Frei Lesen: Isegrimm

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Kapitelübersicht

Die Schwedenschanze | Die Blutsteine. | Der Quilitzer Knecht. | Die Querbelitzer Schenke. | Schemelbeine. | Isegrimms Haus. | Isegrimm. | Eine Rückfahrt. | Alte Geschichten. | Die erste Nacht in Haus Ilitz. | Eine Erscheinung im Walde. | Der Ball muß sein. | Zwei Anstands-Visiten. | Malchen. | Ein Wetterstrahl im Ratskeller. | Zum Ball oder nicht zum Ball? | Die Ouverture zur Ballmusik. | Die Ballnacht. | Vorm Scheunentor. | Im Schnee. | Jede Schlacht fordert Präparationen. | Schulze und Edelmann. | Die Einquartierung. | d'Espignac. | Der kleine Krieg. | Der Versucher im Hause. | Scheiden. | Ritter und Reiter. | Wendisch oder germanisch. | Das Schwert des Cid. | Der Beichtvater. | Chaotische Besuche. | Der unbegreifliche Brief. | Das Vaterland und bürgerlichen Offiziere. | Die Brücke in die Zukunft. | Eine deutsche Konversation. | Nachtgespenster. | Der Krieg ist nicht Zeit zu Hochzeiten. | Das Ahnenbild stürzt. | Ein verhängnisvoller Brief. | Die Katastrophe. | Ein Doppelgänger. | Eine dunkle Tat. | Ein politisches Geheimnis. | Ihr von Ilitz, Ihr von Ilitz, Solltet nimmermehr nach Quilitz! | Ein Gewitterschlag. | Ein ernstes Zwiegespräch. | Friede und Resignation. | Nach sechs Jahren. | Von Hochgezieten. | Gräfin Heilsberg. | Querl. | Schluß. |

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Willibald Alexis

Isegrimm

Schluß.

eingestellt: 25.7.2007

Dreiundfünfzigstes Kapitel.

Schluß.



Drei Tage ärgerte sich Isegrimm über den Aufsatz, am vierten lachte er und sagte, »es ist alles eitel!« und wie er seinen Sohn Wolf sah, wie er die eingefahrenen Garben Stück für Stück nachzählte, fuhr sogar ein bitteres Lächeln ihm über die Lippen: »Am Ende hatte der Farzeur doch recht, und wir sind vom Kaufmannsblut!« Drauf schickte er Wolf zu seinem Schwager: er solle sich nicht weiter, wie er ihm aufgetragen, nach dem Verfasser erkundigen: »Das macht nur unnötig böses Blut, und steckt der Branntweinbrenner dahinter, wird er darum nicht schlimmer, als er ist.« Die Abneigung gegen den Baron hat er nie verwinden können; die Heirat mit der Reichsgräfin hat ihn im Gegenteil noch mehr erbittert, und obgleich die Ehe recht leidlich sein sollte, und die Kinder ihm von seinem Sohn einmal zugeführt wurden, mußte er den allerliebsten Kleinen wohl die Hand reichen, nachher sagte er aber: »I ja, für Judenkinder sind sie hübsch genug.« Daß sein Sohn Wolf wegen der Schafzucht und anderer ökonomischer Angelegenheiten mit dem Baron verkehrte, ja sogar eine gewisse Freundschaft zwischen ihnen obwaltete, konnte er nicht hindern, aber er ergab sich darin, wie er sich in vieles ergab.

Er war allmählich der Patriarch der Provinz geworden, man reiste nach Ilitz, um den merkwürdigen alten Mann zu sehen, der seine Körper- und Geisteskräfte sich so wunderbar erhalten. Wie vieles wußte er, für wie viele Dinge aus alter Zeit war er das lebendige Register. Isegrimm war er noch immer, wunderlich und voll Schrullen, und konnte auffahren und Zornblicke schleudern, welche die wenigsten ertrugen; aber im ganzen war er doch milder, wie einer, der bald von dieser Welt Abschied nehmen muß, sich daher nicht mehr so sehr darum kümmert, wenn es anders wird, als er es denkt und für recht hält. –

So brachte ihm denn auch die Märzrevolution, die er noch erleben sollte, nicht wie man sagt aus Rand und Band, wie seine Nachbarn, und am wenigsten dachte er ans Einpacken und Fliehen, was bei dem Neunziger, der sich meist auf einem Rollstuhl umherfahren ließ, denn auch seine Schwierigkeiten gehabt hätte. Er änderte nichts in seinen Lebensgewohnheiten; schlief, aß, trank so ruhig und mit solchem Appetit wie immer, und lächelte zuweilen über die Schreckensnachrichten, welche seinen Sohn und die anderen erblassen machten und aller Besinnung beraubten. Daher mag es auch gekommen sein, daß sich unter den Bauern die Meinung verbreitete, der alte Ilitzer sei mit den Dingen, die man forderte, einverstanden, und er hätte alles schon längst gegeben und gewährt, wenns die anderen zugelassen. Die Sturmpetition, welche besonders von den Querbelitzern ausging, war daher zumeist gegen den jungen Baron gerichtet, der dazumal schon ein Fünfziger war und Weib und Kinder, und darunter hübsch herangewachsene hatte, es übrigens am wenigsten gegen die Bauern verdiente, da er ein guter Mann war, jedem das Seine gönnte und niemand chikanierte. Was sie alles forderten an unentgeltlicher Ablösung, Rechten und so weiter, weiß ich nicht, aber ein heller Haufe aus den Dörfern stürmte in der Nacht gegen Haus Ilitz, um den jungen Baron in die Schenke zu schleppen, wo er gerichtlich das und das versprechen und dem und dem entsagen sollte. Zu ihrer Verwunderung fanden sie die Hintertür fest verrammelt, aber vorn das Tor zur Halle weit aufstehend, und helles Licht schien ihnen entgegen. Da saß der alte Isegrimm in seinem Rollstuhl, vor ihm ein Tisch, worauf zwei Doppelbüchsen, und nebenher lagen noch, so weit sie sehen konnten, Pistolen. An den Wänden brannten Kerzen, wie wenn er die Leute beim Erntefest tanzen ließ. Sonst sah man niemand in der Halle bis auf den Diener, der ihm immer den Rollstuhl schieben mußte. Seinen Sohn und die Familie hatte Isegrimm, wie man nachher erfuhr, in die oberen Zimmer eingeschlossen. Sie sollten nicht Konfusion machen, wo er es klar machen wolle.

Auf sein »Halt!«, als sie der Schwelle sich näherten, stutzten die Bauern und turkelten zurück. Dann rief der Alte aber wieder halt! und setzte hinzu: »Was wollt Ihr denn, liebe Leute, Ihr steht ja im Dustern, daß ich Euch nicht sehen kann. Drum tut das Maul auf, sonst halt ich Euch für solche Kanaillen, wie sie in die anderen Häuser gedrungen sind und Unfug angerichtet bei den Gutsherrschaften.«

Sie murmelten untereinander, und einer wollte den anderen vorschieben. »Wirds bald?« Der Alte knackte am Hahn. Da rief der Schulze Lamprecht aus Querbelitz: »Halten zu Gnaden, Exzellenz, wir wollten nur mit dem jungen Herrn Baron ein Wort reden.« – »Mit dem Jungen habt Ihr nichts zu reden,« war die Antwort; »der hat auch nichts zu reden. Ich bin hier der Herr! Was wollt Ihr?« Nach einer langen Pause antwortete des Quilitzers Stimme, wie Lamprecht noch immer genannt ward, und er guckte jetzt selbst mit gezogener Mütze halb vor: »Halten wie gesagt zu Gnaden, gnädigster Herr, wir wollen nur, was sie sagen, daß uns zukommt, und was recht und billig ist.«

