Frei Lesen: Walladmor

Kostenlose Bücher und freie Werke

Kapitelübersicht

Erster Band, Erstes Kapitel. | Zweites Kapitel. | Drittes Kapitel. | Viertes Kapitel. | Fünftes Kapitel. | Sechstes Kapitel. | Siebentes Kapitel. | Achtes Kapitel. | Neuntes Kapitel. | Zweiter Band, Erstes Kapitel. | Zweites Kapitel. | Drittes Kapitel. | Viertes Kapitel. | Fünftes Kapitel. | Sechstes Kapitel. | Siebentes Kapitel. | Achtes Kapitel. | Dritter Band, Erstes Kapitel. | Zweites Kapitel. | Drittes Kapitel. | Viertes Kapitel. | Fünftes Kapitel. | Sechstes Kapitel. | Siebentes Kapitel. | Achtes Kapitel. | Neuntes Kapitel. |

Weitere Werke von Willibald Alexis

Der falsche Woldemar | Der neue Pitaval - Band 15 | Der neue Pitaval - Neue Serie, Band 9 | Der Werwolf | Isegrimm |

Alle Werke von Willibald Alexis
Diese Seite bookmarken bei ...
del.icio.us Digg Furl Blinklist Technorati Yahoo My Web Google Bookmarks Spurl Mr.Wong Yigg


Dieses Werk (Walladmor) ausdrucken 'Walladmor' als PDF herunterladen

Willibald Alexis

Walladmor

Zweiter Band, Erstes Kapitel.

eingestellt: 7.8.2007



Der Morgen des Wintertages war ungewöhnlich klar und heiter gewesen; und erst jetzt, als Bertram sich vom lustigen Trauergelage entfernte, bemerkte er, daß nicht allein ein düsterer Nebelflor den Himmel umlagert habe, sondern auch ein mattgraues Gewölk ihn immer dichter und dichter umziehe. Doch war er ohne Besorgniß, da die Bewegung und Frische der Luft ihm das Blut erwärmt und den Muth verstärkt hatte; nur als ein Bedürfniß, der Hunger, bei ihm ansprach, kehrte er in eine einsame Schenke ein, und stärkte sich zum vorhabenden Marsche mit einem, für solchen Ort gut genug bereiteten, Stücke Rostbeef. Hier sogleich nach dem Wege, welcher ihn gen Kloster Griffith ap Gauvon führe, zu fragen, hielt er nicht für gerathen, und erkundigte sich deshalb beim Abschiede nur nach dem Wege nach Pumfries und gelegentlich nach den irre führenden Abwegen ins Gebirge, ob der Weg sicher sei, und welche Ortschaften in der Nähe lägen? Der Wirth erwiederte:

Um Pumfries herum, nach dem Snowdon zu, liegen wohl nur einzelne Meierhöfe, und es führen keine Straßen in die unwegsamen Gebirgsschluchten, sondern nur Holzwege, auf denen man leicht verirren kann, zumal im Winter, wenn Schnee liegt. Es kommen auch selten Herrschaften – besonders im Winter – hin, und außer den Pächtern und Häuslern verirrt sich jetzt wohl nur eine arme Seele hin, die sonst keine Ruhe findet, etwa muntere Gesellen mit abgeriebenen Pferden, oder Spekulanten besonderer Art. Doch das geht Niemand was an, und wer in der Nähe von dem alten verfallenen Raubnest wohnt, dem krümmen sie kein Haar, und wer sich drein mischen wollte und angeben, müßte wohl ein Narr sein. Ich wenigstens habe keine Lust, mein hübsches Haus und die gefüllten Scheunen Nachts über den Kopf mir brennen zu lassen, und seh es darum ruhig mit an, wenns im Dunkel in der alten Scheune rumpelt und rollt. Es sind ein Paar müde Leute, sag ich zur Frau, wenn sie sich zitternd in den Winkel am Feuer drückt, die suchen eine Schlafstelle und haben keinen Paß. Wenn sie mir dann sagt: Aber die Mägde fürchten sich, und wollen nicht übern Hof gehn, weil sie meinen, es sei nicht geheuer, dann sprech ich zu ihr: Laß die Mägde glauben was sie wollen, uns schadet es nichts. Und wirklich ist mir noch nie etwas gestohlen worden, sondern ich fand nur am andern Morgen das Stroh ein wenig eingedrückt, und sie hatten wohl obenein ne Flasche fremden Wein zurückgelassen, den keine Seele von mir nachher zurückgefordert hat.

