Frei Lesen: Isegrimm

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Kapitelübersicht

Die Schwedenschanze | Die Blutsteine. | Der Quilitzer Knecht. | Die Querbelitzer Schenke. | Schemelbeine. | Isegrimms Haus. | Isegrimm. | Eine Rückfahrt. | Alte Geschichten. | Die erste Nacht in Haus Ilitz. | Eine Erscheinung im Walde. | Der Ball muß sein. | Zwei Anstands-Visiten. | Malchen. | Ein Wetterstrahl im Ratskeller. | Zum Ball oder nicht zum Ball? | Die Ouverture zur Ballmusik. | Die Ballnacht. | Vorm Scheunentor. | Im Schnee. | Jede Schlacht fordert Präparationen. | Schulze und Edelmann. | Die Einquartierung. | d'Espignac. | Der kleine Krieg. | Der Versucher im Hause. | Scheiden. | Ritter und Reiter. | Wendisch oder germanisch. | Das Schwert des Cid. | Der Beichtvater. | Chaotische Besuche. | Der unbegreifliche Brief. | Das Vaterland und bürgerlichen Offiziere. | Die Brücke in die Zukunft. | Eine deutsche Konversation. | Nachtgespenster. | Der Krieg ist nicht Zeit zu Hochzeiten. | Das Ahnenbild stürzt. | Ein verhängnisvoller Brief. | Die Katastrophe. | Ein Doppelgänger. | Eine dunkle Tat. | Ein politisches Geheimnis. | Ihr von Ilitz, Ihr von Ilitz, Solltet nimmermehr nach Quilitz! | Ein Gewitterschlag. | Ein ernstes Zwiegespräch. | Friede und Resignation. | Nach sechs Jahren. | Von Hochgezieten. | Gräfin Heilsberg. | Querl. | Schluß. |

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Willibald Alexis

Isegrimm

Der Krieg ist nicht Zeit zu Hochzeiten.

eingestellt: 25.7.2007

Achtunddreißigstes Kapitel.

Der Krieg ist nicht Zeit zu Hochzeiten.



Wenn es am folgenden Tage in Haus Ilitz ein Türklappen gab und geschäftige Gesichter sich verdrießlich begegneten, hatte das einen andern Grund als die Gespenstererscheinungen der Nacht. Eine große Jagdgesellschaft, Edelleute, Oekonomen und Amtmänner aus der Nachbarschaft, wollten ein Revier abjagen, das in die Ilitzer Aecker grenzte. Die Ilitzer Herren pflegten wohl teil daran zu nehmen, aber Wolf von der Quarbitz war kein Jäger vor dem Herrn. »Ist auch jetzt Zeit zu Jagdvergnügung?« – »Aber es schickt sich doch, daß wir die Herren einladen, es ist nur Anstands wegen,« hatte die Frau von Ilitz gemeint, und schon mit Wilhelmine überschlagen. was noch in Küche und Speisekammer aufzutreiben sei. Isegrimm hatte gefragt: »was ist Anstand?« – Als sie es erklärt: »wenigstens ein Frühstück, wenn die Jäger auf die Grenze gekommen, so ists von alters her gehalten,« hatte er geantwortet: »dann mags auch so bleiben.« Deshalb hatte er aber nicht die Tür hinter sich zugeschlagen und darum hingen nicht die Gesichter, sondern es war eine neue Kontribution ausgeschrieben für Ilitz, und schon um die vorige zu berichtigen, hatte er von einem Nachbar gegen einen Wechsel Geld aufgenommen. Der Nachbar war sonst ein sicherer Mann, aber er hatte auch Geld gebraucht, den Wechsel abgegeben und dieser war jetzt in Händen, wo keine Prolongation oder nur unter unerschwinglichen Bedingungen zu erlangen war.

»Das haben wir davon, daß Du so bist!« hatte die gute Frau von Ilitz am Morgen, ihre Tränen zerdrückend, geseufzt. »Der Quiritzer ist doch auch ein stolzer Herr, aber er hat sich mit ihnen gestellt. Warum mußt Du nur so sein!« – »Weil Gott mich so gemacht hat!« hatte Isegrimm erwidert. – Der Querbelitzer Schulz war auch gekommen oder gerufen worden. Trost und Rat hatte er nicht mitgebracht, so wenig als Geld. Warum fing er, kaum einen Fuß über die Schwelle, mit einer Litanei an? Die letzte Einquartierung hatte freundlich getan und den Bauern beim Dreschen und Graben geholfen. Nun sie abgegangen, war die Bescherung an den Tag gekommen: Dem und dem und dem war der Topf mit ihren Sparpfennigen ausgegraben – fort und heidi! O, es war ein Elend im Dorf. Der Gutsherr hatte ihn nicht weiter reden lassen: »Köpke, sind Seine Töpfe auch fort? – Er gräbt nicht nach. Er ist zu klug, um andere auf die Spur kommen zu lassen, wo Sein Geld steckt.« – »Du lieber Gott,« hatte der Schulz entgegnet, »wenns so fortgeht, wird bald keiner wissen, wie Geld aussieht. – Der gnädige Herr von Quilitz hats am Ende noch am gescheitesten getan. In den Mauerstaub legen sie keine Einquartierung.«

