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Willibald Alexis

Walladmor

Achtes Kapitel.

eingestellt: 7.8.2007

Unter der Biene, unter der Blume,
Unter dem frischen grünen Gras,
Unter dem Hügel in kühler Erde
Träumt mein Vater, ich weiß nicht was.

Altes Lied.


Bertram hatte dem Wirthe seine Rechnung bezahlt, und sich nach dem Wege, welchen er zu nehmen habe, um Bath zu erreichen, erkundigt, als der schwarze Herr, welcher vermutlich ein Zeuge des Gespräches gewesen war, ihn anredete:

Und warum schon nach Bath, junger Mann? Sind Sie bereits überdrüssig der Merkwürdigkeiten, welche M*** uns bietet?

Bertram antwortete etwas ärgerlich, im Gedanken an die nicht sehr ehrenvolle Eigenschaft des Fragenden:

Ich weiß nicht, welche Merkwürdigkeiten einen Reisenden hier fesseln sollten, wenn nicht etwa besondere Umstände vorwalteten.

Und wenn nun solche besondere Umstände vorwalten?

Kennen Sie mich, mein Herr? – Wissen Sie etwas Nachtheiliges mir nachzusagen? –

Keineswegs – bloß der Wißbegierde wegen halten Sie sich hier auf –

Und ich glaube – fiel Bertram ein – es sei jedem Eingebornen und jedem Fremden im freien England erlaubt, auf einer Reise zu verweilen, zu ruhen und zu gehen, wie es ihm gefällt, ohne jedem beliebigen Inquisitor an der Landstraße davon Rechenschaft zu geben.

Der ältliche Mann lächelte: Ganz gewiß, junger Herr. Und Sie haben sich sehr gut benommen, wie ich es hoffte, aber nicht gerade erwartete.

Sie sprechen in seltsamen Räthseln, mein Herr, den ich nicht zu nennen weiß –

Thomas Malburne heiß ich, wenn es Ihnen gefällig ist, und ich meinte nur, daß Sie etwas heftig aufloderten, und in einen kleinen Anfall von Zorn geriethen, wie ich es nicht erwartet hatte. Das freute mich nun, denn ich liebe nicht, wenn die Jugend schon allzu tolerant ist. Ein kleiner Ungestüm steht jedem jungen Manne, wenn er gereizt wird.

Es scheint, Herr Thomas Malburne, als hätte die Obrigkeit hier in England Sittenrichter und Schulmeister für die Fremden bestellt; und ich statte Ihnen meinen ergebensten Dank dafür ab, daß Sie mich nicht für unwerth erachtet haben, von Ihnen so genau, um in der Jägersprache zu reden, aufs Korn genommen zu werden; es thut mir nur leid, daß ich in diesem Augenblicke mich Ihrem scharfen Beobachtungsgeiste entziehen muß.

Nicht empfindlich, Herr Bertram! Empfindlichkeit ist bei weitem schlimmer, als ein leichtes Aufwallen. Jene zehrt an uns selbst, dieses kann schlimmstens für einen Augenblick den Andern beleidigen. Nicht die Obrigkeit, sondern mein Alter und meine Laune, haben mich zum Aufseher, oder Aufpasser, oder wie Sie es nennen wollen, bestellt; und mich dünkt, wir Beide sind darin etwas verwandt. Ihre Röthe widerspricht dem nicht. Wir brauchen uns darüber nicht zu expliciren; aber um auf unser altes Thema und den Sittenrichter zurück zu kommen, so frage ich an, ob Sie mir die Jugend etwas zu tadeln erlauben?

Wenn Herr Malburne so offen spricht, kann ich nur gern meine Einwilligung geben.

