Frei Lesen: Walladmor

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Willibald Alexis

Walladmor

Fünftes Kapitel.

eingestellt: 7.8.2007

Seid Ihr die Diebe, sprach unser König,
Von denen so viel Geschrei?
So schwöre ich Euch denn, bei Gott im Himmel,
Ihr sollt mir hängen alle drei.

Ihr sollt mir sterben ganz ohne Gnade,
So wahr ich bin König im Lande!
Und er befahl seinen Dienern allen
Sie zu legen in Ketten und Bande.

Die Ballade von Adam Bell,
Clym of the Clough und William von Cloudesly.



Erst nach zweimaliger Wiederholung des Klopfens steckte ein Pförtner den Kopf aus der Luke eines kleinen Seitenthurmes. Er fragte: Werda? und warf zugleich den Strahl einer Blendlaterne auf den Reitertrupp. Der Dragoner antwortete, der Wind aber verwehte für den noch weit zurückgebliebenen Bertram den Schall; indessen wurde bald darauf an den Schlössern und Eisenriegeln geschoben, das Thor ging auf, und die Reiter sprengten durch den gewölbten Thorweg in einen kleinen, von den Laternen einiger herbeigeeilten alten Diener erhellten, Hofraum.

Abgesessen! kommandirte der Officier, das erste Wort, welches Bertram seit M*** aus dem Munde dieses schweigsamen Beamten hörte. – Löst dem Gefangenen aber noch nicht die Hände, ehe die Ketten für ihn bereit sind.

Ein silberweißer Hausbeamte schlich gebeugt mit einer Laterne, einem Bund Schlüssel und einem eisernen, spitz unten zugehenden, Stabe, welcher zugleich als Stütze und als Waffe dienen konnte, heran und sagte:

Hochwohlgeborner Herr Hauptmann! So lange nicht das große Erdbeben kommt, und die Eichen auf Kalmorum aus der Erde gerissen werden, oder – was denn Gott sonst verhüte – geschieht, kommt kein Gefangener ans diesem Schlosse, aus diesen Verließen, aus diesen Thürmen, und wenn er alle die Geiste im Meere und der Erde beschwöre, denn, was Zauber betrifft, sind andere Anstalten, die sich dagegen concentrirend wirken, als da – doch besser ists, ich lasse das lieber unberührt; aber wie gesagt – entweder begnadigt und zur Freiheit – was nicht geschehen wird, – oder zum Galgen, was wahrscheinlich geschieht, sonst kommt der Gefangene nicht aus diesen Mauern heraus –

Guter Maxwell – sagte der Officier – morgen wollen wir weiter sprechen – jetzt schaffe ihn in sichere Haft, denn Du haftest dem Staate mit Deinem Kopfe.

Hochwohlgeborner Sir Davenant, sagte der alte Mann, – der Squire, mein hoher Herr, hat mir es befohlen, und darum soll er nie entkommen sein, bis die alten Mauern sinken, und die Eichen auf Kalmorum entwurzelt werden; aber um des Staates willen geschieht es nicht.

Zwei Mann bleiben am Thore, zwei begleiten den Gefangenen, befahl der Officier, und ging nach dem hintern Theile des Hofraumes zu. Maxwell sah ihm ruhig nach. Erst als der Officier vergebens an einer verschlossenen Thüre rüttelte, und in etwas ärgerlichem Tone zurückrief:

Maxwell! die Thüre zum Innern ist ja verschlossen!

antwortete auch er sehr ruhig:

Ja, Sir Davenant!

Aber warum öffnet Ihr sie nicht, da Ihr seht, daß ich hinein will?

Sir Davenant! ich bin im Dienste des Staates.

Der Militair lächelte und wartete bis Maxwell, welchem zwei Constabler und zwei Dragoner, in ihrer Mitte den Gefangenen, folgten, langsam herbeikam, und die kleine Pforte eines großen Thores aufschloß:

Ehrlicher Maxwell! Deine grauen Haare verdienten einen bessern Dienst, als den eines Gefangenwärters.

Bin ich denn Gefangenwärter? sagte der alte Mann, indem er stolz den Rücken emporzuheben bemüht war.