»Wer ist denn noch gescheiter als mein kluger Vetter von Quilitz? Denn dahinter lauert noch was,« hatte Wolf ihn angestiert. Köpke schüttelte den Kopf und mit einem schielenden Blicke: »Gnädiger Herr, das ist nichts für Sie, und für unsereins auch nicht. Aber erzählen tun sie doch aus dem dreißigjährigen her, die Bauern, wenns zu arg ward, hätten sie ihre Häuser selbst angesteckt, und dann zogen sie mit Vieh, Weib und Kind in die Wälder, oder wos Höhlen gibt. Ich mags keinem nachsagen, aber manchermann hats gesagt: i, so täte man ja gescheiter, an sein Haus Feuer legen und nachher sagen die Franzosen habens getan. Die Feuerkasse zahlts doch wieder, sagen sie, und im dreißigjährigen gabs noch keine. Aber das ist, meine ich, wohl schlecht gesagt!« – »Köpke,« hatte Isegrimm kurz erwidert, »darum betet Er alle Abend: führe uns nicht in Versuchung! – Aber Geld muß ich haben!«

Die gnädige Frau war zugegen gewesen, als nach einer Pause der Schulze so leise vor sich hinsprach: »Der Benjamin Schlochauer ist noch in Nauwalk!«

Da wars, wie wenn Oel ins Feuer gegossen wird. Der Isegrimm sprach kein Wort, er ging nur auf und ab mit seinen großen Schritten und verzehrte still für sich, was ihm das Blut an die Stirn trieb. Die gnädige Frau zwinkerte dem Schulzen zu; es mochte heißen: er gibt schon nach.

Der Schulze, der jetzt demütig an der Tür stand, sagte wieder leise, aber etwas lauter war es doch: »Der Schlochauer ist auch noch nicht von den Schlimmsten. Er hat doch ein Einsehen, und wo er nur sicher ist, läßt er auch ein Prozent fallen. – Ja, von solchen, wie vom Ritzengnitzer, da nimmt er –«

»Seinen Judenteil,« rief der Major. »Aber – was hat Er noch hier zu schaffen, Köpke! Mach Er, daß Er fortkommt, Seine Töpfe könnten Ihm fortlaufen. Den Schlochauer, das sag ich Ihm, unterstehe Er sich nicht, ihn rufen zu lassen, bis ich nach ihm schicke. – Bis Nachmittag oder bis morgen –«

Der Schulze ging, von einem Blick der gnädigen Frau begleitet:

»Wolf, es ist nun mal so, wir ändern nichts. Ein Jude hat auch manchmal ein christlich Gemüt. Wenn er auch viel fordert, mancher christliche Kaufmann fordert noch mehr. Dem Ritzengnitzer, auch dem Quiritzer, hat er auf seine Seligkeit geschworen, gäbe ers nicht ohne Unterpfand, aber Dir auf Dein bloßes Wort –«

»Ein Ehrenwort einem Juden – ein Quarbitz einem Juden verpfändet! – Nicht einmal als Leutnant – solange wir denken können –«

Es ist auch noch nie ein Napoleon gewesen! dachte oder sagte die gute Frau von Ilitz. Und in solcher Stimmung sollte ein Frühstück arrangiert werden! Wenn nicht Minchen gewesen wäre, die treppauf, treppab, überall und nirgends war. Was sah Karoline blaß aus! Sie hatte entsetzliche Kopfschmerzen. Der Vater, in Gedanken verloren, legte die Hand ihr auf die Stirn: »Du wirst mir nie Kummer machen.« Er sah nicht, daß die Berührung sie schmerzen mußte, sie ward rot – er sah auf die Knaben. Sie waren Herrn Mauritz fortgelaufen, sie wollten frei haben, weil Gäste kamen und Kuchen gebacken würde. Mit einer unwilligen Bewegung wandte er sich ab, die bedeuten mochte: der Kandidat solle seine Autorität brauchen! Aber auch Malchen sah so blaß aus. – Die alte Suse war über Nacht gestorben! Wer sollte nun aus Nauwalk die Zeitungen holen? Darüber kümmere sich das Kind, meinte die Mutter.