»Das habt Ihr ohnedem,« rief Isegrimm, »und darum braucht Ihr nicht zu nachtschlafender Zeit Lärm zu machen, Ihr verfluchten Lümmel, und schert Euch zu Bett und zu Euren Frauen.«

Als da doch ein Murmeln durch die Tumultanten ging, hob der Alte die Kolben der Gewehre und ließ sie auf den Tisch fallen: »Wer noch ein Wort muckst, da antworte ich mit diesen. Und wer dann noch lebt und meinen Jungen sprechen will, muß über meinen Leichnam. Versteht Ihr mich? – Kehrt!« rief er mit einer Stimme, wie sie nur vor dem Regiment gehört ward. »Marsch! Wenn ich bis zwölf gezählt, und es steht noch Unrat da, blitz ich los. Treffe es, wens trifft.«

Mancher ward von den anderen umgeworfen, als sie zu stürmisch dem Kommando gehorchten und in die Nacht sich verloren, um sich in der Schenke diesmal nicht wiederzufinden. Nur der Schulze Lamprecht und nachher noch einige kehrten um, aber nicht aus freien Stücken. sondern weil Isegrimm sie rief. Lamprecht sollte ihn hinaufrollen, wozu an der Seite der alten Treppe eine besondere Vorrichtung mittelst einer Laufbrücke gemacht war. Johann, dessen Geschäft es sonst war, zitterte wie ein Espenlaub; und dafür schalt Isegrimm noch den Schulzen: »Er siehts doch, und hätte von selbst beispringen können. Oder will Er, daß ich um Ihn und Sein dumm Zeug die Nacht durch hier sitzen bleiben soll? Aber wenn Ihr denken sollt, Ihr Bauerlümmel, dann denkt Ihr gerade nicht; und wenn Ihr nicht denken sollt, dann denkt Ihr. Die anderen Schlingel können meine Gewehre rauftragen; aber vorsichtig, alle scharf geladen.« – Oben entließ sie der General noch mit einem derben militärischen Fluch und der Mahnung, sich vor aller Stänkerei zu hüten. Unten sollten sie Johann helfen, die Lichter auslöschen, und das alte »kräplichte« Tor zumachen.

Schulze Lamprecht soll spät in der Nacht, »wie ein begossener Hund« in sein Haus geschlichen sein, ob doch andere meinen, daß er eigentlich der Anstifter gewesen. Als er aber ins Bett kriechen wollte, sagt Fama, hätte die Marte noch ein Wort mit ihm gesprochen, wovon er am Morgen ein blaues Auge hatte. Er sagte, er wäre im Traum aus dem Bett gefallen. Die Marte hatte sehr konservative Gesinnungen. Bald ward auch das Dorf Querbelitz sehr konservativ, nämlich, weil die Bauern des Geschwätzes und Umtreibens der kleinen Leute und Tagelöhner überdrüssig waren und meinten, die könnten ihnen alles verderben und das wieder nehmen, was sie schon im Sack hatten. Die Säcke der Bauern in Querbelitz waren sehr groß geworden, wie auch in anderen Dörfern, und die Bauern sind die einzigen geblieben, denen man ließ, was sie eingesackt. –

Doch war Isegrimm, was man nennt, dadurch montiert worden. Während er vorhin wochenlang hinträumte, kindisch faselnd – zum Beispiel wiederholte er oft, wenn man die Besorgnis vor Brandstiftungen in den Edelhöfen aussprach, die Worte: »I dann wird der Herr Baron von Eppenstein schon löschen« – schien der Spiegel seiner Seele von einem Jugendanhauch aufzustrahlen. Er sprach klare, verständige Gedanken aus, er verfolgte ein Gespräch in seine Verzweigungen, ohne vom Hauptthema abzugehen. Es trieb ihn zur Tätigkeit, und da seine Kräfte es nicht erlaubten, trieb er seinen Sohn, der gar nicht dazu geneigt war, sondern meinte, da die Dinge nun einmal so gekommen, müsse man sie schon gehen lassen und zufrieden sein, wenn man was behalte. Ganz in der Stille sagte Wolf sogar, es bliebe ja noch immer genug, um es auszuhalten; darum liebte er nicht, daß viel Redens gemacht würde. Isegrimm ließ ihn gewähren, aber durch seinen Schwiegersohn Mauritz unterstützte er mit ansehnlichen Summen den Verein zur Wahrung der Interessen der Grundbesitzer und beteiligte sich auch mit bedeutenden Opfern bei der Kreuzzeitung.

Daß er durch Mauritz dies tat, wird unsere Leser verwundern, die da meinen, daß die Geistesrichtung desselben eine andere sei. Sie war es gewiß, aber auch der freieste Mensch ist untertan den Verhältnissen, und unwillkürlich läßt er sich durch Sympathien und Antipathien in Parteirichtungen reißen, die seinen ursprünglichen Grundsätzen entgegen sind. Nicht daß Mauritz, weil er eine Tochter aus der Familie derer von der Quarbitz geheiratet, seine Begriffe von Freiheit, Menschenrecht und Menschenwürde eingebüßt, denn der Geist des Mannes war in die Frau übergegangen, und es schien, daß, was in ihm welkte und alterte, gerade bei Amalien in Jugendfrische fortlebte, die edlen humanen Gesinnungen, verklärt durch die edle Weiblichkeit. Aber er, oft an seiner Wunde kränkelnd, kam nicht mehr in weitere Lebenskreise, nicht in Berührung und Konflikte mit den Ideen der neuen Zeit und deren Trägern. Er verbauerte nicht in seiner Landeinsamkeit, aber hinter ihm lag als abgeschlossenes Ganze die große Zeit der Befreiungskriege, eine große Tat, ein Geschichtsabschnitt, an die er seine ganze Kraft gesetzt, in die sein ganzes Denkvermögen aufgegangen, die er mit liebender Bewunderung als ein Werk, wo Gott unmittelbar eingewirkt, betrachtete. Im Vergleich damit erschienen ihm alle späteren Bestrebungen als untergeordnet, kleinlich, einseitig. Es kam ja nichts von allem zur Erfüllung, meinte er, und die Verhältnisse, die handelnden Personen standen ihm zu fern. Daß die letzte Erfüllung auch jenem großen Werke gefehlt, daß es nur damit geendet, die alten zerrissenen Verhältnisse der Welt leidlich wieder zu flicken, verbarg er sich geflissentlich. Seine Streitigkeiten über die Agende hatten ihn auch etwas verbittert; er war vielleicht mit sich selbst unzufrieden, daß er sich zu tief in die altlutherische Strömung forttreiben lassen, und konnte nun nicht zurück. Vollends aber waren die Wogen der letzten Revolution ihm über den Kopf geschlagen, und der tüchtige, geistesfreie Mann war, wie so viele bis dahin gleich freie Menschen, einmal fast untergesunken in der Gespensterfurcht vor dem Chaos. Er sah überall Vernichtung alles Edlen, Schönen und Großen, alles Historischen und Religiösen, weil das atheistische Geschrei einige Monate durch wie die Möwe über den Meereswellen in der trüben Luft schwamm und sein Ohr verwundete.