Schon gut, fiel ihm der Officier lächelnd in die Rede, – ich kenne alle Deine Titel: Bailif, Seneschall, Vorschneider, – doch ich bin gewiß, Du bist auch ein pflichtgetreuer Gefangenwärter –

Bloß aus Vergnügen, Sir Davenant, als Dilettant; aber ich glaube, ich versorge meine Gefangenen wie Wenige. Stroh, reinliches Stroh, acht Bund sind in den Thurm geworfen, damit der Gefangene warm liegt; auch liegen zwei alte Matten da und der rothe Friesrock von der Eva Gluclotter, die wir gern als Hexe verbrannt hätten, was aber die Herren in London übel aufnahmen, und den sie zurückließ, als sie zu ihrem ewigen Verderben in Freiheit kam.

Es ist gut. – sagte der Officier, und deutete abermals dem armen Haushofmeister an, daß er genug von seiner Vorsorge wisse. Statt in das eigentliche Schloß zu kommen, standen sie, nachdem sie durch einen langen und gekrümmten Thorweg, der von zwei Laternen nur kümmerlich erhellt wurde, gegangen waren, an einem tiefen Abgrunde. Es schien eine Felsspalte zu sein, welche hier von dem alten Erbauer des Schlosses als Graben genutzt war, denn jenseits derselben erhob sich, gleich einer Fortsetzung der Felswand, eine hohe, mit Schießscharten und mehreren Thürmen besetzte Mauer, welche das ganze Außenwerk, durch welches sie gekommen waren, nothwendig beherrschen und übersehen mußte. Der Greis gab ein Zeichen, und knarrend senkte eine Zugbrücke von drüben her sich über die Spalte. Sie betraten einen engen, von eben so großen, als unförmlichen Gebäuden umgebenen, Hof, dessen Aeußeres aber einen wenig lebendigen Verkehr verrieth; auch sah man an den schmalen und hohen, unsymmetrisch eingehauenen, Fenstern nur hier und dort ein mattes Licht. So viel Bertram beim Laternenscheine sehen konnte, glaubte er auch zu bemerken, daß alle Geräthschaften ein staubiges Alter verriethen. Der Officier trennte sich hier von dem Trupp, nachdem er den beiden Dragonern einige Befehle leise gegeben hatte.

Noch war das Ziel nicht erreicht. Der Haushofmeister schloß im äußersten Hofraum eine kleine Thurmpforte auf, und durch einen engen gewölbten Gang, durch welchen die beiden Dragoner nur mit gebückten Häuptern gehen konnten, gelangten sie endlich in eine Art Wachtstube, die mittelst zweier, hoch oben in der Mauer eingehauener, Luken einiges Licht erhielt, welches diesmal von dem Monde nur spärlich geschenkt wurde. Die Stube mußte nahe am Meeresufer liegen, denn der Wind draußen schien nicht allein die Mauer zu erschüttern, sondern auch das Fundament derselben erbeben zu machen. Der Greis suchte lange und ängstlich im Schlüsselbunde, und drehte einen verrosteten alten Schlüssel endlich im Schlosse der Thüre umher. Nicht ohne Zeichen von Besorgniß klinkte er alsdann die Thüre auf. Kaum aber hatte er dies mit schwachen Kräften halb gethan, als ihm die andere Hälfte der Mühe der Sturm ersparte, welcher von außen gegen die Thüre sich werfend, sie auf- und den schwachen Greis zu Boden riß.

Vor ihnen lag das tobende Meer, vom Monde, welcher durch die zerrissenen Sturmwolken hervorblickte, schauerlich erhellt. Die Brandung tönte furchtbar herauf, obgleich des Sturmes Brausen sie überschreien zu wollen schien. Jeden Augenblick hätte man glauben mögen, die von den anschlagenden Wellen zerbrochenen Felsenwände würden mit den Mauern hinab in die Fluth stürzen, denn mit einem Schritte konnte man, von der Schwelle der Wachtstube, den Abgrund hinab ins Meer treten. Jedoch war diese Pforte nicht allein für den Unglücklichen in die Mauer gehauen, welcher freiwillig, oder nicht durch einen Schritt oder Stoß auf immer aus dieser Burg treten sollte, sondern sie führte auch nach einer menschlichen Behausung, welche man aber heute, nicht mit Unrecht, ein Haus des Todes nennen konnte. Aus der Felswand, auf welcher die Wachtstube stand, trat eine Klippe von seltsamer Gestalt weit ins Meer hinaus. So schmal, daß ihre weiteste Breite kaum fünf Fuß betrug, glich sie einem künstlichen Mauergange, welchem die Besitzer des Schlosses über den tiefen Abgrund kühn hinaus nach einem größern, im Meere stehenden, Felspfeiler erbaut hatten. Etwa hundert Fuß vom Ufer endete dieser Felspfad in einem größern Punkte, auf welchem ein runder Thurm erbaut war, der, wenn die verbindende Brücke weggefallen wäre, wie ein, aus dem Meeresgrunde entstandener, Zauberthurm würde ausgesehn haben. Noch furchtbarer erschien die schmale Felsenbrücke dadurch, daß es dem wüthenden Elemente gelungen war, einen Durchgang durch den untern Theil des Felsens sich zu brechen. Indem er alljährlich in den Herbststürmen mehr und mehr abspülte, und der Felsen oberhalb nunmehr sich in freier Luft zu wölben schien, konnte man den schmalen Felsenweg jetzt mit Recht eine Meerbrücke nennen.