Sie gehören, Herr Bertram, zu den jugendlichen Reisenden, einer Classe, welche Yorik unter seiner Rubricirung der Reisenden vermuthlich darum nicht aufgenommen hat, weil sie zu seiner Zeit noch nicht existirte. Diese jugendlichen Reisenden, voll Enthusiasmus für alles und jedes Reisen, stürmen mit ihren kaum vollgepackten Koffern in die weite Welt hinaus, durchfliegen Länder und Städte und indem ihr beständiges Losungswort: »Weiter und weiter!« heißt, sehn sie, aus Begier, Alles zu sehn, in der That nicht vielmehr als nichts. Ich kenne viele meiner jungen Landsleute, welche auf ihrer Tour durch Europa nicht länger als drei Tage in Paris verweilt haben. Die wenigsten nehmen sich Zeit in einer bedeutenden Stadt ihren Koffer auszupacken, geschweige denn alle die Orte aufzusuchen, wo sie den Zweck aller tüchtigen Reisen erreichen könnten, d. h. Menschen und Sitten kennen zu lernen. In Rom ist es vollends, seit Vasi seinen famösen Wegweiser geschrieben hat, gar nicht mehr auszuhalten; denn jeder Britte durchfliegt pflicht- und vorschriftsmäßig in jedem der angegebenen Tage, die durch das Divisionsexempel auf denselben fallenden berühmten Punkte; und hat er seine Tour abgelaufen und muß zufällig noch länger in der weltberühmten Stadt verweilen, so fällt es ihm nicht ein, irgend einen der Punkte zum zweiten oder drittenmal, oder gar neue Situationen aufzusuchen, sondern er glaubt vor Langerweile in der an Interesse reichhaltigsten aller Städte umzukommen. Ich würde für diese Länderstürmer, welche den Augenblick nicht genießen, aus Angst, irgend etwas in der Zukunft zu verlieren, es am zweckmäßigsten finden, wenn sie, statt die Merkwürdigkeiten eines Orts mühsam aufzusuchen, sich damit begnügten, den höchsten Thurm zu ersteigen, und wenn sie die Punkte der umliegenden Gegend von dort herunter beobachtet haben, flugs sich in den Wagen zu setzen und über die Gränze zu fahren. Auf diese Art ließe es sich wohl dahin bringen, daß man ganz Europa in einer Tour von sechs Wochen kennen lernte.

Auch ich, Herr Malburne, stimme im ganzen in Ihren Tadel ein. Wenn Sie aber, wie es früher schien, ein Vertheidiger der jugendlichen Aufwallungen sind, so sollte auch diese Art zu reisen bei Ihnen eine Rechtfertigung finden.

Sie haben recht, mein Freund. Ich tadle dieses Länderstürmen nur jetzt mit meinen funfziger Augen, und würde, wenn es in meiner Jugend schon Mode gewesen wäre, es vielleicht selbst mitgemacht haben. Der Jüngling, im Wahn des unendlichen Reichthums der allgemeinen Natur und seiner eigenen Kraft und Phantasie, glaubt schon genug gethan zu haben, wenn er jedes Ding gekostet hat. Er wirft, in beständigem Spielen und Haschen nach dem Neuen die Frucht fort, ehe er noch auf den Kern, welcher vielleicht die süßesten Theile enthält, gekommen ist, und glaubt, der Vorrath der vollen frischen Früchte sei so groß, daß er ihn nie erschöpfen könne. So schont auch der jugendliche Dichter selten seine Kräfte. Trotzend auf seinen innern Fond, verschleudert er absichtlos die schönsten Gedanken und Bilder zu unbedeutenden Kleinigkeiten, und stehet oft, wenn er späterhin zur Ausarbeitung größerer Werke schreitet, dürftig und trocken da. Daher kommt es, daß viele Dichter, welche zu den schönsten Erwartungen beim ersten Auftreten berechtigten, statt fortzuwachsen und zu blühen, zu verwelken scheinen. Anders ist es mit uns ältern Herren. Da uns die Jahre die Flügel gelähmt haben, zwingt uns schon die Natur, länger bei jeder Erscheinung zu verweilen; der gereifte Verstand läßt uns aber bei weitem mehr darin erblicken, als wir je im Feuer der Jugend darin vermuthen konnten. Um im Gleichnis fortzufahren, wir werfen die einmal angebissene Frucht nicht eher fort, als bis wir allen Saft und alles Fleisch verzehrt, und vielleicht sogar den Kern aufgeknackt haben. So, junger Herr, sitze ich noch immer in M***, obgleich wochenlang vor Ihnen angekommen, und stoße noch immer auf Merkwürdiges und Neues unter den Menschen, und denke auch noch einige Zeit lang Merkwürdiges und Neues zu finden; und auch Sie, junger Herr, können hier noch sehr viel lernen und sehen, als zum Beispiel, – um sich von dieser langen moralischen Vorlesung zu erholen – dort an der Thür das Plakat, welches mir wie eine Einladungskarte zum Längerbleiben vorkommt. –

Mit diesen Worten drehte er den Jüngling nach der Thür, wo dieser auf einem angeschlagenen Bogen folgende Worte las.