»Auch die alte Suse tot!« murmelte der Vater, und der Lärm im Dorf, der die Ankunft der Jagdgesellen verbündete, war ebensowenig angetan, seine Stimmung zu bessern, als die Meldung, daß auch sein Vetter, der Hofmarschall, und mit ihm der Baron Eppenstein eintreffen werde. »Aber wo ist denn der Marquis!« rief er aus, als verlange ihn nach der Gegenwart des Feindes zum Trost für die unerwünschten Freunde. Man hatte den Kolonel schon früh am Morgan ausreiten gesehen.

»Auch die alte Suse tot!« wiederholte Isegrimm, und sah in dem Augenblick gar nicht wie ein Isegrimm aus, indem er mit den verschlungenen Fingern vor sich Kreise wirbelte. »Die wird nun nicht mehr im Traum auffahren, vor Schreck, daß sie zu spät aufwachen könnte. Sie kann zum ersten Mal ruhig ausschlafen, bis der sie erweckt, der uns alle wecken wird. Wer auch ruhig schlafen könnte!«

Dazu ward allerdings jetzt nicht die Zeit. Die Jagdgesellschaft verursachte bald einen Lärm, der bis in die entferntesten Winkel drang, und das dauerte schon Stunden.

Im Gange begegnete der Major dem Kandidaten: »Auch Sie so blaß!« Herr Mauritz meinte, das viele Rauchen sei ihm wohl auf die Brust gefallen. »Es ist nur der schlechte Tabak,« erwiderte mit ungewöhnlicher Milde der Gutsherr. »Daß muß man sich schon auf dem Lande gefallen lassen, Schlechtes mit Gutem gemischt! Wer änderts! Wenn der Edelmann mit den Amtleuten und Oekonomen umgehen muß, verbauert er. In der Stadt freilich ists anders –«

Verwundert sah der Kandidat auf den Mann, der ihm noch dazu vertraulich den Arm in den seinen legte, um so die Treppe hinaufzusteigen. In ganz anderem Tone hatte er ihm vorhin aufgetragen, die Gesellschaft zu unterhalten. Sie unterhielt sich ja selbst mit ungeheuerlichen Jagdgeschichten, mit Schimpfen auf ihre Bauern und auf die Beamten, mit Spott und Anekdoten über Pastoren, von denen doch einer dabei war und sich nur zu verteidigen wußte wie der Nichtraucher unter Rauchern, wenn er die Pfeife selbst in den Mund nimmt. Konnte der Kandidat diese Gesellschaft unterhalten! War ihm nicht, als er den Mund geöffnet, einer mit einem rohen Witz ins Wort gefallen, und ein wiehernder Chorus hatte dem Intervenienten beigestimmt! Wollte der Major das gutmachen, oder fürchtete er von dem Gespräch unten eine Wendung, die gefährlich werden konnte? Die Jäger politisierten, das heißt, sie schimpften auf die Franzosen. Grund war überall dazu, aber sie griffen ihn auf, wo es dem Major nicht gefiel. Konnte nicht der Kolonel jeden Augenblick eintreten!

Malchen kam ihnen entgegen, eine Träne im Auge. Sie blieb auf der Treppe stehen und erfaßte unbefangen des Kandidaten Hand: »Lieber Mauritz, lassen Sie sich von niemand einreden. Handeln Sie und sprechen, wie es Ihnen ums Herz ist, und was Sie für recht halten.«

Der Vater hatte nichts dazu gesagt; oben auf dem Korridor blieb er aber auch stehen und legte ihm die Hand auf die Schulter: »Lieber Herr Mauritz handeln Sie nur, wie Malchen Ihnen sagte. Sie hat den richtigen Takt – Karoline hat ihn auch. Es gibt aber Edelleute, wo man sich schämen muß, daß sie es sind. Das sage ich Ihnen auch. Wahre Karikaturen ihres Standes. Sie verstehen nicht zu stehen und nicht zu gehen, und doch voll Dünkel. Alle Weisheit haben sie mit Löffeln gefressen, parlieren, dozieren wie ein ästhetischer Jude, nur eins wissen sie nicht, sich selbst zu präsentieren, am wenigsten zu repräsentieren. Man schämt sich in der Seele; ich kenne Bürgerliche, die beides besser verstehen.«

Der Kandidat dachte, vielleicht gelte die Philippika den Jagdgenossen; es war aber nicht so.

