Frei Lesen: Isegrimm

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Kapitelübersicht

Die Schwedenschanze | Die Blutsteine. | Der Quilitzer Knecht. | Die Querbelitzer Schenke. | Schemelbeine. | Isegrimms Haus. | Isegrimm. | Eine Rückfahrt. | Alte Geschichten. | Die erste Nacht in Haus Ilitz. | Eine Erscheinung im Walde. | Der Ball muß sein. | Zwei Anstands-Visiten. | Malchen. | Ein Wetterstrahl im Ratskeller. | Zum Ball oder nicht zum Ball? | Die Ouverture zur Ballmusik. | Die Ballnacht. | Vorm Scheunentor. | Im Schnee. | Jede Schlacht fordert Präparationen. | Schulze und Edelmann. | Die Einquartierung. | d'Espignac. | Der kleine Krieg. | Der Versucher im Hause. | Scheiden. | Ritter und Reiter. | Wendisch oder germanisch. | Das Schwert des Cid. | Der Beichtvater. | Chaotische Besuche. | Der unbegreifliche Brief. | Das Vaterland und bürgerlichen Offiziere. | Die Brücke in die Zukunft. | Eine deutsche Konversation. | Nachtgespenster. | Der Krieg ist nicht Zeit zu Hochzeiten. | Das Ahnenbild stürzt. | Ein verhängnisvoller Brief. | Die Katastrophe. | Ein Doppelgänger. | Eine dunkle Tat. | Ein politisches Geheimnis. | Ihr von Ilitz, Ihr von Ilitz, Solltet nimmermehr nach Quilitz! | Ein Gewitterschlag. | Ein ernstes Zwiegespräch. | Friede und Resignation. | Nach sechs Jahren. | Von Hochgezieten. | Gräfin Heilsberg. | Querl. | Schluß. |

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Willibald Alexis

Isegrimm

Von Hochgezieten.

eingestellt: 25.7.2007

Fünfzigstes Kapitel.

Von Hochgezieten.



Es war wieder beinahe ein Jahr verstrichen, als an einem schönen Frühlingsmorgen Haus und Dorf Ilitz so rein gescheuert und geschmückt aussahen, daß man sie kaum wieder erkannte. Ueberall Kränze und Guirlanden von Tannenreisern, Treibhaus- und ersten Feldblumen, festlich geputzte Bauern und Bäuerinnen, die Dienerschaft des Herrenhauses in neuen Livreen. Der Gutsherr, General von der Quarbitz, der mit Ehren und vielen Orden aus dem Feldzuge zurückgekehrt war, feierte die Hochzeit seiner jüngsten Tochter mit dem nach dem Tode des alten Faßbinder zum Ortsprediger installierten Hauptmann a. D. Albert Mauritz, Ritter des Eisernen Kreuzes.

Wer malt die Glücklichen alle. Wir beschreiben sie nicht; nicht die, welche nach ihrem strahlenden Gesicht, ihrem hüpfenden Gange fast die allerglücklichste schien, Wilhelmine; nicht die Mutter, welche die Freudentränen kaum stillen konnte; auch Malchen selbst nicht, die am frühen Morgen schon in den Fichtenwald gegangen, um in der Einsamkeit, im Rauschen der hohen Kiefernstämme, angeglüht von den ersten Sonnenstrahlen, im ersten Zwitschern der Vögel, ihren Gefühlen zu leben, dem Schöpfer für ihr Glück zu danken.