»Ist denn Guizot ein Prophet, und war Niebuhr eine Säule, an die jene große Zeit sich rankte? Und würde Dein großer Stein, wenn er noch lebte, an der Welt verzweifeln? Wenn er auch poltern und toben machte gegen den Unverstand, so meine ich doch, wenn er so war, wie Du ihn begeistert oft geschildert, er würde nie sein eigen Werk verleugnen und noch weniger sich an die lehnen, welche es verwünschen, um nur nicht selbst unterzugehen.« So suchte seine Frau ihn aufzurichten. Er dankte ihr, verfiel aber doch immer wieder in sein düsteres Hinbrüten.

Ganz im Gegenteil der alte Isegrimm. Er sah wohl die Wogen, aber hielt sie nur für aufspritzenden Kot, die Furcht vor dem Chaos kümmerte ihn ganz und gar nicht, weil er des Glaubens war, daß sich das alles bald wieder setzen und geben werde und das Fundament, die alte Weltordnung, gar nicht erschüttert werden könne; wenns die Titanen nicht vermocht, was weniger solche Jungens und Lumpenkerle. Ja zuweilen entfiel ihm die Aeußerung, man müsse auch nicht zuviel dagegen tun, weil das die Aufregung unterhalte. Das waren aber nur, wie gesagt, gelegentliche Blitze seines Geizes, der dann bald wieder in die kindlich gemütliche Apathie verdank. Mit seinem Schwiegersohn Prediger geriet er aber doch zuweilen in theologische Dispute und verteidigte den Paulinischen Satz von den vielen Wegen zum Himmelreich gegen den Mann, der sich jetzt wie ein Ertrinkender an das hingeworfene Rettungsseil, an das Dogma, klammerte.

»Ja, ja,« sagte der Alte einmal. »Hätte er lieber schwimmen gelernt. Aber das kommt von der Mystik.«

Mit einer merkwürdigen Ruhe sah er dagegen dem stillen Treiben und Wirtschaften seines Sohnes Wolf zu. Er war der erste auf, um der letzte zu sein, der zur Ruhe ging. Er fehlte nicht beim Pflug, nicht bei der Aussaat, und nach der Ernte blieb er auf Scheune und Boden, bis das letzte Korn eingebracht war; man hätte sagen können, er zählte die Körner. Wüste Raine, Sumpfwiesen und steinigte Höhen, wo seit Menschengedenken nie ein Pflug gegangen, wurden fruchtbare Aecker. Die Schafzüchterei beschäftigte ihn ganz besonders, und wenn er vom Wollmarkt zurück kam, brachte er so volle Geldkatzen mit, daß schon mehrere Schuldposten aus der Kriegszeit im Hypothekenbuche gelöscht waren. Das Wirkschaftsinventar war in der prächtigsten Ordnung, und darüber vergab ihm der Vater gern, daß er die Landratstelle zweimal ausgeschlagen. Er hätte es ihm auch ohnedem vergeben. Aber adlig war nach Isegrimms Begriffen an seinem Treiben nichts. Er war ein guter Kaufmann geworden, was er auch bei der Auseinandersetzung mit seinen Lehnsvettern in Quilitz über die Querbelitzer Mark bewiesen hatte. Man sagte sogar, er habe die Quilitzer dabei etwas übers Ohr gehauen. »Die Welt läßt sich einmal nicht ändern,« meinte der Alte in seiner weichen Stimmung. »Sie sagen, wir haben als Raubritter angefangen, so müssen wir als Vergeltung auch mal in die Haut von Kaufleuten kriechen, um zu probieren, wie sichs darin steckt; an Raubrittern wirds nicht fehlen.« – Ein andermal, wenn er seinen Sohn unter den veredelten Schafen sah, wie er sie zählte, jedes befühlte und ins Gesicht ihm guckte, sagte er zu seinem Schwiegersohn: »Kriegt der Wolf nicht wahrhaftig selbst ein Schafsgesicht? Das kommt vom Umgang.«

Wolf ward zum Deputierten gewählt. Er saß in der zweiten Kammer unter der großen Partei, deren Redner bei jeder großen Frage auf die Tribüne sprangen und, sich emphatisch auf die Brust schlagend, riefen: sie wollen lieber sterben, als nur ein Titelchen von der beschworenen Verfassung und dem heiligen errungenen Rechte fahren lassen; nachher aber sagten sie, es gäbe Rücksichten, die man nicht aus dem Auge lassen dürfe, Friede und Ordnung seien zu hohe Güter, und das Recht, wenn auch scheinbar angegriffen, lebe unaustilgbar in der Brust des Edlen; und am Ende stimmten sie für alle die Vorschläge, welche Titelchen und Titelchen, eines nach dem anderen, dieser beschworenen Verfassung umstießen, einige meinten gar diese Verfassung selbst.

Wolf ward durch einen Expressen nach Hause gerufen, sein Vater sei krank. Es war eine eigene Krankheit, ähnlich der, als Isegrimm sich im Rollstuhl in die Halle fahren ließ und die Tumultuanten zurechtwies. Im Rollstuhl saß er auch jetzt, auf dem Tisch vor ihm lagen aber nicht geladene Gewehre, sondern nur seine Faust, als er den Sohn anrief: »Du dummer Junge, hab ich Dich darum nach Berlin geschickt, daß Du Deiner Familie Schande machen sollst?«

Wolf glaubte, der Vater zürne, weil er nie den Mund aufgetan.

»Das war noch das Gescheiteste, was Du tun konntest. Aber wo sitzest Du denn? Da, wo Du hingehörst? Wo Deine Standesgenossen sitzen? Wo sie wissen, was sie wollen? – Auf die Rechte, hatte ich erwartet, daß Du Dich setzen würdest, wie sichs von Dir versteht, meinethalben noch einen Stuhl hinter ihnen, denn wo erklärter Krieg ist, muß man erklärter Soldat sein. Aber Junge, weißt Du denn, unter welche Leute Du geraten bist?«

Wolf meinte, der Vater kenne sie wohl nicht persönlich, sie wären alle honette, anständige Männer, die König und Vaterland liebten, sehr verständig sprächen, und vor allem Friede und Ordnung wollten. Das wolle er, das wolle sein Vater ja auch.

»Junge,« rief der Vater, eigentlich brauchte er noch einen viel stärkeren Ausdruck, aus dem Schafstall, den er ihm an den Kopf warf, »hast Du denn nicht mal so viel Grips, um zu merken, daß die verwünschten Parlamenter da sind, damit die Leute anders sprechen lernen, als sie denken? Hat Dirs denn nicht der Floh gestochen, unter was für Menschen Du gesessen hast? Was sie wollen: Anstellungen, bessere Anstellungen, Zulage; der will eine Präsidentenstelle, der aus der Provinz in die Residenz versetzt sein; der Geld geliehen auf sein Gut. Spekulanten alle auf Avanzement und Profit!«

»Nicht alle, lieber Vater,« wagte der Sohn zu unterbrechen.

»Dann wissen sie nicht, was sie wollen. Das sind gerade die Allerschlimmsten. Liberale sinds! hörst Dus? Unter verkappten Liberalen hast Du gesessen, die, weil sie merkten, daß es damit jetzt nicht geht, herumlavieren, wittern und schnuppern, wo der Wind herkommt – Kerle, die uns heute die Rockschöße küssen möchten, wenns mit Anstand geht, und morgen, wenn wir das Fahrwasser verlören, wären sie die ersten hinter uns auf der Jagd, als wie sie jetzt für uns treiben und klappern. Kerle voll lauter weißer Humanitätssalbe und ohne Gesinnung. Hättest Du Dich lieber unter die erklärten Liberalen gesetzt, die Einfaltspinsel und Mondscheinträumer, die die Sonne ein bißchen blasser und den Mond ein bißchen röter anstreichen wollen, damit sie mehr gleich aussehen, oder noch besser, unter die Demokraten. Ja, lieber ein roter Halsabschneider, als ein politischer Hampelmann. Da weiß man doch, was man hat und was man ist.«

Wolf wagte noch einmal für die Rechtlichkeit und den Patriotismus seiner Partei zu protestieren; er nannte besonders die Namen zweier Führer, deren Rechtlichkeit und Wohlmeinendheit auch ihre Feinde müßten gelten lassen. Er kam aber übel an.