»Es ist freilich schlimm, wenn Edelleute auf dem Wollmarkt und in den Weinstuben ihre Etuden machen, in jedem Gefäß muß aber ein Bodensatz sein. Aber – wer uns nicht achtet und nicht liebt, und es uns doch nachtun will, wer unser edel Metall gering schätzt und sich doch mit dem Schaum davon plattiert, daß es aussehen soll wie Gold und Silber – Ich habe so meine eigenen Ansichten über Minchen, das ist wahr, aber dazu ist sie mir doch zu gut. Wie gesagt, sie soll ihren freien Willen haben; ist sie toll und versessen, nun dann in Gottes Namen! Aber – in ihre Hand ists gelegt, und sie soll ihre Vernunft brauchen. Nur nicht aus Rücksicht für ihren Vater. Solche romantische Faseleien statuier ich nicht. Nichts von Sentimentalität und Aufopferungsgedanken! Glaubt sie glücklich zu werden, gut! Sie mag rechnen und spekulieren – für sich. Wir bleiben, was wir sind, und mir noch zwei Töchter, die sich und ihre Familie nicht vergessen werden. Zur Hochzeit komme ich nicht, das mögen Sie ihr sagen; sie soll mirs verzeihen. Ich kann den Menschen nun einmal nicht ausstehen, und wärs auch nur darum, daß er mir mein Kind abkaufen will. Und was ists denn am Ende geholfen – Jude um Jude!«

Aus der Verlegenheit, darauf zu antworten, und der unangenehmen Notwendigkeit, vorher zu fragen, was er eigentlich solle, ward der Kandidat durch den Hofmarschall und die gnädige Frau von Ilitz gerissen, die aus einer Tür gerade auf ihn zukamen. Der Hofmarschall drückte mit beiden seine Hand, wie innig erfreut, einen alten Bekannten wiederzufinden:

»Mein lieber, lieber Mauritz, unter welchen Umständen dies Wiedersehen! Nun, da preise ich uns glücklich, in Ihrer Hand liegt das nächste Schicksal dieser ehrenwerten Familie. Wie Sie alles zum guten führen werden, darüber bin ich keinen Augenblick in Sorge. Ich sagte immer, Sie sind ein Sonntagskind: Jeder schenkt Ihnen sein Vertrauen und alles glückt Ihnen.«

Die gute Frau von Ilitz, hätte sichs nur geschickt, sie wäre dem Kandidaten um den Hals gefallen; sie klopfte ihm nur auf den Arm: »Nun gehen Sie rein zu ihr. Bedenken Sie, was davon abhängt, unser ganzes zeitliches Glück. Lieber Gott. ein Mensch ist er doch wie wir alle, und sein Bruder hat eine Gräfin, und von ihrer Familie sind sie in den ersten Posten am Kaiserlichen Hofe, und immer so nett und schmuck, wie aus dem Ei gepellt. Und hat Seine Erlaucht, der Herr Reichsgraf uns nicht gesagt, was sein erster Vorfahr war, und wer sagt es ihm ins Gesicht! So was verwächst sich ja mit den Jahren.«

»Was denn?« konnte man auf des Kandidaten Gesicht lesen.

»Sie wirds Ihnen ja alles sagen. Minchen ist nicht auf den Kopf gefallen. Aber Sie sind uns ins Haus gefallen, als ob der liebe Gott Sie geschickt hätte. Weiß der Himmel, lieber Herr Mauritz, wie Sies gemacht, daß Sie ihn rum gekriegt, aber beinahe könnten Sie ihn ja um den Finger wickeln. Darum fürchten Sie sich auch nicht, wenn sie ja sagt. Er hat ja das Kind schon verloren gegeben, und auf Ihren Rat giebt sie was, wenn sies auch nicht merken läßt. Und daß Sies wissen, aber verraten Sie es ihr ja nicht, sie hat expreß gesagt, sie will erst mit Herrn Mauritz sprechen.«

Damit war er mehr in die Stube geschoben als gegangen – er wußte ja noch kaum wohin? Die Tür schlug hinter ihm zu und drinnen war er allein – mit Wilhelminen. Sie saß, mit den Armen ihre Knie umfaßt haltend, den Kopf gesenkt. Wenn es die Stellung einer Nachdenkenden, so war es wenigstens nicht die einer Verzweifelnden, denn sie wippte mit ihrem niedlichen Füßchen in die Luft. Aber es war eine Art Schmerzenslaut, den sie ausstieß, als sie, mit den Rücken beider Hände über die Augen streichend, beim Geräusch des Türzuschlagens sich langsam erhob: »Ach, das ist recht fatal, wenn man nicht weiß, was man tun soll.«

Der Kandidat stand vor ihr mit einem fragenden Blicke.