Wir blieben beim General, der eben zwei verspätete Briefe erhalten, denn mit den Posten wollte es nach den Wirren des Krieges noch nicht recht in Gang kommen. Der eine war vom General der Kavallerie Reichsgrafen Waltron, der andere von Quarbitz Tochter, Karolinen. Waltron gratulierte aus Wien von ganzem Herzen zu der ihm gemeldeten Verlobung. Ein braver Mensch, schrieb er in seiner Art, bleibe doch der beste Edelmann; das fühle man erst recht, wenn man mit so vielen besternten und betitelten Intriganten und Halunken zu tun habe, die jeder, Gott weiß was für die Menschheit und das Wohl aller Länder, Klassen, Stände, im Munde führten, eigentlich aber nur an sich dächten und wie sie den anderen einen fetten Bissen fortschnappten. Alles habe den Mund voll von Restitution, Heiligkeit der Rechte und von Legitimität, in der Tat sei es aber ein Faustrecht unter feineren Formen, und der Stärkere siege über den Schwächeren in den Protokollen wie auf dem Schlachtfeld. Nur daß die Intrigen dieses Naturgesetz etwas verrückten, und der Fuchs zuweilen Bär und Wolf übervorteile. Für die kleineren deutschen Fürsten sei wenig, für die Reichsritterschaft gar nichts zu hoffen. Da er durch Konnexionen sein Recht nicht wieder gewinnen wolle, gebe er alle Hoffnung auf, und wenn er nicht an seine Schwester dächte und für sie Splitter wenigstens zu retten hoffte, würde er augenblicklich dem Kongreß den Rücken drehen und nach Amerika auswandern.

Karolinens Brief war an die Mutter adressiert, der Vater korrespondierte nicht mit ihr; seinem Inhalte nach war er aber nur an ihn gerichtet. Der erste Teil bestätigte, was man in Ilitz schon wußte. Der Generalleutnant dEspignac war nach der Konvention von Paris einer der ersten gewesen, der seinem angeborenen König huldigte, und Karoline konnte nicht begeisterte Worte genug finden, das Entzücken ihres Gemahls, ihrer Freunde, Verwandten, aller, aller Gutgesinnten zu malen, als sie die Trikolore von den Fahnen herabgerissen. Im Augenblick, wo sie die Lilien daran heften wollen, sei Raoul so von Rührung übermannt worden, daß er unwillkürlich auf die Knie gesunken und dies heilige Pfand der Treue und des wahren Königtums inbrünstig an seine Lippen gedrückt und geküßt habe. »Da stürzten alle Offiziere seines Regiments mit ihm auf die Knie und drängten sich auch, die heiligen Lilien zu küssen. Es war ein unaussprechlich rührender Moment. Die Schauer der Ahnung überkamen uns, der böse, giftige Zauber, der Frankreich, die Welt so lange umspannt, ist wie mit einem Schlag gebrochen und spurlos in die Erde versunken. Der herrliche, erhabene Monarch Ludwig XVIII., ich habe ihn gesehen; o könnte ich Ihnen, teure Eltern, die Wonneschauer dieses Momentes, die Ihre Tochter empfand, beschreiben. Da stand es in der Brust geschrieben, da atmete es die Luft selbst. Das ist ein wahrer König! Und so denkt jetzt ganz Frankreich. Wie wenig kannten wir es bei uns. Wo er den Fuß zuerst auf französischen Boden gesetzt, wird man in Erz einen Abguß dieses beglückenden Fußtrittes machen, ein Monument, ein Palladium, zu dem noch die Kindeskinder unserer spätesten Nachkommen anbetend pilgern werden.«

»Wollens abwarten,« sagte Isegrimm und wollte den Brief beiseite werfen, als er in der Nachschrift verschiedene dick unterstrichene Stellen fand. »Was ist denn das?«

