurken die Energie gefahren; so ich umgekehrt als gutes, wenn der Funke des Hasses, das Fieber der Verzweiflung auch in die Leichtsinnigen schlug. Als Bundesgenoß sei jeder willkommen, dem der Ernst der Zeit ins Mark fuhr, auch wenn der sittliche Ernst mich von ihm zurückstößt. Einigkeit in dem einen, das übrige kümmere uns nicht. Die Sache braucht auch Handlanger. Wählt man die aus den besten? Der Haß hat auch einen Kotzebue begeistert; soll ich den Mann ausschließen, der auf das Volk so mächtig wirkt, indem er es so gewaltig kitzelt? Er wie der kleine Merkel hassen sich untereinander; aber sie hassen zusammen Napoleon; die Brüder Schlegel, sie verachten und bespötteln jene Skribenten, aber sie verabscheuen zusammen die französische Herrschaft. Stolz auf mein Bürgerblut, habe ich jenen Dünkel der Junkeroffiziere gehaßt, ich konnte einen Augenblick mich über ihre Demütigung freuen, das ist überwunden, es gilt ein anderes, höheres Ziel, für alle gilt es, alte Vorurteile, sich selbst überwinden, es gilt, das ganze – ganze Volk als Bundesgenossen in die Arme schließen, alle für einen, – das ist die Aufgabe unserer Zukunft.«

»Welcher fernen!« murmelte der Reichsgraf, den Mantel zuknöpfend – »wenn überhaupt –«

Der Minister war auch aufgestanden: »Wenn überhaupt! – Ach, Graf, wenn die Hoffnung nicht mehr hochgewölbte Brücken aus der großen Vergangenheit bauen darf hinüber in eine andere Zukunft, was ist dann das Leben! Ist das nicht die Unterscheidung der edlen Natur von der gemeinen, daß sie über die Gegenwart sich erhebt! Sollen wir aus ihren Giftnebeln allein schlürfen, dann lebe wohl, Völkerleben! Am Servilismus ging die Mehrzahl der Völker unter, nicht an Despotismus, sagte unser Freund; er hat recht. Der niederträchtige Knechtssinn hat die meisten Nationen entwürdigt, vernichtet, aber es kam noch eine andere Krankheit hinzu – die Altersmüdigkeit. Die romanischen Nationen gingen uns vorauf, ich traue dem aufblitzenden Leben Frankreichs nicht die Lungenkraft zu, die man fürchtet. Auch sie wird nach der Ueberspannung auslöschen, aber – ob wir die frische Jugendkraft wiedergewinnen!«

»In den germanischen Nationen haucht Gottes Geist!« rief der Kandidat.

»Erhalten Sie sich diesen Glauben, junger Mann,« sagte der Minister mit einem ernst wehmütigen Blick auf ihn. »Wir brauchen Glauben, viel Glauben – starke Hoffnung. Nur Liebe brauchen wir diesmal nicht.«

Der Wagen war im Hofe vorgefahren; man hörte die Stimme des Hausherrn, der dem Kutscher genaue Anweisungen gab. Waltron lobte seine Vorsicht, er sei ein Kernmann. »Schade, es sind nicht alle wie er.«

»Und wenn sies wären, was helfen sie uns!«

»Unbequem sind sie,« entgegnete der Graf, »das gebe ich zu, wie der preußische Exerzierstock; aber wo alle Rücken geschmeidig werden, erfreut uns zuweilen ein gerader, wenn auch mit Borsten. Und so ein Dutzend märkische und pommersche Regimenter, meine ich, Exzellenz, als Knochen zu dem Körper, den unsers Freundes Masse bilden soll –«

»Einverstanden,« unterbrach der Minister, »und sie die Korporale, Rittmeister, meinethalben auch Festungskommandanten, nur nicht Feldherren. Nicht Feldherren und nicht Staatsmänner. Regieren dürfen diese kurmärkischen Junker nicht wollen. Nur nicht am Regiment, Graf, es wäre dieses Staates, es wäre ihr eigenes Unglück.«

»Warum?«

»Weil die Natur es so gefügt hat. Obs vom wendischen Blut kommt oder vom Kiefernadelgeruch, wer sagts? Sie können nicht dafür, daß sie sich mit den Ideen nicht vertragen können, und der Staat auch nicht, daß er Ideen braucht, um nicht in Dumpfheit und Roheit zu versinken.«

»Und manche haben so schöne Stammbäume.«

»Was hilft dem Lande ein Adel ohne aristokratische Gesinnung! Eisen, das sich zu Stahl nicht schmieden läßt, paßt für den Pflug, nicht zum Degen. Was haben sie versäumt, was hätten sie sein können, wenn sie ihrer Zeit, ihrer Gedanken sich bemächtigt! Wie anders könnten sie dastehen, an der Spitze der Zivilisation, des geistigen Lebens dieses Staates. Versäumt ist versäumt. Hardenberg wird seine Not mit ihnen haben; er hat sie schon. Uebrigens, es sind gute Leute und nicht so schlimm, als sie sich manchmal den Schein geben möchten. Man muß nur zuweilen gut pommersch mit ihnen reden. Hardenberg kann leider nicht pommersch.«

Die Abschiedsstunde war gekommen.

»Täuschen wir uns nicht, meine Freunde,« hub der Minister nach einer Pause an, »wir gehen einer ernsten Zukunft entgegen, und wir wagen viel. Der Versuch, das Volk zu elektrisieren, ist ein Wagestück. Schlägt es fehl, das sei! Gelingt es, geht unsere Geschichte einer neuen Aera entgegen, und niemand sieht das Ende voraus.«

»Sie haben Graf Münsters Brief noch nicht beantwortet?« fragte leise der Reichsgraf.

»Meine Antwort ist fest,« sprach Stein mit ebenso fester Stimme. »Auf ständischer Gliederung beruht das deutsche Wesen, das deutsche Rechtsweg, die deutsche Freiheit, die ich will. Ohne Adel keine Nation, und ich will stehen und fallen mit meinen Standesgenossen. Aber wenn es die Wahl gälte, diese Erbgüter aufzugeben und in die tötende Nivellierung der Mongolen und Chinesen zu versinken, mit einem Worte, wenn wir Levellers und Jakobiner werden müßten, um deutsch zu bleiben, so opfere ich auch meinen Stand. Zuerst das Vaterland, das Volk, zuerst bin ich ein Deutscher, dann erst ein Edelmann

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