»Muß ich von vorn anfangen?«

Er zuckte die Achseln,

»Dann muß ich es Ihnen ja haarklein erzählen, und das ist auch fatal.«

Den Anfang von dem, was sie haarklein, wenigstens mit der unbefangensten Art und Deutlichkeit erzählte, wissen unsere Leser. Der Baron Eppenstein hatte nie deutlich seine Absicht ausgesprochen, aber weder ihr noch der Familie war es einen Augenblick unklar geblieben, daß er seine Augen auf sie gerichtet. Der Vater hatte ebenso unverhohlen seine Abneigung gegen den Bewerber ausgedrückt. Er war der Familie nicht näher gekommen, er hatte sich auch nicht mehr zurückgezogen. Heute hatte der Vetter aus Quilitz ganz unerwartet dem Vater erklärt daß der Baron bereit sei, ihn durch ein bares Darlehen aus der Verlegenheit zu ziehen, in der er sich befand. Ja, er bot es geradezu dem Ehrenmanne an, den er unmöglich in solcher Kalamität untergehen sehen könne, und es war so bedeutend, daß es den Major auch aus mehr als jener Verlegenheit retten konnte. Die Bedeutung der Gabe war klar. Ward sie angenommen, so gab er seine Geneigtheit zu erkennen, auf des Barons Anträge zu hören. Daß ihr Vater im ersten Auflodern verschworen, er wolle sich lieber, wie in der Komödie der Kaufmann von Venedig, dem Juden mit Fleisch und Blut verschreiben, als darauf eingehen, verstand sich bei seinem Charakter von selbst. Aber die Mutter und der Kousin waren vor dem Zorn nicht zurückgewichen, der Kousin hatte die Verschreibung an den Juden in einem Lichte darzustellen gewußt, daß der Major nachdenklich ward, die Mutter ihn erinnert, daß er Wilhelmine ja doch als Familienglied aufgegeben. Endlich hatte man in diesen ernsten Familienberatungen, die oben abwechselnd gepflogen wurden, während die Gesellschaft der Jäger die Verhandelnden oft hinunter rief, auch die, welche es am nächsten anging, selbst hinzugezogen.

»Und welche Stimme gab Wilhelmine ab?«

»Daß Vater nicht gleich losfahren dürfe. Ein solcher Antrag ist doch nicht mir nichts dir nichts von der Hand zu weisen. Das will ernstlich überlegt sein.«

»Dann scheint es mir nicht, daß Ihre Stimme in die Wagschale zu Gunsten des Barons fällt.«

»Wenn ich nicht mehr bedächte, so verdiente er etwas dafür. So den Augenblick zu wählen, wo wir in der Not sind! Ist das nicht, als ob er mich kaufen will wie eine Ware; er hat nur die Zeit abgewartet, wenn sie am wohlfeilsten ist. Nun weiß ich doch auch, wieviel ich wert bin. Tausend Taler hat er geboten, und wenn Vater nicht gleich losschlägt, legt er wohl noch fünfhundert zu.«

»Sie zürnen ihm also?«

»Ja. Und es ist eine große Undelikatesse von ihm, daß er in Person mitkommt. Als erwarte er, daß ich gleich runterspringen, ihm um den Hals fallen und danken solle: Du lieber, großmütiger Mensch, daß Du meinen Vater gerettet hast; da hast Du mich, wie ich bin und stehe, und wenn ich Dir das je vergessen könnte, sollst Du mich ein undankbares Geschöpf nennen. Weil er hübsch ist, und reich und unabhängig, meint er, er brauchte nur die Finger auszustrecken. Wenn er ein Mann von Takt wäre, hätte er doch zu Hause abgewartet, welche Antwort ihm der Hofmarschall zurückbrächte. Aber so sind alle diese eitlen, geckenhaften jungen Herren jetzt.«

»Er hat falsch gerechnet, wenn er auf Ihre Fürsprache hoffte. Sie entschuldigen und vergeben es ihm nicht.«

»Ach, man muß wohl mehr vergeben. Und wenn man nie entschuldigen wollte, was nicht gut ist, wie käme man mit den Menschen aus! Sie sind einmal wie sie sind, und wir müssen unter ihnen leben. Ich kenne ihn. Was kann er für seine Natur! Er braucht, um hier fortzukommen, eine Frau aus den angesessenen Familien, und für seine Wirtschaft eine, die das Wirtschaften versteht. Nun bin ich außerdem so leidlich hübsch, daß er mich präsentieren kann; also was will er mehr! Die Rechnung ist richtig, es ist dagegen nichts zu sagen, und –«

»Und wenn Wilhelmine die Gegenrechnung entwirft, wird er bestehen?«

»Er ist sonst ein guter Mensch. Es gibt viel schlimmere, und sie brauchen nur die Hände auszustrecken, und kriegen Frauen, bessere als ich.«