»Teure Mutter, was Minchen mir schrieb, dürfte ich es doch nur als Plaisanterie meiner mutwilligen Schwester betrachten! Als ich den Anfang ihres Berichts dem Marquis vorlas, ward er blaß und seine Stirn runzelte. Ich brach plötzlich ab und zwang mich zum Lachen: ob er es denn für Ernst halte! – Leider las ich weiter, und es war Ernst. Teure Eltern – Verzeihung, daß ich auch Sie, mein Vater, dabei anrede, aber mein Herz läßt mir keine Ruh – ist es denn wahr, ist es unabänderlich? – Wie es den Marquis affiziert hat, ersehe ich daraus, daß er eben unruhig durchs Zimmer ging mit den Worten: ›der General, Dein edler Vater, kann nun und nimmermehr seine Einwilligung gegeben haben; sie müßte erschlichen sein!‹ Sie sehen, er glaubt es noch nicht. Ist es nicht schon schrecklich genug. daß die nächsten Blutsfreunde als Feinde ein Jahr hindurch sich gegenüber stehen mußten, daß wir zitterten bei jedem Schuß, den wir getan, daß er drüben ein teures Haupt treffe, und auch Sie haben so gezittert. Und nun – ich weiß, ich habe kein Recht, Sie auf die Gefühle meines Gatten aufmerksam zu machen. Was gilt es Ihnen, daß sein edler Stolz jetzt, nachdem alle Nebel gesunken, starr, mächtig, riesengroß möchte ich sagen, aber immer edel, mit dem wiederhergestellten Königtum sich hebt, was, daß eine solche Verwandtschaft, die drohende Schwägerschaft mit dem Sohne eines Bierfiedlers den Enkel seiner Ahnen von edler Scham beben macht! – Ich habe kein Recht, etwas von Ihnen zu erbitten; mein Gemahl, wenn er es hätte, würde nicht bitten, aber die lange Reihe unserer Ahnen, hat sie keine Stimme? wie gesagt, meinen Mann muß es empfindlich kränken, gerade jetzt, wo wir die Schlacken der Revolution von uns abwerfen, wo alles edle Metall in seiner Reinheit und seinem Gehalt wieder zur Geltung kommt, noch empfindlicher. Er sagt, das heiße den Riß, der uns trennt, wo er kaum vernarbte, von neuem aufreißen. Und daß es gerade dieser Herr Mauritz sein muß, dem ich nie getraut habe, denn er war immer vorlaut und indiskret. Er mußte immer von Vatern zurechtgewiesen werden, und wenn Vater ihn behandelt, wie er es verdiente, hätte er ihn längst aus dem Hause gejagt, und was wäre er denn jetzt! Malchen muß geradezu blind sein, und dann ist es für meinen Mann auch rebutant – als guter Katholik kann er nicht anders denken – daß sein Vater seine Tochter einem Geistlichen zur Frau geben kann; denn wenn mit der Revolution einmal gebrochen und zum Abschluß gekommen ist, meint er –«

»Daß wir alle wieder katholisch werden müssen,« rief Isegrimm abbrechend. »So ists recht,« und warf den Brief halb zerknillt auf den Tisch, nicht ohne daß er zuvor noch einen Blick auf die Unterschrift geworfen. Sie lautete: »Karoline, Marquise de la Tour dEspignac, Gräfin von Heilsberg« – »So ists auch recht, Gräfin Heilsberg,« rief er. »Gut spekuliert! Die Revolution haben wir nie anerkannt, aber den kleinen Profit aus ihr nehmen wir in die Restauration mit Vergnügen mit.«