Die rauhen Kriegsmänner, und die vielleicht noch verderbtern Häscher, sahen mit stummem Entsetzen aus das furchtbare Schauspiel hinaus. Der hingeworfene Greis betete auf der Erde.

Das ist ein Teufelswetter!

fluchte endlich einer der Dragoner. Keiner unter seinen Begleitern fühlte sich eben aufgelegt zu antworten; man hörte aber den Alten mit klappernden Zähnen ein Gebet murmeln, in welchem die Ausdrücke vernehmlich waren:

Modreb und Morfang, und alle böse Geister, die im Meere wohnen und in der Wye und in der Severn – mögen Dir gehorchen, und die Unholde, die verschlossen sind in den Zinkminen und unter den Wurzeln der Eichen, mögen noch lange geduckt liegen bleiben, bis Deine Gnade Alle erlöset, und das neue Reich kommt, von dem Merlin und der gute König Arthur, und unsere heilige Religion gesagt haben. – Binsig ist die Severn, langsam die Wye, Radnors Thürme standen schon vor Erschaffung der Welt, und in Carnarvon wurde Christus zuerst angebetet.

Ein Dragoner trat mit untergeschlagenen Armen an den Thürpfeiler, sah eine Weile schweigend hinaus, und sagte dann kopfschüttelnd:

Dorthin in den Thurm soll er gebracht werden?

Ja – antwortete der Greis, welcher sich mühsam wieder aufgerichtet hatte – darin werden die gefährlichsten Verbrecher eingesperrt.

Bei Vittoria – sagte der Dragoner – ritt ich der Länge lang bei einem Französischen Bataillon, das Pelotonfeuer gab, vorüber. Wenn ich in dem Sturme auf dem schmalen Streifen gehen muß, wirds nicht um ein Haar anders sein, und nur ein Wunder kann retten.

Was? sagte der Andere, – der Kerl ist zum Tode bestimmt. Sollen wir unser Leben dran setzen, um ihn ins Prison hinüberzubringen. Ich bin nicht furchtsam, aber ohne Noth setze ich nicht mein Leben der Gefahr aus.

Kein Mensch kann sich auf dem Felsen, da er kein Geländer hat, gegen den Wind halten, sagte der erste Constabler.

Plumpen wir ihn herunter? fragte der Zweite.

Ich habe nichts dagegen, sagte der erste Dragoner.

Man muß nur nicht schwatzen, meinte der Zweite.

Wir sagen – fiel der erste Constabler ein – der Wind hätte ihn heruntergeworfen, und dann kräht kein Hahn darnach.

Und, Kinder! es ist keine Sünde – meinte der Zweite – denn hangen muß er durchaus, da er ein grausamer Bösewicht ist, und für den Fall ist es noch eine Wohlthat, wenn wir ihn ins Wasser stoßen.