Wie heißt das verfallene Raubnest?

Es mag nicht grade ein Raubnest sein, aber es ist doch solch ein altes verwünschtes Mauerwerk in den wildesten Gebirgsschluchten, wo die Jungen selbst nicht gern das Vieh hintreiben. Griffith ap Gauvon nennen s die Leute.

Wohnt vielleicht darin ein Pächter oder Förster?

Keine Seele bis auf die Eulen, und die Adler vom Snowdon mögen auch ihre Besuche machen.

Man findet also auch keine Aufnahme dort als Reisender?

Der Wirth sah den Fragenden groß an, und sagte dann mit zweifelhaftem und bedenklichem Tone:

Nun – das wird der Herr ja wohl am besten wissen. – Ich war nie da – weiß auch nicht, wer da einkehrt, bekümmere mich auch nicht darum, habe auch ein schwaches Gedächtniß, so daß Jedermann vor mir ganz sicher sein kann; jetzt mags auch wohl ziemlich besucht sein, wie ich habe munkeln hören; mein Sprüchwort aber ist: Handel und Wandel hat Jedermann frei.

Wie weit ist die Ruine von Pumfries entfernt?

Wenn Ihr dahin wollt und von Arthurs Schanze herkommt, so seid Ihr Euch sehr umgegangen. Wer den Weg weiß, geht grade durchs Gebirge, freilich klippauf, klippab, aber um den Gewinnst thut mans schon und wadet durch die Bäche. Wenn Ihr von hier aus Pumfries rechts liegen lasset, könnt Ihr hinter der rothen Heide am alten Steingalgen in weiter Ferne einen blauen spitzen Berg über der hohen Kette vorragen sehen, darunter liegt es in einer tiefen Schlucht.

In so einsamer Gegend steht ein Galgen?

Ist jetzt eigentlich nur noch zur Zierde da, und thut wenig Dienste mehr. Vor alten Zeiten aber haben viele dran gebaumelt, und sie sagen, der Englische König Eduard habe ihn expreß erbaut, als er das Land ganz unterjochte, um die alten Wälschen Barden dran hängen zu lassen. Zwölf, sagt man, hätten mit einem Mal gebaumelt. Meinethalben vierundzwanzig, daran ist uns beiden wenig gelegen, und jetzt hängt nur hin und wieder ein armer Schelm, den sie erwischen. Kann Euch aber versichern, daß es nur selten geschieht.

Obgleich statt des Sonnenscheins ein trübes Grau den ganzen Horizont bedeckte, war doch der Nachmittag bedeutend milder als der Vormittag, wie es zu sein pflegt, wenn nach kalten klaren Wintertagen ein Schneewetter eintreten will. Mancherlei Gedanken und Bedenken gingen in Bertrams Kopfe um, als er, von der Hütte aus, den sehr einsamen Weg weiter schritt. Bald schien – etwas seltenes im südlichen England – alle Kultur von beiden Seiten des Weges verschwunden, und das röthliche Haidekraut war nur hier und dort von einigen Haferfeldern unterbrochen, gleich als wäre der Wanderer durch ein Hochschottisches Thal einhergezogen. Der Grund lag wohl ebenfalls in der Nähe der hohen Kette des Snowdon, welche das an sich wenig fruchtbare Land nicht vor den südwestlichen Seestürmen schütze konnte. Wie der Schweizer sich freut, wenn er in dem fremden Lande Berge findet, welche ihn an die geliebte Heimath erinnern, so ergreift auch den Schotten ein wehmüthig freudiges Gefühl, wenn er auf einsamen Wanderungen in der Fremde lange Flächen mit den rothen Büscheln seines vaterländischen Haidekrautes bedeckt sieht. Einem, der nicht zwischen unsern Bergen geboren und auferzogen ist, mag bei diesem Zeichen eines uncultivirten Zustandes und einer traurigen Natur weniger froh zu Muthe werden; und Bertram überdachte, wie wir bereits angeführt haben, die Gefahr der Unternehmung, in welche er sich scheinbar ohne erheblichen Grund einlassen wollte. Eine anonyme Einladung zu einem sehr verdächtigen Menschen, zu einer Jahreszeit, in welcher man auch bei aller Bequemlichkeit zu reisen vermeidet, in eine unwegsame Gegend – würde Jedermann, der nicht am Rande der Verzweiflung und vor der schroffen Felswand der Hoffnung steht, von sich gewiesen haben. Was vermögen indessen alle diese Gründe gegen einen von romantischen Ideen geleiteten Jüngling?