»Er mag ein guter Mensch sein, aber schon nach dem, was Sie selbst sagten, ist er roh –«

»Besser roh als fein. Darin habe ich Vaters Geschmack. Solches glattes, lispelndes Herrchen aus der Stadt, oder so einen Brillenmann, der mit gelehrten Redensarten um sich wirft, möchte ich nicht.«

»Sie haben seine Tugenden und Fehler auf eine Wagschale gelegt, also schweige ich.«

»Nein, Sie sollen reden, lieber Herr Mauritz, darum bat ich Sie zu mir. Was Sie denken, von ihm halten, nur nicht die Geschichte von den Ahnen und der Reinheit des Blutes; das ist für mich dumm Zeug. Wer Ahnen lieber hat als lebendige Menschen, der mag sie heiraten, wie der Herr von Quiritz. Wenn ich heirate, will ich einen Mann, der – ja, wie soll ich das sagen? Er soll mir gefallen um meiner selbst willen; um all die Anhängsel und Rücksichten, und was er um sich hat und mitbringt, darum würde ich mich nicht so viel kümmern.«

»Alle Rücksichten wollen Sie fortwerfen? Und doch meint man, daß die meisten Ehen von Rücksichten bedingt wurden. Ist das nicht auch eine, wenn zwei sich – was man nennt nicht lieb hatten, aber sich allmählich schätzen lernten um ihrer guten Eigenschaften willen, und dann reichten sie sich die Hand und wurden glücklich? Wo ist die Grenze zwischen Mitgift, Eigenschaft und Natur? Wie armselig stünde es um unser Leben, unser Dasein, wollten wir alle Rücksichten beiseite werfen, nur auf unsern Wert, unsere natürlichen Gaben uns einschränken, berufen. In eine Welt voll Verhältnisse geschleudert, müssen wir uns an sie halten, um in dem Strudel und Wirbel der Dinge zu bestehen. Die Notwendigkeit wie Religion gebieten, daß der Mensch sich an den Menschen hält, er soll ihn lieben und seinen Schwächen nachsehen, um im Bunde mit ihm das auszurichten, was der einzelne nicht kann.«

Sie sah ihn forschend an: »Ist das eine Predigt, die zum Schluß heißt: ich soll ja sagen und den Baron nehmen, wie er ist?«

»Sie könnte auch einen andern Schluß haben, Fräulein Wilhelmine! Sie sollten Ihre gegenseitigen Eigenschaften, Verbindungen, Rücksichten prüfen, ob sie zu dem gesegneten Bunde führen oder nicht? – Eine Reihe Ahnen braucht man nicht zum Glück des Lebens, aber nach der Meinung der Welt haftet von den Eigenschaften der Väter immer etwas an den Kindern. Des Barons Großvater, daß er mit Lumpen handelte werf ich ihm nicht vor, aber er soll auch ein Wucherer gewesen sein. Der Vater, sein Sohn, wird als ein eitler, hochmütiger Mensch geschildert; daß er sich adeln ließ, dann aus Adelsstolz die Verbindung mit seinen anderen Verwandten abbrach, machte ihn in Schlesien zum Gegenstand des Spottes. Sein ältester Sohn, unseres Barons Bruder, ist ein blasierter, hochnäsiger Mann, der klüger als alle Welt sein will, absprechend, immer voll Sottisen, seine Leute und Untertanen werden chikaniert; und seine Heirat mit der Gräfin hat die Achtung für ihn nicht vermehrt, da man weiß, wie sie leben. Man sagt: das kommt davon, daß er aus purem Hochmut, ohne Herz und Liebe, über seinen Stand heiratete; die Ehen sollen etwas Heiligeres sein als Spekulationen, und zur gerechten Strafe schlug seine so übel aus. Seine Familie hat dadurch nicht an Ansehen gewonnen, denn die vornehmeren Verwandten seiner Frau zogen sich von ihm zurück, und die Mesalliance der armen Gräfin hat auch ihren Charakter weder gehoben, noch gebessert. Sie blickt mit täglicher Verachtung auf den Mann, der ihrer nicht würdig war, aber ihr verbittertes Gemüt hat sie vielleicht jetzt an innerem Werte näher gebracht. Ist das keine Rücksicht, welche Ihrem Vater ernste Bedenken gegen die Heirat eingeben kann? Und wenn nichts von den Untugenden der anderen Familienglieder dem Baron anhaften sollte, ist es für den Mann von dem unbefleckten Charakter eine erfreuliche Aussicht, in solche Familie hineinzuheiraten? Da begreife ich, ich ehre seinen Adelsstolz, wenn er auf die lange Reihe makelloser Vorfahren zurückblickt und vor der Verbindung einen Schauder empfindet.«