»Gestohlen haben sie freilich nicht und kleine Kinder fressen sie auch nicht, und zu einer Whistpartie kannst Du Dich mit ihnen ohne Angst hinsetzen, da schlagen sie nicht Volten Aber daß der alte Quarbitz seinen Sohn schicken mußte, daß er auch Katzendienste verrichte; als ob dazu in Berlin nicht genug Rumtreiber wären! Ja, ja, daß ich Dir den Kopf öffnen muß, Du Kind, schon mit grauem Haar dran. Unsere Katzen sind sie, und mit ihren Pfoten wollen Unsere die Kastanien aus dem Feuer holen, weiter nichts. Man streichelt ihnen ein Bißchen um den Bart; wenn man die Kastanien hat, gibt man ihnen einen Tritt vor den Hintern. Das verdienen sie auch, warum halten sie auch so schamlose Humanitätsreden! Wenn ich sie lese, ist nur, als müßte ich Milchkaffee trinken, mit kleingerührtem Kuchen drin. Wir wollen Unseres wieder haben, was man uns genommen, dazu haben Dich unsere Freunde in die Kammer geschickt, zu weiter nichts. Und das Ding, was sie Revolution nennen, das war ein charmantes Ding; denn nun kriegen wir noch weit mehr wieder, auch was im Kehricht liegt, was man uns vor Olims Zeiten genommen hat, auch das! Weiter wollen wir nichts. Und weil man das nicht sogleich jedem ins Gesicht sagen kann, weils auch andern Leuten den Magen verdorben hätte, brauchte man die Kerle. Zu weiter nichts. Wenns eine Festung stürmen gilt, treibt man das Gesindel vor, das die Gräben füllen soll; wenn sie voll sind, klettern die auf die Wälle, die sich zu gut halten, um im Graben zu liegen. Hast Du Lust dazu, hältst Du Dich für gut genug, ein Fußschemel zu sein, daß andere auf Dich steigen – dann erklär ich Dich nicht für meinen Sohn. – Ach Gott! ach Gott! aber s ist alles doch eitel.«

Wolf mußte sein Mandat niederlegen, und tat es im Grunde recht gern. Recht gern war er zwar in Berlin, der sechs Fuß hohe, gespornte Mann mit dem blonden Haar, dem roten Lippen- und Kinnbart und den hellblauen Augen, die so gutmütig und schelmisch aus dem sonnengebräunten Gesicht in die Welt sahen und zu sprechen schienen: »Ist ja doch allens man Quackelei!« Er war auch gern Deputierter, aber lieber in den Austerkellern, als in der Kammer, wo er das Licht vermutlich nicht recht vertragen konnte, denn oft sah man ihn die Wimpern zudrücken, um, ungestört durch die äußeren Eindrücke, den Rednern zu folgen. Dagegen erhob er jedesmal, wenn nach dem Schluß gerufen wurde, sehr laut seine sonore Stimme. In den Austerkellern, wenn der Chablis und Champagner ihn lustig machte, verlangte er nicht nach dem Schluß, ja, er soll oft Meinungen da geäußert haben, die seine Standesgenossen erschreckt hätten, wenn sie in der Stimmung gewesen wären, sich erschrecken zu lassen. Einmal soll er gesagt haben, man solle es doch nicht gar zu toll treiben, denn man wisse nicht, was mal kommen könne.

Dieser Meinung soll auch der alte Isegrimm in seinen letzten Jahren gewesen sein. Er schüttelte oft den Kopf, wenn sie ihm seine teuer erkaufte Kreuzzeitung vorlasen oder Kammerreden aus einer der wohlfeileren Morgenzeitungen: »Sie werden noch alles verderben. Man soll an sich selbst denken, aber doch nicht an sich allein.«

Es tut uns leid, daß wir noch einige recht tiefe Kümmernisse berichten müssen, die ihn in diesem seinem Alter trafen. Einige nahm er schwer, andere leicht.

Wenn seine Nachbarn in der ersten schlimmen Zeit verzweifelnd die Köpfe zusammensteckten und, was wohl vorkam, meinten: jeder Wechsel des Regiments, und würden sie eine Republik oder russisch, wäre besser als die Pöbelherrschaft, denn was käme es auf Namen an, wenn man nur unter eine Herrschaft käme, die den Besitz schützt, da schwoll ihm noch auf dem Rollstuhl die alte Zornader, und er warf um sich Schimpfworte, wie: »Bastardbrut!« Wenn der Edelmann kein Vaterland mehr anerkenne, dann möge ihm sein Stammbaum gestohlen werden, denn ein Adel sei keinen Pfifferling wert, wo Verrat, gemeiner Sinn und reines Interesse dahinter stecke. Den Quilitzer, der so etwas damals wieder geäußert, wolle er gar nicht mehr sehen – da wäre ihm noch der Baron Eppenstein lieber. Das war das Schwerste, was Isegrimm sagen konnte. – Wie seufzte er, daß der alte Wahrnimer Kautzenburg gestorben: solche wahre Edelleute werden immer seltener.

Als einige Zeit später, in einer auch schweren Zeit, wo es sich darum handelte, ob Preußen seine erworbenen Rechte im zerstückten Deutschland geltend zu machen der alten Kraft wäre, ein Offizier – es war leider einer der Vettern aus Quilitz – in einer großen Versammlung zu denen, welche diese Kraftanstrengung forderten, sagte: »Meine Herren, was muten Sie Preußen zu? Eine Aufgabe, der es nicht mehr gewachsen ist!« – als das der alte Isegrimm hörte, ballte sich seine Faust, und aus den greisen Wimpern drückte er eine Träne. Worte, um seinen Schmerz auszudrücken, fand der alte preußische Militär nicht mehr, aber nach einer Stunde sagte er – sonst hatte er bald vergessen, was eben geschehen –: »Es muß doch recht schlimm in der Welt aussehen. Haben Sie denn dem nicht die Epauletts von der Schulter gerissen?« Dann setzte er hinzu: »Der arme alte Fritz da oben! Was muß der in der Welt gesündigt haben, wenn der liebe Gott ihn das hören läßt!«