Ein unvermeidlicher Gast war unter den übrigen vorgefahren und eingetreten – der Hofmarschall aus Quilitz. Hätte er sich doch auch wegen Unpäßlichkeit entschuldigen lassen, wie die lange Rike getan, dachte Isegrimm. Sie hatten sich lange nicht gesehen, der Gutsherr fürchtete nicht, aber erwartete Vorstellungen, wenigstens Bedenken, ähnlich denen seiner Tochter Karoline. – Ganz das Gegenteil. Der Quilitzer, ein Mann jetzt in hohem Ansehen, mit den ersten Orden geschmückt um seiner Verdienste willen bei der Rettung des Vaterlandes, war ihm mit einem herzlichen Händedruck entgegengekommen, dann war er ihm um den Hals gefallen. Er küßte ihm beide Backen und sah ihn lange mit Rührung an. So hatte er es erwartet, er hatte im stillen sich längst die Frage gestellt, und – jede so beantwortet wie der General es durch die Tat getan: »Ein Edelmann muß seinen Stand ehren und seine Grundsätze festhalten, aber – noble Gesinnungen, die sich in der Feuerschmiede der Zeit so bewährt haben, fürs Vaterland vergossenes Blut, verleihen auch denen einen nicht auszulöschenden Adel, welchen die Geburt ihnen versagt hat. Dies anzuerkennen scheint mir gerade die Aufgabe des wahren Edelmannes. Und dann noch keine Regel ohne Ausnahme! Wie die Dinge stehen, wird diese Anerkennung gerade von Ihnen, Kousin, der Sache ein ganz besonderes Relief geben. Sie sind der erste Edelmann und Gutsbesitzer der Provinz, der seine Tochter mit der Kirche verheiratet. Erlauben sie es mir so zu nennen. Es ist auch ein Akt der Klugheit. Sie werden mich nicht in Verdacht haben, daß ich dabei an eine Spekulation, eine Art Simonie denke; denn die Pfarre ist doch wahrhaftig nicht so ausgestattet, daß man darum ein Fräulein aus der Familie Quarbitz opferte, und wenn Sie eine flüchtige Aeußerung meiner guten Friederike darüber gehört hätten, so sind Sie Mannes genug, um zu wissen, wie man solche Frauenreden aufnimmt. Aber, bester Freund, wir erkennen in der Handlung Ihre weiter hinausblickende Klugheit. Der Orkan hat sich gelegt, aber die Stürme sind darum noch nicht vorüber, am wenigsten die giftigen Lüfte, die an den ehrwürdigen Rudera der Vergangenheit zehren. Die Religion muß wieder zu Ehren kommen. Darüber – wenn wir noch nicht einig wären, so müßten wirs werden. Die Ideen, die wir zum Heil selbst heraufbeschworen, wallen und wogen noch, niemand sagt voraus, wo sie einmal übertreten werden. Wir müssen dagegen etwas Festes, einen Wall haben, an dem sie sich brechen. Das ist die Autorität, und welche Autorität ist älter als die der Kirche. Wie es uns auch sauer ankommt, wir müssen uns daran gewöhnen, die Prediger zu ehren, um ihnen Autorität unter unseren Leuten zu verschaffen. Ein wahres Glück für Sie, Kousin, daß der alte Faßbinder starb. Diese fortgesetzten Differenzen zwischen Geistlichen und Gutsherren konnten da manches lockern, was fest bleiben muß. Nun und man kann wirklich sagen, Sie tun jetzt das Ihre, um, wenn Sie etwas verschuldet, was ich damit nicht gesagt haben will, es wieder gutzumachen.«

»So, so, also das Ihre Ansicht von heut!« hatte der Ilitzer entgegnet.

»Nicht gerade von heut. Wäre Baron Eppenstein schon vom Rhein zurück, könnte er Ihnen bestätigen, daß sie es schon ehedem war. Man darf es nur nicht jedem unter uns sagen. Als man das Volk aufrief, hat man nicht umsonst zwei Hebel gebraucht, die liberalen Ideen und die Religiosität. Mit denen gilt es nun, geschickt manipulieren, um mit der einen die andere im Zaume zu halten, wenn sie zu hastige Sprünge macht. Und ich meine, für die nächste Folgezeit haben Sie richtig gewählt. Man will den geistlichen Stand wieder zu Ehren bringen, und ich könnte Ihnen da manches im Vertrauen sagen. Wie gesagt, wenn unser lieber Baron Eppenstein zurück wäre, würde er Ihnen bezeugen können, wie ich gerade über die Ehen zwischen den Edelfräulein und den Hauslehrern mich aussprach.«

»Ich würde ihm das Zeugnis erlassen,« sagte Isegrimm.