Minchen sann einen Augenblick nach, dann antwortete sie mit der vorigen Ruhe: »Mein Vater soll ja nicht hineinheiraten; ich nur. Die Frauen scheiden aus der Familie, wenn sie heiraten, hat er oft gesagt. Da ist also für den Stammbaum nichts verloren, wenn ich auch verloren ginge. Und das mag alles seine Richtigkeit haben mit seinen Verwandten, was gehen mich aber die Verwandten an, die wollen mich nicht heiraten, sondern er. Und dann, wenn der Großvater ein Wucherer war, der Vater nur ein Geizhals, der älteste Sohn aber gar nur ein verdrießlicher, überkluger Lebemensch, so sehen Sie ja ganz deutlich, daß die Familie immer besser wird. Der Baron ist weder ein Wucherer, noch ein Geizhals, noch ein verdrießlicher, überkluger Lebemensch, sondern ein lebenslustiger junger Stutzer, ich glaube, nicht so gar überklug, ein Geizhals auch nicht, das wissen alle, und noch weniger ein Wucherer, denn er will Vatern eine große Summe ohne Zinsen leihen. Sie sehen also welche Fortschritte zum Guten da sind, und um die Familie noch besser zu machen, heiratet man mich hinein.«

»Sie sind heiter gestimmt.«

»Und Sie böse auf den Baron, Herr Mauritz. Wer hätte das von Ihnen erwartet! Sie gönnen ihm nicht einmal eine gute Frau, die ihn noch ein Bißchen zustutzt. Da Sie einmal so mechant sind, immer raus, was Sie noch Uebles von ihm wissen. Ein Bißchen mehr oder weniger tut es nicht.«

»Ich hasse ihn nicht, wiewohl –«

»Sie ihn nicht leiden können.«

»Ich gönnte ihm eine gute Frau, die ihn auf den Pfad der Sitte und Tugend führte, denn man hört Klage über seinen Lebenslauf – die Bauernmädchen in seinem Dorfe –«

»Ach, Herr Mauritz,« unterbrach ihn Minchen, »wenn Sie darauf hören wollten, würden die Fräulein bei uns alle alte Jungfern. Nein, da die Ohren zugehalten und die Augen auch. Und wenn nur die Frau nachher vernünftig ist, bringt sie den Mann auch bald zur Vernunft. Und da Sie nur Schlechtes von ihm wissen, will ich Ihnen auch das Gute sagen. Er ist wahr. Was nicht gut an ihm ist, das verbirgt er so wenig, als daß sein Großvater ein Lumpenhändler war. Er ist auch klug, nämlich gerade so klug, als hier auf dem Lande nötig ist, damit man ihn nicht für dumm hält. Wäre er gar so eingebildet auf seine Vorzüge, als Sie ihn machen wollen, dann hätte er nicht so lange gewartet, bis er sich einen Korb geholt, oder die Pflaumen darin. Er ist gut und großmütig, wenns ihm nicht zu viel kostet. Als die alte Suse neulich den Fall tat, woran sie doch sterben mußte, hat er sie nach Haus fahren lassen und ihr noch drei Taler geschenkt. Er hat das Herz auf dem rechten Fleck nämlich, was Vater Kourage nennt, und viele meinen, seine Courage wäre auch auf dem rechten Flecke, nämlich, sie ginge Schritt für Schritt mit der Klugheit. Wie der Ritzengnitzer und der arme Theodor ist er nicht blind ins Feuer gesprungen, aber er hat auch das Herz als Patriot auf dem rechten Flecke, und – würde Feuer geben, meinen sie, auf die Franzosen, gerade wenns Zeit ist.«

Der Kandidat neigte sich etwas: »Und zu diesen guten Eigenschaften hinzugerechnet, daß er ein hübscher, junger Mann ist, reich, unabhängig, und seine Gattin zu einer reichen, unabhängigen, glücklichen Frau machen kann – so ist ja über die Antwort auf seine Frage beschlossen. Er wird vergnügt zur frohen Jagd von hier abziehen. – Weshalb ließen Sie mich rufen, Fräulein Wilhelmine?«

»Weil – weil mir wahrhaftig nicht so zu Mute war, als wollte ich Sie zum besten haben. Sind Sie bös! – Aber ich habe Sie doch wohl zum besten gehabt! Sie haben mich nicht ordentlich aufs Gewissen gefragt. Da hätte ich anders geantwortet. Lieber, lieber Herr Mauritz, ich bin Ihnen gut, ich traue Ihnen so von Herzen, sprechen Sie auch einmal so zu meinem Herzen.«