Dann aber vergaß er es. Mit seinem Sohn Wolf, wie wir wissen, stand er ganz leidlich. Nicht so mit dessen Sohn, der auch Wolf getauft war; zur Unterscheidung nannte man ihn den jüngsten Wolf. Verstand hatte er, und lernte viel und leicht, sonst aber war nichts an dem Semmelgesicht – wie Isegrim ihn nannte; es war eine Frühgeburt – was ihm Freude machte, obgleich das junge Herrchen den Kopf schon früh sehr aufrecht trug. Er wäre hoffärtig, ehrgeizig und naseweis, sagte er, aber kein Edelmann. Er studierte Jura, und dachte schon als Referendar an den Minister. Die Verwandten, meinte er, würden schon schieben. Da kam die Märzrevolution. Damals, nämlich an dem Tage nachher, soll er die größte dreifarbige Kokarde am Hute getragen haben, und man sagt von Reden, die er an den Pappelbäumen und sonst wo gehalten, die ich ihm nicht nachsagen will. Er wars nicht, es war die Dröhnung in ihm – die heillose Angst, sagte Isegrimm, ders gesehen, wie er, als die Bauern ins Schloß drangen, sich im Keller verkrochen. Wie durch ein Wunder hatte der junge Herr nach ein paar Jahren schon alles das vollkommen vergessen. Ein Talent, ein fixer Redner, von der vortrefflichsten Gesinnung, war er bald angestellt worden, und stöberte auf und verfolgte als öffentlicher Ankläger mit einem Eifer, der fast seine Gesundheit angriff, verlorene, verkommene und versteckte Demokraten, die froh waren, daß sie sich selbst vergessen hatten. Seine Anklagereden donnerten und blitzten von Patriotismus und Verehrung und Liebe für Thron und Altar, und Abscheu vor allen Revolutionären; wenn ers nur nannte, pflegte er immer zu zittern. Konnte er nichts zum Denunzieren und Anklagen finden, blätterte er den Wust alter Zeitungen nach, um hochverräterische Aeußerungen, Majestäts- und andere Beleidigungen zu finden, wobei er immer so glücklich blätterte, daß er seine eigenen Reden nicht fand. Kurz, er war ein Exemplar einer dienstbeflissenen Beamtenseele; nur konnte er sich seinen Lohn dafür, der ihm sonst nicht entgangen sein wird, nicht im väterlichen Hause holen. Sein Vater, der junge Wolf, sagte: »Junge, schäme Dich, und wenns nichts weiter ist, Du machst Dir ja alle honetten Leute zu Feinden;« der Großvater aber behandelte ihn mit einer souveränen Verachtung. Er nannte ihn nur die »Käsemade«, und bei Tisch mußte er unten am äußersten Ende sitzen. Einmal hatten ein paar Schneidergesellen einem kommunistischem Weber aus dem Gefängnis zur Flucht verholfen. Der Weber war längst über See, die Schneidergesellen hoffte er aber noch zu attrappieren. Nun traf es sich, daß die armen zitternden Menschen in Haus Ilitz den alten Isegrimm um Gottes Erbarmen fußfällig gebeten, daß er sie rette, und Isegrimm war gerade in der Laune, daß er meinte, König und Vaterland liefen nicht Gefahr, wenn die armen Schlucker auch nicht ergriffen würden. Er hatte sie mit seinem eigenen Sohn gerad über die Grenze fahren lassen, was der junge Wolf auch recht gern getan, als der jüngste Wolf mit Gendarmen, oder was sonst auf ihrer Spur, vorfuhr. Wie der Großvater den Enkel eine Weile hingehalten, und ob ers überhaupt der Mühe wert hielt, mit ihm Komödie zu spielen, weiß ich nicht, dann aber sagt ers ihm gerad heraus, was er getan: »Nu, Du Hans Gelbschnabel, kannst Du ein Brutus werden. Der fehlte uns gerade noch. Präpariere Dich zu einer wunderschönen Rede, daß den Zuschauern die Tränen von den Backen laufen. Du kannst Deinen Vater und Deinen Großvater anklagen; alles aus Patriotismus. Das ist heroisch und macht viel Gerede. Nicht wahr? Und einen Orden kriegst Du vielleicht auch noch dazu.«

Von einer Anklage ist nichts bekannt geworden: dagegen erinnert sich wohl noch mancher des seltsamen Gerüchtes, daß der alte Isegrimm in seinen letzten Tagen ein Demokrat geworden. Etwas ist daran, aber es hat mit jenem Vorfall nichts gemein. Es verhält sich so.

In Isegrimms letzten Tagen wechselte Lichtvolles mit Kindischem. Er sah einmal wieder heiter in die Zukunft, denn sagte er, wenn auch vieles noch zu wünschen, so wäre doch die Kavallerie nun purifiziert, und unter den Dragonern und Kürassieren gäbe es keine bürgerlichen Offiziere mehr. Dagegen wäre es nun auch billig, daß man den Bürgerlichen dafür lasse, was ihnen zukommt, nämlich die Artillerie, und es sei nicht recht billig, daß letzthin so viele Adlige dahin avanziert seien, und expreß gegen das königliche Wort in Königsberg und bei der Huldigung: daß jeder Stand das Seine behalten solle. Die Artillerie sei nun einmal für den Bürgerstand, und was recht gewesen, müsse recht bleiben.

So harmlos der Alte es gesagt, solches Entsetzen verursachte es ein paar alten adligen Damen, die es mitangehört, in der Erwartung, aus dem Munde des Patriarchen nur Gott, König und Vaterland Wohlgefälliges zu vernehmen. Sie hatten Kinder oder Enkel in der gedachten Waffe. Sie verbreiteten die unglaublich klingende Nachricht in der Stadt, der alte Isegrimm ist demokratisch geworden. Als sie aus der Stadt wieder aufs Land kam, hieß es schon: er ist rot, dunkelrot. Als sie auch in die höchsten Kreise drang, äußerte eine hohe Person: man müsse so etwas der Schwäche des Alters zu gut halten. Anders faßte es ein General auf, der durch seinen kirchlichen Sinn sich vor vielen auszeichnete. Er sah darin keinen Verstoß der Zunge, nichts Zufälliges, sondern ein Moment von der allerernstesten Bedeutung. Der ehrwürdige, christliche und loyale General von der Quarbitz könne das gar nicht gesagt haben, das sei der Teufel selbst, der aus seinem Munde gesprochen. Gerade bei der hohen Bedeutung, welche die Artillerie gegenwärtig im Kriege habe, bei der unleugbaren Tatsache, daß sie in den Händen Ehrgeiziger bei den Revolutionen eine fürchterliche Rolle gespielt, und endlich bei dem gleichfalls nicht abzustreitenden Faktum, daß sie eine Waffe sei, die in der Bibel noch nicht vorkommt, und wo man leider notgedrungen die Wissenschaft und Kunst, in welcher der Teufel ohnedies sitzt, zu ihrer Handhabung und Vervollkommnung zu Hilfe rufen müsse, sei es augenfällig und bedürfe keines Beweises, daß der Teufel, welcher alle Revolutionen macht, sein besonderes Augenmerk auf die Artillerie habe. Da nun im Bürgerstande, unbeschadet der ehrenwerten Ausnahmen, mehr revolutionäre Elemente lägen als im Adel, so sei es ganz natürlich des Teufels Dichten und Trachten, diese Waffe ganz in die Hände des Bürgerstandes zu spielen. Satan, der wie ein brüllender Löwe durch die Straßen der Hauptstadt zieht, sei es dort nicht mehr um Eroberungen zu tun, wo er schon, trotz der Sabbatsfeier, Kirchenräten und Kirchentagen so viele Altäre, Burgen und offene und geheime Alliierte habe, aber auf das Land, wo Treue, Gehorsam und Gottesfurcht noch zu Hause sei, richte er seine Blicke, um sich Verbündete und Knechte zu schaffen. Da reine Charaktere, ja einen durchaus ritterlichen zu verführen, sei ihm wichtiger, als anderswo hundert Lumpenseelen, die ihm ohnedies zufielen. Was dürfe man sich also wundern, wenn er, bei seiner unberechenbaren und unbegreiflichen Macht, seine Netze gerade auf den reinsten und ritterlichsten Charakter geworfen, und er, dem kein Mittel zu schlecht, die Schwäche des Alters benutze, und den Patriarchen Worte vorstoßen lasse, die so kindlich unschädlich klängen, wenn sie nicht einen so infernalischen Hauch verbreiteten und von so diabolischer Tragweite wären.