»Wer Jesum liebt und die Freiheit des Handels, und an die Auferstehung christlich beerdigter Todten glaubt, wird im Namen der leidenden Menschheit und aller derer, welche die Störung des Handels verabscheuen, ersucht, zur Beerdigung und Leichenfolge des christlich verstorbenen Herrn Le Harnois, welcher ein rechtlicher Mann, guter Christ und Beförderer alles und jedes Handels war, und auch noch im Tode um einen guten Handel sich freuen wird, sich mit christlichen Gesinnungen und möglichst schwarzer Kleidung am Strande bei Huntingcroß morgen um neun Uhr einzufinden, allwo die Seele des verstorbenen Herrn Capitains auf die Freunde, welche sie zur Ruhe bestatten wollen, so ergebenst als hochachtungsvoll wartet.«



Unterschrift, Datum und Ort fehlten dieser sonderbaren Einladung.

Bertram wollte sich um Aufklärung an Malburne wenden, statt dessen aber stand Dulberry jetzt an seiner Seite, und fing an ihn zu haranguiren:

Ihr werdet doch auch mitgehn, Herr Bertram? Es hält ordentlich Noth, unter den verzagten Affen hier fromme Leute, wie man sie braucht, aufzufinden.

Vermutlich weil der Verstorbene ein Katholik war. Aber wie kommt es, Master Dulberry, daß Sie das Amt eines Leichenbitters übernommen haben, da Sie überhaupt vom christlichen Begräbniß nicht viel halten?

Das ist was anders, was extraordinaires, ein Hauptspaß, Herr Bertram. Ein solches Begräbniß ist ja gegen die Gesetze, und da kann ein ehrlicher Mann sich schon mal ein Vergnügen machen, und ich vermuthe, es wird unversteuerten Wein zu trinken geben. Sie sind ja so ziemlich schwarz angezogen, und wenns auch nicht wäre, thuts ja nichts, denn im Nothfall haben Sie gesunde Arme und gerad gewachsene Beine. Uebrigens ists besser, Sie lassen sich nichts merken, daß Sie mit wollen. Solche Begräbnisse feiern wir hier immer mit gehöriger Stille und Anstand.

Haben Sie den Capitain gekannt?

Nicht mit Augen gesehn, aber was macht das aus, wenn die allgemeine Menschenliebe und die Gesetze ins Spiel kommen?

Ich kannte ihn – fuhr Bertram fort – es war ein wilder, roher Mann, von dessen christlich mildthätigen Gesinnungen ich nicht viel zu rühmen weiß, ob ich gleich eingestehn muß, daß das Christentum in seinem Munde lebte. Er strotzte in Fülle der Gesundheit, und sein Gedanke schien gleich weit vom Tode, der ihn so plötzlich hingerafft hat, entfernt.

Nicht Dulberrys Argumente, sondern Malburnes wenige Worte, welche dem Jünglinge zum ernsten Nachdenken Gelegenheit gaben, bewogen ihn, auch noch diese Nacht in M*** zuzugeben, um morgen dem fremden Leichenbegängnisse beizuwohnen. Der Abend, – es war kein Schauspiel – verging sehr einförmig und still; man sprach nirgends von der morgenden Feierlichkeit, und wenn Bertram das Gespräch durch Fragen darauf lenken wollte, erhielt er nur einsylbige Antworten. Früh eilte er deshalb zu Bette und schlief, unter lieblichen Träumen, so gut und fest, daß er erst erwachte, als die Thurmuhr schon die achte Stunde geschlagen hatte.

Als er hinuntereilte, fand er wider Gewohnheit die große Wirthsstube ganz leer, und der Wirth wollte auf seine Fragen eben so wenig davon wissen, daß die übrigen Gäste zur Leichenfolge gegangen, als daß sie überhaupt nicht im Gasthofe seien. Er murmelte einige Worte vor sich hin, die ungefähr klangen wie: Ein guter Wirth braucht und soll nichts von seinen Gästen wissen, als was sie zu Essen und Trinken verlangen. Bertram stürzte einige Tassen Kaffee hinunter, und eilte dann, nachdem er vom Wirthe Erkundigungen über den Weg eingezogen, nach dem Strande, wo er schon zu spät anzukommen fürchtete.