Obgleich alle Vier im Vorsatz einig waren, so waren sie es doch nicht über die Ausführung, denn keiner wollte zuerst anfassen. Noch zu guter Zeit trat im Haushofmeister ein eifriger Vertheidiger Bertrams auf. Er erklärte, da ihm der Gefangene übergeben sei, so könne er einen solchen unerlaubten Prozeß auf keinen Fall dulden, und werde und müsse davon Anzeige machen, wenn sie ihn nicht etwa selbst mit hinabwürfen. Da hierzu Allen der Muth, und sogar der erste Vorsatz fehlte, entschlossen sie sich lieber noch einmal die Schlacht bei Vittoria zu wagen. Man holte große Stricke herbei, und befestigte sich mit denselben untereinander und an den Pfosten der Wachtstube. Dann schritten die Constabler, in der Mitte der Greis, vorauf, ihnen folgten beide Dragoner, welche den Gefangenen fest unter den Armen führten. Einige Windstöße waren furchtbar. Bertram empfand, als er zu beiden Seiten tief unter sich das tobende Meer erblickte, einen Schwindel, die Dragoner rissen ihn aber mit sich hinüber. Der Greis hatte den Thurm eröffnet, und schon hörte Bertram Ketten klirren. Man zog ihn einige Stufen hinunter, schnitt hier seine Bande entzwei, legte aber dafür an die Füße und wunden Hände eine schwere verrostete Kette. Dann stiegen die fünf hartherzigen Schergen wieder hinaus, die Thüre wurde zugeschlagen, und als sie die Riegel draußen vorschoben, und die Schlösser vorlegten, klang dieser Ton dem Gefangenen wie der Fall der Guillotine auf das Haupt des Vormannes den unglücklichen Schlachtopfern der Französischen Revolution.

Bertram warf sich nieder in das reichlich am Boden aufgehäufte Stroh und weinte bitterlich. Nachdem er eine Weile so gelegen, raffte er sich etwas auf, stützte den Kopf auf den, von der Kette beschwerten, Arm, und schämte sich bei ernsterm Nachdenken, daß er seinen Gefühlen über die ihm wiederfahrne grausame Behandlung so weit nachgegeben habe.

Wie die Sachen stehen – sagte er für sich – so wiederfährt mir ein himmelschreiendes Unrecht. Noch ist nichts gegen mich erwiesen. Wollte ich Reue empfinden, dann paßten die Thränen; jetzt ist es meine Rolle, als freier Mann gegen die mir wiederfahrne Schmach zu protestiren, und den Schutz der Gesetze anzurufen, die nicht durch Thränen erweicht werden.

Als er aber mit der Hand seine Augen trocknen wollte, und die schwere Kette klirrte und die Hand wieder herunterzog, verging der kaum angeregte Muth, und er versank in neue trübe Gedanken.

Ein unglückseliger Einfall, der mich nach diesem Lande trieb! Eine kindische Lust, nach interessanten Abenteuern jagen zu wollen, als ob ich sie mir nicht eben so gut hätte ausdenken können, als sie mich hier zu meinem Elend betroffen haben! – In der treulich erwärmten Winterstube, am freundlichen Abende hätte ich mir die Peinlichkeiten eines nächtlichen Gefängnisses eben so gut vorstellen können, als ich sie jetzt empfinde. Und war diese unaussprechliche Sehnsucht nicht vielleicht eine bloße Täuschung, wie sie wohl oft im aufgeregten Zustande einem mit Phantasie begabten Sinne kommt? –