Der Patriarch sollte gerettet, oder vielmehr der Satan ausgetrieben werden. Mit diesem Vorsatz fuhr der General mit Kurierpferden nach Ilitz. Es kam noch ein anderes Motiv dazu. In der bewußten Provinz war politisch kaum mehr etwas zu bessern; überall waren Preußenvereine und Arme des Treubundes, wobei sich besonders die Querbelitzer auszeichneten, voran ihr Schulze Lamprecht. Einen Weinreisenden, der einmal einen vielbesprochenen Wahlkatechismus in der Schenke gelesen, ganz still für sich, hatten sie auf der Stelle gefaßt und mit gebundenen Händen nach Nauwalk transportiert. Wenn der Bürgermeister ihn freiließ und die Justiz ihn freisprach, wars nicht ihre Schuld. Dagegen sahs mit dem kirchlichen Sinn in der Provinz nicht so aus, wie mans in Berlin wünschte, und gerade die Querbelitzer warens, die immer vom Katholischmachen sprachen. Namentlich wollten sie absolut nichts von der persönlichen Existenz des Teufels wissen und zitierten den alten Fritz, was er dazu sagen würde. Dieser Starrsinn in einer sonst so vortrefflich gesinnten Bevölkerung erschien um so bedenklicher, als gerade damals auch in Berlin ein Geistlicher, weil er den persönlichen Teufel leugnete, so großen und gerechten Anstoß erregte. Vergebens war eine vornehme Dame, aus der Gegend gebürtig, die in ihrer Jugend viel von den Anfechtungen des Teufels zu erleiden gehabt, dafür jetzt sehr rechtgläubig, aber noch immer munter, umhergereist und hatte die Bauern zu bekehren gesucht, daß sie wieder an den Teufel glauben sollten. Sie hatten sich immer in den Kopf gekratzt und gemeint: »Der alte Fritz müsse es doch besser gewußt haben.« Hier galt es, jemand in sein altes Recht wieder herzustellen, sein Dasein zu retten, und wenn es auch der Teufel war. Darum lohnte sich also wohl, meinte der General, auch eine Reise mit Kurierpferden.

Aber es waren keine zehn Minuten verstrichen, seit er zu Isegrimm ins Zimmer getreten, als er schon die Treppe schneller wieder herabkam, als er hinaufgestiegen, und, in die Kalesche springend, zu seinem Begleiter sagte: »Das ist ja ein sackgrober Kerl.« Weiter sagte er nichts, und hat auch nachher nichts mehr gesagt. Die Diener haben nur etwas Tisch- und Stuhlrücken gehört, was der Alte, wenn er polterte, noch sehr gut konnte, und als der Besuch aus der Tür stürzte, den Wunsch Isegrimms: er möge sich zu dem scheren, den auszutreiben er hergekommen! – Die Sache blieb nicht ohne Folgen. Bei der Rundreise einer hohen Person durch die Provinz war auch ein Besuch bei dem Patriarchen angesetzt. Dieser Besuch unterblieb.

Trotz aller dieser Widerwärtigkeiten sah Isegrimm mit Trost und Heiterkeit seiner Auflösung entgegen. Lebte er doch in einer glücklichen Familie. Sein Sohn Wolf störte ihn nicht, die anderen Kinder desselben waren gut geartet; den positiven Trost gewährte ihm aber die Predigerfamilie. Da ward er nicht allein geliebt, er ward auch verstanden. Mauritz beide Söhne waren es, in denen er sein Blut fortleben sah, es war in den jungen Leuten eine geistige Verwandtschaft mit dem Großvater, derselbe kernige Sinn, wenn auch in anderer Richtung. Was aus ihnen geworden oder wird, wo ist dazu hier der Ort, es zu erzählen.

In den letzten Tagen schien den Alten noch etwas zu drücken. Sein Beichtvater und Freund mochte es zuerst als eine seiner Altersphantasien ansehen, bis er inne ward, daß er bei klarem Verstande war. Es quäle ihn ein Bekenntnis, eine Schuld, sagte er, ehe er in die Ewigkeit hinübergehe. Aus einzelnen Andeutungen glaubte Mauritz zu schließen, daß er die Härte bereue, die er anfänglich gegen ihn und seine Liebe bewiesen. Isegrimm drückte stillschweigend Mauritz Hand: »Ich hätte früher nachgeben sollen, da es schon bei mir beschlossen war. Ich fürchtete mich nur vor mir selbst und wartete auf eine Gelegenheit. Da mußte ich sechs Jahre warten, aber Du – Ihr – aber Ihr habt mir das vergeben. Das ist ja alles gut geworden und besser, als ich dachte.«

Mauritz benutzte die Gelegenheit, ihn an die verstorbene Karoline zu erinnern. Ob er sich da etwas zuschulden kommen lassen, daß er ihr nicht vollständig vergeben? »Sie ging in ihr – Leben hinein ohne des Vaters Segen.« Der Alte schien die Worte zu wiegen, schüttelte den Kopf: »Soll man die Sünde segnen? – Und doch, da liegts. Mein Leben sollte eine ganze Wahrheit sein, darauf war ich stolz und – ich habe mein Leben lang an einer großen Lüge geschleppt.« Jetzt zum ersten Male bekannte er, was er im Feldlager des Marschalls von dem wahren Marquis dEspignac vernommen. »Ich schwieg und log aus Liebe zu meinem Kinde, und die ist nun wohl verdammt!«

»Sie wird dieselbe Fürsprecherin vor dem Throne der Ewigkeit finden,« sagte Mauritz – »ihre unendliche Liebe zu dem Manne, dem sie ihr Alles opferte; und wenn sie nachher verirrte, vielleicht Entschuldigung, weil dies einzige Licht, dem sie folgte, ihr unterging.«

»Kann der Gott der Wahrheit die Lüge vergeben?«

»Die er zuließ; denn er schleuderte keinen Blitzstrahl in jene Gruft in der Normandie. Nennen wir das Häßliche mit einem sanfteren Namen – Illusion. Wie viele Illusionen ließ er auf dieser irdischen Welt zu, wie viele herrschten nach seinem unerforschlichen Ratschluß durch Jahre und Jahrhunderte, wie viele mögen noch herrschen bis dahin, was wir Ewigkeit nennen, und der Gott der Wahrheit ließ und läßt sie zu, vielleicht als Mittel, um uns zu erziehen, oft nur dann den Schleier lüftend, um zu unserer Demütigung hineinblicken zu lassen, wie weit wir noch entfernt sind von der Wahrheit, auf die wir stolz sind und uns brüsten, und die nur bei ihm ist.«

Bei Isegrimms Begräbnis fehlte es nicht an Teilnehmern von weit her und einer würdigen Pracht. Die Familie war aber getäuscht, wenn sie auch von oben her Zeichen dieser Teilnahme erwartet hatte. Das ist das Tragische bei denen, welche ihres dem öffentlichen Leben gewidmet, daß die Gesinnungen und Verdienste einer langen Laufbahn, auch einer, die beinahe ein Jahrhundert fleckenlos gedauert, durch einen kleinsten Fleck, es braucht kein Verbrechen, kein Fehltritt zu sein, nur ein Verstoß, wie ausgelöscht erscheinen. Die gütigsten Gesinnungen zeigten sich auch hier, den Toten zu ehren; aber es ward eingewandt: nach dem letzthin Vorgefallenen schicke es sich doch nicht, denn der General habe weder widerrufen noch bereut, und wenn auch Gott in seiner Allmacht und unerschöpflichen Gnade ihm seinen Irrtum in Bezug auf die Artillerie, selbst ohne Reue, vergeben dürfte, so sei dies doch anders mit einer weltlichen Autorität, die Pflichten und Rücksichten habe auf das von Gott ihr verliehene Amt. Jetzt ihn ehren, wie das Herz es wünsche, heiße seinen Irrtum sanktionieren, und könne zu Konsequenzen und Auslegungen führen, deren Tragweite niemand zu berechnen vermöge.