»Wer weiß,« lächelte der Quilitzer. »Er ward so gut ein anderer, wie unser Kapitän und Ritter Herr Mauritz ein anderer geworden ist, als der arme, schüchterne Kandidat, der mit seinem Wetterfähnchen demütig bei meinem Vetter um Einlaß klopfte. Baron Eppenstein war schon zum Rittmeister avanziert, als er das Glück hatte, der erste zu sein, der ein Pikett Franzosen über den Niederrhein jagte. Es war freilich keine Herkulesarbeit, aber es ward zum Evenement. In Frankreich hat er sich bei Laon unter Blüchers Augen ausgezeichnet, und sein glücklicher Koup auf dem Montmartre lebt noch in den Zeitungen. Ich sollte doch meinen, auch Sie würden den Major heut anders empfangen, als Sie damals die Ordonnanz entließen. Er könnte im Militär eine große Fortune machen, wenn er es nicht vorzöge, ein Herr und Vater auf seinen Gütern zu sein, die sich schon zu einer Herrschaft arrondiert haben.«

»Einen Schnaps ihm anzubieten, würde ich mich freilich nicht mehr unterstehen, da er selbst so viel Branntwein macht, um das Königreich Preußen damit zu versehen,« war des Generals Antwort, der andere Gäste zu empfangen hatte; sonst schien das Zucken um den Mund anzudeuten, daß er sie noch spitziger zu geben wohl geneigt war. »Incorrigible! trotz der Mesalliancen!« sagte der Quilitzer, zu dem neben ihm stehenden Johanniterherrn von Quiritz, welcher selbst an einer Mesallianze zu laborieren schien, wenn man ihn mit der junonischen, baumhohen Dame zusammenmaß, die neben oder über ihm stand, und seine verschriebene und angetraute Gattin war.

Unter den geladenen Nachbarn konnte man einen vermissen, den Herrn von Wolfskehl auf Ritzengnitz. Er hatte nach dem Frieden eine Vorfahrvisite gemacht und bei der Gelegenheit, wenn auch vorerst nur unter der Blume, um Wilhelminens Hand angehalten. Er hatte schon früher angefangen ein solider, und fing jetzt an ein rangierter Mann zu werden; man konnte es schon an seinem Haupthaar sehen, daß er die Mittel zusammenzuhalten verstand. »Man setzt sich über manches jetzt hinweg,« hatte der Vater nach einer langen Beratung mit der Mutter und Minchen gesagt. »Daß sie unsere Vasallen waren, darüber sehe ich weg. Wenn Du also nichts auszusetzen hast, wir haben nichts auszusetzen.« – »Wenn Sie es also wünschen, liebe Eltern,« hatte Minchen in gedehntem Ton erwidert, »so hätte ich auch nichts einzuwenden.« – »Dann wären wir also einig und zufrieden,« hatte der Vater darauf gesagt. »Ja, einig,« hatte Minchen erwidert; »i ja, zufrieden auch; warum denn nicht, wenns sein muß!« – »Warum muß es denn sein?« Wer das gefragt, weiß man nicht mehr; aber die Beratung fing dann von neuem an und das letzte Resultat derselben war, daß der Herr von Wolfskehl heut nicht zur Hochzeit gebeten war – aus Delikatesse.

Der festliche Zug war schon in der Kirche, als ein Reisewagen vor dem Hause hielt und ein staubbedeckter Gast heraussprang, um ihm nachzueilen. Sein Erscheinen unterbrach fast die feierliche Handlung, aber es war eine Unterbrechung, welche die Freude nur erhöhte, denn er schien selbst voller Freude – der Reichsgraf Waltron.