»Sie würden keine unüberwindliche Abneigung empfinden, dem Baron, wie er da ist, Ihre Hand zu reichen, wenn – etwa die beiderseitigen Eltern es beschlossen hätten?«

»Nein, dann nicht; es muß ja doch einmal geheiratet sein.« –

»Und wenn Sie wüßten, daß Ihr Vater durch Ihr Jawort aus einer empfindlichen Verlegenheit gerettet würde, daß er sehnlich darauf wartet, daß er es von Herzen wünschte, aber aus Liebe zu seinem Kinde den Wunsch nicht auszusprechen wagt, dann würden Sie von Herzen gern das Jawort geben?«

»Ja – dann – aber es ist nicht so – Vater wünscht es im Herzen eigentlich gar nicht.«

»Da Sie die Ueberzeugung haben: es muß einmal geheiratet sein, so haben Sie gewiß auch schon einmal im Traume, oder zwischen Schlafen und Wachen, sich ein Bild entworfen, wie Ihr Zukünftiger aussehen müßte. – Ihr Augenniederschlag sagt ja. – Sah er so aus wie der Baron?«

»Nein!«

»Warum nicht?«

»Ja, Herr Mauritz, das ist zu viel. Das weiß ich nicht zu sagen. Ja – warten Sie – er dürfte nicht immer so mit der Bürste in die Haare fahren, sich nicht so oft in die Krawatte werfen und Blicke in den Spiegel tun; nicht so mit der Reitpeitsche gegen die blanken Stiefel spielen, damit man seine weißen, schönen Hände sähe, und nicht so viel Ringe darauf tragen.«

»Das sind Merkmale, wie er nicht sein soll, nun möchte ich doch auch wissen, wie er positiv aussehen müßte. Zum Beispiel wie ich?«

Sie errötete und lächelte: »Vielleicht – nein, nicht ganz so. Ja, wären Sie eine Mandel Jahre älter, Herr Mauritz – so ein ernstes Gericht haben Sie schon, aber nein, doch nicht, das ist so ein Ernst, vor dem man beinahe zurückschreckt. Das gehört auf die Kanzel, aber nicht in die Wohnstube oder gar in die Speisekammer, wenn mal ein gestrenger Ehemann hineinguckt, wie es auch wohl vorkommt. Nein, da lob ich mir den alten Herrn von Wahrnim-Kautzenburg, mit seinem vollen, runden Gesicht und der kahlen Glatze. Zu dem hätte ich gleich Zutrauen. Oder der Reichsgraf Waltron. Mit dem, meinem lieben Paten, weiß man gleich, wie man dran ist, man kann froh sein und betrübt sein, es verschlägt ihm nichts; er ist immer derselbe. Nein, nein, nein, ein Ehemann muß nicht zu jung sein, und nicht zu lustig und nicht zu ernsthaft. Mit den jungen Leuten ists nichts, da bekommen wir nicht Respekt, und ohne Respekt ist keine Ehe gut.«

Er faßte ihre beiden Hände und blickte ihr treu ins Gesicht: »Und nun haben Sie entschieden und ich sage Amen! Wo das Herz nicht der Wegweiser ist, müssen die Rücksichten den Weg zeigen. Der Baron ist noch zu jung und es muß ihm auch noch sonst manches zuwachsen, was ihm abgeht. Das können wir ihm sagen lassen – durch die Blume, denn bös machen wollen Sie ihn nichts Und im Krieg ist böse Zeit zum Heiraten. Dem Vater aus seiner Not, da wird Gott wohl noch einen anderen Retter senden.«

Wie es gekommen, weiß ich nicht, sie war ihm um den Hals gefallen: »Gott lohns Ihnen, Herr Mauritz, daß Sie mir einen so guten Rat gegeben. Er wirds Ihnen auch lohnen,« setzte sie schelmisch hinzu. »Sie müssen nur den Mut nicht verlieren. Wissen Sie was? Nehmen Sie sich den Baron zum Muster. Aber nur halb. Der wollte warten, bis eine gute Gelegenheit kam, er wartete auch, aber nicht lange genug, und die Gelegenheit, da griff er falsch zu. Sie werden nicht dem Vater für seine Tochter tausend Taler bieten, Sie werden nicht – ach, was weiß ich, Sie wissen ja alles besser. Der Vater kann bös werden, furchtbar bös, aber – ach, das wissen Sie ja am besten, wie man sich seine Achtung erzwingt, und dann war Ihr Großvater ja auch kein Lumpenhändler und Ihr Vater hat sich nicht baronisieren lassen. Und dann, kommt Zeit, kommt Rat, und – ja, Sie haben recht – im Krieg ist keine Zeit zu Hochzeiten.«

< Nachtgespenster.
Das Ahnenbild stürzt. >



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