So ist es denn gekommen, daß es über seinem Grabe noch immer wie ein leiser Nebelschleier schwebte. Man sagte nicht gerade: er ist als Demokrat gestorben; aber wenn einer fragt: wie war es denn bei seinem Tode? zuckt wohl ein anderer die Achseln und sucht Beschönigungsgründe; das ist aber schlimmer, als wenn er geradezu sagte: er war ein Demokrat. Ein Beamter von der besten Gesinnung, der nach Berlin reiste, seine Karriere noch zu beschleunigen, wollte unterwegs das Grab des Mannes besuchen, der ihm als eine Säule ritterlicher Loyalität gepriesen war, um mit dem Veilchenstrauß einer solchen elegischen Erinnerung an der Brust eine gemütliche Entree zu machen. Als er aber von den letzten Vorfällen hörte, und daß keine Equipage dem Sarge gefolgt sei, kehrte er auf der Stelle um und setzte sich rasch in den Wagen; vor der Schenke sagte er laut: es sei ein Mißverständnis gewesen, er habe einen anderen Quarbitz gemeint. Was vielleicht noch schlimmer, in mehreren höheren Kreisen hat man das geringfügige, zum Grunde liegende Faktum längst vergessen, man erinnert sich nur, daß etwas vorgefallen ist, was damals mißfällig bemerkt worden. Man erinnert sich auch wohl, daß man seinerzeit von einer Hinneigung zu demokratischen Grundsätzen gesprochen. So etwas zu untersuchen, ist weder Anlaß noch Zeit, und so bleibt der Fleck, weil er nicht gefaßt werden kann, noch heute schweben. Zu einer sehr konfidentiellen Mission sollte schleunigst ein Diplomat fortgeschickt werden. Ein Quarbitz war an der Reihe, und es war auch sonst gegen seine Befähigung nichts zu sagen, wenn nicht eine Stimme, als das Diplom schon ausgefüllt werden sollte, rief: »Ist da nicht einmal in der Familie etwas passiert!« Eben das glaubten alle zu wissen, aber keiner wußte im Augenblick was. Im Augenblick aber mußte entschieden werden, und man ging vom Träger des Namens Quarbitz zu dem eines anderen über, der heut für die glücklich beendete Mission hohe Orden trägt. Fortuna hat keine Gesetze. Viel mag indessen die Leichenrede beigetragen haben, die der auch hochbetagte Prediger Mauritz hielt, und die alle Zuhörer in Verwunderung und Erstaunen setzte.

Es schien wieder in dem ängstlich gewordenen Mann, der noch vor kurzem überall Gespenster und aus allen Ritzen den bösen Feind seine Krallen strecken sah, um Gottes schöne Weltordnung anzunagen, ein Schimmer jenes Lichtes plötzlich aufzuflackern, welches ihn einst erleuchtet hatte. Er sprach, als wenn es erst im Augenblick ihn überkam, wo er auf den Kirchhof trat, wie ein schönes Werk, das Gott auf Erden werden ließ, durch eine Reihe großer Fürsten und erleuchteter und mutiger Geister, durch den treuen Sinn eines einfachen, guten Volkes, jetzt wieder zerklüfteter und zerrissener scheine denn je, durch die Bestrebungen derer, die es auf seine Urbestandteile zurückführen möchten. Wie man die auch benenne, wie man auch mit ihnen schön tue, es liege doch nur zum Grunde die Selbstsucht der Kreatur, die am Besitz hafte und, weil sie nichts von dem wolle fahren lassen, was sie einmal besessen, sich noch ihrer Tugendhaftigkeit rühme und das Rechtssinn taufe, was vor dem Schöpfer Selbstliebe und Egoismus sei. Warum habe denn Gott jene großen Geister ins Leben gerufen, welche die Einheit schufen, die man Staat nennt, welche gewaltsam hineingerissen in die bestehenden Rechte der einzelnen und der Völker, wenn die ewige Weisheit gemeint, das Ziel sei zu erreichen, sobald nur jeder tue, was recht sei, gebe, wozu er verpflichtet, opfere, was er Lust habe! Sei das nicht auch Empörung gegen Gottes Wollen, der hinrausche durch die Geschichte, daß wir ihn in dem großen Buche nicht lesen wollen. Und weil alles so Empörung sei, habe er die Welt strafen wollen dadurch, daß er falsche Propheten in Stahl und Feuer ausrüste, aber keine wahrhaft freien und großen Geister mehr aussende, um die Welt zu retten und zu erlösen aus den Ketten des Egoismus: »Nirgend, nirgend!« rief er, »erstand einer, wo wir sagen können: in ihm ist Gott; nicht in den tobenden Völkern, nicht unter den verbitterten Fürsten, nicht unter den Reichen und Großen der Länder. Sie alle dachten, die, als sie den Sturm aufriefen, die, als sie ihn beschworen, nur an sich, an ihr Haus und ihre Nächsten, es war das Interesse, was sie zu Löwen erhob und Geierflügel an ihre Schultern band. Wenn jene alles auf einen großen Haufen warfen, Perlen und Edelsteine unter Vogelfutter und Scherben, die rechtlicht und emsig gesammelten Vorräte einer treuen und sparsamen Vorzeit, nur um zu teilen, wenn sie das tausendjährige, noch gesunde Pfahlwerk ausrissen, auf dem die Häuser unserer Vorfahren standen, um es als Brennholz für einen Winter zu zerklopfen, so prassen und so scharren diese wie bankerotte Kaufleute, die täglich wieder einen neuen Bankerott befürchten und nur die Augen der Menge blenden möchten, um derweil beiseite zu schaffen. Sie denken nur an ihre Not, nicht an die Not und das Bedürfnis aller, der Menschheit. Noch weniger an das Licht, das er über uns ausgoß, und es ist sein höchstes Geschenk und wir sind als seine Verwalter bestellt. Wie verwalteten wir es? Daß wir es unter den Scheffel setzen, weil es einige Kurzsichtige blenden, weil es in der Zugluft unsere Scheunen und Vorratskammern anzünden könnte. Darauf sind ihre Gedanken gerichtet, darauf geht ihr Sinnen und Trachten, auf die Scheunen und Schatzkammern. Und in dieser Welt des Egoismus, wo die Materie über alles ihre bleiernen Flügel breitet, von unten bis oben mit scheinheiligen Namen getauft, gehätschelt und geliebkost von den Gewaltigen, wie soll der Herr da eine Seele wecken, die als Prophet und Richter seinen Geist ausströmt! Sie würden seine Sprache nicht verstehen. Aber was ist unsere Zukunft ohne die großen Männer, die seinen Geist hauchen, ohne die Gerechtigkeit, die nichts mit Rechten und Gerechtsamen zu tun hat? – Ein Körper, aus dem das Salz verflüchtigt, die Quellen vertrocknet und das Wasser versiegt, aufzugehen in Fäulnis, in Staub zu zerfallen.«