»Warum ich kam, und gar mit Kurierstiefeln, daß ich selbst ein Hochzeitsgeschenk für meines Patchens Schwester mitzubringen vergaß?« – sagte der Graf am anderen Tage im traulichen Familienkreise des Pfarrhauses, wo die neue Frau Pastorin die anmutige Wirtin machte. »Kinder, es geschah, um reine Luft zu atmen, um einmal wieder unter wahren und glücklichen Menschen zu sein. Himmel und Hölle! wer die Ambra duftende Schwefelluft da wochenlang einschlürfen mußte, wer das Treiben mit ansah, das rouge et noir, das Kämmerchen-Vermieten der Diplomaten, wie die großen Staatsmänner sich hinter Kammerdiener stecken mußten, welche Rolle den Fürsten zugeteilt war, eine, welche die Frauen spielten – wer da noch sagen kann, wir haben den bösen Geist aus Deutschland vertrieben und in Elba eingesperrt, der muß eine freche Stirn haben! Ein Glück, daß meine arme Schwester Thusnelde nicht auch dort war, sie hätte die Flügel ihrer Begeisterung für das wiedergeborene, unteilbare, heilige, christliche Deutsche Reich selbst zerknickt, und sich vom ersten, besten Felsen wie eine andere Sappho ins Wasser gestürzt.«

»Für Preußen sieht es schlimm aus,« sagte Isegrimm. »Warum hat man Hardenberg hingeschickt? Stein würde anders gesprochen haben.«

»Einen Gott würde man nicht verstanden haben in der babylonischen Sprachverwirrung des Egoismus. Wenn das das Fundament werden soll für den Rechtszustand der Jahrhunderte, die kommen, so graut mich vor der Zukunft, die wir, die unsere Kinder erleben werden. Im westfälischen Frieden zog man doch eine rote Schnur durch Städte und Länder und sagte, was diesseits des bestimmten Jahres und Tages fällt, bleibt katholisch, was jenseits protestantisch. Ein kurioses, aber es war doch ein Prinzip, was jeder mit der Hand fassen konnte. Aber dieses Prinzip, was sie jetzt aufstellen, das Prinzip der Legitimität, begreif es einer – ich rufe den weisen König Salomo, die sieben Weisen Griechenlands, die Weisen Aegyptens, Indiens und die Kirchenväter der Christenheit zu Zeugen – erklärt mirs! Legitim, ursprüngliches Eigentum oder geheiligter Besitz soll alles sein, die Hydra der Revolution mit Füßen getreten, soll herausgeben, was sie geschluckt. Warum bleibt Lothringen, Elsaß, Straßburg in den Händen der Franzosen? Warum behalten die deutschen Fürsten die Königskronen und Länder, die ihnen Napoleon schenkte, und ich und der und die sind ihre legitimen Besitzer? Warum ward der älteste Staat Europas, die Republik Venedig, die Königreiche verschenkte, in ihren Lagunen eingestampft? Warum das fast ebenso alte, meerbeherrschende Genua, die treue Alliierte der deutschen Kaiser, an einen fremden Fürsten verschenkt, während man das winzige Uhrmacherstädtchen Genf zum unabhängigen Staat erhebt? Warum ward Frankfurt, Bremen eine freie Stadt, während man Nürnberg vergaß? O, meine Freunde, der Verstand schwindelt vor den tausend Warum, die man sich da fragen kann! Wenn sies Rücksichten nennten, Macht der Umstände oder tel est notre plaisir, ich ließe es mir gefallen, wir sind ja zu schwach, um es zu ändern, aber warum nennt mans Recht, ein Name, der zu dem Dinge paßt, wie die Faust aufs Ohr. Mir war da wie unter übertünchten Gräbern. Warum macht man nicht lieber eine Lotterie und zog die Namen der Fürsten, Herren und Städte heraus, die bleiben sollten, was sie gewesen: die anderen in den Sack gestellt und angebunden. Das wäre doch wenigstens eine Art gewesen, uns zu mediatisieren. Und wenn ich den Spinnenfaden aus ihrem Leibe tausendmal um den Erdball zöge, aus der Legitimität könnte ichs nicht begreifen.«

Es war ein ernstes Gespräch, das die Frauen nicht interessieren konnte; der junge Ehemann, den es interessieren durfte, schwieg – vielleicht aus Rücksicht gegen den Vater.