Ohne einem menschlichen Wesen zu begegnen, war er bereits über eine Stunde gegangen, als die Haide sich in einen Moorgrund verwandelte, welcher theilweise zwar noch mit Haidekraut bewachsen, mehrentheils aber mit den runden und abgesonderten Rasen- und Mooshügeln, oder vielmehr Klümpchen, bedeckt war, auf welchen die geschickten Bewohner solcher Gegenden den Uebergang auch über ausgebreitete und tiefe Moräste finden. Wer aber, unkundig der Gegend, und nicht geübt im schnellen Auffinden den festesten Punkte, so wie im tanzartigen Springen, auf diese Weise sein Heil versucht, findet leicht den Untergang, indem die meisten dieser grün überwachsenen Moorklumpen noch ihre schlüpfrige Natur, besonders bei regnigtem Wetter, beibehalten haben und den unsichern Fuß abgleiten lassen, oder mit ihm in die schlammige Tiefe versinken. Das vorliegende Moor wies verschiedene Stellen, wo früher Torf gegraben war und offenes Wasser jetzt die tiefen Gräben füllte. Das schlimmste für den Wanderer war, daß sich mehrere Wege durch das Moor zeigten, von denen die meisten vermutlich von den Torfstechern durch den Gebrauch seit Jahrhunderten entstanden waren, vielleicht aber nicht weiter als bis in einen der Gräben oder Wassertümpel führten. Bertrams Uhr zeigte schon auf drei, eine Stunde, welche zur Winterzeit unbestimmte Fußwanderungen zu unternehmen nicht anräth. Der bezogene Himmel und das gefährliche Terrain hätten auch einen kühnen Handelsmann, der vielleicht jenseits des Moores heut einen reichen Gewinn erwartete, abgeschreckt, und auch Bertram stand wirklich zweifelnd stille. Er sah sich prüfend nach allen Seiten um, entdeckte aber, so weit ihm der Nebel und die dicke Luft die Gegenstände zu erkennen erlaubte, und hinter sich und an der einen Seite nur Haidekraut, Moor und einzelne Weiden, welche mit ihren dürren Aesten die Trauer der ganzen Natur nur vermehrten. Auf der andern Seite, zur linken, zog sich die Kette des Snowdon entlang, dessen Rücken größtentheils von Nebel und Wolken bedeckt war; an dem Fuße des Gebirges stand ein Wald entlaubter Bäume, unter denen man auch aus der weiten Entfernung die grauen Weiden hervorschimmern sah. Als Bertram aber die Aussicht nach vorn musterte, glaubte er den Schornstein einer Hütte zu entdecken, und als er die vor ihm nach verschiedenen Richtungen durch das Moor führenden Wege genauer betrachtete, bemerkte er, daß der eine in gerader Richtung nach jenem Gegenstande führe. Um sich indessen zu vergewissern, sprang er seitwärts nach einem Hügel, und seine Freude war nicht gering, als er von dem höchsten Punkte desselben deutlich den ihn vom Wirthe beschriebenen Steingalgen zu erkennen glaubte. Er mußte sehr groß sein, denn obgleich Bertram auf den Zehen stand, sah er, daß über eine nicht unbedeutende Erhöhung, hinter welcher das Strafgerüst gelegen war, nur der oberste Theil des Dreigerüstes hervorragte. Als er sich bedachte, daß nach M*** noch heut zurückzukehren unmöglich sei, und er kein anderes Nachtquartier, als bei dem gleichfalls nach seinen Reden nicht unverdächtigen Schenkwirthe finden möchte, war sein Entschluß gefaßt, und nachdem er sich nur die Beinkleider aufgekrämpt hatte, machte er sich auf den Weg durch den Morast.