Je länger er moralisirte, um so mehr empfand er die Peinlichkeit seiner Lage. Die Winterkälte war auf dem einsamen Meerthurme, durch dessen Mauern hie und da wohl der Wind einen Eingang fand, nicht gering, und auf Feurung war man für den Gefangenen nicht bedacht gewesen. Dazu kam die Furcht, vielleicht lange Zeit in dieser furchtbaren Festung gefangen zu bleiben, vielleicht gar der Strenge der Gesetze dieses Landes zu verfallen. Doch peinigte ihn in diesem Augenblicke am meisten das körperliche Uebel: die Kälte. Er hatte bei der Laterne des Haushofmeisters gerade so viel Zeit gehabt, um das Ameublement seines Gefängnisses zu besehen. Dies bestand aber in nichts anderm, als dem am Boden ausgestreuten Strohe. In einem Winkel lagen einige alte Decken, und daneben stand ein Krug mit Wasser, auf welchen ein runder Schiffszwieback gelegt war. Auch jetzt war es nicht ganz finster im Thurme, denn durch drei, an den obern Theilen der Mauer angebrachte kleine Luken, drang der Mondenschein in das Gemach. Bertram konnte daher den Krug finden, einen Trunk zur Nacht nehmen und mit den Decken sich, so gut es ging, umhüllen. Aber ehe er sich niederlegte, trieb ihn die Neugier – wann verläßt uns diese? – noch wo möglich durch eine der Luken hinauszublicken, um über die Lage seines Gefängnisses etwas zu erfahren. Mit beinahe lebensgefährlicher Anstrengung kletterte er an ausgebrochenen Mauersteinen und einigen in der Wand, vermutlich zur Anschließung der Gefangenen, befindlichen Eisen-Ringen, so weit in die Höhe, daß er den Kopf zu der einen Luke hinausstecken, und – das weite Meer, aber auch weiter nichts erblicken konnte. Noch war es in wilder Gährung, und Bertram glaubte ein Schiff nicht weit von dem Schlosse zu erblicken, wie es, halb ein Spiel der Wellen, mit aller Anstrengung kämpfte, um nicht gegen die Klippe geworfen zu werden. Er wollte von der höchst unangenehmen Lage heruntersteigen, strengte aber noch seine letzten Kräfte an, um durch eine Seitenluke nach dem Strande zurückzusehn. Es gelang ihm, und er erblickte auf der steilen Uferwand einen Theil des thurmreichen Schlosses liegen. Alsbald stieg in ihm die Erinnerung des Uferschlosses aus, welches er von dem Französischen Schiffe her gesehen, und das ihn damals so unbeschreiblich angezogen hatte; und als es ihm klar war, daß er in diesem selben Schlosse als Gefangener sitze, verließ ihn seine Kraft, und er sprang auf sein Nachtlager zurück, daß die Ketten um ihn klirrten. Er verhüllte sich in die Decken, raffte das Stroh zusammen, um sich darin zu vergraben, und fühlte auch bald die Früchte dieser Vorkehrungen in einer angenehmen Wärme. Es dauerte indessen noch lange, ehe der Schlaf ihm seine Leiden für den Augenblick verbarg. denn der furchtbar eintönige Schall, wenn das Meer am Felsen brach, und das Geschrei der Meervögel, welche um den einsamen Thurm nisten mußten, tönte ihm noch lange, ihn an die Schrecken seiner Lage erinnernd, ins Ohr.

Zwar lesen wir häufig in den Dichten, daß den gefesselten Gefangenen süße Träume von Errettung vorschweben, und die Kette dem Unglücklichen beim Erwachen aus dieser süßen Täuschung desto furchtbarer klirrt, weil mit ihr die schönen Glaspalläste zerbrechen. Dagegen versichern uns die Psychologen, selten träume ein Unglücklicher von Trost und Hoffnung, sondern den Gefangenen schwebe das Bild des Kerkers, der Ketten, ja der Hinrichtung noch furchtbarer im Schlafe vor, als sie ihm im Wachen drohten. Psychologen sind gewiegte Männer, und den Dichtern ist nicht viel zu trauen; deshalb würden auch wir im vorliegenden Falle gewiß annehmen, und auf Novellistenehre versichern, Bertram habe schreckliche Gesichter von Molchen und Todtengerippen, von Stricken und Guillotinen gehabt; aber da uns der Held selbst das Gegentheil versichert hat, so müssen wir notgedrungen berichten, daß ihm sehr liebliche Erscheinungen im Traume vorschwebten. Der Winter verhandelte sich in Frühling, die Vögel sangen, aus seinem Thurme wurde eine grüne, dunkle Laube, plötzlich öffnete sich die Thüre, Ketten und Riegel rasselten, und als er die Augen aufschlug, stand vor ihm, in wunderbarem Lichtglanze, eine schöne weibliche Gestalt. Schmerzlich blickte sie zu ihm herab, und eine Thräne perlte in ihren Augen. Dann hörte er eine sanfte metallreiche Stimme leise zu ihm sprechen:

Unglückseliger!

Bertram richtete den Kopf auf, sank jedoch vor Mattigkeit sogleich wieder zurück. Er rieb sein Auge, und noch immer stand vor ihm die schlanke Gestalt. In der Blüthe der Jahre, von schöner, edler Bildung, mit Augen, welche Seelenadel und tiefen Schmerz ausdrückten, und dabei in einer eleganten, aber einfachen Kleidung, schien sie eher in fürstliche Prunkgemächer, als in einen nächtlichen Kerker zu gehören. Bei näherer Betrachtung konnte man sehen, daß der Wind in ihren reichen Haaren müsse gewüthet haben, denn der Kamm war herausgerissen, und die Fülle des blonden Hinterhaares wallte über die eine Schulter, während die reichen Seitenlocken in reizender Unordnung umherflogen. Aber auch an Oertlichkeit und Zeit erinnerte ein Umstand. Sie trug einen reichbesetzten Pelz, um sich in ihrer leichten Kleidung vor der Kälte zu schützen; aber der Sturm hatte auch diesen aus seiner gehörigen Ordnung gebracht, nicht ohne durch die Enthüllung der schönen Gestalt neuen Reiz zu verleihen. Bei näherer Betrachtung sah Bertram, daß sie nicht allein in seinen Kerker gedrungen sei, sondern hinter ihr noch eine zofenartige Gestalt, welche eine Blendlaterne trug, auf die Winke der Gebieterin harrend; stand; die Thüre des Thurmes war wieder verschlossen.