Wirklich sah er vom Gipfel eines kleinen Berges herab den Leichenzug schon in voller Bewegung, obgleich wegen der Länge desselben die hintersten Glieder noch nicht weit vom Strande entfernt waren. Es war ein feierlicher Anblick, wie der lange, schwarze Zug sich auf dem hügligen Terrain den schmalen Weg zwischen Berg und Thal hinschlängelte, und das tiefe Schweigen mehr die Nähe von Geistern als Menschen verkündigte. Die Leidtragenden schienen sich eines ganz besonders leisen Trittes zu befleißigen, und man hätte selbst zum Glauben können bewogen werden, daß die schwarz behangenen Pferde die Trauer mitfühlten, indem kein Wiehern erschallte, und selbst das Auftreten ihrer Hufe nicht gehört wurde. Der letzte Umstand mochte indessen in der Entfernung Bertrams von dem Zuge seinen sehr natürlichen Grund haben. So viel dieser aus demselben wahrnehmen konnte, begann der ganze Zug mit einem sehr großen, und ganz schwarz behangenen Leichenwagen, zu dessen beiden Seiten vier stämmige Schiffssoldaten als Leidtragende nebenher gingen. Hinten dem Wagen folgten an acht bis zwölf Kutschen, die indessen weniger den Charakter der Trauerkutschen an sich trugen, sondern vielmehr gewöhnliche Land- und Lohnkutschen schienen, welche in Ermangelung anderer, und in der Eile, in welcher vermuthlich der ganze Leichenzug abgeordnet war, von der nächsten Umgegend zu diesem Behufe requirirt waren. Neben jeder Kutsche gingen wieder, gleichsam als Thürhüter, zwei mit Seitengewehr bewaffnete Matrosen, welche wahrscheinlich den Dienst der alten Läufer im Nothfall repräsentiren und sich auf die Wagentritte stellen sollten; ein Manövre, vor welchem freilich bei der Langsamkeit eines Leichenzuges diese robusten Trabanten ziemlich sicher sein konnten. Erst hinter allen Wagen gingen zwei auf zwei die freiwilligen Leidträger. Gleich nach dem letzten Wagen schienen die nächsten Anverwandten in stärkern Reihen und einer andern Ordnung zu gehen; auch glaubte Bertram aus den schwarzen Röcken einige Federbüsche, buntere Kleider und Waffen hervorblicken zu sehen, welches alles genauer zu unterscheiden ihm aber die Entfernung verbot. Eben so wenig konnte er die langen Reihen der übrigen Leidtragenden zählen, und beeilte sich nur vom Hügel hinunter zu steigen, um sich noch zeitig dem Zuge anschließen zu können.

Obgleich die Meisten unter den Folgenden mit tief auf die Erde gebeugten Köpfen einherschritten, so konnte es doch nicht fehlen, daß Viele den jungen Mann schon von Ferne erblickt und aus dem Schnellschritte, mit welchem er die Höhe hinab auf den Zug zuging, seine Absicht, ihnen sich anzuschließen, errathen hätten. Man rief ihm deshalb schon aus einiger Entfernung zu, in welcher Gegend des langen Zuges er eintreten möge, als er eben im Begriff war, dem Zuruf Folge zu leisten, rief es wieder von mehreren Seiten:

Erst schneidet Euch einen Dornstock ab.

Bertram wußte nicht, was dies zu bedeuten habe; da er aber sah, daß wirklich jeder Leidtragende einen derben und starken Knüttel in der Hand trage, so sprang er, ohne weiter nach dem Grunde zu fragen, in das nächste Gebüsch und schnitt sich den ersten besten Ast mit seinem Taschenmesser ab, ein Ast, welcher aber zufällig so groß und keulenartig war, daß Bertram selbst jetzt eher einem wilden Manne, wie ihn die Heraldiker abbilden, als einem frommen und friedlichen Leidtragenden ähnlich sah. Mit diesem Stocke, welcher für ihn mehr eine Last als eine Stütze war, eilte er dem Zuge nach, und traf glücklich seinen angewiesenen Platz und einen stumm, steif und gebückt einzuschreitenden Nebenmann. Dennoch konnte er sich nicht enthalten, diesen ganz leise zu fragen, ob es eine Wälische oder Französische Zeremonie sei, nach welcher die Personen im Leichengefolge Dornstöcke tragen müßten? erhielt aber nur die hervorgebrummte Antwort:

Das geschieht, weil viel Hunde in der Nähe sind, und die Hunde schlägt man in aller Welt mit Knütteln todt.

Bertram mußte sich mit dieser dürftigen und zweifelhaften Auskunft begnügen, und schritt an der Seite seines Nebenmannes, aus dessen tiefgebeugter Stellung und düsterm Wesen er schloß, daß es ein naher Verwandter des Todten sei, ruhig mit dem Zuge fort. So lange man das Meer erblicken konnte, herrschte in der That eine Todtenstille in diesem Todtenzuge; als sie aber ein kleines, von sanften Anhöhen umschlossenes Thal erreicht hatten, kam etwas mehr Leben in die todte Masse. Man hörte husten, räuspern, und einzelne Leidtragende, welche in einer Entfernung von einander gingen, riefen sich vertrauliche Worte zu. Eine sehr beleibte Person trat sogar plötzlich aus Reihe und Glied auf einen Stein, knöpfte Rock und Weste auf und rief mit lauter Stimme, nachdem sie einige Stoßseufzer, welche das Verlangen nach Luft bekundeten, ausgestoßen hatte, zu den übrigen:

Halte den verteufelten Schnellmarsch eine andere Seele aus. Das Herz kocht schon im Leibe, und wenns hier nicht Erfrischungen giebt, so mag der Capitain allein in seine dunkle Wohnung fahren, oder, wenns ihm beliebt, sich selbst auf die Beine machen, und mit Courier- und Sieben-Meilen-Stiefeln laufen, denn ich gehe nicht weiter. Eine verfluchte Gewohnheit das Fußlaufen!

Wenn ein Meuterer nur wagt zuerst aufzutreten, so kann er gewiß sein, Nachfolger zu finden. Nur den ersten Tritt über die Schwelle scheut die Menge. Ist aber dieser gethan, so folgt sie blindlings dem Vortreter, wenn auch nicht der geringste Grund oder die schwächste Aussicht eines Gewinnes vorhanden ist. So fand auch hier das Beispiel des beleibten Mannes unter Beleibten und minder Beleibten Nachahmung. Man trat aus dem Zuge aus und schrie, indem man sich am Wege niederlagerte oder um den ersten Meuterer stellte:

Wir sind erschöpft. Der Teufel mag marschiren ohne Rum, und Wein und Schinken.

Ein Anderer: Ich habe mir die neuen Sohlen abgelaufen und hätte drei Schillinge den Tag über verdienen können.

Ein Dritter setzte hinzu: Und dabei ist kein Spaß. Wir keuchen und schleichen wie die Marder, und die Kehlen sind trocken, weil man anständig sein muß, was eine verflucht schlechte Angewohnheit ist.

Da lobe ich mir die letzte Parlamentswahl – sagte ein so roher und ungehobelter Bursche, daß man ihm auf den ersten Blick ansah, er habe nichts mit dem Wählen zu thun – das ist ein wahres Volksfest, wo man nichts von Anstand und Regeln nöthig hat, und doch geachtet ist, und froh, und sein Wort mitreden kann.

Ja – fiel ihm ein Anderer ins Wort – Du hast Dein Wort recht eindrücklich mitgeredet, als Du den Kothkloß dem Major ins Gesicht warfst –

Nicht doch, es war ja ein Kohlstrunk, ein so guter, als man ihn in Powisland findet, und er hatte ihn verdient, denn er hatte das gemeine Volk Pöbel genannt.

Deshalb wars wohl nicht, Dickson, denn vor sechs Jahren schriest Du aus Leibeskräften auf dem Markte: Oberst Rasselas für immer! Tod den Jacobinern! und gabst unserm Meister Kittledrum, der mit der rothen Mütze kam, und der Fahne, worauf stand: »Das souveraine Volk, Gleichheit und Freiheit und die drei Pence Brodte!« – einen solchen Schlag auf die Stirne, daß sich der dicke Schlächter wie sein Ochse auf dem Straßenpflaster umherwälzte. Neulich aber warst Du zuerst in der Bude der Quäker gewesen und kamst wie ein Vollmond heraus, und der Brandtwein lief Dir aus Augen und Ohren, und da brülltest Du: Nieder mit den Tyrannen und Priestern – bis Du umfielst.

Was ich geschrieen habe, weiß ich nicht mehr, aber das war eine andere Lust als jetzt. Der dicke Advocat aus Bristol hatte so viel Brandtwein anfahren lassen, daß ich – als ich meine Pflicht gethan und ausgeschrieen hatte, – mich hinlegte und drei Tage schlief. Sie haben mich jämmerlich damals zertreten, als sie über mich wegstiegen.

Da hast Du recht – fiel ein Anderer ein – die guten alten Zeiten sind vorüber. Es sind jetzt alle Knauser geworden. Hat doch der Squire, als wir ihn zuletzt gewählt haben, nur zwölf Tonnen Korn, und ich glaube nicht sechzehn Bier auffahren lassen.

Narr, hast Du ihn denn gewählt? Es ist ja seit Menschen Gedenken in ganz M*** ihm keine Seele contrair gewesen, und da muß er ja gewählt werden.

Aber das gemeine Volk hat für ihn geschrieen, und das ist uralte Gewohnheit, daß er dafür bezahlt, und wir haben Rule Brittannia gesungen, daß man es hat auf dem Meere hören können.

Wir wollens auch singen, uns zu wärmen, bis man Rum bringt, oder lieber.

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