Dann wandte er sich nach einer Pause, die von seiner innersten Erschütterung sprach, zu den großen Geistern, Männern und Geschlechtern vor uns, die, Gott im Auge, nur für ihre Nachkommen gedacht und gewirkt, die Bäume gepflanzt, deren Früchte wir essen, unter deren Schatten wir ruhen: »Solcher Gerechten einen begraben wir heute, der bessere Zeiten gesehen und in die schlechten seinen guten Sinn herübernahm. Wer ist Richter über die Toten, wer übernimmt am Grabe eines teuren Geschiedenen, seine Irrtümer zu zählen? Der Herr, der uns sein Licht gab, färbte unsere Augen verschieden, daß wir seinen Glanz verschieden sehen. War sein Gesichtskreis klein und gemessen, der Strahl seines Auges gebrochen, wo er in die Ferne hinausschaute, wie voller und klarer Gesundheit war er Herr in dem Hause, das seine Kraft bemaß! Nein, er diente nicht den falschen Propheten, die als erstes Gebot das Mein und Dein setzen, und statt des heiligen Geistes das heilige Besitztum anbeten. Oft zückte in dem Greise der Unwille auf, wenn er sie auf den falschen Wegen betraf, und hätte Gott ihm Jugendkraft bewahrt, er würde, ein anderer Moses, die Tafeln, die sie schänden, ihnen vor die Füße geschleudert haben. Er war rein von Eigennutz, rein von der Sünde, daß er den Götzendienst von seinen Altären zu einem Gottesdienst vor dem Herrn gestempelt, vor dem Besitz und Eigentum Staub sind; er haucht und sie vergehen. »Es ist alles Staub vor ihm, bestimmt, zu vergehen, wenn es Zeit ist; aber eines ist das Festeste, es dauert am längsten, es ist der Baum, dessen Wipfel bis an die Schatten der Ewigkeit rauschen – das Vaterland. Dem war er ein Vasall, ein Leibeigener und Höriger, es gab keinen getreueren; und wie dort, wies er auch hier die falschen Propheten von sich, die sprechen: was ist es und was tut es? Es ist auch nur ein Hauch und Schall, der vergehen wird, und anderes bleibt, und bei dem bleiben wir. Das ist das Ungeziefer, das aus einem Hause zieht, wenn der Einsturz droht, das ungetreue Gesinde, das den sterbenden Herrn verläßt, der keinen Lohn mehr spenden kann. Nein, er blieb beim Vaterlande, wie das Blatt am Baume, sonst verwelkt es – und wenn es ihm grollte, er opferte ihm doch sein Herzblut, sein Alles – das war er – mir war er mehr – mir –«

Mit Aengstlichkeit hatten die Zuhörer die schwankende Stimme bemerkt; wie seine Glieder schwankten, konnten sie unter dem Talar nicht sehen. Die Leichenrede ward nicht geschlossen, Mauritz sank seinen Söhnen in die Arme, und am folgenden Tage war er dem Toten, der ihm mehr war, gefolgt. Die Aerzte sagen, er wäre an seiner alten Wunde gestorben, die in jedem Frühjahr seine Lunge und Nerven angriff. Andere sagten, an der Rührung.

Die Predigerwitwe, noch immer, konnte man sagen, eine anmutige Matrone von freundlichen und klaren Zügen, hielt am Begräbnismorgen ihre beiden Söhne umschlungen. Schmerz und Trauer hatten ihren Blick nicht umflort, ihre Augen kaum gerötet: »Danket mit mir Gott; Euer Vater ist gestorben, wie er gelebt hat. Nur hatte sich ein trüber Flor um sein helles Auge gespannt. Es war nur die Krankheit der Zeit, an welcher so mancher sonst Starke und Gute erlag. Sein klarer Geist ist nicht erlegen. Der Herr war über ihm in seinem Tode und sprach aus ihm mit Sehermunde. Aber seine Rede war nicht zu Ende; er war ein Christ, also hätte er nicht mit Verzweiflung über die Zeit geschlossen. Als Christ hat er uns oft gepredigt, daß auch für Völker eine Wiedergeburt ist wie aus den Ketten der Sklaverei und der Sünde, auch aus denen der Selbstsucht und der Materie. Darum, meine Kinder, gehet mutig wie er in die traurige Zeit vor Euch, ach, eine doppelt traurige für Jünglinge, wo der stolze Gedanke, die edle Begeisterung für Ideen, die Eure Väter über sich selbst und das Alltagsleben erhoben, angefeindet, ja verrufen sind. Die armen Jünglinge, woran soll ihr Geist sich halten, um nicht im Stumpfsinn, in leerer Eitelkeit und Sinnenlust zu versumpfen! Ihr nein, Ihr habt Eures Vaters Beispiel vor Augen, Ihr werdet nicht verzweifeln unter dem Knechtssinn und der Scheinheiligkeit, Ihr werdet Euch nicht überwinden lassen von der bösen Zeit, sondern sie überwinden mit Gutem, wenn Ihr frei, stark und wahr bleibt.«

Unsere Geschichte ist hiermit zu Ende; weiter hinausgeführt wird sie kein billiger Leser fordern. Einige aber unseres vorangehenden Gemäldes: »Ruhe ist die erste Bürgerpflicht«, die auf dieses Bild des Zertretenwerdens eines erwarteten, welches die vollständige Erhebung und Wiedergeburt des Vaterlandes darstelle, werden sich getäuscht finden. Der historische Maler läßt nicht auf die Knechtschaft in Aegypten die Eroberung Palästinas folgen; seine nächste Aufgabe ist die Wanderung durch die Wüste. Andere, namentlich Stimmen aus Preußen, haben dem Autor vorgeworfen, warum er überhaupt jenes Gemälde der Sünde und des Zertretenwerdens ans Licht gestellt, und nicht das erfreuliche der Wiedergeburt? Als Historiker verstehe ich die Frage nicht. Wer das Volk Gottes besingen will, wie es Kanaan erobert, aber wie es in Aegypten um seiner Sünde willen Ziegel gestrichen, geschlagen und getreten ward, um üble Eindrücke zu vermeiden, verschweigen, den würde man töricht schelten. Noch andere werfen dem Autor vor, wie er das erste Gemälde hingestellt, die zu brennenden Farben, daß er nicht mehr verschleiert, anderes verschwiegen, nicht das Gute gegen das Schlechte hervorgehoben – nun müsse das zweite Gemälde das erste wieder gutmachen. Wenn nun aber die Geschichte die geschehenen Dinge noch schwärzer malt als die Dichtung! Die brennenden Farben gehörten einer Zeit an, von der ein Staatsmann sagt, ihr Charakteristikum sei, daß das Unrecht alles Schamgefühl verloren habe, und wo man eine weiße Schminke hatte, die auch die brennendste Schamröte versteckt. Wo aber nur das Schlechte hervortrat, wie konnte das Gute da in den Vordergrund gestellt werden, das unzweifelhaft da war, nur sahen es wenige, weil es sich machtlos versteckt hielt. Damals! Endlich hat die Scheu vor dem Dargestellten unter der Maske ästhetischer Kritik von einer Sitte und Sittlichkeit in der Kunst gesprochen, deren Rechte der Autor vollkommen gelten läßt, aber nur da, wo sie hingehören. Die Gesetze des älteren Romans passen nicht für den historischen der Neuzeit. Verwerfe man, wenn man will, die Gattung; aber wo das Sonnenlicht des Tages, die stürmische Nacht, der brennende Schmerz noch blutender Wunden, die Leiden und Freuden eines Volkes, dem Maler, der ihm angehört, die Farben und Tinten eingeben zum Gemälde, was so ein Teil wird seiner selbst, da reichen die Vorschriften nicht aus, nach denen ein Tom Jones und Wilhelm Meister gebildet ward, auch nicht die, welche ein Walter Scott sich kunstreich selbst geschaffen, um mit elegischer Ruhe die Zustände eines gewesenen Volkslebens zu schildern.

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