»Und retteten Erlaucht gar nichts aus dem Schiffbruch?« fragte Isegrimm. »Damit stimmt Ihre frohe Aeußerung von gestern nicht.«

»Ich bin froh, weil ich nichts mehr bin als frei – aber leider bin ich doch jetzt wieder etwas.«

»Man nimmt Rücksichten und wirft den Schiffbrüchigen zum Trost oder Ersatz einige von den Splittern des geborgenen Wrackes zu. Sie sollen nicht zu sehr schreien.«

Der Reichsgraf nickte lächelnd: »Bis zur letzten Woche klopfte ich an alle Türen umsonst. Im Namen der Legitimität mußte mir überall der Portier hinaussagen: ich hätte von Gott und Rechts wegen nichts zu fordern, da ich mich ja mit Napoleons Kommissarien vertragen. Etwas ist daran, und ich überlegte schon, bei welchem der reichsfreiherrlichen Juden ich wohl am billigsten eine Anleihe aufnähme, um meine Privatgüter wieder übernehmen zu können, da ward ich gerufen, ich sage nicht zu wem, und mir ward eröffnet« –

»Was?«

»Daß in Anbetracht von dem und jenem und in Rücksicht auf dies und das, mir dreihunderttausend Taler Entschädigungsgelder, angewiesen auf den und den Erlös, zugebilligt werden.«

»Das ist doch etwas für eine verlorene Souveränität!«

»Ei, und noch weit mehr! Aus ganz besonderer Rücksicht werde mir noch zugestanden wären – aber ganz ausgemacht sei es noch nicht, und ich möge deshalb noch nichts verlauten lassen – das Recht, eine Leibwache von zwölf Mann uniformierter Haustruppen zu halten. Ursprünglich sollten mir nur zehn Mann zugestanden werden; aber es wäre wieder eine ganz besondere Rücksicht, wenn mir noch die zwei Mann zugelegt würden. Meine Freunde, was mir in meinem Herzensdrang entschlüpft ist, da kann ich auf Ihre Diskretion rechnen.«

»Erlaucht haben diese Großmut wahrscheinlich mit vielen Prozenten an den Makler bezahlen müssen, ich sage nicht von den zwölf Mann, aber von den dreihunderttausend Talern?«

»Mit gar nichts, wenn Sie wollen. Es kam ganz unverhofft. Vielleicht erinnern Sie sich einer Freundin meines seligen Vaters, die in ihren letzten Jahren viel Gewalt über ihn hatte. Wir Kinder vertrugen uns eben nicht besonders mit ihr, und ich muß gestehen, daß ich ihr manchen Schabernack spielte. Von Geburt war es eine Lyoneser Putzmacherin, jetzt ist sie Baronin Valmont, eine wohlkonditionierte Vierzigerin, glänzend in ihrer Erscheinung, witzig und lebhaft im Umgange, eine Freundin Metternichs, und spielt, wenn sie bei Laune, gern die gütige Protektorin. Verdient um sie habe ich es wirklich nicht, aber Fortuna ist ein Weib, und einzig und allein der Kaprize der Baroneß Valmont, sich der legitimen Kinder ihres verstorbenen Freundes anzunehmen, verdankt der letzte Waltron-Alledeese nicht allein eine Leibwache, sondern auch die Möglichkeit, die Existenz eines tausendjährigen Besitztums seiner Vorfahren seinen Nachkommen zu erhalten.«

»Erlaucht werden nun eine standesmäßige Heirat schließen, um Ihren Stamm fortzupflanzen?« sagte der General nach einer langen Pause.

»Daß ich siebenundvierzigjähriger Krüppel ein Esel wäre, und eine Deszendenz in die Welt setzte mit Ansprüchen, die sich nicht realisieren lassen. Entweder nähmen sie meinen künftigen Jungen noch mehr, oder sie würden unglücklich aus Sehnsucht nach dem, was nun und nimmermehr für sie zu erringen ist. Nein, ich will niemand unglücklich machen. Entweder sterbe ich und mit mir verdorrt der alte Eichenstamm, was eigentlich das Vernünftigste wäre, denn tausend Jahr ist doch ein respektables Alter, und ein längeres Leben fordern, wäre unverschämt; oder – finde ich irgendwo ein gutes Mädchen oder Weib, die keine Ansprüche macht und mich Krüppel bis ins Grab begleiten will, dann frage ich auch nicht, ob sie aus einem Kaiserhause stammt oder aus einer Köhlerhütte.«