Unglückseliger! – sagte die schöne Erscheinung – mit einer Stimme, welche, so leise das Wort auch gesprochen war, doch mit Wehmuth und Schmerz ihn durchbohrte, – Unglückseliger! welcher Wahnsinn hat Sie getrieben? – Sie sind unglücklich – dies verbietet jeden Vorwurf. Aber täuschen Sie sich nicht, weil ich Ihren Kerker besuche, mit thöriger Hoffnung, – ich hielt es für meine Pflicht, so wie ich leichtsinnig Ihnen früher entgegen kam, jetzt, auch mit Ueberwindung weiblicher Scheu, offen mit Ihnen zu brechen – zu scheiden.

Sie verbarg ihr Gesicht auf einen Augenblick am Busen der Vertrauten. Bertram starrte auf, und wußte nicht, was er beginnen sollte. Dann erhob sie sich wieder und sprach:

Verworfner! Was verblendete Sie, zu glauben, durch jenen gräßlichen Schritt, welcher Ihnen den Weg zu meinem Besitz öffnen sollte, meine Liebe, meine Achtung zu behalten? – Einen wilden Mann, der, ausgestoßen durch Verhältnisse, sich seine eigene Bahn – wenn auch eine furchtbare – gebrochen, den konnte ein schwaches Weib lieben: – aber einen gemeinen Mörder, der sich verbunden hat mit dem Abschaum der menschlichen Gesellschaft – darf es nur – hassen. Ich komme, Ihnen auf immer Lebewohl zu sagen. – Das Bitterste bei dieser Trennung ist, daß ich Sie meinetwillen hier in Ketten sehe. Gott aber gebe, daß Sie die furchtbare Schuld, welche Ihr Gewissen drückt, so leicht abstreifen könnten, als diese Fessel. Alle meine Kräfte werde ich anstrengen, Ihnen Befreiung zu bewirken.

Bertram schwieg noch immer. Die Sprecherin entnahm aus den Händen ihrer Vertrauten einen Beutel und warf ihn in einen Winkel auf das Stroh.

James! – Ihr Schweigen sagt mir deutlich, Sie fühlen, daß wir schon geschieden sind. – Aber noch eine Bitte bei unserer früheren Freundschaft: Verlassen Sie diese Gegend auf – immer. Sie werden mich nicht falsch verstehn – in jenem Beutel sind die ersten Mittel zur Flucht – bei der Tollkühnheit Ihrer Freunde wird es Ihnen nicht schwer fallen, auch aus diesem Kerker zu brechen, – die Unsern werden nicht immer wachsam sein. Ist in Ihnen noch ein Funken Edelmuth, so ersparen Sie mir die Bitterkeit, Jemanden, dem ich früher mein Herz schenkte, als geächteten Bösewicht umherschleichen zu sehn, und zittern zu müssen, wenn man einen Verbrecher eingefangen hat.

Mylady! – sagte Bertram und erhob seine Hand. Ehe er aber ein Wort weiter sprechen konnte, ergriff sie hastig diese, drückte sie einmal, und sagte:

Ich habe ihr Versprechen – Fliehn Sie, Unglückseliger, beten will ich für Sie, mehr als für mich, denn ich trage schuldlos mit an Ihrer Schuld – aber nie, nie wiedersehn, und alles zwischen uns geschehene sei vergessen. –

Sie ließ seine Hand los, warf ein Papier ihm zu und eilte, indem sie ihren Pelzmantel um sich schlug, die Stufen zur Gefängnißthüre hinauf. Schnell öffnete sich diese, und Bertram sah, wie ein Officier, dessen rothe Uniform aus dem grauen Mantel hervorblickte, sie draußen empfing, die Thüre zuwarf und die Riegel wieder vorschob. Von Bertrams Worten:

Mylady, beim Himmel, was bedeutet dies?

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