Die letztere Vorsicht wäre indessen nicht nöthig gewesen, da das Moor auf allen Stellen fest gefroren war, und nur, wenn der Wanderer stark im Springen auftrat, die ganze harte Decke etwas unter seinen Füßen wankte. Er schritt und sprang sehr beherzt vorwärts, nicht ohne zuweilen über sich selbst zu lächeln, wenn er bei ebneren Stellen daran dachte, daß der Anblick eines Galgens seinen Muth erfrischt habe, und ein Galgen das vorläufige Ziel seiner Wanderung sei. Indessen hatte er diesen, sobald er das tiefere Moor betreten, ganz aus den Augen verloren, und folgte nur unverrückt der Wegspur, welche er von der Höhe aus, als die einzig richtige, sich gemerkt hatte. Es war aber sehr schwer, sie immer zu halten, denn selten kam ein im rechten Winkel sie durchschneidender Seitenweg, welcher als Merkmal hätte dienen können, wogegen vielfach mehr oder minder parallel laufende Fußpfade, oft breiter als der vom Wanderer betretene, ihn irrten. Die einzigen Merkmale waren Torfgräben, einzelne Wassertümpel, ein Baumstamm oder eine kleine Erderhöhung; wer aber weiß, wie Alles, von der Ferne betrachtet, anders aussieht, als wenn man es vor Augen hat, und die ungewisse und generelle Eigenschaft der erwählten Merkmale bedenkt, wird leicht erachten, daß Bertram darum nicht sicher gehen konnte; wer aber, gleich unserm Helden, einmal bei später Jahres- und Tageszeit eine durchschnittene Haide allein durchwandert ist, wird die Besorgniß kennen, welche bei einem solchen Marsche jeden Gedanken und Wunsch als den nach dem richtigen Wege verdrängt.

Der Moorgrund bildete, wie wir schon bemerkten, keine fortdauernde Fläche, sondern hie und da trat das Erdreich hügelartig hervor. Als Bertram einen solchen Hügel bestiegen hatte, glaubte er in einiger Entfernung vor sich einen Schwarm wilder und geselliger Sumpfvögel niedergekauert sitzen zu sehen. Auf einem trockenen Fleck zeigten sich wenigstens mehrere schwarze und weiße Punkte, welche unterweilen sich langsam regten und bewegten; als er aber leisen Schrittes weiter ging, wurden diese Punkte immer größer, so daß es keine Vögel mehr sein konnten. In der Entfernung von ungefähr hundert Schritten blieb er endlich stehen, und bemerkte mit Verwunderung ein seltsames Stöhnen, Murmeln und Krächzen. Er strengte seine Augen an, um zu erfahren, ob es menschliche Wesen seien; die Tageshelle erlaubte ihm indessen nicht, von dieser Weite aus es zu entdecken. Er schlich demnach, gebückt wie der Entenjäger, um nicht verraten zu werden, dem Punkte zu, und während er, halb aus eigener Besorgniß, den Blick auf die Erde gerichtet trug, sah er nichts von der seltsamen Erscheinung, hörte dagegen das Murmeln und Stöhnen immer deutlicher. Anfänglich glich es dem Grunzen wiederkäuender Schweine, bald aber schienen krächzende menschliche Stimmen hervorzutönen, wie bei dem halblauten Beten der Juden in der Synagoge hin und wieder einzelne Sylben oder ganze Worte verständlich werden. Bertram richtete jetzt den Kopf in die Höhe, um mit einem Male der Erscheinung auf den Grund zu kommen, da er, der Entfernung der Stimme nach, dicht vor dem Platze stehen mußte; er sah aber vor sich noch einen mannshohen Erdwall, welcher ihn von den Stimmgebern trennte. Unter dem Gemurmel hörte er jetzt folgende Reden, welche mit äußerst verdrießlicher und krächzender Stimme ausgestoßen wurden.

Ist er wiedergekehrt?

Du hasts ja gehört, alte Lise.

Und treibt wieders Handwerk?

Versteht sich.

Sind denn seine Knochen noch gar nicht mürbe?

Jedermann hat seine Zeit. Was fragst Du so viel? Ich bin heiser.

Deine Knochen hätten längst schon verdient, da oben zu liegen.

Deine werden schon noch rauf kommen.

  • Seite:
  • 1
  • 2
  • 3
  • 4
< Neuntes Kapitel.
Zweites Kapitel. >



Die Inhalte dieser Seite sind Eigentum der Öffentlichkeit.
Sollten trotzdem Urheberrechte entgegen unserem Wissen verletzt worden sein, bitten wir Sie mit uns Kontakt aufzunehmen.