Es war wohl schon vieles vorangegangen, daß diese Worte einen so merkwürdigen Eindruck machten, und es ging darauf noch vieles vor, was zu erzählen ein ganzes Kapitel beanspruchte, und gar ein Anfangskapitel zu einem neuen Roman. Unserer, wie gesagt, ist schon geschlossen, und so sagen wir nur das, was vorging, ganz still vor sich ging. Wie ein schwarzer Geist zuweilen durch ein Haus geht, und niemand sagt, daß er ihn gesehen hat, so mag auch ein lichter durch seine Räume wandeln, und man merkt es nur an den Blitzen in den Augen, an dem Zucken in den Mundwinkeln, die verraten, daß die Zunge gern sprechen möchte – sie wagte es nur nicht.

Der Reichsgraf hatte eine lange Abendpromenade mit der zweiten Tochter des Generals gemacht; fast zwei Stunden hatte sie gedauert, und er hatte die Pfeife, die er allerdings auf Wilhelminens Wunsch mitgenommen, die ihm aber schon nach den ersten fünf Minuten ausgegangen war, nicht wieder angezündet.

Das war beim Reichsgrafen Waltron beinahe eine Irrung der Natur. Als sie zurückkehrten, wußte man nicht, wer von beiden froher aussah. Und dann kam eine Erklärung, die alle froh machte, so froh, daß auch da die Worte fehlten, es auszudrücken.

Familie und Bekannte erinnern sich nicht, Wolf Quarbitz je in solcher Laune gesehen zu haben. An dem Abend war er gar nicht Isegrimm mehr. Aus dem Schloßkeller wurden Körbe mit Wein herübergetragen, daß die Frau Pastorin mit ihrer Mutter bedenkliche Blicke wechselte, ob sich denn das auch für ein Pfarrhaus schicke? »Ach was, heut schickt sich alles!« sagte der Vater, und wir sagen es nur ganz in der Stille, daß er um Mitternacht, auf der einen Seite vom Reichsgrafen, auf der anderen von der guten Frau von Ilitz geführt, ins Herrenhaus zurückging. Vorn leuchtete der alte Hans, hinter ihnen ging Minchen. Und alle drei Schritt blieb er stehen und umarmte bald links und bald rechts, einmal sogar einen alten Rüsterbaum, und zu jedem sagte er, er wäre sehr vergnügt. Noch als er ins Bett steigen wollte, schien er auch mit dem ein Zwiegespräch halten zu wollen, denn er paukte mit der Hand auf die Kopfkissen: » Eine wenigstens, und gerade die, von der ichs am wenigsten erwartet hatte.« Was noch merkwürdiger scheinen kann, ist, daß Minchen von alledem gar nichts gemerkt hat. Sie ging still vor sich hin und lächelte, daß man auch Arges hätte denken mögen, aber sie hatte nur ein Glas Champagner getrunken.

Daß der General am nächsten Morgen nicht ganz so froh war, daß er den Hochzeitskuchen zurückschob und selbst die fette Sahne, die er so liebte, nicht in den Kaffee goß, sondern ihn schwarz herunterschlürfte, konnte man als die Folge eines gewöhnlichen Naturprozesses erklären, es hatte aber noch einen anderen Grund. »Schade, daß die Komteß, Ihre Schwester, gestern nicht hier war,« hatte er zum Reichsgrafen bei der ersten Morgenbegrüßung gesagt, und Waltron mit einer komischen Miene geantwortet: »Sie wird am Rheine zu tun haben.« Bald darauf waren Briefe gekommen, ein langer an den Reichsgrafen, ein Kouvert mit einer Karte darin an den General. Auf der Karte stand:

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